Letzte Volkszählungen[1] Gelb: Zensusrunde 2020 (2015–2024) Grün: Zensusrunde 2010 (2005–2014) Blau: Zensusrunde 2000 (1995–2004) Rot: Zensusrunde 1990 (1985–1994) Grau: kein Zensus
EineVolkszählung (auchZensus, Census oderMakrozensus) ist eine gesetzlich angeordnete Erhebungstatistischer Bevölkerungsdaten, wobei die Bürger bei der herkömmlichen Methode der Zählung perFragebogen zur Auskunft verpflichtet sind. Beim Modell desRegisterzensus wird ohne Befragung der Bürger auf Daten in denMelderegistern zurückgegriffen.
Der BegriffVolkszählung ist dahingehend irreführend, dass mehr als das Volk, also die Anzahl der Einwohner, gezählt wird. Vielmehr werden durch Volkszählungen Menschen verpflichtet, eine Vielzahl persönlicher Daten anzugeben. In einigen Ländern wurde die herkömmliche Methode der Zählung vom Modell derRegisterzählung (Registerzensus) abgelöst, wobei auf die Daten in verschiedenen Melderegistern zurückgegriffen wird. Den Bürgern werden keine Fragebögen vorgelegt.
DemDatenschutz wird mittelsAnonymisierung durch voneinander unabhängige Bearbeiter Rechnung getragen.
Ein weiteres Volkszählungsverfahren ist die Methode des rollierenden Zensus. Hierbei erfolgt regelmäßig eine Befragung eines Teiles der Bevölkerung, wobei sich der Umfang der Befragungen meist nach der Gemeindegröße richtet. Es gibt Mischformen, bei denen herkömmliche Volkszählungen (also Befragungen) mit der Auswertung von Registern kombiniert werden. Es sind auch registergestützte Zählungen möglich, die mit Befragungen inStichproben ergänzt werden.[2]
Eine Volkszählung wird durchgeführt, um möglichst genaue Informationen über verschiedenste statistische Parameter zu erhalten, die als Grundlage für das politische und verwaltungsmäßige Handeln genutzt werden sollen. Die Planung von Wohnungsbauprogrammen, Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichenInfrastruktur, Bemessungsgrundlagen für die Finanzierung der öffentlichen Haushalte oder Steuerschätzungen der Zahlen können durch eine Volkszählung genauer oder zielgerichteter ausgeführt werden.
Sankt Petersburg, Tagungsort des Internationalen Statistischen Kongresses 1872
Der Internationale Statistische Kongress 1872 in Sankt Petersburg stellte die Empfehlung auf, welche persönlichen Daten bei jeder Volkszählung erfragt werden sollten
Die genanntenPersonendaten bilden im Allgemeinen seither die Grundlage jeder Erhebung.
Eine methodische Besonderheit klassischer Volkszählungen besteht darin, dass anders als bei normalenempirischen Untersuchungen nicht etwa eine repräsentativeStichprobe, sondern sämtliche Haushalte und nahezu die gesamte Bevölkerung direkt befragt wird (Totalerhebung, siehe auchGrundgesamtheit). Die ermittelten Daten werden durch fortlaufende jährlich durchgeführte Repräsentativbefragungen (demMikrozensus) fortgeschrieben und auf die Basisdaten der letzten Volkszählung hochgerechnet. Die Stichprobengröße für diese Befragungen ist meist gesetzlich festgelegt, etwa auf ein Prozent der Bevölkerung. Da die daraus resultierende Fehlerquote mit den Jahren steigt, ist in größeren Abständen eine Wiederholung der Volkszählung und damit eine Aktualisierung der Basisdaten erforderlich. Daneben werden nach etwa fünf Jahren größereZwischenzählungen über eine größere, repräsentative Auswahl durchgeführt, begrenzt auf sich schnell ändernde Datensätze.
