Film | |
Titel | A Beautiful Day |
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Originaltitel | You Were Never Really Here |
Produktionsland | Frankreich, USA, Vereinigtes Königreich |
Originalsprache | Englisch |
Erscheinungsjahr | 2017 |
Länge | 90 Minuten |
Altersfreigabe | |
Stab | |
Regie | Lynne Ramsay |
Drehbuch | Lynne Ramsay |
Produktion | Lynne Ramsay, Rosa Attab, Pascal Caucheteux, Rebecca O’Brien, James Wilson |
Musik | Jonny Greenwood |
Kamera | Thomas Townend |
Schnitt | Joe Bini |
Besetzung | |
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A Beautiful Day (Originaltitel:You Were Never Really Here) ist einMelodram vonLynne Ramsay, das am 27. Mai 2017 im Rahmen derFilmfestspiele in Cannes seine Premiere feierte. Der Film mitJoaquin Phoenix basiert auf dem gleichnamigen Roman vonJonathan Ames aus dem Jahr 2013. Der deutsche Kinostart erfolgte am 26. April 2018.
Der abgehalfterteKriegsveteran Joe hat es sich zur Aufgabe gemacht, Frauen zu retten, die kriminellem Sexhandel zum Opfer gefallen sind, und Kinderschänder zu töten. Nach getaner Arbeit und nachdem er nicht nur den Tatort gereinigt hat, sondern auch seinen Hammer, sein bevorzugtes Mordwerkzeug, spricht er seinem Auftraggeber John McCleary auf den Anrufbeantworter, dass der Job erledigt sei. Seine Bezahlung erhält er von Mittelsmännern, so von Angel, der in seiner Heimatstadt einen kleinen Supermarkt betreibt. Joe lebt mit seiner anDemenz erkrankten Mutter zusammen in einem Außenbezirk von New York City; sie sorgt dafür, dass er auch zu Hause jede Menge zu putzen hat.
Joes Körper ist von Narben übersät. Erfahrungen aus seiner Kindheit und aus Kriegseinsätzen scheinen auch auf seiner Seele Narben hinterlassen zu haben. Regelmäßig zieht sich Joe eine Plastiktüte über den Kopf, was ihn fast das Bewusstsein verlieren und die Erinnerungen an die Worte seines Vaters weniger real erscheinen lässt. Wenn sich Joe in der Öffentlichkeit bewegt, hat er immer wieder Flashbacks, die insbesondere durch die Gesichter von Menschen ausgelöst werden.
McCleary bestellt Joe wegen einer dringenden Angelegenheit in sein Büro. Bei seinem nächsten Job gehe es darum, die Tochter desSenators Votto zurück nach Hause zu bringen, der sich in der Sache jedoch nicht an die Polizei wenden kann, weil er sich mitten in einem Wahlkampf befindet. Von ihrem Vater erfährt Joe, dass die Minderjährige nach einem Ausflug am Wochenende nicht zurückgekehrt ist und in welchem Etablissement er sie vermutet. Der Senator will, dass die Männer leiden, die Nina gefangen halten.
Joe begibt sich in einen Baumarkt und besorgt sich einen neuen Hammer. Er observiert dasBordell in Manhattan, in dem er Nina vermutet. Er verschafft sich Zugang zu dem Haus, erschlägt jeden, der sich ihm in den Weg stellt und findet Nina, die halb betäubt auf einem Bett liegt. Er trägt das Mädchen aus dem Haus und fährt mit ihr in ein einfaches Hotel. Dort erfahren sie im Fernsehen vomSuizid des Senators. Plötzlich stürmen Polizisten in ihr Zimmer. Der eine von ihnen nimmt Nina mit, den anderen kann Joe in einem Zweikampf töten. Als er McCleary von Ninas erneuter Entführung erzählen will, dieser jedoch nicht ans Telefon geht, sucht er dessen Büro auf. McCleary ist tot. Zu Hause findet er auch seine Mutter erschossen im Bett liegend vor. Die Mörder befinden sich noch im Haus. Einen erschießt Joe sofort, der andere schleppt sich angeschossen durch die Wohnung. Joe fragt ihn, warum der Senator sterben musste, worauf dieser ihm antwortet „...weil er aus allem raus wollte“. Auf die Frage nach Ninas Aufenthaltsort bekommt er die Antwort „Williams“. Dabei handelt es sich umGouverneur Williams, dessen Parteigänger Votto war. Nina sei Williams Favoritin und „sie tauschen die Mädchen“.
