Der AusdruckWeltjudentum bezeichnet in der Regel eineantisemitischeVerschwörungstheorie, wonach ein fiktives Kollektiv, „dieJuden“ bzw. „dasJudentum“, dieWeltherrschaft anstrebe oder besitze. Verwandte Ausdrücke sindjüdische Weltverschwörung oderjüdische Weltbeherrschung,[1]jüdische Internationale,goldene Internationale,[2]Alljuda,[3]internationales (Finanz-)Judentum[4] undder internationale Jude. Sinngemäß verwendet werden heute auch Ausdrücke wieZionist Occupied Government,Weltzionismus,Hochfinanz,[5]Großkapital,[6]internationale Völkermordzentrale,[7]Israellobby[8] und(US-)Ostküste.[9]
Legenden eines heimlichen Weltherrschaftsstrebens „der Juden“ wurden schon immittelalterlichen Antijudaismus überliefert und imneuzeitlichen Antisemitismusrassistisch verschärft. Für denNationalsozialismus war das „Weltjudentum“ der „Weltfeind“, den die „arische Herrenrasse“ für ihr eigenes Überleben vernichten müsse.[10] Damit rechtfertigten die Nationalsozialisten ab 1941 ihrenVernichtungskrieggegen die Sowjetunion und denHolocaust.
Um 1150 verfasste der englische MönchThomas von Monmouth die erste mittelalterlicheRitualmordlegende: Er behauptete, Juden hätten den KnabenWilliam von Norwich, der 1144 tot aufgefunden worden war, von Christen gekauft, am damaligenKarfreitag gefoltert,gekreuzigt und heimlich zu beerdigen versucht, doch sei das Verbrechen durch Wundertaten des getöteten Opfers aufgedeckt worden. Zudem behauptete er, ein bekehrter Jude habe ihm von einem jährlichen Geheimtreffen vonRabbinern und anderen führenden Juden Spaniens inNarbonne berichtet: Dabei würden diese durch ein Losverfahren ein christlichesRitualmord-Opfer für das Folgejahr auswählen, „da sie ohne menschliches Blut weder Freiheit erlangen noch dereinst in das Land ihrer Väter zurückkehren können.“ DieseVerschwörungsthese wurde auch vonThomas von Cantimpré (1201–1270 oder 1272) überliefert und diente dazu, früherePogrome gegen Juden zu rechtfertigen und einenMärtyrerkult in Norwich zu begründen, um Einkünfte durch christliche Pilger zu erlangen.
Während der großenPestpandemie 1347–1353 schrieben spanische und südfranzösische Flugschriften den vielfach inGhettos konzentrierten Judengemeinden Europas eine heimlich verabredeteBrunnenvergiftung zur Ausrottung der Christen zu. Dies löste eine schwere Pogromwelle in ganz Europa mit hunderttausenden jüdischen Opfern aus.
Dieses antijudaistische Motiv einer heimlichen Verabredung einflussreicher Juden gegen alle Christen gilt als eine historische Wurzel der Verschwörungstheorie vom Weltjudentum.[11]
Infolge derFranzösischen Revolution 1789 schufen Angehörige der damals entmachteten Schichten, vor allem adelige Anhänger derBourbonen und einerRestauration des katholischenStändestaates, eine Reihe von Verschwörungsthesen. DerJesuitAugustin Barruel behauptete 1797 einKomplott derFreimaurer, die er mit denAufklärungsphilosophen undJakobinern gleichsetzte, gegen das Christentum.
1791 erhielten die französischen Juden die vollenStaatsbürgerrechte. Daher galten sie Gegnern der Revolution als mögliche Drahtzieher derselben. Diese Sicht verfestigte sich, alsNapoléon Bonaparte sich für dieReligions- und Organisationsfreiheit der Juden auch in allen von Frankreich besetzten Gebieten einsetzte und am 23. August 1806 dazu einen neuen jüdischen Hohen Rat (Sanhedrin) einberief.