Unter Pharao Amasis fand 570 v. Chr. eine Volkszählung in Ägypten statt
Indirekte Ermittlungen von Bevölkerungszahlen für Steuerzwecke lassen sich bereits um 2700 v. Chr. inÄgypten nachweisen.[3] Aufgrund von Tonscherben aus der StadtMari lässt sich auch für die Zeit um 1700 v. Chr. eine lokale Volkszählung inMesopotamien für militärische Zwecke belegen.[4] Belegt sind (lokale) Volkszählungen in Ägypten um ca. 1100 v. Chr.[5] Aus den früheren Epochen sind ferner Zählungen inChina (2 n. Chr.[6]), inPersien undGriechenland bekannt, außerdem in Ägypten unterAmasis (569 v. Chr.: Dekret über die Erfassung der Einkommen[7]). Man beschränkte sich dabei oft auf die Erfassung der waffenfähigen Männer.
ImRömischen Reich gab es seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. alle fünf Jahre Volkszählungen und Erhebungen über die Einkünfte der römischen Bürger.[8][9] Für denZensus und die Steuerschätzungen war derCensor verantwortlich, ein altrömischer Beamter. Er legte die Höhe der Steuer fest, die jeder Bürger zu zahlen hatte und war dem Senat verantwortlich. Die Censoren waren sehr einflussreich und genossen hohes Ansehen.
Im BuchNumeri derBibel werden zwei auf Anweisung Gottes durchgeführte Volkszählungen ausführlich geschildert. Sie fanden kurz nach dem Beginn und kurz vor dem Ende der vierzigjährigen Wüstenwanderung der Israeliten unter Mose statt. Der lateinische Name des Buches „Numeri“ kommt von diesen Zählungen. Dabei wurden nur kampffähige Männer gezählt, ausgenommen bei den für den Priesterdienst vorgesehenenLeviten, bei denen auch männliche Kinder und Greise mitgezählt werden. Beide Zählungen ergeben jeweils eine Gesamtsumme von gut 600.000 Männern. Historiker halten es angesichts fehlender archäologischer Funde für sehr unwahrscheinlich, dass tatsächlich so viele Israeliten so lange Zeit durch die Sinai-Wüste gewandert sind.
Im Alten Testament der Bibel wird weiterhin eine Volkszählung der Israeliten durch den KönigDavid erwähnt (2. Buch Samuel,1. Buch der Chronik). Diese Volkszählung war demnach nicht durch Gott angeordnet und zog eine göttliche Strafe nach sich – eineEpidemie suchte das Land heim und forderte zahlreiche Opfer. DerJerusalemer Tempel wurde laut dem Bericht später an der Stelle erbaut, wo David durch ein Schuldopfer den Zorn Gottes über die nicht angeordnete Volkszählung wieder abwenden konnte.
Darstellung der biblischen Volkszählung in einerSimultankrippe des 19. Jahrhunderts (Spitalkirche Heilig Geist,Wangen im Allgäu)
Im Neuen Testament der Bibel wird eine vom römischenKaiserAugustus befohlene Volkszählung erwähnt. Laut demLukasevangelium hatte der Kaiser angeordnet, dass sich jeder in seinem Herkunftsort in die Steuerlisten einzutragen habe. Aus diesem Grund seienMaria undJosef nachBethlehem gereist, woJesus Christus geboren worden sei:
„Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen. Diese Aufzeichnung war die erste; damals war Quirinius Statthalter von Syrien. Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete.“
Hier erwähntLukas in zwei unmittelbar aufeinander folgenden Sätzen anscheinend zwei in der römischen Verwaltung klar unterschiedene Vorgänge:
Reichszensus (Lustrum), die Schätzung römischer Bürger im gesamten Imperium Romanum
Provinzialzensus, die Schätzung für die Bewohner einer Provinz, die das römische Bürgerrecht (Civitas Romana) nicht besaßen.
Sowohl im Lukas- als auch imMatthäus-Evangelium (2,1–19EU) wird berichtet, die Geburt Jesu habe stattgefunden, alsHerodes der Große noch lebte. Da dieser aber 4 v. Chr. starb, müsste auch die erwähnte Zählung davor stattgefunden haben (vgl.Lk 2,1 EU mit 1,5EU). Demnach kann es sich bei der von Lukas erwähnten Volkszählung nicht um jenen – auch vonFlavius Josephus erwähnten – Provinzialzensus handeln, der 6/7 n. Chr. unterPublius Sulpicius Quirinius in der ProvinzSyria durchgeführt wurde. Kurz zuvor warHerodes Archelaos, ein Sohn von Herodes dem Großen, abgesetzt und verbannt worden, und die bisherige EthnarchieJudäa war in die Provinz Syrien eingegliedert worden.