Joe fährt mit der Leiche seiner Mutter zu einem an einem Wald gelegenen See. Er hat nicht nur den Plastiksack, in dem sich ihr Körper befindet, mit Steinen beschwert, sondern sich einige davon auch in die Taschen seines Anzugs gesteckt. Er trägt seine Mutter in den See und versinkt gemeinsam mit ihr. Als Joe plötzlich das Bild von Nina in den Kopf kommt, nimmt er die Steine aus seinen Taschen und taucht wieder auf. Er observiert Gouverneur Williams, folgt dessen Limousine und richtet auf dessen Anwesen ein weiteres Blutbad an. Williams selbst findet er jedoch bereits tot im Haus vor. Nina hat ihm mit einemRasiermesser die Kehle aufgeschlitzt. Joe fühlt sich als Versager.
Joe und Nina gehen in einenDiner. Beide wissen nicht, wohin sie nun sollen. Joe schläft kurz ein und träumt, dass er sich mit einem Kopfschuss umbringt. Das Mädchen weiß nur, dass es raus will und erinnert ihren Retter daran, dass draußen so ein wunderschöner Tag sei.
Regie führte die schottische RegisseurinLynne Ramsay, die auch den Roman von Jonathan Ames als Drehbuch adaptierte.Joaquin Phoenix ist in der Hauptrolle als Joe zu sehen. In Rückblenden wird dieser vonDante Pereira-Olson verkörpert. Die Rolle seiner Mutter übernahmJudith Roberts.John Doman spielt Joes Auftraggeber John McCleary. Die NachwuchsschauspielerinEkaterina Samsonov übernahm die Rolle von Nina, die Joe aus dem Bordell befreit.
Die deutscheSynchronisation entstand nach einemDialogbuch und derDialogregie vonChristian Schneider im Auftrag der Interopa Film GmbH, Berlin.Tobias Kluckert leiht in der deutschen Fassung Joe seine Stimme,Luise Lunow seiner Mutter. Sein Auftraggeber John McCleary wird vonEberhard Haar synchronisiert, die verschwundene Nina vonEmily Gilbert und ihr Vater Senator Albert Votto vonMatthias Deutelmoser.
Die Dreharbeiten fanden an 29 Drehtagen im September 2016 im New Yorker StadtteilBrooklyn und damit am Handlungsort des Films statt.[2][3][4] Als Kameramann fungierteThomas Townend.
