AlsRuhrgebietsdeutsch,Ruhrdeutsch oderRuhrpottisch (in der Region auchRuhrpöttisch oderKumpelsprache genannt) wird der mündliche Sprachgebrauch imRuhrgebiet (in der Region auch Kohlenpott, später auchRuhrpott bzw.Pott genannt) bezeichnet. Die meisten Sprachwissenschaftler stufen es alsRegiolekt ein. Es handelt sich um eine am Ende des 19. Jahrhunderts entstandeneVarietät des Hochdeutschen. Sie weist Einflüsse (Substrat) der alten niederfränkischen (bzw. niederländischen) Mundarten am Niederrhein und der niederdeutschen Mundarten in Westfalen auf. Diese Einflüsse betreffen den Satzbau, den Wortschatz und die Lautung. Hinzu kamen geringe Einflüsse derslawischsprachigenArbeitsmigranten ausOberschlesien,Masuren,Polen undSlowenien sowie aus demRotwelschen. Auch einzelne Übernahmen aus den angrenzendenripuarischen undsüdniederfränkischen Mundarten sind darin verankert.
Eine Abgrenzung zu den Sprachvarietäten des Umlandes des Ruhrgebiets ist schwierig. Im heutigen Ruhrgebiet wurden vor derIndustrialisierung in einer breiten Zone entlang des Rheins niederfränkische Mundarten gesprochen, östlich davon Westfälisch. Heute wird am Niederrhein außerhalb derAgglomeration des Ruhrgebiets, also in der ländlich geprägten Rheinzone des Ruhrgebiets, derRegiolektniederrheinisches Deutsch gesprochen, der sich in Aussprache, Intonation und weiteren Merkmalen nur unscharf vom Ruhrdeutschen abhebt. In Städten wieDuisburg, wo die städtische Umgangssprache niederrheinisch mitgeprägt ist, klingt das Ruhrdeutsche daher anders als inDortmund, wo westfälische Einflüsse hervortreten.
Zur Entstehung des Ruhrdeutschen wurde vielfach behauptet, es sei aus einem Mischungsprozess entstanden, parallel zur Zuwanderung im Laufe derIndustrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts. In Wirklichkeit, soHeinz H. Menge von derRuhr-Universität Bochum, handelt es sich um eine einheimische Entwicklung. Um 1900 wurden die lokalen Dialekte vom Hochdeutschen abgelöst, in einem Prozess, der jahrzehntelang dauerte und während dessen die Menschen in einerDiglossie-Situation lebten. Die Zuwanderer, die traditionell für den Entstehungsprozess verantwortlich gemacht werden, waren damals großteils noch gar nicht anwesend. Grammatische Varianten stellen in der Regel also niederdeutsches oder niederfränkisches Substrat dar, schreibt Menge.[1]
Die ursprünglichenwestfälischen undniederfränkischen Mundarten des Ruhrgebiets sind heute nahezu vollständig durch das Hochdeutsche abgelöst worden. Vereinzelt findet man noch Sprecher des Niederdeutschen und Niederfränkischen.Durch das westliche Ruhrgebiet verläuft die historische Grenze zwischen dem niederdeutschen Westfälisch und den Sprachen desRheinischen Fächers. Diese Sprachgrenze ist alsEinheitsplurallinie bekannt. Westlich dieser Linie wurdenniederfränkische Mundarten gesprochen, so etwa dasDuisburger Platt oderMölmsch.
Die Sprachgrenzen im Ruhrgebiet haben dazu geführt, dass sich die Sprache in einzelnen Städten wie Oberhausen und Essen teilweise unterschiedlich entwickelt hat. So wird beispielsweise inEssen-Katernberg (Essen-Nordost), einer Region mit starker Zuwanderung aus dem Osten, mehrheitlich Ruhrdeutsch gesprochen. In den ebenfalls zum Bergischen gehörigen GebietenEssen-Kettwig (Essen-Südwest), südlich derUerdinger Linie, und einer Region mit starker Zuwanderung von Webern aus dem Aachener Raum, spricht man mehrheitlich „Rheinisch“.
Das Ruhrdeutsche ist eine Varietät des Hochdeutschen. Das langeu, das im Hochdeutschen zuaudiphthongiert wurde (Haus), erscheint auch im Ruhrdeutschen, von einzelnen Ausnahmen abgesehen(de Buuern), durchgängig alsau.
