Dieser Artikel erläutert die Verdauung im Verdauungstrakt. Zur Verdauung innerhalb von Körperzellen sieheNahrungsvakuole.
Verdauungsapparat des Menschen
AlsVerdauung,Verdauen (von althochdeutschfirdouwen „schmelzen, verflüssigen“, verwandt mit mittelhochdeutschdöuwen/douwen, „verdauen“, und neuhochdeutsch „tauen“[1]) oderDigestion (lateinischdigestio) bezeichnet man den Aufschluss derNahrung imVerdauungstrakt mit Hilfe vonVerdauungsenzymen. Dabei entstehen durch chemische Spaltung (genauer:Hydrolyse) aus hochmolekularenKohlenhydraten,Fetten undProteinen niedermolekulare Verbindungen (z. B.Mono- undDisaccharide,Fettsäuren,Aminosäuren,Di- undTripeptide), die zum Teil inEnergie umgewandelt bzw. ansonsten bei der Produktion von neuer Körpersubstanz eingesetzt werden, indem der lebende Organismus sie nach einem chemischen Umbau in die verschiedensten Zellstrukturen einbaut.
Viele Nährstoffe, die mit der Nahrung aufgenommen werden, sind nicht wasserlöslich. Sie können deshalb nicht aus dem Dünndarm in das Blut und in dieLymphe aufgenommen werden. Wasserlöslich werden dieNährstoffe, wenn sie in kleinere Grundbausteine zerlegt werden.Enzyme, die in Verdauungssäften enthalten sind,katalysieren unterschiedliche Spaltungsreaktionen um ein Vielfaches. So kann die aufgenommene Nahrung in relativ kurzer Zeit verdaut werden.
Ein die Verdauung förderndes Mittel wird alsDigestivum bezeichnet.
Beim Menschen findet die Verdauung hauptsächlich imMund,Magen (Gaster),Zwölffingerdarm (Duodenum) und im restlichenDünndarm (Jejunum und Ileum) statt. Zur Aufnahme von Nährstoffen kommt es jedoch fast nur im Zwölffingerdarm und im Dünndarm.
Wer sein Essen gründlich kaut, bevor er es runterschluckt, leistet wichtige Vorarbeit für den Magen-Darm-Trakt. Denn durch die aufspaltenden Enzyme im Speichel wird die Nahrung schon mal in Einzelteile zerlegt – so beginnt die Verdauung bereits im Mund.[2]
Durch das Kauen im Mund wird die Nahrung mechanisch zerkleinert und mit dem Zusatz vonSpeichel gleitfähig gemacht, damit sie anschließend über dieSpeiseröhre in den Magen befördert werden kann.
Der wässrige Speichel enthält das EnzymPtyalin, eine α-Amylase. Dieses spaltet dieStärke (Polysaccharide) in der Nahrung zu Malzzucker (Maltose),Maltotriose undOligosacchariden – deswegen schmeckt Brot nach längerer Verweilzeit im Mund süßlich. Dies spielt aber physiologisch nicht immer eine Rolle, da die Zeit von der Nahrungsaufnahme bis zur Inaktivierung der Amylase durch den niedrigenpH-Wert des Magens zu kurz für tatsächliche „Verdauung“ ist. Die weitere Zerlegung von Stärke erfolgt später im Dünndarm. Des Weiteren wird „tierische Stärke“ (Glykogen) ebenfalls zu Maltose zerlegt. Während des Kauvorganges durchmischt dieZunge den Speisebrei, dieser wird anschließend von ihr gegen denGaumen gepresst und derSchluckreflex ausgelöst. Dabei wird kurzzeitig derKehldeckel abgesenkt, dieLuftröhre geschlossen, so dass keine Nahrung in sie gelangen kann, die Atmung angehalten und der Zugang zur Nase abgeriegelt.
