Friedrich Robert Ernst (geboren4. Februar1897 inHürtigheim,Deutsches Kaiserreich; gestorben14. April1980 inRimsting) war ein deutscher elsässischerVolkstumspolitiker und wurde 1941 nationalsozialistischer Oberbürgermeister vonStraßburg. Von 1945 bis 1954 war er in Frankreich inhaftiert.
Der alt-elsässische Vater August Ernst (1868–1958) war Pfarrer vonSt. Thomas in Straßburg (August Ernst war später noch Pfarrer an derMatthäuskirche in Stuttgart). Die Mutter entstammte der elsässischen frankophonen städtischen Bourgeoisie. Nach dem Schulbesuch in Straßburg meldete sich Ernst 1914 alsKriegsfreiwilliger und wurde inYpern undVerdun eingesetzt, er wurdeFlieger und wurde im November 1917 inCambrai abgeschossen.Nach Kriegsende und derRückgewinnung des Elsass undLothringens durch Frankreich wurden bis Anfang 1922 140.000 deutsche Staatsbürger größtenteils ausgewiesen, meist nach 1871 eingewanderteAltdeutsche sowie ihre Nachfahren und rund 10 % Alt-Elsass-Lothringer.[1] Seine Eltern und Ernst übersiedelten 1919 freiwillig vom Elsass in die entstehendeWeimarer Republik.[2] Er studierteJura inHeidelberg sowieRechts- und Staatswissenschaften inTübingen und schloss das Studium im Februar 1921 mitPromotion ab.[3]
Seit dem Frühjahr 1921 wohnte Ernst inBerlin und arbeitete dort bis Anfang 1922 beim DachverbandDeutscher Schutzbund für das Grenz- und Auslandsdeutschtum als Abteilungsleiter für Elsass-Lothringen.[4] Er war Vorstandsmitglied des „Elsaß-Lothringen Instituts“ (ELI), das sich meistens auch „wissenschaftlich“ nannte, an derUniversität Frankfurt (Main)[5] und die einflussreichste Gestalt der volksdeutschen Bewegung an der Westgrenze des Reichs. 1921 führte er bei einer Feierstunde des ELI in Weimar in dessen Namen aus:[6]
„Für das deutsche Volkstum zwischen Rhein, Mosel undWasgau wollen wir kämpfen. Vom Wissenschaftlichen Institut der Elsaß-Lothringer im Reich werden die Waffen geschmiedet für diesen Kampf.“
1923 war Ernst Mitgründer der „Alt-Elsass-Lothringischen Vereinigung“, am 5. Januar 1923 erschien in Berlin das erste Heft der „Heimatstimmen-Elsaß-Lothringen“, des Organs der nach demErsten Weltkrieg insDeutsche Reich abgewanderten Elsässer und Lothringer. Ab 1924 war er beim „Hilfsbund der vertriebenen Elsass-Lothringer“, der Anfang 1922 22.000 Mitglieder hatte, sowie beim „Verband der Elsass-Lothringischen Studentenbünde“ beschäftigt. Weiterhin nahm er im Oktober 1924 an derHeppenheimer Tagung derDeutschen Mittelstelle für Volks- und Kulturbodenforschung teil, wo die Teilnehmer, hauptsächlichrheinische Historiker und Geographen, unter Vorsitz vonWilhelm Volz in die „Fragen des westdeutschen Volksbodens“ eingeführt wurden.[7] Ernst war der Herausgeber dieser Hilfsbund-Zeitschrift und auch der ZeitschriftElsaß-Lothringen. Als Verbandsfunktionär wurde er am 22. Mai 1933 Vorsitzender des „Deutschen Schutzbundes für die Grenz- und Auslandsdeutschen“, der am 22. Mai 1919 gegründet worden war.[8]
Ernst schied zwischenzeitlich für einige Jahre aus dem Angestelltenverhältnis der Verbände aus und arbeitete freiberuflich. Die Mittel für seine Arbeit erhielt er unter anderem aus einem als „Deutsche Stiftung“ verschleierten Fonds desAuswärtigen Amtes,[9]Emil von Rintelen war hier sein mehrjähriger Ansprechpartner. Hauptsächlich seit denLocarno-Verträgen bis zum Tod von AußenministerGustav Stresemann, also von 1925 bis 1929, hat Ernst zur Unterstützung seiner Elsass-Arbeit vom Auswärtigen Amt Zuwendungen erhalten, für jene Jahre waren dies rund 1.500.000Reichsmark.[10]
Nach der Gründung desElsaß-Lothringischen Heimatbundes Pfingsten 1926 reagierten die Franzosen mit zwei Autonomistenprozessen inColmar, bei denen 1928Karl Roos zu 15 JahrenZuchthaus verurteilt wurde und Ernst in Abwesenheit zu 15 Jahren Gefängnis sowie 20 Jahren Aufenthaltsverbot.[11] Damit wurde verhindert, dass er noch ins Elsass einreisen konnte. Ernst hatte im Rahmen seiner Verbandsarbeit für den Schutzbund auch Kontakt zu anderen Minderheiten und Autonomisten in Europa und nahm an Tagungen desEuropäischen Nationalitätenkongresses und desVölkerbundes inGenf teil.
