Streckenstilllegung ist ein Begriff aus dem Verkehrsbereich und bedeutet, dass eineSchienenstrecke außer Betrieb genommen wird und damit für den Verkehr nicht mehr zur Verfügung steht. Häufig entstehenBahntrassenradwege. Selten wird eineStraße stillgelegt.[1] Eine derartige Maßnahme wirdStraßeneinziehung genannt und ist imStraßen- und Wegerecht geregelt.[2]
Begriffe zur gegensätzlichen Maßnahme sind „Reaktivierung“[3] bzw. „Wiederinbetriebnahme“.
Streckenstilllegungen erfolgen in Deutschland nach demAllgemeinen Eisenbahngesetz (AEG), in der Schweiz nach demEisenbahngesetz (EBG) und in Österreich nach demEisenbahngesetz von 1957 (EisbG).
Für Straßenbahn- und U-Bahn-Strecken stellt in Deutschland dasPersonenbeförderungsgesetz die Rechtsgrundlage dar, in der Schweiz dasBundesgesetz über die Personenbeförderung. In Österreich werden Straßenbahnen wie Eisenbahnen behandelt, das Eisenbahngesetz regelt die Stilllegung und Auflassung in den § 28 und 29.[4]
In Deutschland ist bei Eisenbahnstrecken nach dem AEG zwischen der Stilllegung und der Freistellung von Bahnbetriebszwecken zu unterscheiden.
Zu Beginn einer Streckenstilllegung steht ein erheblicher Rückgang oder die Einstellung des Zugverkehrs durch dieEisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), die die Strecke bis dahin genutzt haben. In einigen Fällen wird das Fahrtenangebot auf ein absolutes Minimum reduziert (sogenannteAlibi-Züge; wenn nur ein Zug pro Tag und Richtung verbleibt auchAlibizugpaar[5]); die Strecke verliert dadurch weiter an Attraktivität und Nachfrage, was seinerseits als Argument für eine vollständige Einstellung genutzt werden kann. Nachfolgelösung ist meist die Einführung vonSchienenersatzverkehr perLinienbus. Durch die ausbleibenden Trassenentgelte kann die Vorhaltung der Strecke für dasEisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) unwirtschaftlich werden, so dass die Stilllegung eine mögliche Konsequenz ist. Anstehende größere Investitionen können zusätzlich dazu beitragen. Imgemeinwirtschaftlichen Personennahverkehr erfolgt die Abbestellung der Verkehrsleistungen durch den zuständigenAufgabenträger. ImGüterverkehr können der Wegfall großer Güterverkehrskunden, aber auch unternehmerische Entscheidungen des EVU (sieheMORA C) die Ursache sein.
Juristisch ist die Einstellung des Zugverkehrs noch keine Stilllegung im Sinne des § 11 AEG. Das EIU bleibt weiterhin verpflichtet, die Strecke in einem betriebssicheren Zustand zu erhalten und jedem Eisenbahnverkehrsunternehmen, das die Strecke mit seinen Fahrzeugen benutzen will, diskriminierungsfreien Zugang zu gewähren.[6][7]
Die Stilllegung einer Schienenstrecke nach § 11Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) bedeutet, dass dasEisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) von seinerBetriebspflicht entbunden wird.[8] Voraussetzung für die Stilllegung ist ein Antrag des EIU, in dem es nachweist, dass ihm der weitere Unterhalt der betreffenden Infrastruktur wirtschaftlich nicht mehr zugemutet werden kann und dass es die entsprechende Infrastruktur erfolglos anderen EIU zur Übernahme angeboten hat. Das Übernahmeangebot ist im Bundesanzeiger zu veröffentlichen.[9]
Die Streckenstilllegung erfolgt für Eisenbahnen des Bundes durch einenVerwaltungsakt desEisenbahn-Bundesamtes. Für andere Eisenbahninfrastruktur ist die nach Landesrecht zuständige Behörde zuständig. Eine Stilllegung entbindet das EIU von der Pflicht, die Infrastruktur weiterhin zu unterhalten. Da mit der Stilllegung die Betriebsgenehmigung erlischt, darf auf einer solch stillgelegten Strecke kein öffentlicher Eisenbahnverkehr mehr stattfinden. Ein auf manchen derartigen Strecken stattfindender touristischerDraisinenverkehr wird rechtlich nicht als Eisenbahnverkehr gewertet.