Dennoch kann man im Ruhrdeutschen die niederdeutschen und niederfränkischenSubstrate (Überreste einer älteren „Sprachschicht“) leicht ausmachen. Beispiele gibt es
Typisch ruhrdeutsche Anverwandlungen des Niederdeutschen sind nicht immer deutlich von in Norddeutschland allgemein üblichen Spracherscheinungen zu trennen, auch wenn die konkrete Ausformung typisch für das Ruhrdeutsche sein kann:
Übergangsvarianten des Ruhrdeutschen reichen von westfälischerIntonation bis zu rheinischen Formen im Westen. NachLexik undPhonetik der Sprecher lassen sich nach volkstümlicher Auffassung sogar einzelne Stadtteile im Ruhrgebiet identifizieren. Diese These ist jedoch umstritten.
Markant ist zum Beispiel dieBestätigungspartikel des westlichen und mittleren Ruhrgebiets: das „Nä/Ne?“ oder „Näch?“, was auch typisch für das Rheinland ist, wohingegen im östlichen Ruhrgebiet ab dem Dortmunder Süden und im Grenzland zumSauerland „woll?“ vorherrscht.
Eine weitere Variante dieser Bestätigungspartikel, allerdings auf den Übergangsbereich zum Sauerland beschränkt, bildet das „wonniech?“ oder „wonnich?“ Dies ist in weiten Teilen des Ruhrgebiets unbekannt.
Gelegentlich sind Importe aus anderen Mundarten oderSoziolekten festzustellen. Auch hier ist es oft schwierig, die Grenzen etwa zu verwandten Regiolekten klar zu ziehen. Beispiele:
Eine besonders minderwertige Ware wird (wurde) auch im Jargon der Händler im ruhrgebietlichen Großmarktmilieu als Seibelschore bezeichnet.
Andere lexikalische Einflüsse kommen
Hinzu kommen punktuell Entlehnungen aus verschiedenen Sprachen, die jedoch nicht selten Pseudo-Entlehnungen sind und nur Anspielungen auf typische Klangstrukturen einer anderen Sprache darstellen, soweit sie nicht überhaupt mehr oder weniger verunglückte Versuche sind, einer fremdsprachigen Orthographie oder Lautung ein irgendwie regional artikulierbares Lautgebilde zuzuordnen. Hierbei kommt zum Tragen, dass viele Sammlungen eine mangelnde Bildung und Weltläufigkeit der Ruhrgebietsbewohner zum Markenzeichen der Ruhrgebietskultur emporzustilisieren trachten.
Beispiele:
Ein nicht geringer Teil des Alltags-Wortschatzes stammte aus Bergbau- und Industriearbeiterkultur. Durch den Rückgang der Montanindustrie ziehen sich damit verbundene Wörter und Redewendungen mehr und mehr aus dem Ruhrdeutschen zurück.Hängen im Schacht, Mutterklötzken, unter Tage, vor Kohle, dat Gedinge kaputt machen u. v. a. Der Ausdruckvor Ort hat sich indessen sogar im Hochdeutschen etabliert, allerdings in veränderter bzw. erweiterter Bedeutung (ursprünglich „am Ende des Grubengangs, an der Abbaustelle“).Auch die Sprüche wie „da iss abber Futtsack dran“ (damit stimmt etwas nicht), stammen aus der Bergmannsprache zur Zeit der Grubenpferde (Futtsack = Futtersack).
Besonders im westfälischen Ruhrdeutsch wird das „r“ u. a. imAuslaut praktisch durchgängig ersetzt durch einen Mischvokal aus stummem-e und dunklem-a: „Kiiache“, „Doatmund“, „Eade“, „Vatta“, „Kinda“, eine Ausspracheerscheinung, die im Deutschen üblich ist, hier ist die r-Vokalisierung jedoch stärker abgedunkelt. Der Gelsenkirchener StadtteilBuer [buːɐ̯] spricht sich demnachBuua aus, dasDehnungs-e längt dabei den Vokal u. In der Kombination „-urg“ bzw. „-urch“ wird das „-r“ gebietsweise durch „i“ vokalisiert(Düüsbuich, duich, fuichbaa).
