Veit Harlan (*22. September1899 inCharlottenburg; †13. April1964 aufCapri) war eindeutscherSchauspieler undRegisseur. Als Regisseur zurZeit des Nationalsozialismus, besonders wegen derPropagandafilmeJud Süß undKolberg, ist Harlan bis heute umstritten.
Veit Harlan wurde als Sohn desDramatikers undDramaturgenWalter Harlan und dessen Frau Adele, geb. Boothby, in Charlottenburg in deren Wohnung amSavignyplatz 12[1] als viertes Kind nach seinem Bruder Walter, seiner Schwester Esther (1895–1975) und seinem BruderPeter (1898–1966) geboren. Nach ihm folgten noch sein Bruder Fritz Moritz (1901–1970) und seine Schwestern Bertha Elise (1906–?) und Nele (1908–2004). Nach einerSilberschmiedlehre und Schauspielunterricht am Seminar vonMax Reinhardt stand Harlan zum ersten Mal 1915 auf einer Theaterbühne.
1916 meldete er sich alsKriegsfreiwilliger und wurde an derWestfront eingesetzt.
Nach demErsten Weltkrieg wurde er 1919 Schauspiel-Volontär an derBerliner Volksbühne am damaligen Bülowplatz, zu deren festem Ensemble er von 1920 bis 1922 gehörte. Ab Mitte der 1920er Jahre übernahm Harlan auch Rollen im Film.
Im Jahr 1922 verließ Harlan Berlin, um amLandestheater in Meiningen und während der Theaterferien als Mitglied der norddeutschenHoltorf-Gruppe, einer Wanderbühne, Erfahrungen in der Provinz zu sammeln. Im selben Jahr heiratete er die jüdische SängerinDora Gerson. Die Ehe wurde nach zwei Jahren geschieden. Als Gerson sich 1941 aus ihrem Exil in den von Deutschland besetztenNiederlanden angesichts desantisemitischen Terrors um Hilfe an Harlan wandte, ließ er den Bittbrief unbeantwortet. Im Jahr 1943 wurde Gerson in dasKZ Auschwitz-Birkenau verschleppt und dort ermordet. 1929 heiratete er in zweiter Ehe die SchauspielerinHilde Körber, mit der er bis zur Scheidung neun Jahre später drei Kinder hatte:Thomas Christoph (1929–2010),Maria Christiane (1930–2018) undSusanne Christa (1932–1989). 1933 bekannte sich Harlan in einem Interview mit demVölkischen Beobachter nach derMachtergreifung derNationalsozialisten zu deren Politik.
Am 22. Januar 1935 gab er amTheater am Schiffbauerdamm sein Debüt als Bühnenregisseur mit der musikalischen KomödieHochzeit an der Panke (So war Berlin), eine Posse, die derErwin-Piscator-Schüler und KabarettistWolfgang Böttcher bearbeitet hatte. Am selben Haus inszenierte Harlan die KomödieKrach im Hinterhaus vonMaximilian Böttcher, und zwar so erfolgreich, dass ihn dieABC-Filmproduktion um eine Kinoversion bat, die angeblich nur elf Drehtage in Anspruch nahm.
Von da an wandte sich Harlan der Filmregie zu und drehte neben Komödien auch zunehmend Propaganda-Filme im Sinne des Nationalsozialismus, meist mit dem KameramannBruno Mondi, der erstmals 1935 beiKrach im Hinterhaus mit ihm zusammenarbeitete und später auchJud Süß und den aufwendigen „Durchhalte“-FarbfilmKolberg aufnahm. 1937 wurde ReichspropagandaministerJoseph Goebbels durch den von Harlan unter der künstlerischen Oberleitung vonEmil Jannings im heroischen Stil derNS-Propaganda gedrehten und mit demNationalen Filmpreis ausgezeichneten FilmDer Herrscher auf den Regisseur aufmerksam und betraute ihn mit „staatspolitisch wertvollen“ Filmprojekten.