Nach der Mundhöhle gelangt die Nahrung in die Speiseröhre. Die Speiseröhre ist ein muskulöser Schlauch, der hinter der Luftröhre liegt und die Nahrung in den Magen transportiert. Gelangen Nahrungsreste in die Luftröhre, führt dies zu starkem Husten und im schlimmsten Fall zum Ersticken. Die Nahrung wird durch Muskelbewegungen (Peristaltik), die wellenförmig vomRachen zum Magen verlaufen, in wenigen Sekunden in den Magen gepresst. Dies ist ein aktiver Transportvorgang innerhalb des Verdauungssystems. Aufgrund dieses Vorganges ist das Schlucken im Liegen ebenso wie im Handstand möglich.
Der Speisebrei wird über längere Zeit imMagen gesammelt, der ein Fassungsvermögen von ca. 1,5 bis 2 Liter hat. Zunächst läuft die Stärkeverdauung durch die Amylase auch im Magen weiter. Am Eingang befindet sich der Magenmund (Cardia). DieMagenschleimhaut, welche die Innenwand des Magens auskleidet, ist stark gefaltet und von zahlreichen Drüsenzellen durchsetzt. Diese Zellen kann man in drei Typen unterteilen:Nebenzellen,Hauptzellen undBelegzellen. Durch die Belegzellen wirdSalzsäure produziert. Diese hat nach einer halben bis einer Stunde den gesamten Mageninhalt durchsäuert. Die Hauptzellen sondern das inaktive EnzymPepsinogen ab, das durch die Salzsäure zuPepsin aktiviert wird. Das Pepsin spaltet Proteine in kleinerePeptide, die später weiter zerlegt werden. Da das Pepsin auchKollagen – den Hauptbestandteil desBindegewebes – umwandeln kann und derpH-Wert im Magen durch die Salzsäure bei etwa 0,9 liegt, ist es nötig, die Magenschleimhaut besonders zu schützen. In den Nebenzellen wird deswegen ständig einhydrogencarbonatreicher, zäher Schleim abgesondert, der sich schützend über die Magenschleimhaut legt und einenPuffer zur lokalen Neutralisation der Magensäure bildet. Eine weitere proteinspaltende Substanz istKathepsin. Diese Enzyme und weitere Stoffe sind im Magensaft enthalten, von dem täglich 1,5–2 Liter gebildet werden. Außerdem wird in den Belegzellen des Magens derIntrinsic-Faktor gebildet, welcher für dieVitamin-B12-Resorption imIleum wichtig ist. Die im Magen herrschendePeristaltik durchmischt den Speisebrei (Chymus) und drückt ihn durch denPförtner (M. sphincter pylori), falls dieser entspannt ist, in den Zwölffingerdarm (Duodenum).
Die verschiedenen Verdauungs- und Aufnahmestadien sind imDünndarm sehr schwer zu unterscheiden, sie beginnen imDuodenum (Zwölffingerdarm) und enden imIleum (Krummdarm).
Im Zwölffingerdarm wird die Magensäure durchHydrogencarbonat-Puffer neutralisiert und mitGalle undSekret aus derBauchspeicheldrüse versetzt. Die Verdauung, also der Aufschluss von Nahrungsbestandteilen, wird hier abgeschlossen.
Die ebenfalls vorverdauten Proteine, die nun ausschließlich als Peptide (Poly-, Di- und Tripeptide) vorliegen, werden durchPeptidasen (hauptsächlichTrypsin,Chymotrypsin undCarboxypeptidasen) zu Aminosäuren zerlegt. Sie werden durch einen Na+-Aminosäure-Symport in die Zelle aufgenommen. 90 % der Di- und Tripeptide werden über spezielle Transportmechanismen direkt in die Zelle geschleust und dort durch einecytoplasmatische Peptidase zu Aminosäuren zerlegt.
Die noch nicht verdautenFette (Lipide) liegen als Fetttröpfchen vor. Diese werden zuerst durchLecithin undGallensäure zu einer Fettemulsion verkleinert (primäreMizellen). Dann werden sie durch die EnzymePankreaslipase undGallensalz-aktivierte Lipase zu freienFettsäuren und 2-Monoglycerid zerlegt. Die Salze der Gallensäure bilden nun mit den Fettsäuren sogenannte sekundäre Mizellen, in denen das 2-Monoglycerid eingeschlossen ist. Diese diffundieren passiv in die Darmschleimhaut, da dieZellmembranen der Darmschleimhautlipophil sind. Die Salze der Gallensäure bleiben zurück, 90 % davon werden später im Ileum wieder aufgenommen.