Die Steuererklärungen der Bewohner der Provinzen erfolgten vermutlich nach einem einheitlichenSteuerformular, welches in allen kaiserlichen Provinzen gleich war. Ein Formular aus dem Jahre 127 n. Chr. wurde in einer Höhle westlich desToten Meeres gefunden.[10][11]
Als Thema der christlichen Kunst und in Krippendarstellungen wurde die Volkszählung nur selten aufgenommen. Ein bekanntes Beispiel ist das GemäldeDie Volkszählung zu Bethlehem (1566) von Pieter Bruegel dem Älteren, der die Szene in das Flandern seiner Zeit verlegte.
Zählungen im Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit
Im 7. Jahrhundert wurde die erste Volkszählung in der arabischen Stadt Medina unter dem Propheten Mohammed durchgeführt (623). Ziel war es besonders, die Gruppen, die in derGemeindeordnung von Medina aufgelistet worden sind, zu definieren und die Steuereinnahmen des neuen Staates unter dem Propheten klar zu protokollieren.
Eine andere Volkszählung im 7. Jahrhundert fand in China statt. Das Überleben der Kleinbauern und damit den sozialen Frieden sicherten Steuergesetze (619) und die dazugehörigen Agrarverordnungen (624). Darin wurden den Bauern gleichmäßig verteilte Parzellen auf Lebenszeit übergeben. Grundlage der Vergabe waren genaue Volkszählungen unter Berücksichtigung des Alters sowie einKatastersystem zur Landbewertung-/verteilung. Das System wurde aber schon im späten 7. Jahrhundert durch manipulierte Zahlenangaben und Ausdehnung des privaten und kirchlichen Gutsbesitzes untergraben. Es war zudem zu anfällig gegen veraltete Zahlen, Abwanderung und veränderten Anbau.
ImMittelalter gab es in Europa nur wenige Volkszählungen; meist wurden dieFeuerstellen registriert, doch waren die erhobenen Daten oft ungenau, so dass Angaben zur Bevölkerung in der Regel nurHochrechnungen (z. B. eine Feuerstelle = ca. 10 Einwohner) und nicht überlieferte Zahlen sind.[12] In einigen Teilen Europas, wie inFrankreich,Spanien undItalien reichen die Quellen zurück bis in das 14. und 15. Jahrhundert – aus dieser Zeit ist z. B. eine Zählung in derGrafschaft Foix bekannt.
Verlässliche Daten sind hier meist dieUrbare der Klöster und Stifte, die teils in das Hochmittelalter datieren, oft aber nur indirekte Schlüsse auf die Bevölkerung zulassen. Von Bedeutung bei der Erfassung der Bevölkerung waren kirchliche Aufzeichnungen der Pfarren. So mussten die Pastoren Bücher über ihre Pfarrangehörigen führen (lateinischliber status animarum, wörtlich: „Buch des Zustandes der Seelen“). In einzelnen Ländern war das Interesse an diesen Aufzeichnungen besonders groß.Schweden besitzt für das 17. Jahrhundert hervorragende Pfarrdaten. In Venedig soll es seit dem 13. Jahrhundert Volkszählungen gegeben haben. Das älteste erhaltene Dokument einer solchen stammt aus dem Jahr 1509 und seit dem 16. Jahrhundert wurden in Venedig regelmäßig Bevölkerungserhebungen durchgeführt,[13] deren Dokumente weitgehend in den Archiven erhalten geblieben sind.
Der Adel wehrte sich immer gegen Aufstellungen ihrer Leibeigenen, als reine Privatangelegenheit, im Besonderen, solange sie von der Besteuerung befreit waren. Noch 1753 lehnte dasbritische Parlament eine Volkszählung ab, denn sie „würde Englands Feinden dessen Schwächen“ bloßstellen. Ein Abgeordneter betonte im Parlament, er sei befremdet, „dass es menschliche Wesen gäbe, die so frech und schamlos seien“, derartiges vorzuschlagen.
