Walter Christaller (*21. April1893 inBerneck beiCalw; †9. März1969 inKönigstein im Taunus) war ein deutscherGeograph und gilt als Begründer derTheorie der zentralen Orte.
Walter Christaller wurde 1893 als Sohn des evangelischen PfarrersErdmann Gottreich Christaller und dessen Ehefrau, der SchriftstellerinHelene Christaller, im Schwarzwald geboren. Er studierteVolkswirtschaftslehre undGeographie und führte quantitative und statistische Methoden in die Geographie ein. Er nahm 1913 amErsten Freideutschen Jugendtag auf demHohen Meißner teil. Während seiner frühen Studienjahre vor 1914 wurde Christaller Mitglied in derDeutschen Akademischen Freischar.[1] Während desErsten Weltkriegs war er von 1914 bis 1918 Soldat. 1920 beendete Christaller sein volkswirtschaftliches Studium an derFriedrich-Alexander-Universität Erlangen. Schwerpunkte seiner Arbeiten warenAgrargeographie undStadtplanung in Süddeutschland. In seinem HauptwerkDie zentralen Orte in Süddeutschland von 1933 entwickelte er eine Theorie der zentralen Orte, die er dem Erlanger Geographie-ProfessorRobert Gradmann alsDissertation vorlegte. Christallers Theorie wurde in derZeit des Nationalsozialismus von derReichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung für dieRaumplanung herangezogen. Seine Arbeit bildet die theoretische Basis des in derRaumordnung bis heute genutzten Zentrale-Orte-Modells.
Nachdem er Anfang der 1920er Jahre Mitglied derUSPD gewesen war, stand Christaller vor 1933 derKPD nahe, weshalb er 1934 zunächst in Frankreich untertauchte. Er erhielt aber dank einflussreicher Freunde 1934 ein Stipendium und kehrte nach Deutschland zurück,habilitierte sich 1938 an derAlbert-Ludwigs-Universität Freiburg und war von 1937 bis 1940wissenschaftlicher Assistent am Kommunalwissenschaftlichen Institut beiTheodor Maunz. Am 8. Mai 1940 beantragte Christaller die Aufnahme in dieNSDAP und wurde zum 1. Juli desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 8.375.670)[2]; er war dann von 1940 bis 1945 Mitarbeiter im Amt Planung und Boden imStabshauptamt des Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums[3], das die Registrierung des Grund und Bodens imbesetzten Polen sowie die Sicherstellung des ehemaligen polnischen und jüdischen Besitzes regelte. Er bearbeitete in diesem Zusammenhang die Siedlungsplanung in einzelnen Gebieten („Warthegau“ undBezirk Bialystok), in denen er sein Modell der zentralen Orte durchsetzte. Christaller pries das Modell der zentralen Orte, nach dem Orte hierarchisch nach ihren Versorgungsangeboten klassifiziert werden und jedesOberzentrum von einem Ring vonMittelzentren umgeben ist, die ihrerseits wiederum von einem Ring von Unterzentren umgeben sind, als Umsetzung des „Führerprinzips“ in der Raumordnung.[4][5] Nach Ansicht der HistorikerinIsabel Heinemann stellte er sich bei seiner Mitarbeit amGeneralplan Ost bereitwillig in den Dienst der gewaltsamen Umgestaltung Europas auf der Grundlage von Mord und Vertreibung.[6] Die ehemaligen Mitarbeiter des RKF-Planungshauptamts wieErhard Mäding,Herbert Morgen,Josef Umlauf und er betonten in eidesstattlichen Erklärungen zum NürnbergerProzess Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, dass es sich bei ihren Arbeiten um theoretische Grundlagenforschung gehandelt habe und der Plan ein reines Hirngespinst geblieben sei.[7]
1945 wurde er freischaffender Geograph, Mitglied der KPD, später der SPD und gründete 1950 zusammen mitEmil Meynen denDeutschen Verband für angewandte Geographie (DVAG). Das Modell der zentralen Orte wurde zur Grundlage für die Raumplanung in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, koordiniert durch die Bundesanstalt für Landeskunde undRaumforschung, die bis in die 1960er Jahre von Meynen geleitet wurde. Nach 1945 entwickelte er zudem Raumplanungskonzepte für das kommunistische Regime in Polen.
Die von Christaller in den 1930er Jahren entwickelte Idee der zentralen Orte fand starken Anklang bei den Fachkollegen und wurde insbesondere in den 1960er Jahren von Georg Kluczka weiterentwickelt. Sie geht davon aus, dass die Siedlungen in einer Landschaft räumlich-funktionell miteinander in Beziehung stehen und hierarchischen Niveaus angehören. Um die zentralörtliche Stellung einer Siedlung zu ermitteln, wurden neun Funktionsbereiche herangezogen, die im Sinne einer „Congestion“ (englisch: Verdichtung) über den Ort herausreichen. Historiker griffen Christallers These ab den 1950er Jahren auf und diskutierten sie insbesondere für dasSpätmittelalter und dieNeuere Geschichte. Im Jahr 1973 machte Dietrich Denecke den Versuch, das Konzept auch für ältere Abschnitte des Mittelalters nutzbar zu machen.
Von 1996 bis 2015 vergab der DVAG denWalter-Christaller-Preis für Nachwuchsgeographen. Aufgrund der „Erkenntnisse über die Intensität und den Umfang der Verstrickungen von Walter Christaller in die räumlichen Planungen des NS-Regimes“ wurde der Preis im Jahr 2017 inDVAG-Preis für Angewandte Geographie umbenannt.[8] Ein Nachlass mit wissenschaftlichen Unterlagen Christallers (Manuskripte, Korrespondenzen u. a.) befindet sich im Archiv für Geographie des Leibniz-Instituts für Länderkunde in Leipzig.[9]
Personendaten | |
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NAME | Christaller, Walter |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Geograph |
GEBURTSDATUM | 21. April 1893 |
GEBURTSORT | Berneck, heute zuAltensteig beiCalw |
STERBEDATUM | 9. März 1969 |
STERBEORT | Königstein im Taunus |