Ernst trat zum 1. Mai 1933 derNSDAP bei (Mitgliedsnummer 2.499.974),[12][13] als Schutzbundsvorsitzender war Ernst 1933 aktiv an der freiwilligen Selbst-Gleichschaltung der Verbände beteiligt. Am 29. Mai 1933 wurde auf Mitinitiative von Ernst derBund Deutscher Westen gegründet, den er als „Führer“ zusammen mit Mitinitiator und „Präsident“Karl Spiewok, dem nationalsozialistischenStadtverordneten-Vorsteher von Berlin, führte – entsprechend § 3 der Satzung durch Führer "arischer Abkunft".[14] Weiterhin wirkte er im geheim gehaltenen Dachverband „Volksdeutscher Rat“, der im Oktober 1933 installiert worden war, als Verantwortlicher für die Gebiete westlich der Reichsgrenze.[15] Ernst, 1933–1935 stellvertretender Bundesleiter desVereins für das Deutschtum im Ausland (VDA),[13] war am 7. Dezember 1933 unter den VDA-Führern, die vonAdolf Hitler empfangen wurden. Ernst vertrat VDA-BundesleiterHans Steinacher als Redner bei den Massenkundgebungen, die die NSDAP und der VDA 1933 in deutschen Großstädten inszenierten, inAachen undStettin.
Das Reichsaußenministerium unterKonstantin von Neurath wie dasReichsinnenministerium beauftragten Mitte Juni Steinacher und Ernst, dasDeutsche Ausland-Institut (DAI) mit einem kleinen Reorganisationsausschuss neu zu ordnen. Zuvor war im März 1933 dem Geschäftsführer des DAI,Fritz Wertheimer,[16] seit 1918 Generalsekretär des DAI, durch die örtliche SA aufgrund Wertheimers jüdischer Abstammung der Zutritt zum DAI verwehrt worden. Der von NS-Kreisen ebenfalls abgelehnte Vorstandsvorsitzende des DAI,Theodor Wanner, war im März 1933 überfallen worden.[17] Wanner wurde entsprechend am 20. Juni zum Rücktritt gedrängt, Wertheimers Name fiel schon gar nicht mehr, Ernst meldete demwürttembergischenMinisterpräsidentenChristian Mergenthaler am 21. Juni 1933 die erfolgreiche, nur vorübergehende Übertragung der Institutsleitung auf Steinacher, Ernst und einen „Dr. Krehl“.[18]
In dem Organisationsgestrüpp der nationalsozialistischen Herrschaft wetteifertenHeß undBohle mit seinerNSDAP-Auslandsorganisation um den Einfluss auf die knapp eine Million Mitglieder der VDA-Organisationen. Wegen taktischer Meinungsverschiedenheiten trat Ernst im August 1935 vom stellvertretenden Vorsitz des VDA zurück. Seit dem Herbst 1935 wurde der VDA und Steinacher auch persönlich von Bohle angegriffen. Im Februar 1937 hatte sich Steinachers Konzeption erledigt, als dieSS-Führung mitWerner Lorenz die Leitung derVolksdeutschen Mittelstelle übernahm.
Ungeachtet der greifbaren Unterschiede zwischen NSDAP und VDA gab es manche Übereinstimmungen: So z. B. bei der Vorstellung eines Hegemonialstrebens der Deutschen,bei dem zwar im Gegensatz zur nationalsozialistischen Konzeption die Eigenwertigkeit der anderen Völker nicht in Frage gestellt, jedoch kein konkurrierender Führungsanspruch geduldet wurde.[19]
Mit Beginn desZweiten Weltkrieges im September 1939 wurde Ernst bis Ende 1939 als Major der Reserve[13]Stabsquartier-Kommandant der 1. Fliegerdivision derLuftwaffe beim Überfall auf Polen eingesetzt.[20] Bei seinem Beitritt zurSS unter der Mitgliedsnummer 365141 erhielt er am 1. August 1940 den Rang einesSS-Standartenführers.