Am Silbenende wird-ar, auch in den Schreibungen ‚-ahr‘ und ‚-arr‘, als gelängtesa gesprochen. So sind im Ruhrdeutschenwarten undwaten in der Aussprache praktisch nicht zu unterscheiden, ebenso wenig wieBart undBad oderStart,starrt undStaat.
Der Vokal vor silbenauslautendem-r wird oft halb gelängt:Steean (Stern), auchStääan;Spooat (Sport),„Gelsenkiiachen“. Auch hier gibt die Doppelschreibung der Vokale die nur halbe Vokalverlängerung unzureichend wieder.
Auffällig ist die Aussprache der Diphthongeau, ei, eu, äu vornehmlich im westfälischen Teil des Ruhrdeutschen, bei denen der erste Vokal leicht gelängt wird:wolln ma so saagen: waaisi aau nich war eine legendäre Allround-Antwort vonJürgen von Manger. Auch hier übertreibt die Vokalverdoppelung in der Schreibung das Verhältnis der Längen in der tatsächlichen Aussprache (bei Manger kommt das annähernd hin).
Lange Vokale des Standardhochdeutschen werden im westlichen und südlichen Ruhrgebiet oft verkürzt: „Farratt“ („Fahrrad“), „Bannoff“ („Bahnhof“), „Vatta“ („Vater“), „Omma“ („Oma“). Zum westfälischen Sprachraum hin wird immer stärker gedehnt, mit Übergang zum ehemals niedersächsischen Sprachraum des Münsterlandes schließlich deutlich überdehnt.
Umgekehrt gibt es im lexikalischen Bereich und bei den Wortzusammenziehungen eine größere Zahl von Lautumgebungen, bei denen an der Silbengrenze auf einen Kurzvokal ein stimmhafter Konsonant, geschrieben als Doppelkonsonant, folgt. Eine solche Aussprache widerspricht den Regeln der Laut-Buchstaben-Beziehungen des Standarddeutschen, nach denen auf Kurzvokale zwischensilbisch in aller Regel stimmlose Konsonanten folgen. Einige Beispiele für diese Eigenart im Ruhrdeutschen (und teilweise in anderen norddeutsch geprägten Regiolekten und Mundarten):habbich (habe ich),abknibbeln (mit den Fingernägeln entfernen, z. B. ein Etikett),Dubbels (zusammengeklappte Butterbrote),aufribbeln (verstrickte Wolle zwecks Wiederverwendung wieder aufräufeln),feddich (fertig),wadde ma (warte mal),Mudder (Mutter),Maggarine (Margarine),krijjich (krieg’ ich),marrich (mach ich),et fisselt (in feinen Tröpfchen regnen),Dussel (gedankenloser Mensch),Äwwinn (Erwin).Das Merkmal gilt nicht generell: Ein norddeutschesbiddee (bitte) kann im Ruhrgebiet schon mal alsbidde ausgesprochen werden, normalerweise aber sagt manbitte.
Das LautphänomenKurzvokal + stimmhafter Konsonant lässt sich beim s-Laut mit der üblichen nicht-lautschriftlichen Rechtschreibung, die sich an die deutsche Standard-Orthographie anlehnt, nicht adäquat wiedergeben:-ss- ist nach neuer Rechtschreibung immer stimmlos, in Wörtern und Kombinationen wieMassel, Brassel, fisseln, isser(ist er), Schussel, Dussel, musser(muss er), krüsselich(kraushaarig) u. v. a. wird es im Ruhrdeutschen aber stimmhaft gesprochen. Damit verbundene Schwierigkeiten lassen sich anhand der Präsenskonjugation vonsein verdeutlichen, wenn zu Zwecken der Demonstration einmal konsequent-ß für stimmloses und-s- für stimmhaftes-s- benutzt wird:da binnich – da bißße – da isser – da ißßse – da sinnt wer (sinn wer) – da seiter (seider) – da sinnt se (sinn se). Ohne Lautschrift ist das nicht lösbar. Ähnliche Probleme gibt es bei allen Dialekten und Regiolekten.
In einer Reihe von Wörtern tritt-pf- als-pp- auf:Zieh den Kopp ein. – Ich hab rechts en Gips un kann nur noch auf eim Bein hüppen. – Kannze dat noch innen Koffer reinstoppen?
Im westfälisch geprägten, östlichen Randgebiet des Ruhrgebiets wird „ch“ nach vorderem Vokal + vokalisiertes „r“ (Kiache [westf. jedoch: Kiärke]) häufig wie im Westfälischen alsvelarer Reibelaut wie inach ausgesprochen, während es im Standarddeutschen alsstimmloser palataler Frikativ erscheint.