Schließlich wird dem Speisebrei auch etwa 80 % des mit der Nahrung aufgenommenen und vom Körper durchSekretion abgegebenen Wassers entzogen. Das sind täglich etwa 9 Liter Wasser, 2 Liter aus der Nahrung und 7 Liter aus den Verdauungssekreten. Das geschieht im Zusammenhang mit der Aufnahme von Salzen aus dem Speisebrei. Diese diffundieren passiv, dem Konzentrationsgefälle folgend, in die Zellzwischenräume.Kaliumkanäle undNatrium-Kalium-Pumpen in der Zellmembran sorgen für eine gleichmäßige Konzentration vonNatrium- undKalium-Ionen in der Zelle. Das Wasser folgt dem durch die Salze erzeugtenosmotischen Druck und diffundiert von dort in den Blutstrom.
Im Dünndarm findet demzufolge die Resorption der Nährstoffbausteine statt. Nachdem die Nährstoffe (Kohlenhydrate, Fette und Proteine) in ihre Einzelbestandteile zerlegt worden sind, werden diese über die Dünndarmzotten ins Blut und in die Lymphe resorbiert (übergeleitet). Durch diesen Vorgang wird der größte Teil der energiereichen Stoffe für unseren Organismus bereitgestellt.
ImDickdarm (Intestinum crassum) werden weitere 19 % des noch im Speisebrei vorhandenen Wassers resorbiert (entzogen). Stoffe, die weder durch Verdauungsenzyme des Dünndarmes noch durch die im Dickdarm befindlichenMikroorganismenfermentiert werden können, werden durch das Rektum unverändert ausgeschieden.
ImMastdarm findet keine Verdauung mehr statt, es wird jedoch dem Stuhl (Kot, med. Fäzes) Flüssigkeit entzogen, bevor er über denAnus ausgeschieden wird.
Der Druck in einem menschlichenEnddarm beträgt zwischen 67hPa (in Ruhe) und über 133 hPa (extremes Pressen).
Deutlich höhere Drücke wurden beiPinguinen ermittelt; für einen beschleunigten Stuhlgang unter den polaren Tiefsttemperaturen sorgen Drücke von bis zu einer halbenAtmosphäre (600 hPa).[3][4]
Der gesamte Verdauungsvorgang dauert je nach Art der aufgenommenen Nahrung unterschiedlich lang, die Zeiten variieren aufgrund der Zusammensetzung der Nahrung (z. B. Anteil der Kohlenhydrate und der Fette).[5]
Während des Schlafs wird die Verdauung besonders durch das HormonsystemSomatotropin unterstützt, was zu einer schnelleren Aufnahme an Nährstoffen führt.
In der mittelalterlichen Physiologie, auf Grundlage der antikenHumoralpathologie, stellte man sich den Magen als eine Art Kochtopf über der heißen Leber vor. Durch die aus der Leber entstehende Hitze, ergänzt durch die Wärme des Herzens, sollten demgemäß die festen Nahrungsbestandteile durch diedigestio (Verdauung) in einen bierähnlichen[8] Saft überführt werden.[9] Eine Unterteilung dieser Verdauungsleistung im Sinne eines Drei-Stufen-Schemas (mit den drei Digestionendigestio prima,digestio secunda unddigestio tertia) findet sich beiIsaak ben Salomon Israeli[10] und in derDigestionslehre desGalenos: Bei der ersten Digestion (digestio prima) entsteht im Magendarmkanal derChymus (griechischchymos)[11] oderChylus (chylos)[12] genannte Speisebrei, der über das Pfortadersystem zur Leber gelangt und, nachdem die Milz Verunreinigung absorbiert hat, zur Schwarzen Galle wird. Bei der zweiten Digestion (digestio secunda) wird, unter Einfluss des Pneumas der Chylus umgewandelt in ein Gemisch der Kardinalsäfte „Schwarze Galle“ (melancholica), „Gelbe Galle“ (cholera), „Schleim“ (phlegma) und „Blut“ (sanguis). Dieses Gemisch (dasBlut) gelangt dann in den Körper. Der dabei in das rechte Herz gelangte Teil wird dort unter Einfluss der (eingepflanzten) Wärme (calor innatus) gereinigt. Die Rückstände („Ruß“) werden durch die Lungenschlagader an die Lungen abgegeben und von dort ausgeatmet. Die dritte Digestion (digestio tertia) in den Organen und Geweben lässt aus Blut die geformten Gebilde des Körpers entstehen. Abfallprodukte der Digestionen sind Kot, Harn und Schweiß.[13]