Auch nach einer Streckenstilllegung bleibt die Eisenbahninfrastruktur gemäß § 38Baugesetzbuch (BauGB) Betriebsanlage dem Fachplanungsrecht des AEG unterworfen. Damit steht die Trasse planungsrechtlich weiterhin ausschließlich für Bahnbetriebszwecke zur Verfügung und darf nicht für andere Zwecke überplant werden. Eine Wiederinbetriebnahme kann ohne erneutenPlanfeststellungsbeschluss erfolgen; auf einer stillgelegten Strecke sind vor einer beabsichtigten Wiederinbetriebnahme z. B. Erkundungsfahrten mitNebenfahrzeugen möglich.
Die Stilllegung kann durch eine neue Betriebsgenehmigung nach § 6 AEG rückgängig gemacht werden.[10] Eine andere Möglichkeit ist die Betriebsgenehmigung nach derVerordnung über den Bau und Betrieb von Anschlussbahnen (BOA) mit Genehmigung derLandeseisenbahnaufsicht.
Erst dieFreistellung von Bahnbetriebszwecken nach § 23 AEG (häufig auchEntwidmung genannt),[11] entzieht die Fläche dem Fachplanungsrecht der Eisenbahn und gibt sie in die Planungshoheit der Gemeinde zurück, die sie damit für eine anderweitige Bebauung überplanen kann.[12][13] Auch nach der Freistellung kann die Trasse im Flächennutzungsplan weiterhin für eine spätere Reaktivierung frei gehalten werden.
In Deutschland wurden seit den 1950er-Jahren mehr als 15 000 Kilometer Bahnstrecken stillgelegt. Die meisten Stilllegungen fanden „im Westen vorrangig während des ‚Wirtschaftswunder‘-Booms [statt], im Osten in der ökonomisch schwierigen Phase nach der Wiedervereinigung.“ In beiden Gebieten liegt die Länge des heutigen Streckennetzes bei etwa 70 % der Länge im Jahr 1955.[14]
In den Jahren 1994 bis 2004 wurden in Deutschland pro Jahr mehr als 400 km Schienenstrecken stillgelegt. Die meisten Strecken (599 km) lagen in diesem Zeitraum in Sachsen-Anhalt, gefolgt von Nordrhein-Westfalen (574 km) und Bayern (522 km).[15] Etliche Bahnstrecken werden auch demontiert (Rückbau), und hier entstand nachfolgend einBahnradweg, wodurch dieTrasse gesichert bleibt:
Manchmal werden stillgelegte Strecken reaktiviert. Zum Beispiel nahm die Bedeutung derBahnstrecke Abelitz–Aurich (13 km) nach dem Zweiten Weltkrieg stark ab. Ende 1993 wurde der Verkehr eingestellt; kaum jemand konnte sich vorstellen, dass die Strecke noch einmal Bedeutung erlangen könne. In den Jahren darauf wuchs dasAuricher UnternehmenEnercon – es stelltWindkraftanlagen her – sehr stark; ebenso die Länge und das Gewicht der gebautenRotorblätter (Näheres sieheListe der Windkraftanlagen von Enercon). Deren Transport auf der Straße wurde dadurch immer schwieriger. Die Bedeutung der Bahnstrecke wurde so groß, dass Enercon weitere Investitionen in Aurich ausdrücklich von einer Reaktivierung der Eisenbahnstrecke abhängig machte; 2008 geschah dies.
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