Im selben Jahr erschien der sogenannteSimonini-Brief, dessen Autor behauptete, er habe als italienischer Offizier jüdischer Abstammung von Intrigen habgieriger Juden gegen die Christen Europas erfahren. Barruel habe ein geheimes Bündnis der Juden mit Jakobinern, Freimaurern undIlluminaten übersehen, um von Frankreich aus die Christen auszulöschen und eine jüdische Weltherrschaft aufzubauen. Ähnliche Thesen vertrat damals auchLouis-Gabriel-Ambroise de Bonald in seinem ArtikelSur les juifs. Sie wurden beibehalten, obwohl die meisten Freimaurerlogen Juden ausgeschlossen hatten und der antijüdische Illuminatenorden 1784 verboten und daraufhin aufgelöst worden war.[12]
1846 veröffentlichteAlphonse Toussenel inParis den TraktatLes Juifs, rois de l'epoque („Die Juden, Könige der Epoche“), der bald in viele Sprachen übersetzt wurde. 1869 erschien in Paris das PamphletLe juif, le judaïsme et la judaisation des peuples chrétiens („Die Juden, der Judaismus und die Judaisierung der christlichen Völker“) vonHenri Roger Gougenot des Mousseaux, das im Blick auf dieDamaskusaffäre von 1840 die antijüdischeRitualmordlegende propagierte.PapstPius IX. verlieh dem Autor für das Buch einen hohen kirchlichen Orden. Es erlebte mehrere Neuauflagen, diente als Vorlage für weitere antisemitische Pamphlete wieAugust Rohlings BestsellerDerTalmudjude (1871) undAlbert MonniotsLe crime rituel chez les juifs (Paris 1914) und wurde 1921 vonAlfred Rosenberg ins Deutsche übersetzt (Der Jude, das Judentum und die Verjudung der christlichen Völker).[13]
1878 veröffentlichte die antisemitische ZeitschriftLe Contemporain einen angeblichen Brief Barruels von 1806: Ein italienischer Offizier habe ihn auf eine Verschwörung der Juden aufmerksam gemacht, die den Illuminatenorden kontrollierten. Er habe daraufhin seinen fertigen fünften Band zu Verschwörungen der Juden unveröffentlicht gelassen, um keinPogrom auszulösen. Das sollte das Fehlen der Juden in seinen Verschwörungstheorien plausibel machen und dem Simoninibrief nachträglich mehr Reputation verleihen.
Édouard Drumont verfasste 1880La France Juive, das oft neu aufgelegte Grundlagenwerk des modernen Antisemitismus in Frankreich.
1775 hatte PapstPius VI. einEdikt über die Juden erlassen, das sämtliche judenfeindlichen Gesetze des Mittelalters sammelte und für die Juden imGhetto desKirchenstaates in Rom bekräftigte. 1797 wurden diese Judengesetze im Zuge der militärischen Besetzung Roms durch französische Truppen aufgehoben. Daraufhin ersetzten Vatikantheologen die frühere Idee einer päpstlichen Schutzpflicht für die Juden immer mehr durch die Annahme, die Christen vor dem angeblichen zunehmenden und verderblichen Einfluss der Juden schützen und dieJüdische Emanzipation abwehren zu müssen.
1814 kehrte der von Napoleon gefangengenommene PapstPius VII. aus dem französischen Exil in den Kirchenstaat zurück. Der konservative Katholik und spätere KardinalGiuseppe Antonio Sala übergab ihm dort einen Reformplan, der vorsah, die rechtliche Gleichstellung der italienischen Juden wieder aufzuheben, und dies mit dem angeblichen Machtstreben aller Juden begründete: Sie hätten die für sie günstigeSäkularisierung in Europa ausgenutzt, um im Schutz von Aufklärungsideen und mit diesen „infizierten“ Herrschern „ihr Joch abzuwerfen“ und „ihren Aberglauben auszuüben“. Als „unermüdliche Verfertiger von Betrug und Täuschung“ trachteten sie nach Wiederherstellung ihres ReichesJuda und Wiederaufbau ihres Tempels, um Jesu Prophezeiung der Tempelzerstörung Lügen zu strafen, das Christentum zu entmachten und sich kirchliche Besitztümer anzueignen. Dem müsse der Papst wenigstens im eigenen Herrschaftsbereich einen Riegel vorschieben.[14]
Salas Artikel blieb zunächst folgenlos. Im September 1825 forderte aberFrancesco Ferdinando Jalabot, später Meister des Dominikanerordens, im 1823 neugegründetenGiornale ecclisiastico di Roma erneut die Ghettoisierung der italienischen Juden und strikte Anwendung aller früheren Judengesetze, um sie zumÜbertritt zum Christentum zu bewegen. Nur dann seien sie als gleichberechtigte Bürger in die christliche Gesellschaft aufzunehmen. Ihre schlechten kollektiven Eigenschaften hätten im Geschichtslauf ständig Verbrechen an Christen und Unruhen erzeugt. Ihre Unterdrückung sei notwendige Folge des Fluchs, den sie durch den Gottesmord auf sich gezogen hätten. Andernfalls würden sie aufgrund ihres verdorbenen Volkscharakters unweigerlich die Christen unterjochen. PapstLeo XII. widersprach diesem Pamphlet nicht; möglicherweise gab er es als Kardinal selbst in Auftrag.[15]
Seit 1890 propagierten fast alle katholischen Zeitungen Italiens, darunter der vatikanischeOsservatore Romano, kampagnenartig die angebliche jüdische Kultur- und Weltbeherrschung. Das JesuitenorganLa Civiltà Cattolica begann 1890 eine Artikelserie zur „jüdischen Frage“ und erklärte diese zur „Überlebensfrage“ der christlichen Welt. Die Juden seien als Ausbeuter der Christen untereinander eng verbunden, gegen ihre „Verschlagenheit und Übermacht“ gebe es daher kaum Gegenmittel. Ihre Enteignung und Verbannung seien gleichwohl falsch: Maßvolle Gesetze müssten ihren (behaupteten) unaufhaltsamen Aufstieg bremsen und sie selbst vor der „Rache der Völker“ schützen.
