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SCP-236-DE
Objekt-Nr.: SCP-236-DE
Klassifizierung: Sicher
Sicherheitsmaßnahmen: SCP-236-DE ist außerhalb seiner Wirkungszeit1 und von Tests oder sonstiger Nutzung während der Wirkungszeit in einem Standard-Sicherheitsschrank aufzubewahren.
Die Nutzung des Objektes darf nur innerhalb eines gesonderten Testraums erfolgen. In diesem Raum darf es nur ein Fenster geben, welches zum Innenhof des Standorts gerichtet ist.
Personal, insbesondere welches, dass unter starken psychologischen Belastungen und Erkrankungen leidet, darf mit Genehmigung des leitenden Forschers SCP-236-DE für persönliche Zwecke nutzen, solange dies innerhalb des vorgegeben Testraumes erfolgt.
Beschreibung: Bei SCP-236-DE handelt es sich um eine große weiße Keramiktasse mit einer Höhe von 12 cm, einem Durchmesser von 9 cm und einem Fassungsvermögen von etwa 500 ml. Bis auf kleine Risse, die auf der Tasse die Form eines Herzens bilden, Absplitterungen am Griff und leichter Verschmutzung weist das Objekt keine ungewöhnlichen Merkmale auf.
Außerhalb der Wirkungszeit zeigt SCP-236-DE keinerlei anomale Effekte und kann wie eine gewöhnliche Tasse verwendet werden. Während der Zeit zwischen Ende Oktober und Ende Februar aktivieren sich die anomalen Eigenschaften des Objektes, sobald es von einem Subjekt in beiden Händen gehalten wird. Sobald dies geschieht, füllt sich SCP-236-DE mit heißer Trinkschokolade. Untersuchungen dieser Flüssigkeit zeigten keine Unterschiede zu gewöhnlicher Trinkschokolade auf und ist vollständig unbedenklich für den Konsum.
Tests ergaben, dass sich die Trinkschokolade sich den Vorlieben des jeweiligen Subjektes anpasst. Variationen beinhalteten unter anderem welche ohne Zucker, gesüßt mit Honig, mit Bitter- oder weißer Schokolade, mit Zimt, Weihnachtsgewürz, Chili, mit Apfelaroma, Pumpkin Spice, mit Marshmallows oder mit Sahne und Zuckerstreuseln. Bei Subjekten, die normale Trinkschokolade nicht konsumieren können2, wurde die Milch durch eine vegane Alternative, wie Mandel- oder Hafermilch ersetzt. Bei Subjekten, die Schokolade nicht mögen oder nicht vertragen erscheint stattdessen heiße gewürzte Milch.
Subjekte, die SCP-236-DE mit Inhalt in beiden Händen halten, verspüren ein Gefühl innerer Ruhe und Entspannung, selbst, wenn sie kurz vorher sich in einer stark stressigen oder psychisch extrem belastenden Situation befanden. Betroffene Subjekte werden den Wunsch verspüren, das nächstmögliche Fenster, welches nach draußen zeigt, zu suchen und instinktiv den Weg dorthin begeben.
Sobald das Subjekt ein Fenster gefunden hat und aus diesem hinaussieht, wird es kurz danach innerhalb des Sichtfeldes des Subjektes anfangen zu schneien, unabhängig von der vorherigen Wettersituation. Bei klarem Himmel wird sich dieser spontan bedecken, bei starken Wind wird sich dieser legen und bei Regen wird dieser innerhalb von wenigen Sekunden in Schnee verwandelt. Dieses Wetterphänomen betrifft nur das Umfeld vom Sichtfeld des Subjektes. Bei freiem Feld und einem damit weitem Sichtfeld ist die betroffene Fläche wesentlich größer als der Blick auf einen Innenhof. Subjekte, die draußen SCP-236-DE in die Hände nehmen werden instinktiv zum nächstgelegenen Gebäude mit Fenster gehen, um innerhalb von diesem nach draußen zu sehen.