Während desSitzkriegs wurde Ernst am 1. Februar 1940 Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes für besondere Aufgaben, am 1. März 1941 beendete er dort seine Tätigkeit.[13][21] InBerlin sahen sich die beiden ElsässerOtto Meissner und Ernst schon als Protektor von Elsass-Lothringen und studierten den Verwaltungsaufbau imProtektorat Böhmen und Mähren.[22] Tatsächlich wurden dann nach einigem Gerangel die GauleiterJosef Bürckel undRobert Wagner inthronisiert.
Unmittelbar nach derBesetzung des Elsass 1940 gründete Ernst am 20. Juni denElsässischen Hilfsdienstes (EHD), um den „einheimischen“ Kräften endlich Mitwirkung zu ermöglichen. Zugleich suchte auf seine Initiative hin ein Kommando nach inhaftierten elsässischen Autonomisten, die so genannten „Nanziger“, um sich mit diesen zusammen frühzeitig genügend politischen Einfluss im Sinne der Autonomisten zu sichern, was allerdings der badische Gauleiter Robert Wagner alsChef der deutschen Zivilverwaltung im Elsass und seine weitgehend aus Baden importierte Administration und politische Gefolgschaft dann zu verhindern wussten.[23][24] Am nächsten Tag, 21. Juni 1940, wurde Ernst von Robert Wagner eine Position als ehrenamtlicher „Generalreferent“ beim „Chef der deutschen Zivilverwaltung“ im Elsass zugesichert. Ebenso wollte Wagner Ernst zum „Oberstadtkommissar“ von Straßburg ernennen. Als Nachfolger vonTheodor Ellgering,[25] seit dem 28. Juni 1940 Stadtkommissar in Straßburg, war Ernst vom 5. März 1941 bis 23. November 1944, mit einer Unterbrechung durch seinen Wehrmachtsdienst im Jahre 1943, Chef der Stadtverwaltung von Straßburg. Am 28. Januar 1942 übernahm Ernst auch die Geschäfte inKehl, dessen Bürgermeister Alfred Reuter wurde sein Stellvertreter.[26]
Ernst schrieb weiterhin Zeitschriftenbeiträge und bedauerte in der Zeitschrift „Westland“ den Zuzug vonOstjuden undPolen wieEmigranten in derZwischenkriegszeit ins Elsass,[27] verbunden mit der Erwartung, dass sich das nun ändern werde. Nach der Verlegung derUniversität Straßburg nachClermont-Ferrand durch die französische Regierung im September 1939 bei Beginn des Zweiten Weltkrieges,[28] wurde nach der Besetzung des Elsass im Juni 1940 durch dieWehrmacht mit Ernsts Unterstützung dieReichsuniversität Straßburg gegründet, Ernst holte dafür den StraßburgerErnst Anrich. Ernst wurdeEhrensenator der Universität.
Ernst hatte elsässische Freiwilligen-Meldungen zur Wehrmacht befürwortet, dieZwangsrekrutierung von Elsässern dagegen abgelehnt. Nach der Einführung der Wehrpflicht ließ er Wagner ein Gesuch auf Fronteinsatz stellen, wofür Wagner Ernst beurlaubte, da Ernst sich um der Glaubwürdigkeit willen verpflichtet fühlte, wie die zur Wehrmacht eingezogenen Elsässer durch Fronteinsatz sein Leben zu riskieren. Ernst wurde ab Mai[13] bis Anfang September 1943 imRussland-Feldzug weitgehend als funktionslosesBomber-Besatzungsmitglied eingesetzt. Eine Verlängerung der Beurlaubung für den Fronteinsatz lehnte Wagner jedoch ab, zumal Straßburg dann Ende September Ziel des ersten alliiertenLuftangriffes geworden war. Ernst übernahm nach Rückkehr im September 1943 wieder seine alten Aufgaben in Straßburg[29]. Anfang 1945 versucht er noch eine „Elsässische Freiheitsfront“ als „Volkssturm-Elsaß“ aufzubauen.[13]
Ernst räumt in seinem 1954 (1955 2. Auflage) erschienenen „Rechenschaftsbericht“ ein, dass er nach einem Disput während einesFriseurbesuchs im Frühjahr 1942 die Ehefrau des Salon-Inhabers wegen des inzwischen im Elsass verbotenen Gebrauchs der französischen Sprache bei einer nachfolgenden Besprechung mitHans Fischer diesem gemeldet habe. Die Frau ist – entgegen einer „Abrede“ zwischen Ernst und Fischer, aufgrund der Ernst mit einem Geschäftsverbot von vielleicht acht Tagen gerechnet habe, wie er beteuert – insSicherungslager Schirmeck-Vorbruck eingeliefert worden.[30]
Ernst erhielt 1941 die „Goldene Ehrenplakette“ desDeutschen Auslandsinstituts.