Die Filmmusik wurde vonJonny Greenwood komponiert. Er hatte mit Ramsay bereits für den FilmWe Need to Talk About Kevin zusammengearbeitet und bezeichnet sich selbst als ein großer Fan der Regisseurin. Die Streicher vomLondon Contemporary Orchestra waren für die Aufnahme in das Studio seiner BandRadiohead gekommen und hatten hierbei gezeigt, dass ihre Instrumente nicht nur sanft, sondern auch sehr brutal gespielt werden können, so der Filmkomponist. Besonders stolz sei er auf das musikalische ThemaTree gewesen, so Greenwood in einem Interview mit Leonie Cooper von NME, das im Film in der Szene am See verwendet wird und ein weiteres Mal im Abspann zu hören ist.[5] Der Soundtrack zum Film umfasst 14 Musikstücke und wurde am 9. März 2018 in den USA von Lakeshore Records und Übersee von Invada Records digital und später auch in physischer Form veröffentlicht.[6] Eine Woche zuvor hatte Greenwood das StückDark Streets veröffentlicht.[7] Am 16. März 2018 stieg der Soundtrack auf Platz 47 in die Soundtrack Albums Chart Top 50 ein.[8]
Zu den weiteren im Film verwendeten Musikstücken, die nicht auf dem Soundtrack enthalten sind, gehören unter anderemThe Air That I Breathe vonAlbert Hammond undAfter the Lovin’ vonEngelbert. Zudem wird das von Bernard Herrmann komponierteThema aus dem FilmPsycho angespielt.[9] Außerdem singt Joe mit seiner Mutter eine mnemonische Version des Alphabets und später mit ihrem MörderI've Never Been to Me vonCharlene.[10][11]
Der Film feierte am 27. Mai 2017 im Rahmen derFilmfestspiele in Cannes seine Premiere. Er war als unfertiger Film eingereicht und wurde nur wenige Tage vor seiner Premiere fertiggestellt. Auch wenn es heißt, der Film sei nicht rechtzeitig für Cannes fertig geworden, erklärte Ramsay, bei der dort gezeigten Version habe es sich um die letzte Schnittfassung gehandelt.[12] Im Oktober 2017 erfolgte eine Vorstellung beimLondon Film Festival. Ab 19. Januar 2018 wurde der Film im Rahmen desSundance Film Festivals gezeigt.[13] In Deutschland wurde der Film im Januar 2018 erstmals im Rahmen derFantasy Film Fest White Nights desFantasy Filmfests gezeigt. Im April 2018 erfolgte eine Vorstellung beimLichter Filmfest.[14] Anfang April 2018 kam der Film auch in die US-Kinos. Ein Kinostart in Deutschland erfolgte am 26. April 2018.[15] Im August 2018 soll der Film beim Melbourne International Film Festival gezeigt werden.[16]
In den USA erhielt der Film von derMPAA ein R-Rating, was einer Freigabe ab 17 Jahren entspricht.[17] In Deutschland erhielt der Film eineFreigabe ab 16 Jahren. In der Freigabebegründung heißt es: „Es gibt mehrere Gewalt- und Tötungsszenen, aber die Gewalt wird nie ausgespielt oder verherrlicht – oft findet sie sogar außerhalb des Bildes statt. Jugendliche ab 16 Jahren haben keine Probleme, diese Szenen zu verarbeiten. Sie können auch der Geschichte problemlos folgen und die moralisch ambivalente Hauptfigur angemessen kritisch einordnen.“[18]
AufRotten Tomatoes überzeugte der Mystery-Thriller 89 Prozent der Kritiker (bei 288 Reviews), wobei insbesondere die Performance des Hauptdarstellers oft positiv hervorgehoben wurde. Im Konsens heißt dort außerdem, mit dem Film werde Lynne Ramsay als eine der einzigartigsten und kompromisslosesten Stimmen des modernen Kinos bestätigt.[19]