Das Subjekt wird während dem Schneefall einfach nur diesen beobachten und gelegentliche Schlucke von SCP-236-DEs Trinkschokolade konsumieren. Subjekte verspüren während dieser Zeit ein Gefühl tiefer innerlicher Entspannung und Ruhe und berichten von einer tiefen, inneren Zufriedenheit wie eine warme Umarmung. Selbst starke Depressionen oder andere psychische Erkrankungen werden in dieser Zeit nicht mehr empfunden. Das Subjekt nimmt, außer den Anblick des Schnees, der Wärme von SCP-236-DE und den Geschmack der Trinkschokolade, keine äußeren Reize wahr und scheint selbst größere Störungen zu ignorieren.
Dieser Zustand hält so lange an bis das Subjekt den kompletten Inhalt von SCP-236-DE konsumiert hat. Sobald SCP-236-DE vollständig geleert wurde wird das Subjekt aus seinem tranceähnlichen Zustand erwachen und das Wetter draußen wird sich innerhalb weniger Minuten wieder normalisieren.
Sämtliche Versuche, Testsubjekte daran zu hindern, aus SCP-236-DE zu konsumieren oder diese anders zu stören, scheiterten bisher. Personen, die versuchen, das Subjekt am Konsum zu hindern, verweigerten es, das Subjekt zu stören, selbst wenn dazu gezwungen wurden, und sowohl elektronische als auch mechanische Methoden, die darauf ausgerichtet waren, hatten Störungen, die das verhinderten, bis die Phase abgeschlossen war.
Subjekte beschrieben das Gefühl, dass sie während dieser Phase erlebt hatten, als erleichternd, als ob sämtliche Lasten und Sorgen von einem gefallen wären, als ob sie mit sich selber im Reinen gekommen wären, voller Hoffnung oder wie eine liebevolle Umarmung, die sie lange gebraucht haben.
Nach dieser Phase wird das Subjekt auch noch einige Tage später diese innere Zufriedenheit, die es während dieser Phase gespürt hat, fühlen und tiefenentspannt sein. Auch zeigt das Subjekt innerhalb dieser Tage keinen depressiven, aggressiven oder ähnlichen negativen Stimmungen. Dieser Effekt endet jedoch, je nach psychischer Stabilität des Subjektes, spätestens eine Woche nach dem Konsum von SCP-236-DEs Inhalt und das Subjekt kehrt in sein gewohntes Gefühlsmuster zurück.
Entdeckung: SCP-236-DE wurde am 29.12.2012 in der ████████████████–Nervenheilanstalt in ███████ gefunden, nachdem es Berichte über ungewöhnliche Wetterphänomene in der Nähe von dieser kam. Agenten, die dort verdeckt eingeschleust wurden, fanden das Objekt in einen der Patientenzimmer. Der Patient, der das Objekt zuletzt genutzt hatte und unter starken Psychosen litt, berichtete, dass das Objekt seit Jahren an die Insassen umher gereicht wurde, um in den Wintermonaten die Stimmung positiv zu beeinflussen.
Das Objekt war in einer kleinen Schachtel untergebracht, welche 2008 mit der Tasse einem unbekannten ehemaligen Insassen geschickt wurde. In dieser Schachtel befand sich auch ein handschriftlicher Brief, der anscheinend von der Schwester des Insassen stammte3.
Vorwort: Der Test diente ursprünglich dazu, herauszufinden, was passiert, wenn ein Subjekt daran gehindert wird, von SCP-236-DE zu konsumieren. Bei diesem Test sollte D-8202 aus SCP-236-DE konsumieren und anschließend das Objekt gewaltsam von ihm entfernt werden. Das Testareal ist mit einem automatischen Fenstersystem ausgestattet, um den Effekt aktivieren zu können. Der Test wird vom leitenden Forscher Dr. Gans durchgeführt, Agent Schnorr dient ihm hierbei als Unterstützung.
<Beginne Test-Log>
D-8202 betritt das Testareal. Er wirkt gereizt und widerwillig. SCP-236-DE steht auf einem Tisch in der Mitte des Raumes. Das Außenfenster ist noch geschlossen.
Dr. Gans: D-8202, bitte nehmen Sie das Objekt an sich.
D-8202: Vergesst es, ihr Wichser! Am Ende frisst das Ding mein Gesicht! Nehmt doch selber den Scheiß!
