DieStreichinstrumente sindSaiteninstrumente, bei denen dieSaiten mit einemBogen (dann auchBogeninstrumente genannt[1]), seltener mit einem Stab oder Rad, durch Darüberstreichen in Schwingungen versetzt werden. Das dabei entstehende Ruckgleiten verursacht denStick-Slip-Effekt. Die Saitenschwingungen werden üblicherweise zur Hörbarmachung auf einen üblicherweise ausHolz gebautenResonanzkörper übertragen.
Musiker, die Streichinstrumente spielen, werden alsStreicher bezeichnet. Bei der Aufzählung einer Orchesterbesetzung werden die Streichinstrumente in der Regel unter der BezeichnungStreicher (oder italienischArchi) zusammengefasst; standardmäßig zählen dazu, meist mehrfach besetzt: 1. und 2.Violine,Bratsche,Violoncello undKontrabass.
Das Anstreichen der Saite gleicht prinzipiell dem Vorgang beim Anzupfen. Beim Streichen wird er aber durch den ständig vorbeigleitenden Bogen oder das Streichrad stetig wiederholt, wodurch ein andauernder Ton entsteht.
Beim Ruckgleiten, welches denStick-Slip-Effekt verursacht, haftet (englisch „stick“) die Saite am rauen und klebrigen Streichbogen. Die Saite wird mit der Streichbewegung mitgezogen und dadurch gespannt. Sobald die zunehmende Spannung der Saite stärker ist als die Haftung, löst sie sich und schnellt zurück („slip“). Da die Saite aber nicht frei ausschwingen kann, sondern gebremst wird, baut sich der lokale Knick nicht einmalig ab, sondern wird ständig neu erzeugt, wodurch sich permanent neue Obertöne entwickeln.[2] Dieser dem Geigenton überlagerte Klang wird teils als kratzend und spitz wahrgenommen. Die Saite selbst schwingt auch hier wieder im Wesentlichen mit ihrer Eigenfrequenz und hat im Vergleich zur Gitarre einen gleichförmig hohen Oberwellenanteil.
Um eine entsprechendeReibung zu erhalten, wird beim Streichbogen das besonders raue Pferdehaar verwendet und auf Streichbogen und StreichradKolophonium, ein klebriges Baumharzprodukt, aufgetragen.
Die Saite wird durch den Finger einmalig gespannt, wodurch sich ein Dreieck bildet. Sobald die Saite losgelassen wird und frei ausschwingen kann, breitet sich der Knick auf der gesamten Saite einmalig aus (Transiente) und verebbt rasch innerhalb von Sekundenbruchteilen. Die Saite selbst entspannt sich dabei und schwingt letztlich homogen nur noch mit ihrer durch die gegriffene Länge vorgegebenen Resonanzfrequenz. Der Gesamtton besteht damit aus dem Geigengrundton und einem ihm überlagerten hell klingenden Oberwellenanteil, der nicht in Korrelation zur Tonhöhe steht. Anders als beim Klavier oder der Gitarre ist der Grundton bei der Geige sehr gedämpft und schwingt rasch aus. Der gezupfte Ton ist damit vergleichsweise kurz.
Die einfachste und älteste Form eines Saiteninstruments ist derMusikbogen, der sich häufig nicht von einemJagdbogen unterscheidet. Eine besondere Art des Musikbogens ist derMundbogen. Bei ihm werden der Bogenstab oder die Saite an den Mund gelegt, um den Kopf als Resonanzkörper zu nutzen und dann die Sehne mit einem Gegenstand angeschlagen, gerieben, oder mit den Fingern gezupft. Ein Foto auf einer argentinischen Briefmarke zeigt die einfachste Form eines bogengestrichenen Saiteninstrumentes: Das Ende eines kurzen Mundbogens wird in den Mund genommen, die Sehnenspannung kann durch Drücken mit den Fingern der Hand verändert werden. Diese Sehne wird durch Darüberstreichen mit der Sehne eines zweiten kurzen Bogens in Schwingung versetzt.