1894 bezogen alle katholischen Blätter Italiens in derDreyfus-Affäre gegen den jüdischen OffizierAlfred Dreyfus Stellung und deuteten seinen angeblichenHochverrat verschwörungstheoretisch: Die Emanzipation habe den Juden überall Macht und Einfluss verschafft, den sie im Bund mit Freimaurern undFrühsozialisten nun in allen Bereichen ausnutzten. Erst als sich 1898 eine Prozessrevision abzeichnete, deuteten dieselben Blätter die Affäre als innerfranzösische juristische Angelegenheit. PapstLeo XIII. mahnte 1899 zur Beendigung der Affäre.[16]
DerDominikaner Ludwig Greinemann verband erstmals Juden undFreimaurer, indem er 1778 in einer Predigt inAachen behauptete,Pontius Pilatus,Herodes Antipas undJudas Iskariot seien Mitglieder einerFreimaurerloge gewesen, die heimlich dieErmordung Jesu geplant habe.[17]
DeutscheNationalisten lehnten dieJudenemanzipation ab und sahen darin eine Bedrohung bisheriger Privilegien. So warntenHartwig von Hundt-Radowsky,Friedrich Rühs und andere seit 1812 vor einer bevorstehenden jüdischen Weltherrschaft der einst unterdrückten, nun angeblich bevorteilten Minderheit der Juden über die christliche, besonders die „germanische“ Welt. Dieses Motiv griff auchWilhelm Marr 1879 auf und sprach kulturpessimistisch von einem „Sieg des Judenthums über das Germanenthum“, wobei er die Juden bereits als eigeneRasse darstellte.
Die Überzeugung von einem jüdischen Weltherrschaftsstreben vertraten auch Politiker wieEduard Hartmann. In seinem BuchDas Judentum in Gegenwart und Zukunft (1885) grenzte er sich wieHeinrich von Treitschke vom Antisemitismus ab und versuchte eine ausgleichende Position einzunehmen. Dennoch schrieb er von „Wirtsvölkern“, die die Juden bei sich aufgenommen und denen sie dieMenschenrechte gewährt hätten. Zum Dank dafür hätten die Juden sich aber nicht vollständig assimiliert, sondern an ihrer religiös-nationalen Sonderexistenz festgehalten und so den Antisemitismus erzeugt. In ihremMessiasglauben, ihrem internationalen Gemeinschaftsgefühl und ihren Organisationen sah er ihr Herrschaftsstreben:
„So bildet das Judentum eine internationale Freimaurerei, die an der Religion ihren idealen Inhalt, an dem ethnologischen Typus ihr sichtbares Erkennungszeichen und an derAlliance Israélite Universelle und deren Kapitalmacht das Kristallisationszentrum einer internationalen Organisation besitzt.“
Diese sei „die erste embryonale Anlage zu einer Zentralregierung der künftigen jüdischen Weltherrschaft“ und ein „bedauerliches Hindernis für die schnellere Entjudung der Juden“. Würde das Judentum also an seiner Identität festhalten, dann hätte es „das deutsche Volk durch die Forderung und Annahme der Jüdischen Emanzipation betrogen“.[18]
Adolf Hitler identifizierte in seinen frühen Reden dieNew Yorker Börse als „Hauptquartier des Weltjudentums“, wo man bestrebt sei, Deutschland als letztenNationalstaat, der noch nicht vollständig von den Börsen regiert werde, zu zerschmettern. DenBolschewismus sah er nicht in gleichem Ausmaß als Gefahr. Er sei nur eines der Mittel, mit dem Staaten unterminiert und der „Hochfinanz“ ausgeliefert werden sollten.[19]