Dr. Gans: Nehmen Sie das Objekt oder die Sicherheitskräfte werden Sie dazu zwingen.
D-8202: Na gut! Aber eins sage ich euch: Wenn das Ding auch nur irgendwas Komisches macht werfe ich es gleich an die Wand!
D-8202 nähert sich dem Objekt, um es in beide Hände zu nehmen. Kurz, nachdem er es aufgehoben hat, füllt sich SCP-236-DE mit Trinkschokolade. Entgegen seiner Warnung blieb D-8202 stehen und scheint das ganze fasziniert anzusehen.
D-8202: Wow man… Das… Das ist… Das sieht so unglaublich gut aus. Und dieser Duft. Hmmmmm… Erinnerungen…
D-8202 schaut sich suchend um, ehe er anscheinend ziellos umher läuft.
Dr. Gans: Was ist los, D-8202?
D-8202: Ich suche ein Fenster. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe echt das Bedürfnis. Ich will nicht abhauen oder so. Nur durchschauen. Bitte.
Dr. Gans: In Ordnung. Ich öffne jetzt ein Fenster.
Die Jalousie des Fensters öffnet sich und ermöglicht so den Blick nach draußen.
D-8202: Vielen herzlichen Dank.
D-8202 nähert sich dem Fenster, um aus diesen zu schauen, mit SCP-236-DE in seiner Hand. Er lächelt zufrieden und nimmt einen ersten Schluck.
D-8202: Woooow… Das schmeckt damals, wie Mama ihn gemacht hat. Sogar Zimt und Honig schmecken identisch.
Während D-8202 weiter aus dem Fenster schaut und von SCP-236-DE konsumiert beginnt es draußen zu schneien. Meteorologische Untersuchungen zeigten für den Tag keine Schneeaktivitäten an.
Dr. Gans: Wie fühlen Sie sich, D-8202?
D-8202 zeigt keine Reaktionen außer den Blick nach draußen mit gelegentlichen Schlucken aus SCP-236-DE.
Dr. Gans: D-8202! Antworten Sie!
Es folgt weiterhin keine Reaktion von D-8202.
Dr. Gans: In Ordnung. Sie können die Tasse wieder ablegen und das Testareal verlassen.
D-8202 reagiert, bis auf einem zufriedenem Seufzten, nicht auf Dr. Gans Aufforderungen.
Dr. Gans: Das war keine Bitte, sondern ein Befehl. Legen Sie das Objekt ab.
Weiterhin keine Reaktion von D-8202.
Dr. Gans: Dann auf die harte Tour. Agent Schnorr, bitte entfernen Sie das Objekt von D-8202 und geleiten Sie ihn raus.
Es folgt keine Reaktion von Agent Schnorr.
Dr. Gans: Schnorr! Entfernen Sie das Objekt!
Schnorr: Das kann ich nicht, Doktor.
Dr. Gans: Bitte?
Schnorr: Wenn ich ihn so sehe… Und ich meine, er hat es echt nicht leicht gehabt. Ich denke, wir können ihm das mal gönnen, finden Sie nicht?
Dr. Gans: Das ist ein Befehl, Schnorr! Tun Sie es oder Sie können sich die Papiere bei Ihren Vorgesetzten abholen!
Schnorr: In diesem Fall… Riskiere ich es. Ein wenig Menschlichkeit soll man sich schon bewahren.
Dr. Gans: Schön… Gut… Dann mache ich es selbst. Ich werde jetzt das Fenster schließen und…
Es folgt keine Reaktion von Dr. Gans und das Fenster bleibt unverändert geöffnet.
Dr. Gans: Ach, wissen Sie was? Sie haben Recht, Schnorr. Wer weiß, ob er jemals wieder so glücklich sein wird oder überhaupt noch lange leben wird. Lassen wir ihn den inneren Frieden genießen.
Die Kommunikation wird eingestellt. D-8202 konsumiert noch 14 Minuten die Flüssigkeit von SCP-236-DE, ehe er ohne Widerwillen das Objekt auf den Tisch abstellt und friedlich mit einem Lächeln den Raum verlässt. Der Schneefall endete kurz nachdem D-8202 SCP-236-DE abgestellt hatte.