Häufig wird im westfälischen Teil des Ruhrgebiets der Buchstabe „l“ im Auslaut wie im englischen „well“velar‚ das heißt als hartes „l“ ausgesprochen. Auch diese Ausspracheerscheinung ist im gesamten westfälischen Sprachraum verbreitet.
Besonders die letztgenannten Ausspracheerscheinungen sind den Menschen im mittleren und westlichen Ruhrgebiet vollkommen fremd und ein deutliches Zeichen für die immer noch feststellbare, als fließender Übergang zu verstehende Sprachscheide zwischen dem Westfälischen und dem Rheinischen. So liegt der Übergang vom niederfränkisch beeinflussten r nach vorderem Vokal zum westfälischenstimmlosen palatalen Frikativ deutlich östlich der als ehemalige Sprachgrenze vorgeschlagenenEinheitsplurallinie bei Essen-Werden („Deilbachlinie“).
Die oft als typisch ruhrdeutsch angesehene Aussprache des auslautenden „g“ als [ç] (Ich-Laut) in Wörtern wieKönig,wenig ist allerdings standardsprachlich richtig. Abweichungen von der Standardsprache ergeben sich etwa bei Wörtern, wo das Endungs-g einemr folgt und es im westlichen Teil wie ein [ç] ausgesprochen wird, wie beispielsweise inDuisburg, Hamburg, Nürnberg. Auch hier benutzten ältere Sprecher im östlichen Ruhrgebiet statt des palatalen [ç] häufiger den velarenach-Laut. Im Übrigen wird endsilbiges „-g“ auch dort generell als [ç] ausgesprochen, wo dies standardsprachlich nicht möglich ist:wechtun (weglegen, wegstellen),Fußweech (Fußweg);mööchlich,Anzuch,waach et nich! usw. Die schriftliche Wiedergabe durch „-ch“ widerspricht der Orthographieregel der Wortbildkonstanz(wagen – wag es nicht!).
Ebenfalls deutlich abweichend von der standarddeutschen Aussprache: Tag = Tach (mit kurzem a), sag = sach (ebenso), mag = mach(ich mach keine Erbsensuppe), Krieg = Kriiech (mit im Vergleich zu Hochsprache tendenziell etwas langgezogenem „i“).
Bei einer Reihe von häufig gebrauchten Wörtern entfallen die Endkonsonanten:au (auch),maa (mal, beides kombiniert inauma),do (doch),nich oderni (nicht) und andere. Dazu gibt es eine Reihe von lustig gemeinten Sprachspielen(Satz mit wammamaa und hattata? Wammama auf Schalke, hattata gereechnet!), aber auch alltägliche Muster wieannä donnich (ach nee, doch nicht),kumma (kuck mal) oderwaddema eemt (warte mal eben).
In einigen Ortsbezeichnungen und Eigennamen tritt das sogenannteDehnungs-e auf, das nicht typologisch für das Ruhrgebiet ist, sondern auf die Schreibtraditionen desMittelniederdeutschen undMittelniederländischen zurückgeht, und im gesamten Bereich des Rheinlands und Westfalens (z. B. im Münsterland: Coesfeld, Raesfeld) auftritt. Es führt nicht zur Umlautung des Vokals davor, sondern zu seiner längeren Aussprache.Oer-Erkenschwick spricht sich wie „Ohr-E.“ und nicht „Öör-E.“ Analog dazu: Gelsenkirchen-Buer, Soest, Duisburg-Baerl (niederrheinisch) u. a.
Kontraktionen von Präposition + bestimmtem Artikel sind häufiger als in der Standardsprache. Ermöglicht wird dies durch die Tatsache, dass deutsche Artikel ihre Genus-, Kasus- und Numerusmarkierungen am Ende tragen. Prototypisch wären im Akkusativ die Verbindungenfüren/fürn Pappa, füre Mamma, fürt Kläusken, füre Kinder. Bei Präpositionen, die den Dativ regieren, sowie bei den statisch verwendeten Wechselpräpositionen wird der Akkusativ bevorzugt; Formen wiebeier Apotheke (bei der A.) oderbeien Kindern (bei den K.) klingen hier schon recht hochdeutsch. „Echtes“ Ruhrdeutsch wärebein Oppa (aus „bei den“),beie Omma (aus „bei die“),bein/beit Putzen (aus „bei den“ oder „bei dat“) undbeie Schimanskis (aus „bei die“).