InMitteleuropa haben zuerst einige Städte, beispielsweise im Jahre 1449Nürnberg, den Versuch von Volkszählungen unternommen. Bei den später durchgeführten landesweiten Zählungen wurde die Zahl der Feuerstellen ermittelt, wodurch sich die Bevölkerung über eine geschätzte durchschnittliche „Anzahl der Personen pro Feuer“ ermitteln ließ. InZürich führte AntistesBreitinger 1634 erstmals eine Volkszählung durch, die dann alle sechs Jahre wiederholt werden sollte.
Die erste Volkszählung in Österreich ordnete Maria Theresia 1754 anVolkszählungMecklenburg-Schwerin. ZählortLevkendorf. Zählkarte mit allen am 3. Dezember 1867 für den Haushalt Jörß in der Tagelöhnerkate Nr. 6 angetroffenen Bewohnern.
Die erste Volkszählung im modernen Sinne fand um 1528 inLitauen statt,[14] anfangs noch als reine Erfassung der bäuerlichen Bevölkerung oder auch der wehrfähigen Männer, dann als Steuerkataster. In den französischen Kolonien in Nordamerika,Louisiana undAkadien (im heutigenKanada), zusammenNeufrankreich genannt, wurde ab 1665 eine Zählung durchgeführt, die erste Vollzählung dann 1841.[15]
InSchweden–Finnland begann 1686 mit dem Zusammenschreiben der Pfarrbücher die längste geschlossene Zeitreihe weltweit. Hier findet sich die früheste Gründung einer speziell zuständigen Behörde (Tabellverket als Vollzählung ab 1749,Tabellkommissionen 1756).[16][17] Umfassende Volkszählungen sind auch ausFriesland 1689,[18]Island 1703,[19]Overijssel 1748,Holland 1747[18] bekannt.
Die erste Volkszählung inÖsterreich wurde nach den Verwaltungsreformen unterMaria Theresia 1754 durchgeführt, die erste imungarischen Teil der Monarchie 1767–1775 (s. auchVolkszählung in Österreich). InSpanien (Kastilien) fanden 1768–1769 erste über Urbarien hinausgehende Zählungen statt,[20] inDänemark–Norwegen 1769 (erste Behörde:Dansk-Norsk Tabel-Kontor 1797–1819,Tabelkommission 1833–1848),[21] 1584 inLiechtenstein.[22] In denUSA sind Volkszählungen im Zehnjahresrhythmus von der Verfassung vorgeschrieben, die 1789 in Kraft trat. Die erste Volkszählung erfolgte 1790, seitdem in allen Dekadenjahren.
Nach 1800 fanden in fast allen europäischen Ländern mehr oder weniger regelmäßige Volkszählungen statt. 1801 startetenGroßbritannien,[23]Frankreich (erste Lokalzählungen von Vauban ab 1676) oderPortugal ihre erste vollständige Datenerhebung,Preußen 1816,Württemberg 1818 (weitgehend gesamtdeutsch: Zollverein ab 1834).
In derSchweiz wurden Volkszählungen ab 1850 (seit der Gründung des Bundesstaates) in der Regel bis alle zehn Jahre durchgeführt. Auch in Österreich erfolgt durch die (heutige)Statistik Austria seit 1869 alle zehn Jahre eine Volkszählung. DerStatistische Kongress 1872 in Sankt Petersburg empfahl den jetzt noch üblichen Zehnjahresrhythmus, wobei in den mit Null endenden Jahren gezählt werden sollte. Diese Empfehlung wurde vomVölkerbund und später von denVereinten Nationen übernommen. Zählungen können jedoch auch im vorhergehenden oder nachfolgenden Jahr vorgenommen werden. Da sich die Mehrzahl der Länder der Welt an diese Empfehlung hält, liegen weltweit offizielle Angaben zur Bevölkerung vor. Dieses Material bildet beispielsweise die Grundlage für Bevölkerungsprognosen für diese Länder. In Sonderfällen gibt es allerdings Gründe, den Zahlenangaben zur Bevölkerung zu misstrauen.
