Transitdurch den Osten
Die Geisterstreckenunter Ostberlin
Transitstreckender U-Bahn vor
Transitstrecken nach
Bahnhof Friedrichstraße
Betriebsalltag
Die Transitstrecken inStadtplänen
Die Flucht
Devisenbringer U-Bahn
Die Transitstrecken nachNovember
Planungen
BILD-BERLIN meldet am 4.Dezember:
Mittenim dicksten Berufsverkehr Berlin, 4. Dezember U-Bahn stand: Schiene gebrochen? Auch auf der Linie 8 zwischen Leinestraße(Neukölln) und Osloer Straße (Wedding) gab es gestern nachmittag imBerufsverkehr eine Unterbrechung von einer halben Stunde ( Leute kamen zuspät). Auf dem Bahnhof Gesundbrunnen hatte sich der 25-jährige Bernd K. voreinen einfahrenden Zug geworfen, kam aber mit Prellungen davon.
|
Ein faszinierendes und völlig absurdes Kapitel Berliner U-Bahngeschichtewaren die Transitstrecken der Westberliner U-Bahn durch den Osten der Stadt.Zwei U-Bahnlinien, die U6 und U8, führten ohne Halt in den "Geisterbahnhöfen" durchden Osten Berlins. Im Volksmund waren das die so genannten"Geisterstrecken". Nebenbei bemerkt gab es außerdem noch zweiS-Bahnstrecken (Nordsüdbahn und Stadtbahn), die den Osten Berlins unterquertenoder in diesen einfuhren.

Die Transitstrecken in einem FALK-PLAN von:
Die rosa gefärbten Flächen gehören zu den Westsektoren, die grauen hingegenzum Ostsektor, die Sektorengrenze ist violett dargestellt.
Unter der Chaussee- und Friedrichstraße verlaufend ist die Transit-U-Bahn derLinie C, später Linie 6, und unter dem Straßenzug Brunnenstraße/Heinrich-Heine-Straße die Linie D, später Linie 8, die den Alexanderplatzunterquert, erkennbar. Zusätzlich ist die Nordsüdbahn der S-Bahn dargestellt,wie sie sich ihren Weg vom Potsdamer Platz zum Nordbahnhof durch den Ostsektorsucht. In diesem Plan sind im Gegensatz zu späteren Auflagen noch alleBahnhöfe als geöffnet erkenntlich, so als sei die Grenze noch offen. Ebensosind grenzüberschreitende U-Bahnlinien dargestellt, die längst außer Betriebwaren. Mit diesem Plan aber wird deutlich, wo welche Bahnhöfe im Osten gelegenhaben. Daher eignet sich dieser Planausschnitt sehr gut, um die Örtlichkeitenzuordnen zu können.
Die Transitstrecken der U-Bahn vor
Die Linien U6 (früher C) und U8 (früher D) haben etwasgemeinsam: Sie verlaufen in Nord-Süd-Richtung durch die Innenstadt. Dies warschon vor dem Krieg so. Der Zufall und die politische Geographie Berlins wolltees so, dass diese Strecken nach vom Amerikanischen Sektor durch denSowjetischen Sektor in den Französischen Sektor führen. Kurz: Von Westberlindurch Ostberlin nach Westberlin. Darin sah man in den ersten Jahren nach demKrieg kaum ein Problem. Die Probleme begannen, als die BVG zwischen demWesten und Osten aufgeteilt wurden.
Für diese beiden Linien galten folgende Regelungen:
Die Linien gehörten zum Bereich der BVG-West und wurden von ihr betrieben. DieBVG-West stellte somit Fahrzeuge und Zugpersonal.
Für die durch den Osten führenden Abschnitte galtfolgendes: Die Strecken- und Tunnelbauwerke werden von der BVG-Ost betrieben.Die Bahnhöfe unterstehen der BVG-Ost. Die Stromversorgung derTransit-Abschnitte wird ebenfalls durch die BVG-Ost bzw. Ost-BEWAGsichergestellt.

In der Praxis bedeutete dies: Westzügefahren auf Oststrecken. Westliches Zugpersonal wird durch östlichesBahnhofspersonal abgefertigt. Das funktionierte in jenen Jahren ganz gut. Nungab es aber Fahrgäste, denen es, etwa aus beruflichen Gründen, sehr wichtig war, zu wissen in welchem Sektorsie gerade waren. Aus diesem Grunde wurde die Bahnhofsansage perDienstvorschrift geändert. Der Zugabfertiger der BVG-West hatte auf den letztenzu Westberlin gehörenden Bahnhöfen, den sogenannten"Grenzbahnhöfen" darauf hinzuweisen, dass es sich bei diesemBahnhof um den letzten Bahnhof im Westen handelt: Das klang dann etwa so:"Kochstraße - letzter Bahnhof in den Westsektoren, letzter Bahnhof in denWestsektoren!"
Folgende Bahnhöfe waren"Grenzbahnhöfe:
Linie C (U6): Kochstraße, Reinickendorfer Straße
Linie D (U8): Moritzplatz, Voltastraße
Die BVG-Ost antwortete prompt: Sie ließ anden ersten Bahnhöfen im Osten verkünden, dass man nun im "DemokratischenBerlin" willkommen sei.
Die beiden Strecken gehörten zu denwichtigsten U-Bahnlinien überhaupt und waren stets gut ausgelastet. Es warennicht nur Westberliner die durch den Osten fuhren, sondern auch ganz normaleAnlieger, die im Westen zu- und im Osten ausstiegen oder umgekehrt, oderFahrgäste, die nur innerhalb des Ostens die U-Bahn nutzten. Es waren also ganznormale Umstände, die hier herrschten, mit der einzigen Besonderheit, dass dieLinien von einem weltpolitischen Machtblock in den anderen fuhren. Aber dasinteressierte den einfachen Fahrgast eh kaum; er wollte nicht von Westberlinnach Ostberlin sondern von Neukölln nach Mitte. Er wollte von seiner Wohnung zuseiner Arbeitsstätte, er wollte Freunde und Bekannte besuchen, Einkäufetätigen, Besorgungen erledigen. Viele Ost-Berliner darunter, die zur"HO Gesundbrunnen" wollten...
1953 kam es im Osten zu Arbeiter-Unruhen,die schließlich am 17. Juni in den bekannten Streiks und Arbeitsniederlegungengipfelten, die die Existenz und Zukunft der DDR erstmalig in Frage zu stellenschienen.
Die Regierung der DDR jedenfalls erließ denAusnahmezustand für Ostberlin, die Unruhen wurden mit Hilfe der russischenBesatzer kaltgestellt.
Auch die U-Bahn war betroffen: DerZugverkehr auf den Transitstrecken wurde eingestellt. Für die BVG-Westbedeutete dies, dass die Züge auf den letzten Bahnhöfen im Westsektor zu endenhatten. Dies war leichter gesagt als getan, denn: Damals gab es an den letztenBahnhöfen noch keine Gleisverbindungen. Somit musste zum Teil mit Pendelverkehrgefahren werden. Der Gesundbrunnen zum Beispiel war mit der U-Bahn überhauptnicht erreichbar.

An dieser Betriebspraxis änderte sich inden nächsten Tagen nichts. Ab 18. Juni allerdings wurde ein bescheidenerU-Bahnverkehr im Osten aufgenommen: Ein Zug pendelte von Stadtmitte bis zumNordbahnhof auf der Linie C.
17. Juni: Blumenbretter auf derLinie D
Was bislang eigentlich unbekannt war, ist die Tatsache, dass es in den Tagennach dem 17. Juni sogar einen durch die BVG-Ost betriebenen Pendelverkehrzwischen Neanderstraße und Rosenthaler Platz oder gar Bernauer Straße gab. ZumEinsatz kamen hier zwei Kleinprofilzüge, die von der Linie E (dort im normalenFahrgasteinsatz) auf die Linie D durch den Waisentunnel überführt wurden. Diebeiden Züge pendelten auf den beiden Gleisen im wechselseitigen Verkehr. Unddas obwohl auf einem Kehrgleis am Alexanderplatz ein BVG-West-Zug abgestelltwar. Aber dieser Zug wurde nicht benutzt, vermutlich deshalb, weil dieBVG-Ost-Fahrer auf dieser Zuggattung (Baureihe B) nicht ausgebildet waren.Obwohl die Recherchen hierzu noch nicht abgeschlossen sind, ist belegbar, dassder Zugverkehr wie eben beschrieben stattfand. Erst zum 9. Juli wurde dieserZugverkehr wieder eingestellt. Ich berufe mich hier auf die Recherchen von HerrnHaase, der über das Thema eine Magister-Arbeit geschrieben hat.
Am 9. Juli verfügte die Regierung der DDR dieAufhebung des Ausnahmezustandes, das Leben im Ostsektor normalisierte sich, auchder U-Bahnverkehr konnte den Betrieb in altbekannter Form wieder aufnehmen.
DieBVG-West jedoch hatte ihre Erfahrungen mit den Unberechenbarkeiten des Ostensgemacht: In der Folgezeit wurden jeweils an den letzten Bahnhöfen vor dem OstenWeichen eingebaut, um ein Wenden der Züge auf Westberliner Gebiet zuermöglichen.