Verben + nachgestellte Personalpronomina verschmelzen regelmäßig. An der Verbindungsstelle kommt es zu zusätzlichen lautlichen Anpassungen. Hier die Serie mitkommen im Präsens:kommich, kommße, kommter, kommtse, kommdet/kommtet, kommwer, kommder/kommter, kommse/kommense.
Unmittelbar folgende Pronomen oder Artikel werden nach Möglichkeit in den Verbverband integriert:dann habbijjen eine geklatscht (dann habe ich ihm …);wann hassen denn angerufen (wann hast du ihn …);kennzen gutet Buch fürn Urlaub? (kennst du ein …) undFinnzat nommaal? (Findest du das …).
Der Genitiv, der im gesamten deutschen Sprachraum im Schwinden begriffen ist, wird insbesondere im Ruhrdeutschen wo immer möglich durch einen Dativ bzw. Akkusativ ersetzt:wegen dem Regen / wegen den Regen … stattwegen des Regens … (auch: „Weil dattet am Reechnen is“). Währendwegen + Dativ auch im übrigen deutschen Sprachraum verbreitet ist, geht das Ruhrdeutsche noch einen Schritt weiter, indem es den sächsischen Genitiv durch die KonstruktionNomen imAkkusativ + (Possessivpronomen + Nomen) im syntaktisch verlangten Fall ausdrückt: „mein Vatta seine Kabache“ („das [alte] Haus meines Vaters“), „den Manni seine Perle“ („Manfreds Freundin“). Hierbei scheint es sich um niederfränkisches bzw. niederdeutsches Substrat zu handeln. Beliebt ist natürlich auch der Genitiversatz mitvon.
Umgekehrt werden Prädikatsnomen (Gleichsetzungsnominative) und Vokative (Namen und Wörter im Anredefall, im Deutschen normalerweise Nominativ) gelegentlich durch den Akkusativ ausgedrückt: „Du bissen toften Kerl. – Ey, du Doowen! – Ey, Kurzen, komma hier!“ – ein Phänomen, das im gesamtenmitteldeutschen Sprachraum vereinzelt anzutreffen ist, z. B. inKöln undBerlin, aber auch im norddeutschenHamburg.
Akkusativ undDativ werden in beiden Richtungen vertauscht. So heißt es: „Gehma am Telefon!“, „Sie! Ich sach’ Sie watt!“, „Gehma beie Omma!“, „Wollder mitten Wagn komm?“, „Aufe Aabeit waa heute echt wat los.“.
Verbreitet ist auch die Westfälische bzw.Rheinische Verlaufsform („Ich bin am Malochen“ = „Ich arbeite (schwer)“, „Et is am Reechnen“ = „Es regnet“). Diese ist auch in anderen Dialekten und zunehmend in der Standardsprache verbreitet und kann im Ruhrdeutschen gelegentlich mit einer charakteristischen Erweiterung auftreten: „Ich bin am Malochen dranne.“ Der Beginn eines Geschehens lässt sich so ausdrücken: „Et fängt am reechnen (an)!“ („Es beginnt zu regnen“). Diese Verlaufsform kann auch mit anderen Hilfsverben alssein konstruiert werden, z. B. mitanfangen oderhalten: „Der hielt sich am Schimpfen dran“ („hörte nicht auf zu schimpfen“), oder selbstironisch mitmachen, bei halsbrecherischer Syntax, in „Mach mich nich dat Hemd am Flattern!“ ≈ „Hör auf, sonst krieg ich noch Schiss.“
Passiv-Formen werden seltener gebraucht, und wenn, dann gelegentlich in falsch oder schief konstruierter Weise: „Hier werden Sie geholfen.“ – „Meine Omma is gezz inn Heim, da kricht se schön gekocht un allet sauber gemacht.“
Auffällig ist die deutliche Bevorzugung gesplitteter ‚Pronominaladverbien‘ mitda- als erster Silbe(davon, darüber, dagegen), das dann häufig doppelt auftritt:Da waaisi nix von. – Da kannze nix (da)gegen sagen. – Da wolldich mit dir ma drübber sprechn.