Ernst stellte sich, nach Flucht aus Straßburg Ende November 1944 und Aufenthalt in München unter falscher Identität als „Ernst Fischer“, am 3. August 1945 dem amerikanischen "C.I.C.", gemeint ist damit vermutlich derCounter Intelligence Corps, der ihn bald den französischen Behörden überstellte[31]. Diese wollten ihn alsfranzösischen Staatsbürger wegenLandesverrats zugunsten desDeutschen Reiches anklagen. Über Jahre versuchte Ernst mit der Argumentation, er seideutscher Staatsbürger, diese Anklage zu durchkreuzen. Ernst wurde 1946 im Prozess gegen den dann hingerichteten Wagner als Zeuge vernommen.
Die ursprünglichen Anklagepunkte waren:
Einer seiner Verteidiger war der inKriegsverbrecherprozessen erfahreneKurt Behling.
Der deutscheBundespräsidentTheodor Heuss (FDP) wandte sich am 10. November 1953 in einem privaten Schreiben an denFriedensnobelpreisträgerAlbert Schweitzer, um diesen, der auch Ernsts Vater persönlich kannte, für Ernst, den wiederum Heuss persönlich kannte, dem aber nichts „Unhonoriges vorgeworfen werden“ könne, einzunehmen.[32]KirchenpräsidentHans Stempel hatte dem Bundespräsidenten „eine Niederschrift über die Affaire Ernst vorgelegt“, die nun in Kopie an Schweitzer ging, damit dieser geeignete Personen in Paris für die Freilassung mobilisiere. Parallel zu dieser „Stillen Hilfe“ ging der deutscheBundestagspräsidentHermann Ehlers (CDU) mit der Forderung nach Freilassung direkt an die Öffentlichkeit.
Am 20. Januar 1954 wurde Ernst erstmals aus der französischen Untersuchungshaft entlassen, da nun auch der französischen Justiz die lange Dauer der Untersuchungshaft politische Probleme machte, aber für den Prozess erneut inhaftiert. Die Anklage lautete schließlich: Der Elsässische Hilfsdienst sei eine Spitzel- und Hilfsorganisation der Partei gewesen. Die Freiwilligenwerbung von Elsässern müsse als Beihilfe zum Landesverrat angesehen werden, da das Elsassbesetzt, aber nichtannektiert gewesen sei. Ernst sei mitverantwortlich für die Zwangsrekrutierung, Inhaftierung undDeportation von Elsässern.[33] Am 13. Januar 1955 wurde Ernst vom französischen Militärgericht inMetz als Kriegsverbrecher zu acht JahrenZwangsarbeit, zur Herausgabe seines Vermögens und zu einem 20-jährigen Aufenthaltsverbot verurteilt. Nach der Urteilsverkündung wurde Ernst auf freien Fuß gesetzt und nach Deutschland abgeschoben.
Noch während seiner Haftzeit war im Verlag "Bernard & Graefe. Verlag für Wehrwesen", dessenMitinhaber Ernst war, sein „Rechenschaftsbericht eines Elsässers“ erschienen. Nach seiner Freilassung beteiligte er sich an der Umwandlung des „Bundes der Elsaß-Lothringer im Reich“ in die „Gesellschaft der Freunde und Förderer derErwin von Steinbach-Stiftung“. Ansonsten trat Ernst bis an sein Lebensende anscheinend weitgehend nur noch als Autor christlicher Publikationen in Erscheinung.
Ernsts Sohn Gerhard fiel am 22. April 1945 als Soldat inBreslau. Seine Frau und seine Tochter Liselotte, 18 Jahre alt, verübten zum Ende derSchlacht um Berlin Anfang Mai 1945 dortSuizid. Ernst hatte mit seiner zweiten Ehefrau Dorothea Gottschlich noch einen Sohn, Peter Ernst.
Personendaten | |
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NAME | Ernst, Robert |
ALTERNATIVNAMEN | Ernst, Friedrich Robert (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsch-elsässischer Volkstumspolitiker, 1941 nationalsozialistischer Oberbürgermeister von Straßburg |
GEBURTSDATUM | 4. Februar 1897 |
GEBURTSORT | Hürtigheim |
STERBEDATUM | 14. April 1980 |
STERBEORT | Rimsting |