Die chinesischeyazheng ist eine mit dem Streichbogen gespielteZither. Die früheste chinesische Quelle der mit einem Stab gestrichenen Röhrenzither Yazheng stammt aus dem 8. Jahrhundert. Die Verwendung von Reibestäben inZentralasien dürfte älter sein. Vermutlich wurde diese Spieltechnik zuerst inSogdien um das 6. Jahrhundert anLauten verwendet, von wo sie nachChina gelangte.[3] In den Ruinen der mittelalterlichen armenischen HauptstadtDvin wurde eine Glasvase aus dem 9. oder 10. Jahrhundert gefunden, auf der ein sitzender Musiker abgebildet ist, der ein Streichinstrument in einer der Violine ähnlichen Spielposition hält. Die Violine (armenischdjutak, dschutak) könnte drei Saiten besitzen, der Wirbelkasten ist eindeutig nach unten geknickt. Es handelt sich vermutlich um die älteste Abbildung eines mit dem Bogen gestrichenen Saiteninstruments. Ebenfalls aus Dvin stammt das Bild einerKamantsche genannten Spießgeige auf einer Keramik derselben Zeit, die vermutlich einen Epensänger (gusan) zeigt.[4]
Das Alter der indischen Streichinstrumente ist unklar. Tempelreliefs aus dem 10. Jahrhundert könnten Streichinstrumente oder mit einem Stab geschlagene Röhrenzithern darstellen. Als ältestes indisches Streichinstrument gilt dieravanahattha, unter welchem Namen ursprünglich ein Musikbogen, im Mittelalter eine Stabzither und heute in der nordindischen Volksmusik eine Spießgeige mit zwei Melodie- und mehreren Resonanzsaiten verstanden wird. Im 19. Jahrhundert war wegen dieses Instruments die Vorstellung verbreitet, der Streichbogen sei in Indien erfunden worden.[5] Die älteste arabische Beschreibung vom Spielen des Streichinstrumentesrabab mit dem Bogen stammt aus dem BuchKitab al-Musiqa vonal-Farabi (um 872 – um 950).
Streichinstrumente wieFidel undRebec sind in Europa mindestens seit dem 11. Jahrhundert bekannt. Zumindest beim Rebec ist dabei der arabische Ursprung des Instruments (Rabāb) sicher nachzuweisen. Aus der Fidel und dem Rebec entwickelte sich im 15. und 16. Jahrhundert dieViolen- undGambenfamilie.
Bei derDrehleier werden die Saiten von einem eingebauten Rad gestrichen; sie ist seit dem 10. Jahrhundert dokumentiert und war in derRenaissance und im 18. Jahrhundert beliebt. DieNyckelharpa (Schlüsselfidel) ist seit dem 15. Jahrhundert in Deutschland, Italien und Schweden nachweisbar.
In öffentlichen und privaten Sammlungen befinden sich Instrumente von bedeutenden Geigenbauern, vonAntonio Stradivari und anderen bekannten Meistern des 18. Jahrhunderts bis hin zuVuillaume im 19. Jahrhundert.
Seit den frühen 2000er Jahren[6] werden Streichinstrumente auch ausCarbon gefertigt, die laut Ricci Carbon Instruments klanglich mit den Eigenschaften herkömmlicher, aus Holz gefertigten Instrumenten mithalten können und gleichzeitig witterungsstabiler und robuster sind.[7]
Eine noch längere Geschichte haben Streichinstrumente in China, die unter dem BegriffHuqin zusammengefasst werden. Um 800 wurden dort Streichinstrumente mit einem schmalen Bambusstreifen gestrichen. (Etwa zur gleichen Zeit benutzte man in Korea einen Holzstab zum Streichen, der mit Harz überzogen war.)
Zur Aufführung der französischen Musik zwischen 1650 und 1750 wird inzwischen in der historischen Aufführungspraxis vermehrt auf die damals übliche Besetzung von Violinen, Haute-contre de violon (Bratsche), Taille de violon, Quinte de violon, Basse de violon zurückgegriffen. Die Taille und Quinte de violon unterscheiden sich lediglich in der Korpusgröße von der Haute-contre, die Stimmung ist gleich, aber das Klangvolumen ist der Größe entsprechend erhöht. Ähnliches gilt für die Basse de violon, ein Instrument, das etwa 10 cm größer ist als ein Cello.
Streichinstrumente, die im Bereich Folk und europäische traditionelle Musik gebraucht werden, sind neben den aus der Kunstmusik bekannten InstrumentenDrehleier,Gudok in Russland,Gadulka in Bulgarien,Suka in Polen und Varianten derHusle in einigen slawischsprachigen Ländern Osteuropas. Besonders in der skandinavischen traditionellen Musik kommen dazu Nyckelharpa undHardangerfiedel.
Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert kam bei Tanzstunden die schmaleTanzmeistergeige zum Einsatz. Sie hat einen hellen und sehr schwachen Klang.