Nach war die innerdeutsche Grenzegesichert worden, auch um Berlin war ein Überschreiten der Grenze nicht mehr soohne weiteres möglich. Im Vergleich zu späteren Jahren war die innerdeutscheGrenzbefestigung noch sehr bescheiden, um Berlin herum etwa waren die Straßenzunächst nur mit einem simplen Stacheldrahtverhau versehen worden. Auf jedenFall war es den Westberlinern nicht mehr gestattet, die DDR zu betreten.Ostberlin dagegen durfte noch betreten werden, schließlich gab es vieleWestberliner, die im Osten ihre Arbeitsstelle hatten. Dies waren so genannte"Grenzgänger".
Auch entlang der innerberlinischen Sektorengrenze waren Grenzposten derDDR ein normaler Anblick geworden. Es wurde also in den folgenden Jahren immerschwieriger, die Grenze zu überqueren. Nur mit der U-Bahn und der S-Bahn wardies noch recht problemlos möglich. wurde im Strafgesetzbuch der DDR derTatbestand der "Republikflucht" unter Strafe gestellt, doch mehr undmehr Ostberliner und DDR-Bürger benutzten diese U-Bahnstrecken (und natürlichdie S-Bahn) für die Fluchtaus der DDR nach West-Berlin.
Nun war es aber in den Jahren bis zumMauerbau alles andere als einfach, als gewöhnlicher DDR-Bürger in dieHauptstadt, also nach Ost-Berlin zu kommen: Seit etwa wurde praktisch jederFernzug, der nach Berlin fuhr, an der Ost-Berliner Stadtgrenze angehalten undkontrolliert. Hierzu gab es regelrechte Kontrollbahnhöfe, die späterenGrenzübergängen glichen. Ebenso verhielt es sich auf den Berlin zulaufendenStraßen. Jeder DDR-Bürger, der in seinem Personalausweis einen roten Balkenhatte, galt als "politisch labil" und war somit in Berlin"unerwünscht", hatte sich demzufolge sehr unbequemen Befragungendurch die "Organe" zu stellen, wo er gute Gründe haben musste, umnach Berlin zu reisen... Ein Umzug nach Berlin oder eine Arbeitsaufnahme dortwar für diesen Personenkreis praktisch aussichtslos. Und wer in der OstberlinerU- oder S-Bahn in jener Zeit mit Reisekoffern unterwegs war, machte sich sowiesoverdächtig.
Schon in jener Zeit gab es in der Führung der DDRGedankengänge, wie man dieses offene Grenzproblem lösen könnte. Eine der Varianten war,den gesamten zivilen Flugverkehr West-Berlins über den DDR-FlughafenSchönefeld abzuwickeln. Somit hätte die DDR die direkte Kontrolle über dengesamten Flugverkehr zwischen Berlin und der Bundesrepublik erlangen können.Eine "Republikflucht" außer nach Westberlin wäre dann nicht mehrmöglich gewesen. Selbstverständlich haben sich die westlichen Alliierten aufdiese Variante nicht eingelassen. Eine andere Variante war, die Stadt entlangder Sektorengrenze durch bauliche Maßnahmen zu sichern. Dies bedeutete faktischden Bau einer Mauer. Doch hierzu waren die Sowjets nicht bereit dieGenehmigungen zu geben. Und die war unbedingte Voraussetzung für eine solcheMaßnahme, denn Berlins oberste Machthaber waren die Alliierten, das war auchder DDR klar.
Es vergingen weitere Jahre, in denen viele DDR-Bürger ihre Abstimmung zumDDR-System mit den Füßen vornahmen. Die DDR konnte dem nur noch mit Agitationentgegenwirken. Im März flog Staatschef Walter Ulbricht nach Moskau, umdas Fluchtproblem zum Punkt der Tagesordnung zu machen. Er erhielt vom KremlchefChruschtschow eine Abfuhr in dieser Angelegenheit. Ulbricht erhielt zur Antwort:"Löse die Probleme mit anderen Mitteln". Eine Mauer kam für diesowjetischen Machthaber (noch) nicht in Frage. In Folge der Eiszeit zwischen den Blöckenwollte man den Westen nicht unnötig provozieren.
Die DDR-Bürger flüchteten weiter, es warenvor allem Wissenschaftler und Facharbeiter, die es vorzogen in den Westen zugehen.
Im Juni fand in Ostberlin eineinternationale Pressekonferenz statt, zu der auch westliche Zeitungsvertretergeladen waren. Es entwickelte sich folgender Dialog zwischen Annemarie Doherrund Walter Ulbricht:
"Eine Frage Herr Vorsitzender - Doherr, Frankfurter Rundschau - Bedeutetdie Bildung einer Freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze amBrandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mitallen Konsequenzen Rechnung zu tragen?"
Darauf Ulbricht: "Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen inWestdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der der Hauptstadtder DDR dazu mobilisieren eine Mauer aufzurichten, ja? Ähhh, mir ist nichtbekannt das solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter der Hauptstadt derDDR hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen, und ihre Arbeitskraft dafürvoll ausgenutzt wird, voll eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht eine Mauerzu errichten!"
Mit Sicherheit gab es in den Führungsebenender DDR entsprechende Pläne. Sicher ist aber auch, dass es in diesen Tagen,Mitte Juni, noch keine genaue Vorstellung über die technische Umsetzunggab.
Vom 3. bis zum 8. August weilte Ulbricht nochmals in Moskau. Hier war erAngeklagter und Ankläger zugleich: Angeklagter, weil er es nicht schaffte, fürdas Volk derartige Lebensbedingungen zu schaffen, die einer Abwanderung dieGrundlage entziehen würden. Ankläger, weil es die sowjetischen Machthabernicht gestatteten, die Inneren Angelegenheiten der DDR selber bestimmen zulassen.
Zum Schluss dieser Treffen bekam Ulbrichtdie Zusage, die er wollte. Er erhielt grünes Licht für die Aktion"Chinesische Mauer" mit dem unmissverständlichen Hinweis: "aberkeinen Schritt weiter!" Erleichtert reiste Ulbricht zurück nach Ostberlin.
In den nächsten Tagen gründete dieRegierung der DDR einen Arbeitsstab, der die Trennung der Verkehrswege innerhalbBerlins vorbereiten sollte. Leiter dieser Arbeitsgruppe war der damalige FDJ-AgitatorErich Honecker. Ihm traute man eine solche Aufgabe zu. Sofort machte Honeckersich an die Arbeit: Er bereitete die Teilung der Stadt bishin zu letzten Details vor, nichts wurde dem Zufall überlassen. Honeckerkontaktierte in dieser Sache auch Karl Maron, den damaligen Innenminister. Maronverfasste einen Befehl, der die Teilung der U-Bahn vorsah. Hiernach sollten diebeiden Linien C und D dem westlichen Netz zugeschlagen werden, die Bahnhöfe imOstsektor waren mit Ausnahme von Friedrichstraße zu schließen. Der BahnhofFriedrichstraße sollte als Grenzübergangsstelle weiterhin geöffnetbleiben. (siehe "Maron-Befehl")
Genauestens gaben diese streng vertraulichen Befehle Auskunft darüber, wie inwelchen Fällen zu verfahren ist. Nur eines wurde nirgendwo genannt: DerZeitpunkt, ab wann diese Regelungen in Kraft treten sollten. Es wurde stets nurvon der "X-Zeit" gesprochen.
Die gesamte Aktion lief unter allergrößterGeheimhaltung. Es waren nur die direkt betroffenenStellen, die über entsprechende Befehle unterrichtet wurden. Oftmals wurden Befehle in geschlossenen Umschlägen per Boten überbracht, und dieseBoten, vermutlich von der Staatssicherheit, sorgten dafür, dass die Umschlägeerst in einem bestimmten Moment geöffnet wurden, wobei auch sie wohl nichtwussten, was der Inhalt des Umschlages vorsah.
Ulbricht lud alle Minister und hochrangigeRegierungsmitglieder am 12. August nachmittags in seinen Landsitz am Döllnsee.Dort erteilte er Erich Honecker die förmlichen Vollmachten zur Grenzschließungund informierte die übrigen Anwesenden, unter ihnen auch VerkehrsministerKramer, über "gewisse Unbequemlichkeiten" in den folgenden Tagen inBerlin.
Als Kramer abends wieder in Berlin war,zitierte er Vertreter der BVG-Ost direkt von einem feucht-fröhlichen Fest zusich ins Ministerium. Die fröhliche Stimmung war bei den Ausführungen Kramersschnell dahin...
Als "X-Zeit" galt Sonntag, der 13.August, 1.00 Uhr.
Dieser Tag wurde bewusst gewählt. Am Montag-früh, also über 24 Stundenspäter, sollte die Aktion erfolgreich durchgeführt und beendet und außerdemsichergestellt sein, dass der U- und S-Bahnverkehr reibungslos läuft.
Zum Zeitpunkt "X" lief der U-Bahnverkehrauf den Linien C und D noch reibungslos, der Betriebsschluss stand bevor. Derweilbegannen Organe der NVA, Straßen im Bereich der Sektorengrenze "pioniermäßig"zu sichern. Selbst in diesen Stunden ahnte im Westen niemand, dass in den folgendenStunden eine beispiellose logistische Leistung anlaufen würde, die zum Zielhaben sollte, das eine Stadt mit über drei Millionen Einwohnern hermetischvöllig getrennt wird, sowohl oberirdisch als auch unterirdisch.