Stefan Stosch von derHannoverschen Allgemeinen Zeitung meint, Ramsey reduziere die Handlung auf das nötige Minimum und erzähle in ihrem Film die Geschichte eines Mannes, der an der Brutalität und dem Wahnsinn der Welt beinahe erstickt und sich nach einem letzten Rest Unschuld sehnt, die er längst verloren hat. Stosch bemerkt weiter, es habe schon einige ähnliche Exemplare in der Kinogeschichte gegeben, die es zu großer Berühmtheit gebracht haben, so der vonRobert De Niro inTaxi Driver gespielte Travis Bickle, der die jugendliche Prostituierte Iris, gespielt vonJodie Foster, rettet, aber auchJean Reno alsLéon – Der Profi, der sich der misshandelten Mathilda, gespielt vonNatalie Portman, annimmt. InA Beautiful Day spüre man jedoch auch den Schmerz, den Joe mit sich herumträgt, so Stosch: „Mag sein, dass Joe Kinder aus den Fängen des Bösen retten kann. Ihn selbst kann niemand erlösen.“[20]
Till Kadritzke sagt: „Ramsey fragmentiert, will uns an die Nerven, mit Detailaufnahmen von scheinbar bedeutsamen Dingen eher irritieren als ernsthaft puzzlen. Und mit Gewalt verstören, natürlich, aber es ist eine Gewalt, der niemals affektive Autorität zugestanden wird.“[21]
Kris Tapley vonVariety brachteYou Were Never Really Here frühzeitig als möglichen Kandidaten in der KategorieBester Film bei der anstehenden Oscarverleihung ins Gespräch. Ramsay habe den gemeinsten Film des Jahres gedreht, und die Leistung vonJoaquin Phoenix sei herausragend, der als Schauspieler ebenfalls ein möglicher Kandidat sei. Auch den Filmschnitt hält Tapley für Oscar-würdig.[22]
British Academy Film Awards 2019
British Independent Film Awards 2018
Boston Film Critics Society Awards 2018
Evening Standard British Film Awards 2018
Hollywood Professional Association Awards 2018
Independent Spirit Awards 2019
Internationale Filmfestspiele von Cannes 2017
National Board of Review Awards 2018
National Film Awards UK 2018
Online Film Critics Society Awards 2019
Nach der Buchvorlage vonJonathan Ames hat der Film im Original den TitelYou Were Never Really Here. Hierzu merkt Stefan Stosch von derHannoverschen Allgemeinen Zeitung an, manchmal scheine Joe, der Mann mit dem Zauselvollbart, regelrecht von der Bildfläche zu verschwinden: „Eben war er noch da, plötzlich hat ihn die Dunkelheit wieder verschluckt. Joe umweht etwas Geisterhaftes.“[20]A Beautiful Day, der deutsche Titel des Films, bezieht sich hingegen auf den von Nina am Ende gesprochenen Satz „Es ist ein wunderschöner Tag“, den Joe wiederholend bestätigt, nachdem er sie ein weiteres Mal befreit hat.
Die FilmkritikerinAntje Wessels meint, im Grunde genommen seiA Beautiful Day in erster Linie das Charakterdrama über einen Mann, dessen innere Zerrissenheit zwischen absoluter Hingabe und purer Resignation Joaquin Phoenix kongenial auf die Leinwand bringt.[32]Kai Mihm vonepd Film sagt, die Regisseurin und ihr Hauptdarsteller trieben mitA Beautiful Day ein außergewöhnliches Spiel mit Genrekonventionen: „Der Ansatz ist intelligenter und hintergründiger. Ramsay baut Erwartungen auf, um diese gezielt zu unterlaufen, etwa wenn sich größereActionszenen ankündigen, die dann aber so nicht stattfinden – wenn überhaupt. Sie baut dramaturgische Irritationen ein und verweigert die genreüblichen, meist durch Gewalt erzielten Befriedigungen. Mord und Totschlag finden fast ausschließlich außerhalb des Kamerablicks statt; oder sie sind bereits passiert, wenn Ramsays exzellenter Cutter Joe Bini an den Ort des Geschehens schneidet.“[33]