1903 erschienen erstmals dieProtokolle der Weisen von Zion als Flugschriften auf Russisch, um die Bevölkerung zu Pogromen gegen Juden aufzuhetzen. 1905 gabSergei Alexandrowitsch Nilus sie als Anhang in seinen Büchern heraus. Der Text besteht großenteils ausPlagiaten anderer Werke, namentlich vonHermann Goedsche undMaurice Joly und führt neuzeitliche Kriege,Kapitalismus,Börsenspekulation,Liberalismus,Sozialismus,Anarchismus und andere negativ gedeutete Phänomene auf eine angebliche Geheimelite von Juden undFreimaurern zurück, die dieWeltherrschaft anstreben würden.[20] RussischeRechtsextremisten interpretierten dieOktoberrevolution 1917 als Folge einer jüdisch-freimaurerischenWeltverschwörung und schufen den Mythos vom angeblichjüdischen Bolschewismus. Maßgeblich durch den baltisch-stämmigen NS-IdeologenAlfred Rosenberg prägten diese Vorstellungen die Ideologie der NSDAP. Rosenberg sah im Kapitalismus und imKommunismus nur verschiedene Ausdrucksweisen einer „jüdisch-freimaurerischenWeltverschwörung“ (židomasonstvo). Dieser Gedanke gehe maßgeblich auf eine antisemitische Schrift von Dostojewski zurück, den Rosenberg wiederholt anführte.[21]
1920 veröffentlichte der rechtsradikale PublizistLudwig Müller von Hausen (1851–1926) eine deutsche Übersetzung der Protokolle. Diese beeinflusste dieNSDAP:Gottfried Feder undAdolf Hitler benutzten die Protokolle in ihren Schriften als Beweis für eine jüdische Weltverschwörung,Alfred Rosenberg behauptete ihre Echtheit.[22]
Seit 1933 benutzten die Nationalsozialisten die Protokolle weiterhin als „tödliches Mobilisierungs- und Manipulationsinstrument“.[23]
Hitler beschrieb das „Weltjudentum“ bzw. „den Juden“ inMein Kampf (1925/26) als „Gegenrasse“ zur „nordischen Rasse“, die vor allem die deutsche Nation von innen durch „Blutvergiftung“ und „rassische Zersetzung“, von außen mit ideologischer Hetzpropaganda und wirtschaftlicher Macht zu zerstören trachte, um sich mit allen Mitteln die Weltherrschaft anzueignen.[24] Dabei griff Hitler auf biologistischeMetaphern zurück, wonach Juden als „Parasiten im Körper anderer Völker“, Bazillen und Blutsauger ihr „Wirtsvolk zum Absterben“ brächten.[25] Diese Motive waren seit der frühen Neuzeit im Frühantisemitismus weit verbreitet.[26]
Als äußere Vertreter des Weltjudentums sah Hitler vor allem denMarxismus und „Bolschewismus“. Er verband Juden und Kommunisten zum universalen Feindbild des „jüdischen Bolschewismus“, dessen Streben nachinternationaler Einigung derArbeiterklasse zwangsläufig zur Zerstörung allerNationalismen und Rassen führe. Als Varianten und Ableger dieser Bedrohung sah er auch denPazifismus, die Freimaurerei, die „anglo-amerikanischePlutokratie“ (sein Ausdruck fürKapitalismus) und politischesChristentum.[27]
Nach Beginn der NS-Herrschaft 1933 wurde dieses umfassende Feindbild von derNS-Propaganda ständig verbreitet und entfaltet; dazu wurde einePseudowissenschaft etabliert. So erschienen zahlreiche Schriften zu diesem Thema, darunter:
Im Kontext der Kriegsvorbereitung verschärfte das NS-Regime seine antisemitische Propaganda. Am 11. und 13. Januar 1939 strahlte der deutsche Rundfunk eine zweiteilige Sendung des NS-HistorikersWalter Frank zum ThemaDeutsche Wissenschaft im Kampf gegen das Weltjudentum aus. Der Autor hob hervor, dass sich Forschung zur „Judenfrage“ nur im Gesamtkontext der nationalen und globalen Geschichte treiben lasse:[28]
„Das Judentum ist eines der großen negativen Prinzipien der Weltgeschichte, es ist also nur denkbar als derParasit im positiven Gegenprinzip. So wenig etwaJudas Ischariot samt seinen dreißig Silberlingen und samt dem Strick, an dem er sich zuletzt erhängte, verstanden werden kann ohne den Herrn, dessen Gemeinschaft er hohnlächelnd verriet und dessen Antlitz ihn doch verfolgte bis zur letzten Stunde – so wenig kann jene Nachtseite der Geschichte, die sich Judentum nennt, verstanden werden ohne eine Einordnung in die Gesamtheit eines geschichtlichen Prozesses, in demGott und derSatan,Schöpfung und Zersetzung in ewigem Ringkampf liegen.“