Im späteren 19. Jahrhundert erfolgten die ersten Zählungen inBritisch-Indien und einigensüdamerikanischen Staaten, im Großteil der Länder derDritten Welt wurden zumeist erst im Laufe des 20. Jahrhunderts erste Volkszählungen abgehalten (etwa erstmals inAfghanistan 1979,Äthiopien 1984). Aufgrund diverser innerstaatlicher, politischer Wirren kam es zudem in einigen Staaten zu langen Unterbrechungen der Volkszählung, so fand inArgentinien zwischen 1914 und 1947 keine Zählung statt, inUruguay gar von 1908 bis 1963 nicht.
Der Erfassungsgrad der Weltbevölkerung durch Volkszählungen betrug Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 17 Prozent und erreichte zur Mitte des 20. Jahrhunderts mit 78 Prozent einen ersten Höchststand. Dadurch, dass zwischen 1954 und 1982 inChina, dem bevölkerungsreichsten Staat der Erde, keine Volkszählung durchgeführt wurde, sank der Erfassungsgrad wieder. Ende des 20. Jahrhunderts wurde mittlerweile in nahezu allen Staaten der Welt eine Volkszählung im modernen Sinne abgehalten, die großen Genauigkeitsunterschiede sowie große zeitliche Schwankungen (Erhebungszeitpunkte und/oder -intervalle) in vielen Ländern erschweren die direkte Vergleichbarkeit der Erhebungen.
In der Gegenwart ist der Einsatz von Informationstechnologie bei der Vorhaltung, Verdichtung und Auswertung der Daten Standard, obwohl bei der unmittelbaren Erhebung der schriftlich auszufüllende Fragebogen in den meisten Ländern noch immer Praxis ist. Den Volkszählungsbogen perInternet ausfüllen konnten die Bürger – zum ersten Mal in Europa – beim Zensus in der Schweiz im Jahre 2000. Jeder Haushalt erhielt mit dem Fragebogen einen Benutzernamen und ein Passwort, mit dem die Teilnehmer sich im Internet unter einer bestimmten Adresse einwählen konnten. Unter anderem wurde das Internet noch bei Zählungen inSingapur und den USA – Stand 2006 allerdings nur bei Stichproben und als Test – angewendet.
In Ländern mit einer langen Tradition registerbasierter statistischer Erhebungen, wie Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden, erfolgte die Ablösung der traditionellen Methode der Volkszählung durch das Modell derRegisterzählung. Dänemark war 1981 das weltweit erste Land, das auf die neue Methode umstellte. In dennordeuropäischen Staaten wurden bereits nach demZweiten Weltkrieg lokale Einwohnerregister aufgebaut. Diese sind bereits landesweit vernetzt und mit persönlichen Identifikatoren ausgestattet. Zusätzlich bestehen zentrale Einwohnerregister. Für dieVolkszählung in der Europäischen Union 2011 hat auch die Regierung in Deutschland die Umstellung auf das registergestützte Modell durchgeführt, Österreich setzte eine vollständige Registerzählung ohne jegliche Befragung um.[2] Die Schweiz führt weiterhin eine jährliche Strukturerhebung mit mindestens 200.000 Personen durch.[25] Staaten ohneMelderegister werden auch in Zukunft nicht auf die traditionelle Methode der Zählung per Fragebogen verzichten können.
Aus Gründen derStaatsräson werden teilweise Teile der Bevölkerung mit Absicht nicht vollständig erfasst oder durch die Bevölkerungsstatistik zahlenmäßig vergrößert. So waren inKolonien dieKolonialmächte daran interessiert, die einheimische Bevölkerung zahlenmäßig so klein wie möglich auszuweisen. Ethnische Rivalitäten lassen es für einige Gruppen als richtig erscheinen, andere Gruppen zahlenmäßig zu verkleinern und die eigene Gruppe zu vergrößern. Solche Beispiele sind bedeutsam, wenn Parlamentssitze nach der Bevölkerungszahl oder dem Anteil an der Beamtenschaft festgelegt werden.
Weiterhin kann der Gedanke auf eine höhere Entwicklungshilfe von außen dazu führen, die Bevölkerungszahl zu erhöhen. Wenn mehr Menschen in einem Gebiet leben, so ist es eher förderwürdig, beziehungsweise das jeweiligeBruttoinlandsprodukt verteilt sich auf mehr Menschen, was zu einer Verringerung des statistischenPro-Kopf-Einkommens führt und damit eine Wirtschaftshilfe dringlicher erscheinen lässt. Allerdings entspricht diese Unterstellung einem antiquierten Begriff von „Entwicklungshilfe“ der 1960er Jahre, zumal heute Weltbank oder Europäischer Entwicklungsfonds die mit ihren Mitteln durchgeführten Statistiken streng kontrollieren.