Auch Katja Nicodemus vonZeit Online merkt an, der Film zeige nicht die Gewalt, sondern lediglich die Folgen.[34] Die Szene in einem Hotelzimmer, mit der der Film beginnt, beschreibt sie wie folgt: „Die Kamera zeigt Gegenstände des Menschen, den Joe dort offenbar gerade umgebracht hat: Eine Halskette mit dem Schriftzug Sandy. Ein Portemonnaie. Das Foto eines Mädchens mit asiatischen Gesichtszügen – Joe wird es im Mülleimer verbrennen. Und dann Nahaufnahmen der Narben des Auftragsmörders. Erst nach und nach werden die fragmentierten Einstellungen des bulligen Körpers zu einer Person.“[34]
Stefan Stosch von derHannoverschen Allgemeinen Zeitung erklärt,A Beautiful Day sei zwangsläufig ein brutaler Film und eine heftige Seherfahrung, wer jedoch die Augen nicht vor dem Entsetzlichen verschließe, werde feststellen, dass er mehr schlussfolgert, als er sieht: „Die Eruptionen der Gewalt finden zumeist außerhalb des Blickfelds statt. Oder die Kamera ist erst dann zur Stelle, wenn der Gegner schon blutüberströmt am Boden liegt.“ Erwartungshaltungen würden so geschickt ausgehebelt, Vieles laufe hier nur suggestiv ab und kippe zudem auch noch in manchem Moment ins Surreale, so Stosch weiter.[20]
Antje Wessels bemerkt, der Film beschreibe zudem nicht bloß Joes Killerattitüde, sondern gebe zugleich auch einen Einblick in sein Seelenleben: „Der ehemalige FBI-Agent ist nur noch ein Schatten seiner selbst und wohnt den vielen Gewalttaten wie ein Zuschauer bei. Selten hat es einem vermeintlichen Helden so wenig Vergnügen bereitet, für das Gute zu kämpfen – eine ganz neue Erfahrung für den Zuschauer vonA Beautiful Day.“[32]
Stefan Stosch erklärt, von Joes Lebensgeschichte erfahre man nur in kurzen, flüchtigen, manchmal auch rätselhaften Rückblenden wie bei einem Puzzlespiel. Er nennt als Beispiel eine Szene, in der er in einem Kriegsgebiet irgendwo im Nahen Osten einem Mädchen einen Schokoriegel schenkt und dieses Mädchen Sekunden später wegen ebenjenes Schokoriegels von einem Jungen erschossen wird.[20] Peter Zander von derBerliner Morgenpost bemerkt, der einsame Kämpfer mit dem Allerweltsnamen sei hier von Anfang an eine müde, ausgebrannte, ja somnambule Figur und kein typischer Killer, sondern verstehe sich als Kinder-Retter.[35] Joe ist nicht nur vom Krieg traumatisiert und sein Körper und seine Seele von Narben übersät.[36]
Felix Zwinzscher vonWelt Online vermutet, dass Joe schon seit seiner Jugend traumatisiert ist, auch wenn nicht ganz klar werde warum, sondern der Film nur andeute, dass es irgendwas mit seinem Vater, häuslicher Gewalt und seiner Vergangenheit als US-Soldat zu tun haben müsse.[37] Peter Zander vermutet, dass er als Kind vom eigenen Vater missbraucht worden ist.[35] Nicht nur Joes Seele hat hierbei Schaden genommen. Bert Rebhandl von derFrankfurter Allgemeinen Zeitung bemerkt, dass seine Traumata auch Schneisen durch seinen Körper geschlagen haben, und Ramsay tue alles, um ihn als einen Untoten wieder zusammenzusetzen, einen Mann, der sich zugleich den Schädel wegblasen kann und dabei den Schlaf des extremen Gerechten weiterschläft.[38] Katja Nicodemus glaubt, mit dem Hammer sei die Gewalt in seiner Kindheit ausgeübt worden, weshalb dieser heute Joes bevorzugte Waffe ist.[34]
