FernsehenTeuflisch intelligent
Der Sitzungssaal 210 im Hamburger Oberlandesgericht blieb leer. Kurz vor der Verhandlung erhielt der Richter am vergangenen Montag Nachricht, die streitenden Parteien redeten noch miteinander. Er sagte den Termin ab.
Statt der Anwälte hatten zu diesem Zeitpunkt im belgischen Seebad Ostende die Chefmanager die Regie übernommen. In harten Gesprächen kamen sich Michael Dornemann, Vorstand des Medienkonzerns Bertelsmann, und der belgische Großbankier Albert Frere, der das Fernsehunternehmen CLT steuert, Stück für Stück näher.
Am Ende legten die beiden den Rechtsstreit ihrer Firmen um den Kölner Fernsehsender RTL bei. Das Ergebnis: Bertelsmann darf nun die Mehrheit an Europas größtem Werbeträger übernehmen. Die CLT, die RTL 1983 in Luxemburg gegründet hat, legt sich nicht mehr quer.
Das war noch nicht alles. Die langjährigen Kontrahenten fusionierten kurzerhand ihre Geschäfte mit elektronischen Medien in einer neuen gemeinsamen Firma, die zum größten europäischen Fernsehbetreiber aufsteigt.
Einen »historischen Meilenstein« bejubelte Bertelsmann-Chef Mark Wössner, 57, der erst im Herbst mit einem Friedensschluß gerechnet hatte. Nun gebe es »endlich einen europäischen Major«, sagt Dornemann, 50.
Bertelsmann bringt seine Fernsehtochter Ufa in den gemeinsamen TV-Konzern ein, der in Luxemburg sein Hauptquartier aufschlägt. Zur künftigen CLT-Ufa gehören Beteiligungen an 14 Sendern, etwa Channel 5 in Großbritannien, M6 in Frankreich oder RTL 4 in den Niederlanden (siehe Grafik). In Deutschland erreicht die Allianz mit RTL, RTL 2, Vox und Super RTL fast 30 Prozent der TV-Zuschauer - gerade soviel, wie das Medienrecht künftig erlaubt.
Gemeinsam können die Euro-Strategen nun ihre Spielfilm-Deals mit den großen Hollywood-Studios Warner, Disney und MCA Universal nutzen. Je nach Bedarf wird das Material auf die Senderkette verteilt.
Im neuen Verbund, der immerhin fünf Milliarden Mark umsetzt, hat Bertelsmann eine starke Position. Zwar besitzen die Gütersloher nur 50 Prozent der Anteile, die andere Hälfte besitzt eine Zwischengesellschaft der CLT. Aber da muß sich Frere die Macht mit dem französischen Konzern Havas, einem weiteren Bertelsmann-Verbündeten, teilen.
Vom »Einigungszwang zwischen paritätischen Partnern« spricht Dornemann. Jede Seite stellt einen Geschäftsführer. In einem detaillierten Letter of intent legte Dornemann aber mit Frere fest, daß Bertelsmann den wichtigen deutschsprachigen Markt kontrolliert. Für Frere bleiben die anderen europäischen Länder.
Mit dem Coup endet der jahrelange Zoff der Deutschen mit der CLT. Mal ging es um das Management von RTL, mal um medienpolitische Grundsatzfragen.
1995 forderte die CLT sogar eine niedrigere Obergrenze für künftige Fernsehaktivitäten von Bertelsmann, da der medienmächtige Konzern auch Zeitschriften und Zeitungen herausgebe. Bertelsmann regte daraufhin einen »Malus für ausländische TV-Betreiber« an.
Es habe »auch Revanchefouls« gegeben, erkennt Wössner im nachhinein. Nun soll Fair play gelten.
Das war den Bertelsmännern rund 1,6 Milliarden Mark wert, die sie als Wertausgleich an die alte CLT zahlen - der Löwenanteil davon fällt an den Hauptgesellschafter Frere, 70. Der langjährige Widersacher sei ein »Finanzmann, der vor allem Dividende sehen will«, sagt ein Bertelsmann-Manager. Pierre Lescure, Chef des Pay-TV-Senders und Bertelsmann-Verbündeten Canal plus, hält den Wallonen einfach für »verschlagen, teuflisch intelligent und gerissen«.
Im Zukunftsmarkt des Pay-TV hatte Frere, der in den fünfziger Jahren mit einem Schrotthandel und Stahlgeschäften groß geworden war, den Strategen aus Gütersloh den Rang ablaufen wollen. In einem Containerdorf auf dem Luxemburger Kirchberg ließ der belgische Baron eine Truppe von 80 jungen Leuten die Fernsehzukunft planen - etwa mit einem Programmpaket »RTL Club«, das allerlei Serien- und Spielfilmkanäle beinhaltet. Sein Manager Michel Delloye, 38, bemühte sich um Allianzen für die Milliarden-Investition.
Doch als sich Wunschpartner Rupert Murdoch, 65, vor kurzem mit Bertelsmann verbündete, standen die Luxemburger allein da (SPIEGEL 11/1995). Auch der Pariser Konzern Havas, immerhin zweitgrößter Gesellschafter der CLT, war mit den Deutschen davongezogen.
»Verrat«, zeterte der glücklose Manager Delloye und suchte nach neuen Partnern in den USA. In einem vierstündigen Gespräch mit Dornemann lotete er in Frankfurt jedoch noch einmal die Chancen einer Einigung aus.
Danach übernahm Verhandlungs-Fuchs Frere. »Die Sache spitzt sich zu«, die CLT habe »mehrere Optionen«, ließ er Dornemann wissen, der inzwischen nach Buenos Aires gereist war. Der Deutsche jettete prompt zurück und machte den Mega-Deal perfekt. Auch Wössner hielt es nicht mehr im Ausland: Er unterbrach den Urlaub in Dubai.
Vergangenen Dienstag dann passierte die neue Ehe den Verwaltungsrat der CLT. Die Vorarbeiten der Luxemburger für das digitale Pay-TV - unter anderem ein Sendezentrum und eine Vertriebsorganisation - gehen in die neue Gesellschaft mit Bertelsmann ein. Nun muß nur noch die EU-Kartellbehörde zustimmen.
Telefonisch informierte Dornemann den Münchner Filmhändler und TV-Unternehmer Leo Kirch, 69, über das Manöver. Der Manager will unbedingt, daß Konkurrent Kirch seine eigenen ehrgeizigen Pay-TV-Pläne, für die er die Firma DF 1 Digital-Fernsehen gegründet hat, nicht forciert. Statt dessen soll Kirch mit Bertelsmann beim gemeinsamen Pay-TV-Sender Premiere kooperieren.
Doch der Kaufmann aus Bayern hielt sich bedeckt. Höflich gratulierte Kirch zur Einigung mit der CLT. Y
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Wichtigste Beteiigungen des Fernsehkonzerns CLT-Ufa
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