Aus politischen Gründen werden Personen in einige Regionen aus- oder eingegliedert. Die RepublikSüdafrika gliederte zur Zeit derApartheid Zehntausende von Menschen mit schwarzer Hautfarbe in die sogenanntenHomelands ein, um den weißen Bevölkerungsanteil im Stammland Südafrika zu vergrößern.
In einigen Ländern gab und gibt es noch keine Bevölkerungserfassung oder Bevölkerungsfortschreibung. So erfolgte inAngola die letzte Volkszählung 1970. Der Bürgerkrieg zwischen 1975 und 2002 machte eine Zählung der Bevölkerung des Landes unmöglich (sieheGeschichte Angolas). InAfghanistan erfolgte die erste und letzte Volkszählung 1979. Frühere und spätere Angaben zur Bevölkerung beruhen immer auf Schätzungen. Der im Jahr 1979 eskalierte Bürgerkrieg in Afghanistan verhindert seitdem weitere Volkszählungen, da er in eine Reihe von zusammenhängenden bewaffneten Konflikten mündete, die geprägt sind durch diesowjetische Invasion und diemilitärische Intervention der USA mit ihren Verbündeten.
Kriege verhindern Zählungen und kontinuierliche Bevölkerungserfassungen. InKambodscha starben während der Diktatur derRoten Khmer von den etwa acht Millionen Einwohnern im Jahre 1974 nach verschiedenen Quellen bis 1979 wohl drei Millionen. Bis zur Volkszählung von 1998 gab es jedoch keine zuverlässigen Angaben zur Bevölkerung des Landes. Während desVölkermordes in Ruanda 1994 starben von den acht Millionen Einwohnern der Volkszählung von 1991 etwa 10 bis 25 Prozent, ein Viertel flüchtete in die Nachbarstaaten und ein weiteres Viertel der Bevölkerung innerhalb des Landes.
Durch Naturkatastrophen (Dürre, Überschwemmungen, Stürme, Erdbeben, Vulkanausbrüche) sind in den betroffenen RegionenAfrikas,Asiens undLateinamerikas jahrelang keine Volkszählungen möglich. Flüchtlingsströme in und aus diesen Gebieten erschweren eine Erfassung der Bevölkerung.
Gruppen in wenig erschlossenen Gebieten entziehen sich mitunter bewusst einer Erfassung, weil diese – zu Recht oder zu Unrecht – annehmen, eine Volkszählung diene lediglich der Erhebung von Steuern oder der Einberufung zum Militärdienst. Andere Gründe sind eher unbewusster Art: wegen fehlender Kommunikation, ungünstiger geografischer Lage. So gibt es nur Schätzungen zu den durch Volkszählungen nicht erfassbarenbrasilianischen Urwaldbewohnern über 50.000 bis 150.000 Personen. De facto sichert die teilweise Nichterfassung vorläufig die Existenz einiger von der Regenwaldzerstörung bedrohterindigener Völker wie derTagaeri undTaromenani in Ecuador.[26]
Andere Probleme sind, dass über bestimmte Angaben zur Person kein exaktes und statistisch verwertbares Wissen vorhanden ist, wenn Altersangaben zur Person nicht exakt verfügbar sind, oder es unklar bleibt, ob eine Person in bestimmten Regionen zu erfassen ist, wie etwa bei Auslandsaufenthalten.
Probleme gibt es immer noch bei der Bevölkerungsfortschreibung inEntwicklungsländern. Betrachtet man nur die Geburten und Sterbefälle, so ist die Untererfassung der Sterbefälle ausgeprägt. Besonders inAfrika undLateinamerika wurde festgestellt, dass bei bestimmten Bevölkerungsgruppen zahlreiche Todesfälle bei Kindern und Neugeborenen nicht registriert wurden. Aus diesen Gründen ist die Differenz zwischen Geburten und Sterbefällen tatsächlich wahrscheinlich geringer, damit natürlich auch das Bevölkerungswachstum, so dass die jährlichen Wachstumsraten einiger Länder etwas zu hoch ausgewiesen werden. Diese Probleme können durch Volkszählungen vermieden werden, da dadurch die nicht-registrierten Todesfälle erkannt werden.