Auch Präpositionen und Richtungsadverbien können analog dazu redundant benutzt werden und in einer Art Echo-Konstruktion auftreten:Stell ma den Schrank dreckt anne Wand ran. Ich bin int Haus rein(gegangen). Willze nache Omma hin?
Der Gebrauch derPräpositionen weist darüber hinaus Besonderheiten auf: Im mittleren und östlichen Ruhrgebiet wird insbesondere das die Bewegung in eine Richtung anzeigende Wort „zu“ häufig durch „bei“ ersetzt, wobei entweder der Dativ („Ich geh’ beimBarras“ „Ich gehe zur Bundeswehr“) oder der Akkusativ folgen kann („Gehma bei die/beie Omma“).
Im Ruhrgebiet, aber auch oft im restlichen Nordrhein-Westfalen geht man öfter mal „nach“ dem Krankenhaus und nicht „zum“ Krankenhaus, wobei „nach“ für längere Entfernungen verwendet wird und „bei“ für kürzere Distanzen („Komma bei mich bei!“).
Zusammensetzungen mit „bei-“ bezeichnen im Bereich manueller Arbeit ein Nachbessern bzw. eine nicht zwingend mit dem Anspruch von Perfektion ausgeführte, mehr oder weniger hingestümperte Abschluss-Arbeit: „Ich geh da nomma mitte Flex bei.“ „Da musse aba nomma beigehn“ bedeutet dementsprechend so viel wie „das ist so ja wohl noch nicht fertig“.
Im westlichen Ruhrgebiet wird das „nach“ des Öfteren durch das „im“ ersetzt: „Ich geh im Bett“ („Ich gehe zu Bett“).
Auch „auf“ kann in dieser Bedeutung Verwendung finden: „Auf Schalke gehen“ bezeichnet den Besuch eines Fußballspiels im Stadion desFC Schalke 04.
Konjunktionen wie „wegen“, „weil“, „anstatt“ werden häufig durch Nebensatzkonstruktionen ersetzt:
(Die) Artikel können häufig ausgelassen werden: „Ich bin auf Aabeit“, oder sie werden verkürzt: „Ich bin aufe Arbeit“.
Die meisten dieser Merkmale werden aus der niederdeutschen Herkunft des Ruhrdeutschen erklärt. Polnische Einflüsse sind kaum nachweisbar. Es wurde spekuliert, dass die gelegentliche Auslassung von Artikeln durch die artikellose polnische Sprache bzw. denmasurischen Dialekt beeinflusst wurde. Diese These ist jedoch umstritten.
Eine weitere Besonderheit der Ruhrsprache bildet die hochdeutschen Sprechern teilweise unangemessen erscheinende Verwendung des Plusquamperfektes: die Formulierung „war lecker gewesen“ benutzt man nicht etwa, wenn man von einem zeitlich vor dem erzählten Ereignis liegenden Festmahl berichtet, sondern durchaus direkt nach Beendigung der Mahlzeit – „war schön gewesen“ z. B. bei der Verabschiedung der Mitteilnehmer eines gemeinschaftlichen Ausfluges.
Der Wortschatz des Ruhrdeutschen entspricht weitestgehend dem Hochdeutschen. Viele als ruhrgebietstypisch ausgewiesene Wörter sind Bestandteil der umgangssprachlichen Schicht des Hochdeutschen, meist im ehemaligen niederdeutschen Sprachgebiet, und nicht ausschließlich auf dasRuhrdeutsche beschränkt. So ist der Gebrauch des Wortesmalochen, das im Allgemeinen als Kennzeichen des Ruhrdeutschen empfunden wird, inzwischen in weiten Teilen Norddeutschlands als Synonym fürarbeiten verbreitet. Der Ausdruck „Rabotti“ für „schweres Arbeiten“ ist auch im Rheinischen gelegentlich anzutreffen.
Ausdrücke wieMottek für Hammer oderMattka (beides aus dem Polnischen) für eine korpulente, ungepflegte ältere Frau, die in der Gesamtheit des Wortschatzes ebenfalls als kennzeichnend für das Ruhrdeutsch genannt werden können, sind vielen Sprechern des Hochdeutschen im Ruhrgebiet sogar nicht einmal mehr geläufig. Insgesamt ist der Bestand polnischer oder masurischer Worte im Ruhrdeutschen begrenzt. Stärker vertreten sind Begriffe, die dem Niederdeutschen entlehnt sind und historisch auch in anderen niederdeutschsprachigen Gebieten geläufig waren, wie etwa „Kabache“ (altes, baufälliges Haus), „Kabuff“ (Raum, Abstellkammer).
