DasVerwaltungsrecht ist das Recht derExekutive, also das derAdministrative und derGubernative. Es regelt insbesondere die Beziehungen zwischen einemStaat und seinenBürgern, aber auch die Funktionsweise der verschiedenen Verwaltungsinstitutionen und deren Verhältnis zueinander sowie denRechtsschutz des Bürgers gegen Akte der Exekutive.
Die verschiedenen nationalen Definitionen vonVerwaltungsrecht bzw. dessen Übersetzungenadministrative law,droit administratif unterscheiden sich erheblich. In der Tradition des kontinentalenRechtskreises bezeichnet man damit die Organisation, Befugnisse und Pflichten der Verwaltung. In den Ländern descommon law hingegen istadministrative law hingegen regelmäßig als Synonym zujudicial review zu finden, also der gerichtlichen Überprüfung von Verwaltungshandeln – in kontinentaler DiktionVerwaltungsgerichtsbarkeit bzw.contentieux administrative. Im Rahmen vergleichender Arbeiten werden regelmäßig beide Ebenen betrachtet, d. h. sowohl die Primärregeln, die das Verwaltungshandeln leiten, als auch die Sekundärregeln, die bei einem möglichen Verstoß durch die Gerichte zur Anwendung kommen.[1]
Verstanden in diesem weiten Sinne bildet das Verwaltungsrecht neben demVerfassungsrecht den wichtigsten Bestandteil desÖffentlichen Rechts. Der Unterscheidung von Öffentlichem und Privatrecht kommt in kontinentaler Tradition herausragende Bedeutung sowohl für Gerichtsbarkeit als auch als dogmatische Einteilung zu. Imcommon law findenpublic law undprivate law hingegen nur zur pragmatischen Abgrenzung Anwendung, ohne dass diesen Bezeichnungen tiefere rechtsdogmatische Wirkung zukäme.
Für die Abgrenzung des öffentlichen vom Privatrecht lassen sich in vergleichender Methodik zwei Standpunkte gegenüberstellen: Ein ideologischer und ein institutioneller. Die ideologische Abgrenzung sieht das Öffentliche Recht als das Recht, das demGemeinwohl(salus publica, common good, bien public) dient – eine Abgrenzung, die sich aufUlpian beruft. Die Definition vonGemeinwohl kann dabei entweder dem politischen Prozess überlassen bleiben, wie die traditionelle Ansicht meint, oder zur Sicherung von Grundrechtsstandards bestimmte justiziable Merkmale aufweisen. Das Ergebnis des politischen Prozesses divergiert erheblich den unterschiedlichen politischen Traditionen folgend: Nach überkommener französischer Ansicht gehören etwa ÖPNV, Strom- und Gasversorgung zumGemeinwohl und ermächtigen die Verwaltung zu besonderen Eingriffen, während man nach niederländischem Verständnis hierin keinen besonderen Gemeinwohlbezug erkennen kann. Auf institutioneller Basis bestehen für die Abgrenzung drei Hauptkriterien: spezifische Funktionen, spezifischer Organisationsaufbau und spezifische Gerichtsbarkeit der Verwaltung.[2]
Die verschiedenen Konzeptionen der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz werden alsrule of law, état de droit und Rechtsstaat bezeichnet. Kennzeichen derrule of law nachDicey ist, dass die Verwaltung keine Sonderrechte genießt, sondern dem „ordinary law of the land“ unterliegt; Sonderrechte der Verwaltung sieht er vielmehr geradezu als Kern des französischendroit administratif. Als Ausfluss dessen unterliegt die Verwaltung nachcommon law-Verständnis auch der ordentlichen Gerichtsbarkeit.[3]
Hinter dem französischenétat de droit steht das Verständnis, dass die Macht der Verwaltung ihre Grenzen im Gesetz findet. Die angelsächsische Vorstellung – das Recht herrscht über die Verwaltung – wird dementsprechend alsrègne du droit übersetzt.[3]