In den frühen Morgenstunden dieses Sonntags wurde der Zugverkehrplanmäßig wieder aufgenommen, das Zugpersonal fuhr trotz der Ereignisse an der Grenze indie Transitabschnitte ein. Die Züge wurden von den Grenzorganen auf den erstenBahnhöfen im Osten in der Form empfangen, dass das Zugpersonal angewiesenwurde, nicht zu halten. Die Züge hatten ohne Halt die Streckenabschnitte imOsten zu passieren. Erst am Bahnhof Friedrichstraße war zu halten. DieserBahnhof war als "Grenzübergangsstelle" vorgesehen. Es wurde in diesemBahnhof nur ein Zugang offen gehalten, an dem die Abfertigung der"Reisenden" erfolgte. Alle anderen Bahnhöfe blieben an diesem 13.August verschlossen und wurden schwer bewacht.
An diesen Umständen änderte sich in denfolgenden Tagen nichts. Daraus wurde eine Dauereinrichtung: Die Züge der LinieC hielten nur auf dem Bahnhof Friedrichstraße, die Züge der Linie D dagegenhielten gar nicht im Osten.

In den Folgejahren wurden die Strecken zuregelrechten Festungen ausgebaut: Notausstiege wurden verschweißt,Bahnhofszugänge wurden als solche unkenntlich gemacht, indem das "U"über den Zugängen entfernt wurde. Damit nicht genug: Aus dem Bewusstsein derÖffentlichkeit sollten diese Strecken verschwinden. In keinem vom Osten herausgegebenen Stadtplan warendie Linien mehr dargestellt. Verbindungsgänge innerhalb der Umsteigebahnhöfewurden vermauert, Treppenabgänge durch Betonplatten abgedeckt.
Tatsächlich waren die Transitstrecken ausdem Bewusstsein der Ostberliner getilgt. Manch einer wunderte sich, wenn unterihm, etwa am Rosenthaler Platz, der Boden bebte, obwohl keine Straßenbahn desWeges kam. Natürlich wussten die meisten Ostberliner, dass es da U-Bahnlinienunter der Innenstadt gab, die tabu waren, die in keinem Stadtplan mehrverzeichnet waren...
Jede Art eines Fluchtversuches sollteunmöglich gemacht werden. Daher wurden die der Grenze nächstgelegenenBahnhöfe in besonderem Umfang gesichert: Die Treppenabgänge zum Bahnsteigwurden vermauert und mit Schießscharten-ähnlichen Fensteröffnungen versehen.Hinter diesen Fenstern wurden Wachstuben eingebaut, von denen aus das gesamteGeschehen auf dem Bahnsteig überblickt werden konnte.
Unterhalb der Bahnsteigkanten wurdenStacheldrahtrollen ausgelegt. Somit wurde unterbunden, dass ein"Republikflüchtling" unterhalb der Bahnsteigkante im Gleisbettentlang kriechen und somit der Aufmerksamkeit der Grenzorgane entgehen könnte.Nicht nur einmal hat sich der Stromabnehmer eines Zuges in seiner Vorbeifahrt inden Rollen verfangen. In Grenznähe wurden allerlei technische Vorkehrungen getroffen: So wurden rechtraffinierte Lichtschranken übereinander angeordnet. Übereinander deshalb, weilein U-Bahnzug im Tunnel dann alle drei Lichtschranken bei seiner Durchfahrtgleichzeitig unterbrechen würde. Würde aber durch eine Person nur eine oderzwei der drei Schranken unterbrochen werden, würde Alarm ausgelöst werden.Doch damit nicht genug: Es wurden Kontaktplatten in den Gleisen ausgelegt, dievon einem Zug gefahrlos überfahren werden, aber von einer Person aufgrund derGröße nicht übersprungen werden können. Die Person aber würde zwangsläufig aufdiese Platten treten müssen, was zur Alarmauslösung geführt hätte. Abgesehendavon, dass eine flüchtende Person keine Chance hatte in den Tunnel ersthineinzukommen, wurde dennoch größter Wert auf eine wirksame Abwehr derFluchtmöglichkeit gegeben. Auch Fahrstromtechnisch wurden Änderungenvorgenommen: So war es praktisch von allen relevanten Sicherungsposten ausmöglich, die Fahrstromversorgung mittels Fahrstrom-Steuerschalter zuunterbrechen.
Die Sektorengrenze war auch im U-Bahntunnelsichtbar: Ein breiter weißer Strich an der Wand kennzeichnete die genaue Lageder Grenze. Später wurden sogar Rolltore eingebaut, die bei nächtlicherBetriebsruhe stets zu schließen waren.
(Anm: In verschiedenen Schriften werdendiese Rolltore bei der U-Bahn angezweifelt. Ein ehemaliger Zugabfertiger, der amU-Bhf. Reinickendorfer Straße damals des öfteren Dienst hatte, bestätigte mirdie Existenz dieser Tore zumindest zwischen Reinickendorfer Straße und Stadionder Weltjugend.)
Die nächstgelegenen Bahnhöfe entlang derGrenze waren durch Grenzorgane der DDR gesichert. Dies waren die BahnhöfeWalter-Ulbricht-Stadion und Stadtmitte bei der Linie C, später 6, und BernauerStraße und Neanderstraße auf der Linie D, der späteren U8.
Die übrigen Bahnhöfe waren lediglich mitPosten der Transport-Polizei zu sichern. Im Bahnsteigbereich hatten dieWachposten stets zu zweit aufzutreten. Hierbei wurde darauf geachtet, dass eszwischen den Posten zu keinen persönlichen Bindungen kommen konnte. Darüberhinaus fanden von höheren Dienststellen Kontrollen statt, die nichtangekündigt wurden. Somit war auch personell eine größtmögliche Sicherheitgegeben.
Hin und wieder kam es vor, dass dieBahnhöfe, oder Teile davon, zweckentfremdet genutzt wurden. Auf dem Bahnsteigder Linie D am Alexanderplatz zum Beispiel wurden Wände gezogen und somitgeschlossene Räumlichkeiten geschaffen. Diese Räume wurden von einerBahnmeisterei genutzt. Der "Mäusetunnel", der die beiden Bahnsteigeim Bahnhof Stadtmitte verband, wurde als Lagerraum genutzt. Noch Jahre nachÖffnung des Tunnels waren die Abdrücke der Behältnisse im Asphaltboden zuerkennen.

In den folgenden Jahren wurde der BahnhofFriedrichstraße immer perfekter gesichert. Hier waren umfangreiche Aufgaben zuerfüllen, denn dieser Bahnhof war ein Umsteigebahnhof zu zwei weiterenS-Bahnstrecken und zur Fernbahn und außerdem ein Fußgänger-Grenzübergang.Insgesamt erschwerend kam hinzu, dass ein Bahnsteig der S-Bahn weiterhin demDDR-Binnenverkehr seitens des Ostens offen zugänglich sein sollte. Aufgrund derkomplizierten Baulichkeiten dieses Bahnhofs entstand ein äußerst unübersichtliches undin der Folge absolut unüberwindliches Gängesystem.
In denAnlagen der U-Bahn passierte folgendes: Der südliche Zugang, einVerteilergeschoss mit Ausgängen zur Friedrich- und Georgenstraße, wurdevollständig verschlossen. Der nördliche Zugang blieb geöffnet. Hier gelangteman über eine Treppe in eine Vorhalle, in der sich ein Fahrkartenschalter befand. Dieser Fahrkartenschalter bliebstets durch Personal der BVG-Ost besetzt. Der weiter hinauf führende Ausgangzur Weidendammer Brücke dagegen wurde geschlossen. Dafür aber blieb derVerbindungsgang zum Nord-Süd-Bahnsteig der S-Bahn offen. Man gelangte alsowieder hinunter zum Bahnsteig der S-Bahnen Richtung Anhalter Bahnhof undGesundbrunnen.
Auf diesem Bahnsteig wiederum begannen Treppen, die hinauf zumStadtbahnhof führten. Hierbei betrat man die ebenerdig liegende Vorhalle desBahnhofs. Von hier aus gelangte man hinauf zur Stadtbahn mit ausschließlicherFahrtrichtung nach Zoo und Wannsee, also nach West-Berlin. Außerdem begannenhier die Gänge zu den Grenzabfertigungsanlagen. Die wiederum waren je nach Einund Ausreise räumlich getrennt. Die "Einreise in die Hauptstadt derDDR" fand im Inneren des Bahnhofsgebäudes statt, während für dieAusreise um ein nördlich angeordneter Pavillon entstand, der so genannte"Tränenpalast".
Erst nachÜberwindung der Grenzkontrolle aber gelangte man zum Vorhallenbereich derOst-S-Bahn. Einer der drei oberen Bahnsteige, der Bahnsteig A, diente demDDR-Binnenverkehr der S-Bahn Richtung Alexanderplatz und Ostkreuz. Der von der U-Bahn aus frei zugängliche Bahnsteig Bdiente nur den Zügen der S-Bahn Richtung Zoo/ Westkreuz. Der Bahnsteig Cdagegen diente dem Interzonen-Fernverkehr. Ab hier fuhren Züge nachWestdeutschland ab. In diesem Bahnsteigbereich fand auch die reguläre Kontrolledurchlaufender Reisezüge statt. Damit aber nicht einfach ungehindert in diesenZug zugestiegen werden konnte, waren auf dem Bahnsteig weiße Linien gemalt, dieerst nach Aufforderung, sonst aber unter keinen Umständen von den Reisendenüberschritten werden durften.