In Anlehnung an die Verdauungslehre (Digestionenlehre) der mittelalterlichen Medizin wurde der Begriff der Verdauung (lateinischdigestio) auch in der Alchemie angewandt. Unter Digestion verstand man bei der Zubereitung pharmazeutischer und alchemischer Präparate eine langsame, beim Stehenlassen in mäßiger Wärme erfolgende Umwandlung und gegenseitige Durchdringung der entsprechenden Zutaten.[14][15]
VieleRedensarten bringen die „Verarbeitung“ von Gefühlen, Stress und Problemen mit dem Verdauungsapparat in Verbindung, zum Beispiel: „daran habe ich noch lange herumgekaut“, „das muss ich erst hinunterschlucken“, „der frisst alles in sich hinein“, „das liegt mir (schwer) im Magen“, „da dreht sich mir der Magen um“, ein Problem „schlägt auf den Magen“, „das stößt mir sauer auf“, „das habe ich gründlich satt“. Oder auch: „mir kommt die Galle hoch“, „ihm ist etwas über die Leber gelaufen“.
Dass seelische Belastungen sich störend auf die Verdauung auswirken können, ist in der Medizin weitgehend anerkannt (siehePsychosomatik). Zusammen mit demReizdarmsyndrom stellt derReizmagen eine der häufigsten Verdauungsstörungen in den industrialisierten Ländern dar. Rund 25 Prozent der Bevölkerung haben damit mindestens einmal im Leben zu tun. Meist wird dieseDiagnose dann gestellt, wenn keine organische Störung gefunden werden konnte.[16] Vielen Menschen schlägt Stress auf den Magen, Übelkeit,Sodbrennen,Durchfall oderVerstopfung sind die Folge.[17]
Mary Roach:Schluck. Auf Entdeckungsreise durch unseren Verdauungstrakt. DVA, München 2014 (Originaltitel:Gulp, übersetzt von Katrin Behringer),ISBN 978-3-421-04640-6.
↑Johannes Peine (Hrsg.):Die Harnschrift des Isaac Judaeus. Medizinische Dissertation Leipzig 1919, S. 11–13 („In stomacho digeritur cibus [...] et excoquitur et in succum, quasi in ptisanum convertitur“).
↑Gundolf Keil:„blutken – bloedekijn“. Anmerkungen zur Ätiologie der Hyposphagma-Genese im ‚Pommersfelder schlesischen Augenbüchlein‘ (1. Drittel des 15. Jahrhunderts). Mit einer Übersicht über die augenheilkundlichen Texte des deutschen Mittelalters. In:Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen. Band 8/9, 2012/2013, S. 7–175, hier: S. 56, 68 f. und 75–82.
↑Konrad Goehl:Guido d’Arezzo der Jüngere und sein ‚Liber mitis‘. 2 Bände. Horst Wellm, Pattensen/Han. 1984, jetzt bei Königshausen & Neumann, Würzburg (=Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 32),ISBN 3-921456-61-4, hier: Band 1, S. 109 f. (Abbildung 5).
↑Paul Diepgen,Heinz Goerke:Aschoff: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 12.
↑Paul Diepgen:Das Elixir. Die köstlichste der Arzneien. C. H. Boehringer Sohn, Ingelheim am Rhein 1951, S. 16 und 43.
↑Vgl. auchWillem Frans Daems:Digestio: Sinn oder Unsinn. In: Hans-Rudolf Fehlmann,François Ledermann (Hrsg.):Festschrift Alfons Lutz und Jakob Büchi. Zürich 1983 (=Veröffentlichungen der Schweiz. Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Band 2), S. 151–179.