<Ende des Logs>
Das Fehlverhalten von Dr. Gans, Agent Schnorr und D-8202 wurde von der Standortleitung mit Absprache des Ethik-Komitees nicht als grob fahrlässig eingestuft und fallen gelassen.
Liebes Brüderlein,
ich weiß, es ist schwer für dich, zu Weihnachten allein zu sein. Doch ich denke an dich. Ich weiß, du schaffst es! Und bald trinken wir gemeinsam unseren Kakao. Fühl dich gedrückt von mir. Fühl dich voller Liebe und Hoffnung.
In Liebe
Dein Schwesterlein
Interview-Log SCP-236-DE-1 vom 03.11.2015
Interviewt: Magdalena Freyer
Interviewer: Dr. Männelein
Vorwort: Aufgrund des hohen Interesses der Foundation an der Herkunft des Objektes, um dessen anomalen Effekt zu verstehen und die Möglichkeit der Reproduktion zur Steigerung der Moral des Personals, wurden Recherchen zum Auffinden des Erschaffers getätigt. Nach fast drei Jahren konnte Frau Freyer, eine Töpferin aus ██████████████ als Erschafferin des Objektes identifiziert werden, nachdem festgestellt wurde, dass das Objekt von ihr an Michael Freyer, ihren Bruder, gesendet wurde.
Michael Freyer wurde 2008 im Alter von 17 Jahren aufgrund schwerer Depressionen in die Nervenheilanstalt eingeliefert. Frau Freyer war zu diesem Zeitpunkt 12 Jahre alt. Die Eltern lebten getrennt in unterschiedlichen Ortschaften, wobei die Mutter, Ingrid Freyer, das Sorgerecht für Magdalena hatte, während der Vater, Reimund Freyer, das von Michael bekam. Michael wurde Anfang 2009 von seinem Vater aus der Heilanstalt abgeholt. Seither fehlt jede Spur von Vater und Sohn.
Das Objekt wurde damals in der Heilanstalt zurückgelassen. Frau Freyer wusste zum Zeitpunkt des Interviews nichts von der Entlassung und dem Verschwinden ihres Bruders. Das Interview wurde als psychotherapeutisches Gespräch für Michael getarnt.
<Beginne Video-Log>
Dr. Männelein: Guten Tag, Frau Freyer. Erst einmal möchte ich mich bedanken für Ihre Bereitschaft zum Interview.
Freyer: Ist doch selbstverständlich. Es geht ja hier schließlich um meinen geliebten Bruder. Wie geht es ihm? Kann ich ihn sehen? Bitte. Er fehlt mir.
Dr. Männelein: Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Er ist jedoch noch sehr labil und braucht eine intensivere Behandlung. Ich werde nach dem Gespräch prüfen, ob es die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme geben könnte.
Freyer: Vielen Dank, das würde mir wirklich viel bedeuten. Ich habe Michael seit der Trennung unserer Eltern nicht mehr gesehen.schnieft kurz, fasst sich aber schnell wieder
Dr. Männelein: Wie war das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Bruder?
Freyer: Wir waren damals unzertrennlich. Die besten Freunde. Er war so stark und cool und er war immer für mich da gewesen. So wie auch ich für ihn da gewesen bin.
Dr. Männelein: Und ihre Eltern?
Freyer: Wir dachten zuerst, wir seien eine Bilderbuchfamilie und sie bleiben für immer zusammen. Aber je älter wir wurden desto mehr schienen sie sich immer weniger zu mögen. Sie hatten sich immer öfters wegen immer kleineren Dingen gestritten. Und haben ihre Wut und ihren Unmut öfter an uns ausgelassen.
Dr. Männelein: Sie meinen mit körperlicher Gewalt?