Um in der Bahnhofshalle ein Überlaufen(etwa über die Gleise) vom Ost-S-Bahnsteigzum West-S-Bahnsteig zu unterbinden, wurden raumhohe Glasflächen errichtet.Anfang der 80er Jahre wurden diese Glasflächen durch äußerst unansehnlicheMetallwände ersetzt. Außerdem war an der westlichen Hallenschürze ein Stegüber den Gleisen errichtet worden, der personell durch Grenzposten besetzt war.Es ist selbstredend, dass Grenz- und zivile Stasiorgane in diesemBahnhofskomplex allgegenwärtig waren.

Grenzübergang Friedrichstraße
Schematisierte und vereinfachte Darstellung
Als Westbürger konnte man sich in diesemBahnhof absolut frei und unbehelligt bewegen, ohne jegliche Kontrolle konnte man zwischen den westlichenVerkehrsmitteln frei umsteigen. Nur verlassen konnte man diesen Bahnhof nie ohneKontrollen. Natürlich hatte man gewisse Verhaltensregeln zu befolgen, etwa,dass das Fotografieren natürlich streng untersagt war und auch nur sehr wenigegewagt hätten.
Die gesamte Bahnhofsanlage war perfektgesichert, die Staatsorgane der DDR waren in diesem Bahnhof allgegenwärtig. Außerdemwurden in den 70er Jahren umfangreiche Videoanlagen installiert, womit dasgesamte Geschehen im Bahnhof perfekt unter Beobachtung war. Kontrolliert wurdepraktisch alles, auch die Organe beobachteten sich gegenseitig.
Im Laufe der Jahre entwickelte sich der BahnhofFriedrichstraße zu einem Anziehungspunkt der besonderen Art: Mehr und mehr"Intershops" wurden eingerichtet. Intershops waren eine Einrichtungder DDR, wo gegen "Valuta", also gegen DM-West (und natürlichUS-Dollar) Westwaren verkauftwurden. Intershops befanden sich überall in der DDR, vor allem in Bahnhöfen,Hotels, Autobahnraststätten und eben auch im Bahnhof Friedrichstraße. DieZielkundschaft der Intershops waren Bürger der DDR, die über harte Währungverfügten und natürlich Bundesbürger, die zu Besuch in der DDR waren. ImBahnhof Friedrichstraße war dies anders: Hier war die Zielkundschaft derWest-Berliner, der zum Einkaufen zur Friedrichstraße fuhr. In der Tat warendiese Läden bei den Westberlinern recht beliebt, denn hier gab es Tabakwarenund Alkoholika erheblich preiswerter als in Westberlin. Dies war möglich, weildie Waren hier Steuer- und zollfrei verkauft wurden. Eine StangeMarlboro-Zigaretten beispielsweise, die in Westberlin 38 DM kostete, bekam manhier für 25 DM. Manchmal im Angebot sogar noch billiger. Man bekam hier aberauch Erzeugnisse der DDR, die zum Teil exklusiv für den Export hergestelltwurden und auch Zeitungen, Zeitschriften, politische Literatur und dergleichen. Für die DDR entwickelte sich dieser Bahnhof im Laufe der Jahre zu einerwertvollen Devisenquelle. West-Berliner nannten diesen Bahnhof oft einfach nur"Bahnhof Intershop".
Die BVG-West beschaffte in den Jahren seit moderne U-Bahnzüge, die in der Lage waren als "Einmann-Zug"gefahren zu werden. Die Konsequenz dieser Entwicklung war, dass der Zugbegleiterim Laufe der Jahre immer seltener wurde. Das Bahnsteigpersonal überwachte denFahrgastwechsel und gab dem Zugfahrer mittels eines Signals den Auftrag, dieTüren zu schließen und ab zu fahren.
Diese Regelung galt nicht für dieTransitstrecken. Trotz der modernen Züge sind bis stets Begleiter mitdurch den Osten gefahren. Die Begleiter stiegen am letzten Bahnhof in Westberlinin den Führerstand zu und begleiteten den Zug durch den Osten. Am erstenBahnhof im Westen stiegen sie wieder aus und fuhren zurück. Darüber hinauswaren die letzten Bahnhöfe vor dem Osten immer doppelt besetzt. Hierdurchsollte immer eine größtmögliche Sicherheit für das BVG-Personal und dieFahrgäste gegeben sein.
Das Westpersonal achtete peinlichst genau darauf, dass der Zugverkehr im Ostenregelmäßig verlief. Stellte sich ein Verzug ein, dass ein Zug nichtplanmäßig aus dem Osten kam, wurde der planmäßig in den Osten fahrende Zugzurückgehalten. Nicht selten kam es vor, dass der Zugumlauf im Osten insStocken geriet. Dies konnte die verschiedensten Gründe haben. Nur äußerstselten wurde dann die BVG-West von dem Grund der Verzögerung in Kenntnisgesetzt. Es gab zwar eine Telefonleitung zwischen den obersten Dienststellen derBVG-Ost und der Betriebsleitung bei der BVG-West; das bedeutet aber noch langenicht, dass diese Leitung auch genutzt wurde. Wenn es aber zu einerBetriebsunterbrechung aufgrund eines Schadens kam, konnte die BVG-West davonausgehen, dass diese Störung einige Stunden dauern wird. Eine Sprechverbindungzwischen Zugpersonal und Betriebsleitung-West gab es nicht: Funkgeräte durftennicht benutzt werden.
Für die BVG war es dann zwecklosErsatzbusse einzusetzen, die nämlich hätten in einem großen Bogen um dasOstberliner Stadtzentrum herumfahren müssen. Wenn es zum Beispiel einenSchienenbruch gab, dann ging es dem Osten nicht um eine zügige Behebung desSchadens, sondern um Sicherheit: Es trat ein Verwaltungsakt in Aktion, dennzunächst musste ein politisch zuverlässiger Bautrupp zusammengestellt und dieBewachung des selben sichergestellt werden und erst dann konnte mit dereigentlichen Arbeit zur Behebung des Schadens begonnen werden.
Während Fahrgäste in Zügen, die sich nochin Westberlin befanden, Umsteigen und den Osten mit anderen Verkehrsmittelnumfahren konnten, hatten die Fahrgäste Pech, die sich in einem Zug befanden,der bereits unter dem Osten der Stadt war. Dieser Zug wurde dann von denGrenzorganen umstellt um zu verhindern, dass Fahrgäste oder Zugpersonal den Zugverlassen könnten. Dabei spielte es keine Rolle, wie eilig es ein Fahrgast auchimmer haben konnte. Es ist nur ein Fall bekannt, dass ein Zug auf derTransitstrecke evakuiert wurde, auch sowas gabs!. Zu diesem Zweck gab es meisteinen Bus mit Fahrer der BVG-Ost, der irgendwo in der Berliner Innenstadt bereitstand für den Fall der Fälle. Es soll in den 70er Jahren mal eine Evakuierungeines Zuges auf der Linie 8 gegeben haben, wobei die Fahrgäste unterentsprechender Bewachung in diesen Bus geleitet und anschließend zu einem derGrenzübergänge gefahren und somit wieder direkt und ohne weitereZwischenfälle nach West-Berlin geschleust wurden.
In den allermeisten Fällen aber blieben Fahrgäste und Personal im Zug bises weiterging. Erst in den letzten Jahren gab es eine Abmachung, die esgestattete, dass ein liegen gebliebener U-Bahnzug mit Hilfe einer Schlepplok ausder Transitstrecke gezogen werden durfte.
Als im August die Bahnhöfe im Ostengeschossen wurden, hatte die BVG-West vor, weiterhin im Osten zu halten. Ausfolgendem Grund: In der offiziellen Diktion des Westens gab es keine DDR. Siewurde von der Bundesrepublik bekanntlich niemals anerkannt. Da es nun also keineDDR gab, konnte es auch kein DDR-Grenzregime geben. Denn das real existierendeGrenzregime war im Sinne des Westens illegal. Folglich gab es auch keinegesperrten U-Bahnhöfe. Warum also, so die BVG-West, sollte nun in diesenBahnhöfen durchgefahren werden. Auch in den Netzplänen der ersten Mauerjahrewaren die Ostbahnhöfe noch regulär eingezeichnet. Also, so meinte die BVG-Westals verlängerter Arm des Westens, ist es legitim, dass die Züge in dengesperrten Bahnhöfen kurz anhalten, und wenn dies auch nur symbolisch ist.
Sofort gab es Ärger mit den Grenzorganen,die den Halt auf den gesperrten Bahnhöfen untersagten. Die Züge hätten ohneHalt durchzufahren. Man einigte sich auf einen Kompromiss: Die BVG-Zugfahrerwurden von der Leitstelle angewiesen mit vermindertem Tempo durch die Bahnhöfezu fahren. Und so wurde das in den folgenden Jahrzehnten dann praktiziert,anders als die S-Bahn, die mit unvermindertem Tempo durch die Transitbahnhöfefuhr.
Es gab Fahrgäste, die aus verschiedensten(z.B. beruflichen) Gründen unter keinen Umständen in den Transitabschnitteinfahren durften, da sie hiermit das "Hoheitsgebiet der DDR" betretenhätten. Aus diesem Grunde führte die BVG-West schon in den 50er Jahren dieDienstvorschrift ein, die die Fahrgäste durch Ausruf darauf hinwies, dass diegrenznahen Bahnhöfe die "Letzten Bahnhöfe in Berlin-West" seien,hierauf wurde oben schon hingewiesen. Anfang der 70er Jahre wurde der Wortlautgeändert: Statt "Letzter Bahnhof in den Westsektoren" hieß es nun"Letzter Bahnhof in Berlin (West)". Dieser Wortlaut war von denZugabfertigern stets zu wiederholen.