Eine Reihe von Wörtern und Redewendungen dürfte ungeachtet sonstiger Verbreitung im deutschen Sprachraum, vor allem in der Kombination mit sonstigen ruhrsprachlichen Eigenheiten, ruhrgebietstypisch sein, so z. B.aamet Tucktuck (Ausdruck ironisch gespielter Bemitleidung);Appelkitsche (nicht verzehrter Rest des Apfels mit Kerngehäuse);rumbandusen (herumtollen);Ascheneimer (aussterbend für Mülleimer);beikommen (sich von einer Anstrengung erholen);Blaach, Blaagen (Kind, -er);Botanik (freie Natur, Gegenteil zu Stadt bzw. befestigter Weg);Dubbels (zusammengeklappte Butterbrote);duhne (nicht bei klarem Verstand, benebelt);ette (betontes Personalpronomen mit der Bedeutung ‚der da‘ oder ‚die da‘: Wer waa dat? – Ette!);fitschen (rennen, mit kurzen Beinen);i-Dötzken (frisch eingeschultes Kind);Klätschkopp (intensiv gelgestützte Frisur, früher mitBrisk (Frisiercreme) oder ‚klar Wasser‘ realisiert);knaatschich (missgestimmt, weinerlich);knöttern (halb trotziges, anhaltendes Weinen, Herumjanken);Köpper (Kopfsprung im Schwimmbecken);Köttel (Kind bis ca. Grundschulalter);Kusselköpper/Kusselkopp (mit weich bzw. stimmhaft gesprochenem -ss- : Purzelbaum, Rolle vorwärts);labberich (geschmacksarm, z. B. zu dünner Kaffee, und als Gegenteil von 'knackig', z. B. labberiger Salat);Lauschepper = Schnorrer, einer der alles umsonst haben will;lurig (schlapp, antriebslos, müde, reaktionsunfähig);seine Olle, ihr Oller (Ehepartner);Pellemänner(s) (Pellkartoffeln);Pilleente (Gummi-Quietscheente für die Badewanne);Pullefass (Zinkbadewanne);schäbbiget Wetter, schäbbich draußen (unangenehmes, nasskaltes Wetter);schattich (Euphemismus für kaltes Wetter); Pestizillen (Bakterien/Viren);Schlickefänger (Filou, Schlitzohr);schlörn/schlörren/schlurrn u. ä. (mit sich rumschleppen: Den ganzen Tach schlört die dat Blaach mit sich rum.);mit Schmackes (mit Elan, mit heftigem Schwung);spinkßen (heimlich mit den Augen verfolgen, z. B. ‚umme Ecke spinkßen‘);Spinnewipp (dünner, langgliedriger Mensch, vermutlich abgeleitet von den Zitterbewegungen der langbeinigen Weberknechte);Stocheisen (Schürhaken);wullacken/wullachen (körperlich hart arbeiten) und andere. Kaum einer dieser Ausdrücke dürfte außerhalb des Ruhrgebiets völlig unbekannt sein.
Zur Lexik zählen auch regionaltypische Anpassungen von Vornamen. Bedarf für solche Verschleifungen besteht u. a. auf dem Fußballplatz, um dem Angerufenen zu signalisieren, dass man frei steht, oder bei Zurufen in einer lauten Arbeitsumgebung. Hier eine kleine Auswahl:Änne (Johanna, Anna u. Ä.), Delleff (Detlef), Elli/Else (Elisabeth u. Ä), Friddelm, Günni (Günther), Häbbätt oder Häbbäät (Herbert), Hennes (Johannes u. Ä.), Hettie (Hedwig), Hilde/Hille (Hildegard), Jupp (Josef, sarkastisch auch für Jesus:Jupp am Nagel oderLattenjupp), Kalla/Kalle (Karl), Käthe (Katharina), Kläusken, Kuddi (Kurt), Manni (Manfred), Nobbi (Norbert), Päule (Paul), Pidder/Pedder (Peter), Waller (Walter), Wenner (Werner), Woffgang (Wolfgang). Vornamen werden außer beim Vokativ (direkter Anrede) oft mit dem bestimmten Artikel ausgestattet:der Kuddi waa dat (das war Kurt).