Auch in Staaten mit ausgezeichneter Bevölkerungsstatistik (wie in den meisten hochentwickelten Industriestaaten) gibt es Unsicherheitsmöglichkeiten in der Bevölkerungserfassung. Diese sind jedoch im Allgemeinen in anderen Größenordnungen als jene in Entwicklungsländern. In Ländern mit langjährigen statistischen Erfahrungen gelten die Angaben zu den Volkszählungen als exakt, wobei in der Regel nicht nur eine Personenzählung stattfindet, sondern auch Datensätze aus anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erfasst und ausgewertet werden. Somit ist der Vorwurf des Versuchs der Datenvernetzung zwecks Schaffung eines gläsernen Menschen objektiv begründet. Daraus ergibt sich verstärkend die Tendenz zur Verweigerung der Datenausgabe oder aus Angst vor Verfolgungsmaßnahmen werden, sofern möglich, gezielt Falschdaten geliefert.
In den USA gibt es bis heute keine dem Melderecht in Deutschland vergleichbareMeldepflicht, woraus ein ständig geschätzter Fehler in der Erfassung von fünf bis sechs Millionen Personen resultiert. Aufgrund der verbindlichen Sozialversicherungsnummer einerseits und der Registrierung von Wählern vor Wahlen ergeben sich zwar Indikatoren zur Ermittlung einer gewissen statistischen Grundgesamtheit der Bevölkerung, aber keine verlässlichen Daten. Trotz der genannten Umstände kommen US-amerikanische Soziologie, Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft zu weltweit anerkannten Ergebnissen, ohne dass dort eine Volkszählung als Totalerfassung stattgefunden hat.
Spyros Missiakoulis:Cecrops, King of Athens: the First (?) Recorded Population Census in History. In:International Statistical Review.Band78,Nr.3, 28. Dezember 2010,S.413–418,doi:10.1111/j.1751-5823.2010.00124.x.
↑Census dates for all countries. United Nations Statistics Division, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 9. Mai 2015; abgerufen am 19. Februar 2013.
↑abJessica Huter:Volkszählungen im Ausland. In:Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg. 6/2006, S. 12–15 (statistik-bw.de [PDF; 106 kB]).
↑Ian Shaw:The Oxford History of Ancient Egypt. Oxford University Press, 2004,ISBN 0-19-280458-8,S.4–5.
↑John D. Durand:The Population Statistics of China, A.D. 2-1953. In:Population Studies.Band13,Nr.3, März 1960,S.209–256,JSTOR:2172247.
↑Isaiah McBurney:The Student's Handbook Of Ancient History: From The Earliest Records To The Fall Of The Western Empire. Richard Griffin and Company, 1856,ISBN 1-104-40124-X,S.34 (Reprint by Kessinger Publishing).
↑Dieses Formular wurde 1961 gefunden; siehe Frank Unruh:„Dass alle Welt geschätzt würde.“ – Volkszählung im Römischen Reich. Theiss-Verlag, Stuttgart 2001,ISBN 3-8062-1639-8.
↑In Historiographien und anderen historischen Dokumenten überlieferte Daten sind nicht unbedingt verlässlich. Frühere „fiskalische Erhebungen zähltenfuoche (Herd- oder Feuerstellen) und ließen die von der Steuer befreiten Haushalte weg, die des Klerus zum Beispiel. Erhebungen für die Brotzuteilung zählten ‚Münder‘ und ignorierten noch nicht entwöhnte Säuglinge… Kirchliche Erhebungen zählten ‚Seelen‘.“Peter Burke:Städtische Kultur in Italien zwischen Hochrenaissance und Barock. Fischer, Frankfurt 1996,ISBN 3-596-10331-2, S. 43.
↑Dazu AbschnittII. Bevölkerung inAchim Landwehr:Die Erschaffung Venedigs. Raum, Bevölkerung, Mythos 1570–1750. Schöningh, Paderborn u. a. 2007,ISBN 978-3-506-75657-2, S. 193–325.