Die Sicherheit ging noch weiter:
Technisch bedingt kann es vorkommen, dass ein Zugfahrer den Zug in einem Bahnhofnicht rechtzeitig zum Halten bringen kann. Dies kann verschiedene Ursachenhaben, ist aber im Grunde genommen kein Problem, da in einem solchen Fall eineUnfallgefahr nicht gegeben ist.
Wenn nun ein Zugfahrer mit der Zugspitzeerst hinter dem Bahnsteigende zum Stehen kommt, gilt grundsätzlich bei der BVGfolgende Verfahrensweise: Der Zugabfertiger teilt den Fahrgästen sowohl im Zugals auch auf dem Bahnsteig mit, dass die Türen geschlossen zu bleiben haben. Dadie Zugtüren damals noch keinen Dauerverschluss während der Fahrt hatten, warder Zugfahrer angewiesen, die Türen mit Hilfe der Druckluftanlage geschlossenzu halten. Wenn vom Zugabfertiger festgestellt wurde, dass kein Fahrgastwechselstattfand, hatte er den Abfahrauftrag zu erteilen. Nun hatte der Zugfahrer zumnächsten Bahnhof weiter zu fahren. Dies ist in den Dienstvorschriftenentsprechend geregelt, damit Fahrgäste des ersten Wagens nicht ins Gleis fallenkönnen.
Diese Regelung galt an den letzten Westbahnhöfen vor den Transitstrecken nicht,damit politisch gefährdete Personen die Möglichkeit haben, den Zug zuverlassen.
Um den Halt technisch zu erzwingen, wurdenum die Signalanlagen an den betreffenden Bahnhöfen geändert:Grundsätzlich waren die Signale rot, wenn ein Zug in den Bahnhof einfuhr.Sollte er durchfahren, würde er zwangsgebremst werden. Mit Einfahrt in denBahnhof wurde ein Zeitmechanismus ausgelöst, der eine Weiterfahrt des Zugeserst nach 30 Sekunden gestattete.
So war sichergestellt, dass der Zug in diesen Bahnhöfen halten wird.
In den Dienstvorschriften U-Bahn derBVG-West gab es einen Passus, der sich speziell mit den Transitstrecken befasst.
Die BVG sprach dienstintern nicht von "Transitstrecken", sondern vonden "Streckenteilen Ri - Ks bzw. Vo - Mr". Den Terminus"Transitstrecke" gab es im Westen nicht, denn es gab ja keine DDR nachAuffassung des Westens...
Dort war zum Beispiel festgelegt, dass ein Halt auf einem Transitbahnhof unterallen Umständen zu unterbinden war. Sah ein Zugfahrer zum Beispiel, dass einAusfahrtsignal in einem gesperrten Bahnhof halt zeigte, war er angewiesensofort, also nach Möglichkeit noch vor dem betreffenden Bahnhof anzuhalten. Außerdemwaren die Zugabfertiger auf den Grenzbahnhöfen angewiesen, eine Zugfolge vonmindestens 3 Minuten einzuhalten, nicht dichter. Sollte ein Fahrgast dieNotbremse ziehen, wobei sich der Zug noch auf West-Berliner Gebiet befindet, denGrenzbahnhof aber bereits verlassen hat, ist der Zugbegleiter verpflichtet, denFahrgast -wenn er dies wünscht- zum Grenzbahnhof zurück zu begleiten. (Gleisstromlos machen, Kurzschließer setzen!) Sollte der Fahrgast zu einem Verlassendes Zuges nicht in der Lage sein, ist der Zug in den Grenzbahnhofzurückzuziehen. Wenn man sich vorstellt, dass auf der U6 im Berufsverkehr im3-Minutentakt gefahren wird und ein Fahrgast einen solchen Wunsch äußert,bedarf es keiner Phantasie sich vorzustellen, was dann binnen Minuten auf dieserLinie los ist...
Aber hier galt eben der Grundsatz (Sicherheits-) Interessen Einzelner gehenüber die Interessen Aller.
Hat ein Zug innerhalb der Transitstreckeneinen Schaden und kann der Zug nicht wieder zum Laufen gebracht werden, hat derZugfahrer oder der Begleiter über die Streckenfernsprecher die Leitstelle zuinformieren, sofern dies von den Wachmannschaften zugelassen wird. Über dieStreckenfernsprecher erreicht das Personal die Dienststelle der BVG-Ost. Allesweitere wird dann schon wieder zu hochpolitschen Angelegenheiten...
1973 gab es eine Änderung: Ein U-Bahnhofwurde umbenannt! Es war das Walter-Ulbricht-Stadion das den Namen wechselte. Eshieß fortan "Stadion der Weltjugend". Walter Ulbricht, der die DDRviele Jahre geführt hat, hatte im Laufe seines politischen Wirkens eine sehr selbstherrliche Position eingenommen, was vielen politischen Gegnernim eigenen Lager missfiel. Ulbricht selbst bezeichnete sich bei Gelegenheitsogar als "unwiederholbar"! Besonders in der Zeit nach gab es zunehmend im Politbüro Bedenken, ob derKurs Ulbrichts noch zeitgemäß war. Um Ulbricht legte sich ein Intrigennetz, jasein politisches Ansehen wurde zunehmend demontiert. Dies führte schließlichdazu, dass Ulbricht "aus gesundheitlichen Gründen" seine Staatsämterniederlegte. Die Zeit Honeckers war gekommen. Am 1. August verstarbUlbricht. Er verschwand aus dem offiziellen Bild der DDR. So war es naheliegend,dass auch das Walter-Ulbricht-Stadion den Namen ändern musste. Diese tiefgreifende politische Entscheidung wirkte sich sogar im U-Bahnhof aus, einemU-Bahnhof, der seit keine ihm eigene Aufgabe mehr hatte. Die alten Bahnhofsschilderwurden dennoch entfernt und gegen neue ausgetauscht: "Stadion der Weltjugend"hieß der Bahnhof fortan.
Bis nach 1 Uhr nachts wurde der Zugverkehrdurch die BVG aufrecht erhalten. Der letzte Zug, er fuhr gegen kurz nach eins,war der so genannte "Lumpensammler". Der Bahnhof Friedrichstraße waraufgrund seiner preiswerten Intershops natürlich auch bei Alkoholikern rechtbeliebt, gab es für sie hier doch ihren "Nordhäuser" unschlagbarpreiswert. Kurz vor Betriebsschluss wurden diese Leute auf durch Grenzposten zumBahnsteig der U-Bahn getrieben. Wenn der Zug eingelaufen war, ließ man dieLeute im wahrsten Sinne des Wortes in den Zug fallen. Den Grenzposten nämlichwar es strikt untersagt, die Züge der BVG zu betreten. Wenn nun die Besoffenenim Zug waren und sicher gestellt war, dass kein "Grepo" miteingestiegen war: "Zurückbleiben!" - Türen zu und ab! Am HalleschenTor in Westberlin war schon der Sicherheitsdienst der BVG parat und nahm diesenZug in Empfang: Nun ging es darum, diese Leute aus dem Zug auf die Straße zubefördern...
DieTransitstrecken in Stadtplänen
![]() | In Stadtplänen, die im Westen vertrieben wurden, wurde ganz selbstverständlich der Ostsektor mit dargestellt. Hier ein Netzplan-Ausschnitt, der sich an den tatsächlichen Gegebenheiten orientiert: Die Linien 6 und 8 und die S-Bahn durchqueren den Osten nahezu ohne Zwischenstopp. Die davon unabhängigen Ostlinien sind auch unabhängig durch andere Farbwahlen dargestellt. Hier ein U- und S-Bahnplan in einem zeitgenössischen Falk-Plan von. (Berlin, 38. Auflage)
|
![]() | Ganz anders dagegen ein in der DDR vertriebener Stadtplan von "Berlin, Hauptstadt der DDR". In ihm ist "Westberlin" nur als eine weiße Fläche dargestellt. In diesem U- und S-Bahnnetzplan scheint Berlin an der Friedrichstraße und am Thälmannplatz zu Ende zu sein. Ebenso wird auf die Darstellung der Transitstrecken der Westberliner U-Bahn völlig verzichtet. Im Hauptplan hingegen sind die Westberliner S-Bahnlinien dargestellt, was aufgrund der damaligen politischen Situation der Westberliner S-Bahn nahe liegend ist. Hier ein Stadtplan von Berlin, herausgegeben vom VEB Landkartenverlag der DDR.
|
![]() | Hier die Umgebung des Bahnhofs Friedrichstraße in einem vom Osten herausgegebenen Stadtplan Berlins. Auffallend die fehlende Darstellung der U-Bahn-Transitstrecke unter der Friedrichstraße und die S-Bahnhöfe auf den "Feldern und Wiesen" jenseits des Brandenburger Tores. Immerhin wird am Lehrter Bahnhof bei der S-Bahn darauf hingewiesen, dass dort ein Grenzübergang ist. In Wahrheit befand er sich natürlich im Bahnhof Friedrichstraße. Bei der Nord-Süd-S-Bahn wird unter der Stresemannstraße auf dieses Symbol verzichtet. Hier: Buchplan Berlin Hauptstadt der DDR, herausgegeben vom VEB Tourist Verlag.
|
![]() | Hier ein "Orientierungsplan Demokratisches Berlin" von der Ost-Berliner Innenstadt. Herausgegeben vom VEB Landkartenverlag der DDR. Und hier wirds schon wieder politisch: Die Sternchen-Anmerkung zu "WESTBERLIN" in diesem Plan lautet: "*) Westberlin: Bereich des Besatzungsregimes der USA, Großbritanniens und Frankreichs." Im Übrigen hatte die BVG-West in jenen Jahren auf die Darstellung der S-Bahn in ihren Liniennetzen verzichtet. Der U-Bahnhof heißt ja nach wie vor auch nur "Zoologischer Garten", nicht "Bahnhof Zoo" oder ähnlich. |
Im März gab es sogar einegeglückte Flucht auf der Transitstrecke: Dies war aber nur möglich, weil derFlüchtende Mitarbeiter der BVB war und für die Reparatur von Signalenzuständig war. Er flüchtete nicht alleine sondern mit nahen Verwandten, siewaren zu viert. Wie war das möglich? Der BVB-Angehörige hatte die Erlaubnis,die Signalanlagen in den Transitstrecken und warten. Hierzu musste er sich nurbei den Grenzorganen anmelden.