Der bekannteste Fernsehschaffende des Ruhrgebietes war der – nicht aus dem Ruhrgebiet stammende – SchauspielerJürgen von Manger, der als Frührentner „Adolf Tegtmeier“ auftrat. Daneben gab es die VolksschauspielerinTana Schanzara. Die JournalistinElke Heidenreich spielte früher in Radiokolumnen „Else Stratmann, Metzgersgattin aus Wanne-Eickel“. In der Bundesligasendung „ran“ und bei „premiere“ gab es lange Zeit die aktuellen Kommentare von Günna (Bruno Knust).Ludger Stratmann spielte „Doktor Stratmann“ und auch den Hausmeister „Jupp“.
Heute ist der inDuisburg-Neumühl aufgewachsene KabarettistUwe Lyko als „Herbert Knebel“ einer der bekanntesten Vertreter des Ruhrdeutschen. Er spricht vor allem Ruhrdeutsch mit niederrheinischem Akzent. In Dortmund verkörpert Bruno Knust seit über 20 Jahren die Figur „Günna“ imTheater Olpketal.
Mehr als 20 Jahre lang tratenGerburg Jahnke aus Oberhausen und die MülheimerinStephanie Überall als KabarettduoMissfits auf.
Der Ruhrsprache bedient sich auch die KunstfigurAtze Schröder.
Weitere bekannte Künstler, die zumindest zeitweilig Ruhrdeutsch als Idiom einsetzen, sindMicky Beisenherz,Susanne Betancor als „die Popette“,Eva Kurowski,Jochen Malmsheimer,Frank Goosen,Hennes Bender,Patrick Joswig,Jürgen Mikol,Kai Magnus Sting,Torsten Sträter,Dirk Dautzenberg,Fritz Eckenga,Anke Engelke,Willi Thomczyk undHelge Schneider.
Die örtlichen Tageszeitungen ließen in früheren Jahrzehnten in den Samstagsausgaben zwei Vertreter der Sprache in Glossen agieren: Die NRZ ließ den „Ämmil Cerwinski“ antreten, das Alltagsleben in Parabeln zu glossieren, die parallel erscheinende WAZ ließ die fiktive FigurKumpel Anton berichten. Diese Glossen wurden eingestellt, in der WAZ vor einigen Jahren wiederbelebt, inzwischen aber erneut eingestellt. Immer gleiche Glossenanfänge schufen Identität für die Leser. In der Dortmunder Ausgabe der Ruhr-Nachrichten erscheint samstags immer regelmäßig noch die wöchentliche Glosse „Hömma, Fritz“ vonBruno „Günna“ Knust.
DerKumpel Anton wurde in Buchform, aber inzwischen auch als Hörbuch (Sprecher:Bruno „Günna“ Knust) veröffentlicht. „Kumpel Anton, Ersten Bannt“ usw. Diese Aufbereitungen der Ruhrgebietssprache sind von größerer Authentizität als die Bühnen- und Fernseh-Präsentationen vonAdolf Tegtmeier überElse Stratmann bis zuHerbert Knebels Theaterspiel.
Von den Romanen vonHans Henning Claer, die im Ruhrmilieu spielen, wurden einige auch verfilmt.
Bekannt wurden gleichfalls die bis 2019 fünf Asterix-Mundartbände auf Ruhrdeutsch. Die ersten zwei sind übersetzt vonClaus Sprick und Reinhard Stratenwerth, die späteren vonHennes Bender. Sie bilden von der Startseite weg auch in Details eine Übertragung in das karikierende Ruhrdeutsch der bekannten Ruhrgebietskomiker.[3]
Im Dialekt gesungen haben zum Beispiel:
Das Lied„Currywurst“ (1982) vonHerbert Grönemeyer (geschrieben vonDiether Krebs) ist eine Hommage sowohl an die besungene Wurst als auch an die Ruhrgebietssprache:
Der KinofilmWas nicht passt, wird passend gemacht spielt, wie auchBang Boom Bang – Ein todsicheres Ding undGoldene Zeiten, im östlichenRuhrgebiet, bei allen drei Filmen führtePeter Thorwarth die Regie. Er bekam auf derBerlinale denJupiter-Publikumspreis als bester deutscher Film 2002.