Am 19. Januar 1939 erschien ein Vortragstext vonHerbert Hagen vomSD für eine Tagung der höherenSS-Führer inOldenburg unter dem Titel:Das internationale Judentum. Der Autor erklärte darin, die Judenfrage sei „überhauptdas Problem der Weltpolitik im Augenblick“. Die westlichen Demokratien hätten nicht die Absicht, es zu lösen, weil die Juden die Politik dieser Länder lenkten und sie nicht verlassen, sondernPalästina nur als eine Art „jüdischen Vatikan“ benutzen wollten. Dann zählte er zahlreiche jüdische Organisationen auf, über deren Verbindungen die Juden Wirtschaft und Politik ihrer „Gastländer“ angeblich beherrschten. Als deren Zentrale nannte er denJüdischen Weltkongress, dieZionistische Weltorganisation undB’nai B’rith. Als Führungskopf nannte erChaim Weizmann und zitierte mehrfach aus dessen Essays und Reden, die 1937 inTel Aviv erschienen waren. Daraus folgerte er, das Weltjudentum mit seinen Ablegern in Europa sei der vorrangig zu bekämpfende kommende Kriegsgegner.[29]
Dass das Weltjudentum denErsten Weltkrieg, die Niederlage Deutschlands und dieNovemberrevolution verursacht habe, war fester Bestandteil der antisemitischenDolchstoßlegende, die Hitler gemeinsam mit vielen deutschen Nationalisten seit 1919 vertrat. Am 30. Januar 1939 hielt er eine Reichstagsrede zum Jahrestag seinerMachtübernahme, in der er im Falle eines neuenWeltkriegs „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ androhte. Mit demÜberfall auf Polen 1939 und demKrieg gegen die Sowjetunion führte Hitler selbst diesenWeltkrieg herbei.
In den Jahren 1941 bis 1945 kam er oft auf seine Drohung gegen die Juden vom Januar 1939 zurück und deutete ihren Vollzug an. Unter dem euphemistischen Begriff „Endlösung der Judenfrage“ versuchte das NS-Regime das fiktive „Weltjudentum“ im eigenen Machtbereich auszurotten. Der Holocaust gilt als Teil der nationalsozialistischen Herrschafts-, Versklavungs- und Vernichtungspolitik in Osteuropa und damit als strategisches Kriegsziel.[30]
Ab September 1944 stellte die NS-Propaganda denMorgenthau-Plan vom Frühjahr 1944, einen von US-PräsidentFranklin D. Roosevelt verworfenen Entwurf zur Umwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat, als Plan des Weltjudentums zur „Versklavung“ der Deutschen dar und begründete damit ihre Durchhalteparolen. ImrechtsextremenGeschichtsrevisionismus wird der politisch bedeutungslose Entwurf wegen der jüdischen Herkunft und Regierungszugehörigkeit vonHenry Morgenthau weiter für antisemitische Verschwörungstheorien benutzt (Morgenthau-Legende).[31]
Im letzten Satz seinesPolitischen Testaments forderte Hitler am 29. April 1945 kurz vor seinemSuizid von den Deutschen nochmals den „unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum.“
Anhand der Interpretation von Verschwörungsmythen stellt der SozialwissenschaftlerSamuel Salzborn fest, dass ihnen „zumeist unbewusste […] und verdrängte […], bisweilen aber auch bewusste […] Wünsche und Sehnsüchte“, vor allem nach Teilhabe an der imaginierten „Macht desvölkischen Kollektivs“, zugrunde liegen. Der Glaube an die Existenz einer jüdischen Weltverschwörung habe sich am deutlichsten im Nationalsozialismus als „projektiver Verschwörungswahn der antisemitischen Vernichtung“ erwiesen, „der selbst eben genau jenes weltbeherrschende und unterjochende System als völkisch-antisemitisches ‚Tausendjähriges Reich‘ errichten wollte, das er in der Verschwörungsphantasie antisemitisch erfunden und projiziert hatte.“ Das, „was den Anderen im Verschwörungsmythos vorgeworfen und vorgehalten“ werde, sei eigentlich das Eigene.[32]
Vorläufer und Wurzeln
Antisemitismus
Zeit des Nationalsozialismus
Nach 1945