Die Flucht selber warabenteuerlich: Am 6. März fuhr er außerhalb des Dienstes mitseiner Familie mit der U-Bahn (Linie A) Richtung Thälmannplatz. Wird es dieletzte U-Bahnfahrt bei seinem Arbeitgeber in Ost-Berlin sein? Einen Bahnhofhinter Alexanderplatz, an der Klosterstraße verließen sie den Zug. Es wargegen 18 Uhr an diesem Donnerstag. Sie warteten, bis der Zug RichtungThälmannplatz abgefahren war und der Zugabfertiger in seinem Häuschenverschwunden war. Der Bahnhof war menschenleer. Sie schauten sich um und blitzschnell sprangen sie vonder Bahnsteigkante in das Gleisbett und schlichen über die Schwellen zurückRichtung Alexanderplatz. Jetzt wird's dunkel. Achtet auf die offenenStromschienen! Unmittelbar hinter dem Bahnhof zweigt rechts derKlostertunnel ab, der als Verbindungsgleis zwischen den Linien A und E deminternen Zugverkehr dient.

Unter der Littenstraße der "Waisentunnel" und zwischen Litten- undKlosterstraße neben der Kirche der "Klostertunnel"
Nach wenigen hundert Metern, der Tunnelvollzieht eine S-Kurve mündet dieser Tunnel in einen weiteren internen Tunnel,den "Waisentunnel". Hier nun wandte sich die Familie nach rechts undging auf dem einzelnen Gleis entlang Richtung Jannowitzbrücke. Einige hundertMeter weiter, etwa unter dem Rolandufer, ist dieser Tunnel abgesperrt. Hierbefindet sich ein Flutschott, welches immer verschlossen ist. Hinter diesemSchott befindet sich die Tunneleinfädelung in die Linie 8 der BVG-West. Dochdas Schott ist und bleibt geschlossen. Oberhalb des Schotts gibt es einenBetriebsraum, von dem aus das Schott betätigt werden kann. Aber die Betätigungwürde mit Sicherheit einen Alarm auslösen, deshalb durfte dieses Schott nichtbewegt werden. Dennoch gibt es in diesem Arbeitsraum eine Verbindungstür. Dieseaber ist nur von der anderen Seite zu öffnen. Und so quartierte der BVBer seineFamilie in diesem kleinen engen Raum ein. Er ging daraufhin zurück RichtungKlosterstraße. Kein Mensch hatte ihn bislang bemerkt. Still sprang er wiederauf den Bahnsteig an der Klosterstraße und verließ den Bahnhof. Er ging zuFuß die wenigen Meter durch die Stralauer Straße vom U-Bahnhof Klosterstraßezum Bahnhof Jannowitzbrücke. Da er dort des öfteren zu tun hat, kannte er sichja bestens aus und wusste, wie er in diesen der Öffentlichkeit unzugänglichenBahnhof gelangen konnte. Bei den Trapos meldete er sich an mit der Bemerkung,dass er im Streckentunnel Richtung Heinrich-Heine-Straße ein Signal überprüfenmüsste. Es gäbe da einen gemeldeten Schaden...
Die Trapos schöpften keinen Verdacht, dadies durchaus vorkommen konnte. Schnell war der BVBer im Tunnelverschwunden und ging die wenigen Meter Richtung Süden. Dort mündet von rechtsder Waisentunnel aus Richtung Alexanderplatz und Klosterstraße kommend ein. Erschlich in diesen Tunnel und war nach wenigen Metern unter der Spree an demgeschlossenen Stahltor, nun aber von der anderen Seite. Schnell die kleineStiege hoch zum Arbeitsraum, der durch die Stahltür verschlossen ist. Er brichtdas Schloss auf, öffnet die Tür und findet seine Familie vor. Nun aber los!Alle Mann die Stiege wieder runter und dann unter der Spree durch. Bald warensie wieder am Transittunnel in Höhe des Märkischen Ufers angekommen. Nun hießes warten. Der BVGer hatte seine Diensttaschenlampe dabei, wie es Vorschriftist. Diese Lampe ist der Schlüssel zu Westen.
Ein Windzug! Eine U-Bahn naht... Erüberlegt, ob er diesen Zug anhalten soll. Doch schon sieht er die beiden rundenScheinwerfer nahen. Er hebt die Taschenlampe, auf rot geblendet und machtKreisbewegungen. Für jeden Zugfahrer bedeutet dies: "SOFORT HALTEN -GEFAHR" Abrupt hält der BVG-West-Zugfahrer seinen Dora-Zug an. "Wasissn los?" fragt der Begleiter. "Könnt ihr uns mitnehmen?""Klar! Reinkommen! Hinlegen!" Blitzschnell kletterten sie in denFührerstand zu viert. Tür zu und ab. Die Fahrgäste haben nichts gemerkt...Und auch die Trapos nicht! Langsam rumpelt der Zug über die alten Gleise zur"Heinrich-Heine-Straße", verlangsamt sein Tempo und schleicht durchden Bahnhof. Und wieder Tempo. Wenige Sekunden später kann man an der Wand denStrich erkennen. Ein deutlicher Schienenstoß und der Zug ist in West-Berlin. Imhell-erleuchteten Bahnhof Moritzplatz kommt der Zug zum stehen. Es ist halbZehn, wir sind im Westen!
DevisenbringerU-Bahn
Die U-Bahn-Transitstrecken waren eine wertvolle Einnahmequelle der DDR. Die DDRwar bestrebt, die zu erbringenden Ausgaben für den Unterhalt und Betrieb derStrecken vom Westen zurückerstattet zu bekommen. Hierzu beschloss dasPräsidium des Ministerrates der DDR im Oktober die Weisung, dass derWest-Berliner Senat oder eine entsprechende Dienststelle jährlich rückwirkendab August eine Transitpauschale zu entrichten hat. Sie hatte eine Höhe vonmonatlich rund 181.000 DM. Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten derDDR richtete dieses Anliegen an den Westen unter dem Hinweis, dass der Erhaltdieser Strecken viel Geld kostet und andererseits die Strecken "imInteresse der Westberliner Bevölkerung" liegen und man möglicheKonsequenzen vermeiden wolle.
Zur Begleichung dieser Schuld war derWest-Berliner Senat auch bereit. Im März trafen Vertreter desVerkehrsministeriums der DDR und Vertreter des Senats von Berlin (West) und derBVG (West) in Ostberlin zusammen, um Details zu klären. Unstimmigkeitentauchten bei diesen "in aufgeschlossener Atmosphäre" geführtenGesprächen darüber auf, dass die DDR die Zahlungen gern über einAuslands-Devisenkonto bei der Deutschen Notenbank führen wollte. Der Westsenatwar daran interessiert, dass diese Verhandlungen keinen grundsätzlichenCharakter auf staatlicher Ebene haben, sondern auf städtischer oderbetrieblicher Ebene verlaufen sollten und somit ein Finanzaustausch zwischen derBVG-West und der BVG-Ost direkt stattfinden sollte, schließlich wären einGeldfluss über ein Auslandskonto der DDR die faktische Anerkennung der DDRdurch den Westen gewesen. Letztlich einigte man sich darauf, dass die BVG-Westdas Geld ab 1. August rückwirkend ab August direkt an die BVG-Ostüberweist.