Die Regisseurin selbst sagte in einem Interview mit demTagesspiegel, Joe sei eine exemplarische Figur, ein gebrochener Actionheld, der von der Gewalt gezeichnet ist, und er sei fehlbar und könne weder sich selbst oder seine Mitmenschen erkennen. Weiter meinte Ramsay, die Gewalt, die wir täglich erleben, sei so explizit, dass sie im Kino banal erscheine. Daher sei sie erstaunt, dass der Film als so brutal wahrgenommen werde, obwohl die Gewalt im Off stattfinde."[39]
Alexandra Seibel vomKurier sagt über Lynne Ramsey, die auf haptisches Kino stehe, ihre Filmbilder wollten nicht nur vom Auge gesehen, sondern vom ganzen Körper gefühlt werden, wie das Flüstern auf der Tonspur, der Fluss des Atmens oder das Geräusch des Regens. Auch die Kamera übernehme bei Ramsey die Funktion des Tastsinns, so Seibel, so wenn sie zärtlich über Hautoberflächen streicht und in Nahaufnahmen wie eine Landschaft erforscht. Das mit grauem Barthaar zugewachsene Gesicht vonJoaquin Phoenix, sein mächtiger Körper, seine Narben auf dem Rücken und sein Bauch würden ausgelotet wie ein Gebäude, so Seibel. Weiter zeige die Regisseurin in Nahaufnahmen, wie es aussieht, wenn Menschen Jelly Beans zwischen ihren Fingern zerdrücken oder sich Zähne aus dem blutigen Mund ziehen. Die Suche danach, wie sich etwas anfühlt – sowohl innerlich wie auch äußerlich – beflügele Ramseys Bildsuche, so Seibel.[40]
Michael Pekler vomStandard erklärt,A Beautiful Day sei in erster Linie durch die physische Präsenz Joaquin Phoenix’ geprägt, dessen Körper KameramannThomas Townend wie ein zerstörtes Kunstwerk abtaste, und seine ganze Vergangenheit habe sich in diesen Körper eingeschrieben, vor allem in seine Narben.[41]
Antje Wessels merkt an, auch wenn Joe einen Hammer als Waffe benutze, spritze kein Blut. Dennoch genügten Lynne Ramsey gezielt platzierte Andeutungen dessen, wie gründlich Joe seinen Gegenspielern die Lichter ausknippst. Weiter bemerkt Wessels, die Regisseurin verzichte bis zum Ende auf das visuelle Spektakel, dem sich gerade das Actionkino nur zu gerne hingebe. Optische Besonderheiten genehmige sich die Filmemacherin nur in vereinzelten Traumsequenzen, die das bis dato so betont emotionslose Geschehen in ihrer Symbolhaftigkeit regelrecht konterkarierten, auch wenn diese Szenen nicht ganz zum restlichen Stil des Films passten.[32]
Katja Nicodemus erklärt, Ramsay verwende Bilder und Erinnerungen, wie unser Bewusstsein es tue. Auf fließende Weise verknüpfe sie Gegenwärtiges mit Vergangenem, Präsentes mit Verdrängtem und entwickeln daraus eine eigentümliche Poesie: „Plötzlich in die Wahrnehmung gerückte Details, ungewöhnlich angeschnittene Einstellungen und wie Gedankenblitze wirkenden Einschübe ergeben bei Ramsay so etwas wie eine visuelle Signatur.“[34]
Nicht nur mit ihrem Kameramann kreiere Ramsey um Joes Figur herum eine flirrende Atmosphäre aus Gewalt, Rebellion und Hoffnung(slosigkeit), sondern auch gemeinsam mit ihrem KomponistenJonny Greenwood, so Antje Wessels.[32] Alexandra Seibel vomKurier erklärt, Joes oft verstörte Wahrnehmung verschwimme zu dem nervösen Sound von Greenwood zu somnabulen Lichtstreifen in Neo-Noir.[40] In der Filmkritik vonheute.at heißt es, in dem genialen Soundtrack spiegelten sich Joes seelische Abgründe wider, was visuell nicht immer so einwandfrei funktioniere, obwohl auch Ramsays Hackschnitzelstil die innere Zerrissenheit des Helden verdeutliche.[42] Kai Mihm vonepd Film hingegen bemerkt, die Filmmusik, so gut sie an vielen Stellen passe, behaupte manchmal eine dröhnende Dramatik, die der Film gar nicht bieten will.[43]