Die chinesischen Streichinstrumente – ein- und zweisaitige Geigen, die u. a. das Rückgrat des Orchesters in derPeking-Oper darstellen – werden unter der Bezeichnung Huqin (chinesisch胡琴,Pinyinhúqín) zusammengefasst; es handelt sich umErhu (chinesisch二胡,Pinyinèrhú), Gaohu (chinesisch高胡,Pinyingāohú), Zhonghu (chinesisch中胡,Pinyinzhōnghú), Gehu (chinesisch革胡,Pinyingéhú) und Bass-Gehu, die jedoch regional unterschiedliche Bedeutung haben.
DieRabāb ist ein Streichinstrument in der arabischen Kultur. ImGamelan inIndonesien wird das StreichinstrumentRebab verwendet.Sarinda,Sarangi undBanam sind Streichinstrumente der nordindischen Volksmusik.Kokyū (jap.胡弓/鼓弓) undShamisen sind dreisaitige Langhalslauten inJapan.
Alle genannten Streichinstrumente gehören instrumentenkundlich zu den Halslauten. Die kleine Minderheit der nicht zu den Halslauten gezählten, mit einem Bogen gestrichenen Saiteninstrumente wird in Zithern undLeiern eingeteilt. Einfache Formen gestrichener Zithern sind die zweisaitige isländische KastenzitherFiðla und die dreisaitigeTautirut der kanadischenInuit. Die seit dem 11. Jahrhundert gestricheneCrwth inWales ist eine Griffbrettleier, also eine Kombination aus Halslaute und Leier. Mittelalterliche zwei- bis viersaitige Streichleiern ohne Griffbrett haben sich mit derTalharpa und derJouhikko in der Volksmusik Skandinaviens erhalten.
Mit Tasten ausgestattete mechanischeStreichklaviere und halbmechanische Nyckelharpas sind ebenfalls den Streichinstrumenten zuzuordnen.
Manche Instrumente zählt man zu den Reibidiophonen, obgleich sie mit dem Bogen gestrichen werden:
Nagelgeige: In einen hohlen Resonanzkörper eingeschlagene Nägel unterschiedlicher Länge bzw. Dicke werden seitlich mit einem Bogen gestrichen.
Leder: Die Seri-Indianer (Isla Tiburón, Golf von Kalifornien) stellten Anfang des 20. Jahrhunderts eine starre Lederplatte auf den Boden und strichen mit dem Bogen über die obere Kante der Haut.
DiePhonoliszt-Violina ist ein Musikautomat, bei dem sich um mehrere Violinen ein kreisförmiger Bogen dreht. Der Kreisbogen ist ein rotierender Ring, in dem viele Bogensehnen gespannt sind, sodass sich ein scheinbar kreisförmigerStreichbogen ergibt. Beim Spielen dieses Instruments greifen ansteuerbare Fingerhebel die Töne ab, während die Geigen unter variablen Winkeln und Drücken an den sich drehenden Kreisbogen gedrückt werden. Das Instrument wird mit Tastatur oder Lochkartensteuerung gespielt.
Weitere Spielarten der Geige sind die sogenannteStroh-Geige bzw. dieTiebel-Geige. Sie besitzen keinen Korpus, sondern einen Grammophon-Trichter zur Verstärkung der Stegschwingungen. Ursprünglich wurden diese Instrumente als laute Alternative zur Geige eingesetzt, um ein ausreichend starkes Signal für die Produktion vonSchallplatten zu erzeugen.
Richard Kinseher:Der Bogen in Kultur, Musik und Medizin, als Werkzeug und Waffe. (Kapitel mit einfachen Bogeninstrumenten: gezupft, angeschlagen, geblasen, gestrichen), BoD, 2005,ISBN 3-8311-4109-6
Jack Botermans, Herman Dewit, Hans Goddefroy:Musikinstrumente selberbauen. Hugendubel, 1989,ISBN 3-89631-312-6
Mathes Seidl:Die Streichinstrumente als Symbole. Eine anthropologisch-psychologische Studie zum Verhältnis Mensch-Musikinstrument. Dr. R. Krämer, Hamburg, 1998,ISBN 3-89622-020-9
↑Harvey Turnbull:A Sogdian friction chordophone. In: D.R. Widdess, R.F. Wolpert (Hrsg.):Music and Tradition. Essays on Asian and other musics presented toLaurence Picken. Cambridge University Press, Cambridge 1981, S. 197–206
↑Anahit Tsitsikian:The Earliest Armenian Representations of Bowed Instruments. In:RIdIM/RCMI Newsletter, Vol. 16, No. 2, Herbst 1991, S. 2–4.
↑Joep Bor:The Rise of Ethnomusicology: Sources on Indian Music c.1780 – c.1890. In:Yearbook for Traditional Music, Vol. 20, 1988, S. 54, 60