Viele Jahre blieben die Beträge gleich,doch ab wurde seitens des Ostens der Betrag immer öfter erhöht. Hier dieeinzelnen Beträge:
| Zeitraum | Monatliche Beträge |
| 01.08. - 31.12. | 181.132 DM |
| 01.01. - 31.12. | 248.766 DM |
| 01.01. - 31.12. | 320.908 DM |
| 01.01. - 31.12. | 352.998 DM |
| 01.01. - 31.12. | 388.298 DM |
| 01.01. - 31.03. | 438.777 DM |
| 01.04. - 31.03. | 456.328 DM |
| 01.04. - 31.03. | 470.930 DM |
| 01.04. - 31.03. | 486.942 DM |
| 01.04. - 31.03. | 490.351 DM |
| 01.04. - 31.03. | 491.822 DM |
| 01.04. - 30.06. | 495.756 DM |
Die Transitstrecken nachNovember
Am 9. November wurde die Berliner Mauergeöffnet. Der Zustrom von DDR-Bürgern nach Westberlin war gerade am BahnhofFriedrichstraße unbeschreiblich. Dies hatte natürlich Folgen für die U6: DerBahnsteig war zeitweise derart überfüllt, dass der Zugang zum Bahnsteig ausSicherheitsgründen gesperrt werden musste. Die Lage war damals folgende: Alleaus Richtung Osten kommenden S-Bahnlinien endeten an der Friedrichstraße. Um inRichtung West-Berlin zu gelangen, mussten die Besucher auf die West-S-Bahn oderdie U6 umsteigen:
S1: Frohnau - Friedrichstraße - AnhalterBahnhof - Wannsee
S3: Friedrichstraße - Zoo - Wannsee
U6: Tegel - Friedrichstraße - Alt-Mariendorf
Der Bahnhof Friedrichstraße hatteentsprechend ein enormen Umsteigeverkehr zu verkraften, noch dazu mit den damalsnoch vorhandenen komplizierten und verwinkelten Gängeanlagen aus Zeiten dergeschlossenen Grenze.
Dies waren natürlich unhaltbare Zustände. Dies sahen alleentscheidungsberechtigten Instanzen sowohl in Berlin (West) als auch in der DDRein.
Dagegen standen aber technische und bauliche Gründe, die eine Herstellung derBetriebsverhältnisse in den Zustand von vor kurzfristig unmöglichmachten.
So war es üblich, dass in den nächtlichenBetriebspausen der Fahrstrom auf den Transitstrecken unterbrochen wurde.
Trotz der unbeschreiblichen Besuchermassen, war es der BVG-West nicht möglich,den Zugverkehr auf der U6 durch den Osten aufrecht zu erhalten. In der Nacht vom9. auf den 10. November wurde der Fahrstrom abgeschaltet: Die BVG richtete aufdrei Linien einen 10-Minutentakt ein: Auf der U9 (Osloer Straße - RathausSteglitz), auf der U6 von Kochstraße nach Alt-Mariendorf und auf der U8 vonVoltastraße nach Paracelsusbad. Erst in der Folgenacht wurde auf der U6 eindurchgehender Nachtbetrieb geboten.
Umgehend fanden sich Mitarbeiter derBVG-West und der BVB-Ost zusammen, um zu beratschlagen, was unternommen werdenkönnte, um den überlasteten Bahnhof Friedrichstraße zu entlasten.
Schnell zeigte sich, dass es sinnvoll wäre,U-Bahnhöfe zu eröffnen, die eine Umsteigemöglichkeit zu anderenOst-S-Bahnlinien boten. Hierzu kamen aber nur die U8-Bahnhöfe Jannowitzbrückeund Alexanderplatz in betracht. Schon am 10. November (Die Grenze war erstwenige Stunden offen) begannen Mitarbeiter beider Betriebsteile, den BahnhofJannowitzbrücke passierbar zu machen. Als erstes musste dieBahnsteigbeleuchtung einigermaßen instand gesetzt werden, außerdem wurde derBahnsteig und der südliche Zugangsbereich gereinigt. An den erblindetenZugzielanzeigen auf dem Bahnsteig wurden Pappschilder mit den Aufschriften"Nach Paracelsus-Bad" und "Nach Leinestraße"befestigt.
Am Mittag des 11. Novemberkonnte der erste Fahrgastzug Richtung Paracelsusbad von den beiden BerlinerBürgermeistern (Walter Momper und Erhard Kraack) abgefertigt werden.
Dies war natürlich nur eine unbefriedigendeGesamtlösung aber ein erster unbürokratischer Schritt zur Normalisierung derVerkehrsverhältnisse.
Hierbei darf nicht vergessen werden, dassoffiziell nach wie vor noch eine Personen- und Zollkontrolle seitens der DDRstattfand. Es war nämlich nur den DDR-Bürgern erlaubt nach West-Berlin zufahren. Umgekehrt bestand für West-Berliner und Bundesbürger noch eineVisumpflicht (bis 22.Dez.). Um die Kontrollen durchzuführen richtete dasGrenzregime eine "Grenzübergangsstelle" ein. Diese Bestand auseinigen Tischen, die sich im Zugangsbereich zum Bahnsteig der U-Bahn befanden.Aufgrund des enormen Besucherstroms freilich fand nur eine flüchtigeSichtkontrolle der Ausweise statt, die so gar nichts mit denKontrollgewohnheiten früherer Zeiten zu tun hatte.
Schnell zeigte sich, dass der eine Zugang amBahnhof Jannowitzbrücke für die Besuchermassen nicht ausreichte. So war sehrschnell klar, dass auch der nördliche Zugang zur Schicklerstraße wiedergeöffnet werden musste. Hierzu ist anzumerken, dass dieser Vorhallen- undTunnelbereich in den ersten Jahren nach dem Mauerbau noch als Fußgängertunnelunter der Alexanderstraße genutzt werden konnte. Später wurden Teile derEingänge beseitigt, die nun wiederhergestellt werden mussten.
Nach der Öffnung des Nordzugangs wurde einFahrgastfluss auf diesem Bahnhof eingerichtet: Die "Einreise" in denOstteil erfolgte über den S-Bahn-seitigen Zugang, Die "Ausreise"dagegen erfolgte ausschließlich über den neu freigegebenen Nordzugang, wobeidie von der S-Bahn kommenden Fahrgäste einen Fußmarsch von etwa 200 Metern zuabsolvieren hatten. Die Nutzer zeigten aber Verständnis, denn was sind schon200 Meter Fußweg gegen 65 Jahre Wartezeit...
Die Öffnung des U-Bahnhofs Alexanderplatzfür den Zugverkehr der U8 hingegen verbot sich, da die BVB auf dem Bahnsteigeine "Bahnmeisterei" errichtet und entsprechend baulicheVeränderungen vorgenommen hat. Diese Bauten konnten unmöglich in wenigen Tagenbeseitigt werden.
Aus diesem Grunde beschloss man als nächstes den U-Bahnhof RosenthalerPlatz zu reaktivieren. Er lag verkehrsgünstig zu diversen StraßenbahnlinienRichtung Pankow, Marzahn und Hohenschönhausen.
Am 18. Dezember war es so weit. DerU-Bahnhof Rosenthaler Platz wurde für den Fahrgastverkehr frei gegeben. Auchhier wurden in der Vorhalle des Bahnhofs Tische für die Grenzorganeaufgestellt, doch Kontrollen fanden praktisch nicht mehr statt.
Bei diesen beiden Bahnhöfen belies man eszunächst, während im übrigen Stadtgebiet laufend weitere Straßenübergängezwischen West und Ost geschaffen wurden: Am 22. Dezember zum Beispiel wurde dasBrandenburger Tor für Fußgänger wieder frei gegeben.
Am 18. April wurde der im Osten liegendeU-Bahnhof Bernauer Straße wiedereröffnet. Dieser Bahnhof aber wurdezollrechtlich dem Westteil der Stadt zugeschlagen. Dieser Bahnhof nämlichbefand sich unmittelbar an der Sektorengrenze, wobei der nördliche zur BernauerStraße führende Zugang fast an der Grenzlinie lag. Daher erübrigten sich andiesem Bahnhof die Kontrolltische der Grenzorgane.
In jenen Tagen beschlossen die Regierungender beiden deutschen Staaten die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. Mitihr wäre das getrennte Zollwesen hinfällig und somit jede Art derPersonenkontrolle auch auf offiziellem Niveau überflüssig. Als Stichtag derUnion wurde Sonntag, der 1. Juli festgelegt.
Für die BVG und BVB Grund genug, alleanderen noch geschossenen U-Bahnhöfe der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.Insbesondere auf der U6 waren noch fast alle Bahnhöfe geschlossen. An einigenBahnhöfen waren die Grenzeinbauten zu beseitigen, am U8-Bahnhof Alexanderplatzdie Bahnmeisterei. Außerdem mussten die U6-Bahnhöfe umfassend renoviertwerden, da diese Bahnhöfe keine Wandfliesen sondern nur einfache Putzwändehatten. Diese waren im Laufe der vergangenen Jahrzehnte recht unansehnlichgeworden.
Fristgerecht mit Betriebsaufnahme am erstenTag der Währungsunion konnten die Bahnhöfe der U6 wieder benutzt werden. Allewiedereröffneten Bahnhöfe erstrahlten frisch renoviert. Allerdings bliebeneinige Zugänge in der ersten Zeit noch geschlossen, so auch der wieder wichtige"Mäusetunnel" im Bahnhof Stadtmitte, außerdem der einst stärkergesicherte weil grenznähere Südzugang.
Gegen 11 Uhr am 1. Juli wurden auch die nochgeschlossenen Bahnhöfe der U8 wieder frei gegeben. Allerdings blieben auch hiereinige Zugänge noch geschlossen: Der Bahnhof Heinrich-Heine-Straße hattezunächst nur einen einzigen Zugang am nördlichen Ende, da alle anderenZugänge regelrecht beseitigt wurden. Ebenso verhielt es sich im U-Bhf.Weinmeisterstraße, der zunächst ebenfalls nur einen Zugang am Nordendeaufzuweisen hatte.