Aus dem deutschen Prinzip der Rechtsstaatlichkeit wird demgegenüber einGesetzesvorbehalt geschlossen: Die Verwaltung erhält ihre Eingriffsbefugnisse erst durch das Gesetz; das Gesetz ist daneben auch Grenze des Verwaltungshandelns. Der Verwaltung inhärente Befugnisse wie im französischendroit administratif oder in den britischenroyal prerogatives gibt es demnach nicht.[3]
Historisch war das Recht des Verwaltungsverfahrens lange Zeit Gewohnheits- bzw. Richterrecht. Die Kodifizierung des Verfahrensrecht begann in Österreich mit dem Bundesgesetz vom 21. Juli 1925 über das allgemeine Verwaltungsverfahren (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG)). Es folgten das deutscheVerwaltungsverfahrensgesetz vom 25. Mai 1976, das italienische Gesetz vom 7. August 1990 n. 241(Nuove norme in materia di procedimento amministrativo e di diritto di accesso ai documenti amministrativi) und das niederländischeAlgemene Wet Bestuursrecht von 1994.[4]
Es können nach klassischer Auffassung drei Grundtypen der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterschieden werden:[5]
- Rechtsordnungen mit einer eigenen Verwaltungsgerichtsbarkeit,
- Rechtsordnungen mit einer auf Verwaltungsprozesse spezialisierten Richterschaft innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit und
- Rechtsordnungen, bei den Verwaltungsstreitigkeiten vor den ordentlichen Gerichten ausgetragen werden, jedoch einige Spezialgerichte, besonders für Steuern bestehen.
- Harald Hofmann, Uta Hildebrandt, Susanne Gunia, Christian Zeissler:Allgemeines Verwaltungsrecht mit Bescheidtechnik, Verwaltungsvollstreckung und Rechtsschutz. 12. Auflage, 2022, Kohlhammer,ISBN 978-3-555-02258-1.
- John S. Bell:Comparative Administrative Law. In:Mathias Reimann,Reinhard Zimmermann (Hrsg.):Oxford Handbook of Comparative Law. Oxford University Press, Oxford 2008,ISBN 978-0-19-953545-3,S. 1259–1286.
- Frank Johnson Goodnow:Comparative administrative law: an analysis of the administrative systems, national and local, of the United States, England, France, and Germany. G. P. Putnam’s Sons, New York 1897 (Neuauflage: 2005,ISBN 1-58477-622-6).
- Hanns Peter Nehl:Administrative Law. In: Jan M. Smits (Hrsg.):Elgar Encyclopedia of Comparative Law. Edward Elgar, Cheltenham/Northampton, M.A. 2006,ISBN 1-84542-013-6,S. 18–32.
- Susan Rose-Ackerman, Peter L. Lindseth:Comparative Administrative Law. Edward Elgar, 2011,ISBN 978-1-84844-642-7 (Inhalt, e-elgar.com – USA, Kontinentaleuropa, British Commonwealth ergänzt um Lateinamerika, Afrika, Asien).
- ↑John S. Bell:Comparative Administrative Law. In:Mathias Reimann undReinhard Zimmermann (Hrsg.):Oxford Handbook of Comparative Law. Oxford University Press, Oxford 2008,ISBN 978-0-19-953545-3,S. 1261 f.
- ↑John S. Bell:Comparative Administrative Law. In:Mathias Reimann undReinhard Zimmermann (Hrsg.):Oxford Handbook of Comparative Law. Oxford University Press, Oxford 2008,ISBN 978-0-19-953545-3,S. 1262–1264.
- ↑abcJohn S. Bell:Comparative Administrative Law. In:Mathias Reimann undReinhard Zimmermann (Hrsg.):Oxford Handbook of Comparative Law. Oxford University Press, Oxford 2008,ISBN 978-0-19-953545-3,S. 1271 f.
- ↑John S. Bell:Comparative Administrative Law. In:Mathias Reimann undReinhard Zimmermann (Hrsg.):Oxford Handbook of Comparative Law. Oxford University Press, Oxford 2008,ISBN 978-0-19-953545-3,S. 1277 f.
- ↑John S. Bell:Comparative Administrative Law. In:Mathias Reimann,Reinhard Zimmermann (Hrsg.):Oxford Handbook of Comparative Law. Oxford University Press, Oxford 2008,ISBN 978-0-19-953545-3,S. 1279 f.