Von Goebbels bekam Harlan 1939 den Auftrag für denantisemitischen HetzfilmJud Süß. Harlan war neben der Regie auch am Drehbuch beteiligt, seine spätere FrauKristina Söderbaum,Heinrich George,Ferdinand Marian undWerner Krauß, der in fünf Nebenrollen jeweils als Jude zu sehen war, spielten die Hauptrollen. Der Film wurde in Deutschland und Osteuropa während desZweiten Weltkrieges gezielt eingesetzt, um den Antisemitismus zu schüren und damit weltanschaulich den Boden zu bereiten für dieDeportationen der europäischen Juden. Da die propagandistische Wirkung des Films unbestritten war, wurde Harlan 1949 wegen "Beihilfe zur Verfolgung" angeklagt, jedoch in zwei umstrittenen Prozessen freigesprochen (s. u.).
Auch der mit einem riesigen Aufwand an Statisten gedrehte HistorienfilmDer große König (1940/42) überFriedrich den Großen gehört zu den Arbeiten von Harlan mit eindeutig nationalsozialistischer Tendenz. Er zeigt den Monarchen in seiner größten militärischen Krise, die er mit Verbissenheit und gegen den Widerstand seiner mutlosen Ratgeber und einer teilweise kriegsmüden Bevölkerung überwindet – eine direkte Anspielung auf die schwierige Lage Nazi-Deutschlands nach dem Scheitern des „Blitzkrieges“ gegen die Sowjetunion.
Im Jahr 1939 heiratete er Kristina Söderbaum. Aus dieser Ehe gingen zwei Söhne hervor, Kristian (* 1939, genannt Tian) und Caspar (* 1946). Söderbaum übernahm in vielen Filmen Harlans die Hauptrolle und erhielt vom Publikum den Beinamen „Reichswasserleiche“, da sie oft die Rolle der tragischenSelbstmörderin spielte – unter anderem auch als Opfer von „Jud Süß“. 1943 erhielt Harlan zum 25-jährigen Jubiläum derUniversum Film AG (Ufa) denProfessorentitel. Sein Status zeigt sich auch daran, dass er von 1942 bis zum Ende desnationalsozialistischen Deutschen Reiches alle seine Filme (insgesamt vier) inAgfacolor drehen konnte. Die aus Kostengründen parallel gedrehten MelodramenImmensee (1943) undOpfergang (1944) gelten als künstlerisch hochwertige, wenngleich moralisch und politisch fragwürdige Filme und wurden 2016 in restaurierten Fassungen auf DVD wiederveröffentlicht. Noch Ende Januar 1945 konnte Harlan unter größten Mühen und nach zahlreichen Änderungswünschen von Goebbels den mit Heinrich George und Kristina Söderbaum in den Hauptrollen gedrehten Ufa-FarbfilmKolberg fertigstellen, der mit Produktionskosten von ca. 8 MillionenReichsmark der teuerste Film im „Dritten Reich“ wurde. Er zeigt dieBelagerung von Kolberg, eine Episode aus demVierten Koalitionskrieg von 1807, als der damalige preußische MajorAugust Neidhardt von Gneisenau die Küstenstadt inHinterpommern erfolgreich gegen eine französische Übermacht verteidigte.
Nach Kriegsende wurde Harlan in einem auf eigenen Antrag vorgezogenenEntnazifizierungsverfahren als „Entlasteter“ eingestuft. Am 3. März 1949 wurde auf Antrag derVVN einSchwurgerichtsverfahren vor demLandgericht Hamburg unter dem Vorsitz vonWalter Tyrolf eröffnet.[2] Tyrolf war 1944 als Staatsanwalt beimSondergericht Hamburg tätig gewesen. Die Anklage vertratGerhard Kramer, Harlans Verteidiger warErich Wandschneider. Im Prozess wurde Harlan nach demKontrollratsgesetz Nr. 10 der „Beihilfe zur Verfolgung“ angeklagt. Harlan wurde am 23. April 1949 freigesprochen,[2] weil ihm eine persönlich zurechenbare Schuld nicht nachzuweisen und eine strafrechtlich relevante Kausalität zwischen Film undVölkermord nicht beweisbar sei. Harlan-Anhänger trugen den Freigesprochenen auf ihren Schultern aus dem Gerichtssaal. DieStaatsanwaltschaft ging inRevision, woraufhin derOberste Gerichtshof für die Britische Zone in Köln das Urteil aufhob, weil der FilmJud Süß „ein nicht unwesentliches Werkzeug“ gewesen sei.[3] Im Revisionsprozess des Landgerichts Hamburg berief sich Harlan darauf, dass die Nationalsozialisten seine Kunst missbraucht, ihn zur Regie vonJud Süß gezwungen hätten und dass eine Weigerung ihn in eine bedrohliche Lage gebracht hätte. Das Gericht – erneut unter Vorsitz von Walter Tyrolf – folgte dieser Argumentation und sprach Harlan am 29. April 1950 frei.