Die erwähnte Bahnmeisterei auf demBahnsteig des Bahnhofs Alexanderplatz konnte ebenso noch nicht restlos beseitigtwerden, daher ist der nördliche in die Dircksenstaße mündende Ausgangebenfalls noch geschlossen.
Bereits im September wurden amU-Bahnhof Französische Straße die alten Eingangsportale. Es sindoriginalgetreue Nachbauten der Entwürfe von, die Alfred Grenander fürdiese Linie exklusiv entwarf. Ebenso wurde am Bahnhof Friedrichstraße der seit geschlossene Süd-Zugang zur Georgenstraße wieder freigegeben. Am30. November wurde der "Mäusetunnel" wieder freigegeben. Erverbindet die U2 mit der U6 im Bahnhof Stadtmitte. Erwartungsgemäß ist derBahnhof Stadtmitte wieder einer der wichtigsten Umsteigebahnhöfe.
Die Transitstrecken sind wieder zu völlignormalen U-Bahnstrecken geworden, der Alltag ist längst wieder eingekehrt. Noch Monate aber warder alte Muff in den Bahnhöfen zu riechen, da die meisten Notausgänge undBahnhöfe derart verrammelt waren, dass kaum ein ausreichender Luftaustauschgegeben war. Auch dies normalisierte sich im Laufe der Zeit.
Im Laufe der Jahrzehnte während der Teilunghat die BVG-West die nur 80 Meter langen Bahnsteige der Nord-Süd-Bahn (U6) auf110 Meter verlängert. Somit war es zumindest auf den WestberlinerStreckenabschnitten der U6 möglich, 6-Wagenzüge einzusetzen (von HalleschesTor nach Mariendorf und von Wedding nach Tegel). Auf dem Transitabschnitt wardies nicht möglich, da unter anderem der Bahnhof Friedrichstraße noch seineoriginale Bahnsteiglänge von 80 Metern besaß. Daher beschloss die BVG Anfangder 90er Jahre, alle "kurzen" Bahnhöfe im Osten ebenfalls auf 110Meter Länge auszubauen. Mit diesen Bauarbeiten wurde begonnen. ImSeptember war der Umbau an allen Bahnhöfen abgeschlossen. Bei dieserGelegenheit wurden vor allem die ehemaligen Transitbahnhöfe umfassendinstandgesetzt und mit einer neuen Beleuchtungsanlage versehen. Auch derfinstere "Mäusetunnel" im Bahnhof Stadtmitte wurde umfassendrenoviert und hat seine bedrückende Atmosphäre verloren. Daher sind von denalten Grenzsicherungen keine Spuren mehr auszumachen. Heute präsentieren sichdiese Bahnhöfe sehr hell und freundlich, von dem alten finsterenKatakomben-Dasein dieser Strecke blieb nichts übrig.
Es gab auf beiden Seiten Gedankengänge undPlanspiele, wie man diesen absurden Zustand des Transitverkehrs beenden oderändern könnte.
Selbstverständlich muss hier auch die Frage gestattet sein, warum die DDR dieseTransitstrecken nicht von der BVG-Ost für den Ostberlin-internen U-Bahnverkehrselber nutzte. Um es vorweg zu nehmen: Ernsthaft ist dies nie angedacht worden.Auch trotz des Baubeginns des so genannten "Mohrentunnels"* nicht. Für die DDRwaren die Transitstrecken stets willkommene Devisen-Einnahmequellen. Abwurden rückwirkend Millionenbeträge bis Ende vom (West-) Berliner Senatan die DDR geleistet. Aus diesem Grunde bestand für die DDR auch keineMöglichkeit, die Strecken selbst zu nutzen. Aus all diesen Gründen betrieb dieBVG-Ost bzw. die BVB parallel eigene Buslinien.
(* Der Mohrentunnel entstand ab etwa,wurde aber nie vollendet, und nach der Wende wieder beseitigt. Er sollte eineGleisverbindung zwischen der Linie U2 und U6 beim Bahnhof Stadtmitte bieten. Erwar als eine Bauvorleistung unter den Neubauprojekten der Friedrichstraßegedacht, ohne eine konkrete Aufgabe zu haben. Sinn dieses Tunnels wäre nur,dass man die in Ostberlin liegenden Teile der U6 als OstberlinerKleinprofillinie betreiben könnte und durch diesen Tunnel die Fahrzeugeaustauschen könnte.
Dennoch wurden seitens des West-BerlinerSenats Pläne angedacht, den Transitverkehr zu beenden und wirksam zu ersetzen.Wie schon oben erwähnt hat die BVG-West bereits in den 50er JahrenVerbindungsweichen eingebaut, um ein unkompliziertes Wenden der Züge zuermöglichen.
Langfristig war angedacht, eine 10. U-Bahnlinie von Steglitz bis nach Weißenseezu bauen. Dies entsprach zumindest den 200-Kilometerplanungen des Westsenats. Dadiese Pläne nicht durchführbar waren, da die Strecke ab Potsdamer Platz imOstsektor verlaufen wäre, wurde als Endpunkt der U-Bahnhof"Nationalgalerie" angedacht. Dies war natürlich in der geteiltenStadt wenig sinnvoll. So gab es Pläne, diese Linie alternativ auf West-BerlinerGebiet zu verlängern: Eine Variante war die Streckenführung ab U-Bhf.Kurfürstenstraße ostwärts Richtung Kochstraße zu führen und letztlich (deralten NS-S-Bahn-Planung entsprechend) Richtung Moritzplatz zu führen. Dieandere hier interessantere Planung war, die Linie 10 ab Nationalgalerie RichtungNorden weiter zu führen, und zwar unter der Entlastungsstraße entlang amBrandenburger Tor/Reichstag zum Lehrter Stadtbahnhof, weiter entlang der LehrterStraße bis in Höhe der Fennstraße (Schering). Zwar endet diese Planung hier,aber es wäre unsinnig, diese Strecke nicht bis an die Linie 6 heranzuführen.So hätte ein Verknüpfungsbahnhof der Bahnhof Wedding sein können. Möglichwäre hierbei durchaus eine Verbindung der nördlichen Linie 6 mit der Linie 10zu einer durchgehenden Linie von Tegel bis nach Steglitz (-Lichterfelde) Diesüdliche Linie 6 hätte demzufolge am Bahnhof Kochstraße ihren dauerhaftenEndpunkt gefunden.
Absurder dagegen sind die Planspiele desSenats, unter der bestehenden Linie 6 eine neue Tief-U-Bahn zu bauen, die ohneZwischenhalte von Kochstraße nach Reinickendorfer Straße gefahren wäre.
Schwieriger dagegen war ein Ersatz für dieLinie 8, die weit östlicher durch den Ostsektor fuhr. Hier war einStreckenneubau, auch mit Hinblick auf die wesentlich geringereFahrgastauslastung auf dieser Linie nie vorgesehen. Hätte die DDR diese Streckegeschlossen, hätte es auch auf lange Sicht für die BVG bedeutet, dass dieLinie 8 von Leinestraße kommend am Moritzplatz geendet hätte. EinPendelverkehr zwischen Voltastraße und Gesundbrunnen dagegen istauszuschließen. Erst ab, als die Linie 8 nach Osloer Straße verlängertwurde, hätte die Möglichkeit bestanden, einen (wenn auch wenig sinnvollen)Pendelverkehr zur Voltastraße zu betreiben.
Wesentlich konkretere Plänedagegen gab es mit dem Bahnhof Friedrichstraße: Seit war der umfassendeWiederaufbau der Friedrichstraße "als Boulevard mit Weltniveau"vorgesehen. So sollte südlich des Bahnhofs an der Georgenstraße ein eingroßes Varieté-Theater (das Wintergarten-Varieté) entstehen. In diesemTheater war die Einrichtung der Grenzübergangsstellen vorgesehen, dieunterirdisch mit dem benachbarten Bahnhofsgebäude verbunden werden sollten. Indieser Folge sollte der Tränenpalast abgerissen werden und das Gelände zueiner Grünanlage umgestaltet werden. Es stand allerdings noch nicht genau fest,wann dieser Bau entstehen sollte. Anzunehmen aber ist, dass der Bau heuteexistieren würde, wenn es die DDR noch gäbe. Diese Planungen beweisen, dassdie DDR an ihrem Grenzregime noch lange Zeit festhalten wollte, so wie es ErichHonecker im Januar bekräftigte:
"Die Mauerwird in fünfzig und auch in hundert Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazuvorhandenen Gründe noch nicht beseitigt sind. Das ist schon erforderlich, umunsere Republik vor Räubern zu schützen, ganz zu schweigen von Denen, die gernbereit sind, Stabilität und Frieden in Europa zu stören. Die Sicherung derGrenze ist das souveräne Recht eines jeden Staates und so auch unsererDeutschen Demokratischen Republik."
Lesetipp:
Zu den S-Bahn-Transitstrecken empfehle ich wärmstens folgendeBücher:
Zügedurch Mauer und Stacheldraht
Bernd Kuhlmann, Verkehrsgeschichtliche Blätter Extra,Verlag GVE
Nord-Süd-Bahn -vom Geistertunnel zur City-S-Bahn
Signal-Sonderausgabe, Interessengemeinschaft Eisenbahn und Nahverkehr Berlin,IGEB
GVE Berlin
Geisterbahnhöfe -Westlinien unter Ostberlin
Heinz Knobloch, Ch. Links Verlag, Berlin
...leider wird indiesen Büchern kaum auf die U-Bahn-Transitstrecken eingegangen.