Freyer: Nein, nein, Gott bewahre! Auch wenn es manchmal kurz davor war. Geschlagen hat man mich nie, keiner von ihnen. Es war eher, na ja… psychisch, wissen Sie? Sie bestraften uns, wenn wir was falsch gemacht haben, haben alles kritisiert und schlecht gemacht. Gaben uns die Schuld, dass sie so unglücklich waren. Machten Vorwürfe, so was halt. Einmal hat meine Mutter gesagt, dass sie sich wünschte, Michael wäre nie geboren worden und ist aus der Wohnung gestürmt. Wahrscheinlich war sie in diesem Moment überfordert mit allem gewesen, aber trotzdem war es hart, sowas mit an zu hören. Er tat mir so leid, für ihn ist in diesem Moment seine Welt zusammen gebrochen. An diesem Abend haben wir nur geweint. Danach hab ich ihn nie wieder weinen sehen.
Dr. Männelein: Mein Beileid. Wie waren sie beide damit umgegangen?
Freyer: Es war nicht leicht, wissen Sie. Es hat wehgetan, aber Mutter hat sich entschuldigt und alles lief weiter wie vorher. Es grenzte rückblickend an Terror. Aber Michael schien das Ganze besser verkraftet zu haben als ich. Ich war immer zu ihm gegangen, wenn es mir schlecht ging. Er hat mich dann in den Arm genommen und getröstet. Er schien das alles besser vertragen zu können und hat es einfach runter geschluckt. Zumindest dachte ich das.
Dr. Männelein: Ich nehme an, dass sie die Depression meinen?
Freyer: Ja. Es fing langsam bei ihm an. Erst hatte er immer weniger Lust auf Sachen bekommen, die wir sonst immer zusammen gemacht haben. Er schrie unsere Eltern immer öfter an. Lebte immer weiter zurückgezogen, ging weder zur Schule noch auf Arbeit oder einfach nur raus. Es schien, als ob er immer weiter abdriftete.
Dr. Männelein: Und Ihre Eltern…
Freyer: …haben erst mal nichts getan. Sie dachten, dass er einfach nur etwas bockig sei, so wie es typisch wäre für sein Alter. Pubertät, Jungs sind eben so… taten halt verständnisvoll nach aussen, haben ihn aber angeschrien und beschimpft hinter verschlossenen Türen, wenn er wieder nicht gehorchte. Und haben ihm immer wieder gesagt, dass er schuld ist, dass sie sich immer streiten.
Dr. Männelein: Und was haben Sie gemacht?
Freyer: Ich bin meinem Bruder an der Seite geblieben. Habe versucht, ihn immer aufzumuntern. Er hat mir immer so viel Mut gemacht, da wollte ich immer ihm was zurückgeben. Habe ihn motiviert, was zu unternehmen, auf andere Gedanken zu kommen. Manchmal klappte es besser, mal schlechter, mal gar nicht. Aber eine Sache hat immer geklappt.
Dr. Männelein: Und die wäre?
Freyer: Im Winter, wenn der erste Schnee gefallen ist, haben ich und mein Bruder immer heißen Kakao getrunken. Dann sind wir ans Fenster unseres Hauses gegangen und haben raus gesehen und den Schnee beobachtet. Das hatten wir schon als kleine Kinder gemacht, als unsere Eltern sich noch geliebt haben. Und wenn wir nichts als uns, den Kakao und den Schnee hatten, war die Welt um uns vergessen. Alle Gedanken verschwanden wie kleine Flocken im dicken Schnee. Und es war immer wunderschön, wenn alles ruhig und weiß da lag.
Dr. Männelein: Ich nehme an, das war der Grund, wieso Sie ihm eine Tasse geschenkt haben?
Freyer: Ja. Hat er sie bekommen? Hat er sie Ihnen gezeigt? Ich hoffe sie gefiel ihm.
Dr. Männelein: Wir wissen, dass es sie gibt, ja. Können Sie uns vielleicht etwas darüber erzählen?