Der während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland tätige Drehbuchautor und RegisseurGéza von Cziffra behauptete in seiner 1975 erschienenenAutobiografieKauf dir einen bunten Luftballon, dass ursprünglich der Produktionschef der Terra-FilmPeter Paul Brauer für die Regie vonJud Süß vorgesehen gewesen sei. Doch habe Harlan unter anderem durch Interventionen im Propagandaministerium erfolgreich dafür gekämpft, den Film inszenieren zu können. Joseph Goebbels erwähnt Harlan mehrmals in seinen Tagebuchaufzeichnungen:
Im Jahr 1951 forderte der Hamburger SenatsdirektorErich Lüth das deutsche Publikum auf, Harlans ersten NachkriegsfilmUnsterbliche Geliebte zu boykottieren.Carlo Schmid erklärte vor demDeutschen Bundestag, Harlan habe dazu beigetragen, „diemassenpsychologischen Voraussetzungen für die Vergasungen vonAuschwitz zu schaffen“, und es sei eine Schande, die „Machwerke Harlans“ zu zeigen.[10] In zwei Gerichtsverfahren wurde Lüths Boykottaufruf als „sittenwidrig“ i. S. v.§ 826BGB eingestuft. Die Zivilgerichte erließen deshalb Unterlassungsverfügungen gegen Lüth. Während dieser Prozesse erklärte Harlan, dass „jede Art von Antisemitismus vom kulturellen, religiösen und moralischen Standpunkt abzulehnen“ sei.[11] Gegen diese Gerichtsentscheide legte LüthVerfassungsbeschwerde beimBundesverfassungsgericht ein, das die Entscheidungen der Vorinstanzen in einer vielbeachteten und -zitierten Grundsatzentscheidung aufhob, dem später so genanntenLüth-Urteil. Auch die Zivilgerichte hätten bei der Auslegungunbestimmter Rechtsbegriffe wie etwa „Sittenwidrigkeit“ die Grundrechte als prägende Wertordnung zu beachten. Im konkreten Fall hätten die Zivilrichter die Bedeutung desArt. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit) zulasten des Beschwerdeführers völlig verkannt.
1957 drehte Harlan den FilmAnders als du und ich (§ 175), der unter der wissenschaftlichen Beratung des SexualwissenschaftlersHans Giese angeblich ursprünglich ein Plädoyer für die Abschaffung des damals immer noch gültigen§ 175 sein sollte, jedoch in der endgültigen Fassung (teilweise durch dieFreiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft erzwungen) Homosexualität als unmoralisch und Ergebnis von Verführung darstellte. Harlan selbst teilte die Homosexuellen in „unsittliche“ und „tragische“ Fälle ein und wollte Letzteren nach eigener Aussage sein „Mitgefühl“ zeigen. Kritisiert wurde aber vor allem, dass der Regisseur in dem Film avantgardistische Kunst und Männerliebe gleichsetzte und verteufelte. Ebenfalls ein umstrittenes Sittengemälde im Zeitgeist der fünfziger Jahre istLiebe kann wie Gift sein (1958), wo im Gefolge derRosemarie-Nitribitt-Affäre die Themen Prostitution und Drogenabhängigkeit behandelt werden. Die Hauptrollen spieltenSabina Sesselmann undJoachim Fuchsberger. Die Theodor-Storm-VerfilmungIch werde dich auf Händen tragen (1958) wurde Harlans letzter Film. Durch mehrere Herzinfarkte geschwächt[12], starb er am 13. April 1964 im Alter von 64 Jahren während eines Urlaubs aufCapri an einerLungenentzündung. Dort wurde er auch beigesetzt.[13]
Harlans Nichte istChristiane Kubrick, Witwe des RegisseursStanley Kubrick, und sein NeffeJan Harlan, Produzent mehrerer Kubrick-Filme. Harlan war der Großvater der Autorin und FilmemacherinJessica Jacoby.
Personendaten | |
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NAME | Harlan, Veit |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Schauspieler und Regisseur |
GEBURTSDATUM | 22. September 1899 |
GEBURTSORT | Charlottenburg |
STERBEDATUM | 13. April 1964 |
STERBEORT | Capri |