Freyer: Es war etwa vor ein paar Jahren gewesen, gut ein oder zwei Jahre nachdem sich unsere Eltern haben scheiden lassen. Michael lebte bei unserem Vater, ich bei unserer Mutter. Ich und Michael telefonierten oder schrieben uns immer heimlich, da unsere Eltern nicht mehr wollten, dass wir miteinander sprechen. Michael erzählte, dass seine Depressionen so schlimm geworden seien, dass er sich was antun wollte. Ich habe ihn immer so gut ich konnte getröstet und geschrieben. Eines Tages erhielt ich einen Brief, dass unser Vater Michael in eine Psychiatrie einweisen wollte und dass es dort keine Telefone oder Internetzugänge gäbe. Dass er an mich denkt, aber nicht weiß, wie er es ohne mich überstehen könnte. Unser Vater wollte ja nicht, dass ich Kontakt zu ihm aufnehme. Ich habe ihn so gehasst dafür.
Dr. Männelein: Und was haben Sie getan?
Freyer: Ich wollte Michael die Erinnerung geben, die er wirklich brauchte. Dass er weiß, dass ihn jemand wirklich liebt und an ihn denkt. Immer. Und da war das Beste wohl die Erinnerung an Kakao und Schnee. So zum verbildlichen und anfassen, verstehen Sie?
Dr. Männelein: Und die Tasse haben Sie erschaffen, richtig?
Freyer: Ja. Ich war damals noch nicht so sonderlich gut darin. Ich habe das Töpfern deswegen gelernt. Habe es vor meiner Mutter als Kunstprojekt für die Schule getarnt. Am Ende war die Tasse nicht ganz perfekt gewesen. Sie hatte etliche Risse, war etwas abgesprungen und wirkte etwas schmuddelig. Aber ich hatte all meine Liebe, meine Erinnerungen und das Gefühl mit eingebaut, was wir immer gefühlt haben, wenn wir im Winter beim ersten Schnee unseren heißen Kakao getrunken haben. Wie es uns wärmte, von innen. Wie alle Gedanken vergessen waren und die Welt rein und schön war wie weißer Schnee.
Dr. Männelein: Ist Ihnen bei der Tasse sonst noch etwas aufgefallen?
Freyer: Wie meinen Sie das?
Dr. Männelein: Ich meine, ob etwas außergewöhnlich bei der Tasse war?
Freyer: Hm. Wenn Sie mich so fragen… Ja, der Riss. Eigentlich wollte ich die Tasse wegschmeißen, da sie nicht sonderlich hübsch war, obwohl ich mein Bestes versucht habe. Aber der Riss. Der sah aus wie… Wie ein Herz. Ich meine, vielleicht war es ja nur ein Zufall. Oder ein besonderes Zeichen. Dass diese Tasse was Besonderes ist. Und vielleicht etwas symbolisch: Egal, wie kaputt etwas ist, solange es etwas Liebe enthält, ist es das, was sie zu etwas Besonderem macht.
Dr. Männelein: Und… Kakao?
Freyer: Kakao?
Dr. Männelein: Ja. Ihr Bruder erwähnte etwas mit Kakao.
Freyer: Hm… Bevor ich die Tasse verschickt hatte, habe ich mir etwas Kakao gemacht und aus der Tasse getrunken. Wollte ja wissen, ob man daraus trinken kann. Nicht, dass sie undicht ist oder man Tonkrümel oder so hat. Und als ich einen Schluck daraus genommen hatte, hatte es sich so angefühlt wie damals, als ich und Michael zusammen Kakao getrunken haben. Es war so schön, dass ich fast weinen musste.
Dr. Männelein: Können Sie sich vorstellen, noch mehr dieser Tassen herstellen zu können? Für Michael?
Freyer:schüttelt den Kopf Nein. Diese Tasse war was Besonderes. Sie war sicherlich nicht so schön wie die anderen Töpfersachen, die ich danach gemacht hatte. Aber… Auch wenn es wie ein Klischee klingt… Ich habe mein ganzes Herz bei der Herstellung einfließen lassen. Und das ist eine Liebe zu einem geliebten Menschen, die es nur einmal gibt.
<Ende des Logs>
Nachtrag: Untersuchungen von Frau Freyer im Anschluss an dem Interview ergaben keine anomalen Eigenschaften. Auch Proben ihrer anderen Töpferwaren zeigten keine anomalen Effekte. Frau Freyer wurde nach den Untersuchungen mit Amnesika behandelt. Zum Zeitpunkt dieses Dokuments läuft noch die Suche nach Michael und Reimund Freyer.