Karte von 1584 (Chesapeake Bay bis Cape Lookout) von John WhiteBildnis von Sir Walter Raleigh
DieKolonie Roanoke Island befand sich auf der InselRoanoke Island, die vor der Ostküste desamerikanischen BundesstaatesNorth Carolina liegt. Am 17. August 1585 wurde sie mit 108 Mann gegründet und war damit die erste auf Dauerhaftigkeit geplanteKolonie derEngländer in Nordamerika. Sie wurde jedoch bereits im darauffolgenden Jahr aufgegeben. Ein zweiter Versuch ab 1587 scheiterte mit dem 1590 festgestellten mysteriösen Verschwinden von 118 Siedlern.
Am 27. April 1584 brachen die Forscher Arthur Barlowe und Philip Amadas im Auftrag von SirWalter Raleigh zu einer Expedition in das Gebiet derOuter Banks im heutigenNorth Carolina auf und stießen dabei aufRoanoke Island, das Wohngebiet derRoanoke-Indianer. Sie waren von der Landschaft und den sich dort bietenden Möglichkeiten begeistert und konnten zweiPamlico-Indianer namens Manteo und Wanchese, denen sie Englisch beibrachten, gewinnen, mit ihnen nach England zurückzukehren, um Roanoke Island als künftige Siedlung anzupreisen. KöniginElisabeth I. war so angetan von dem Bericht der beiden Pioniere, dass sie Raleigh gestattete, in der neuen Welt eine Kolonie zu gründen.
Am 9. April 1585 brachen inPlymouth unter Raleighs Cousin, AdmiralRichard Grenville, Schiffe mit etwa 600 Personen nach Roanoke Island auf, von denen Grenville und weitere 107 Personen als Siedler auf Roanoke blieben.[1] Die erste Besiedlung war ein Desaster: Die Siedler kamen zu spät an, um noch auf eine gute Ernte hoffen zu können. Zudem gerieten sie in Streit mit den Einheimischen, der darin gipfelte, dass sie das Dorf Aquascogoc niederbrannten und den Häuptling töteten. Aus Angst vor Rache und aus Mangel an Nahrungsmitteln entschied Grenville, Gouverneur Ralph Lane und etwa 75 Männer zurückzulassen und wieder nach England zu segeln; er versprach dabei, im April 1586 mit weiteren Personen und einem Versorgungsschiff zurückzukehren.
AlsSir Francis Drake im Juli 1586 bei seiner Rückkehr aus derKaribik eine Pause auf Roanoke einlegte, war Grenville mit dem versprochenen Versorgungsschiff immer noch nicht zurückgekehrt. Drake nahm die verbliebenen Siedler mit nach England. Wenig später erreichte das Versorgungsschiff mit weiteren Auswanderern die inzwischen verlassene Siedlung. Grenville ließ 15 Leute zurück, um auf Roanoke die Stellung zu halten, während er erneut nach England zurückkehrte, um Raleigh zu informieren.
Am 22. Juli 1587 kehrteJohn White, der bereits zu den ersten Siedlern gehört hatte, mit weiteren 150 Siedlern als neuer Gouverneur nach Roanoke zurück und fand die Kolonie verlassen vor. In seiner Begleitung befanden sich auch seine schwangere Tochter Eleanor und sein Schwiegersohn Ananias Dare. Am 18. August 1587 brachte EleanorVirginia Dare, das erste englische Kind auf amerikanischem Boden, zur Welt.[2] Am 25. August brach White erneut nach England auf, um sich um den Versorgungsnachschub zu kümmern. John White hatte vor, umgehend wieder zurückzukehren, doch der Beginn desenglisch-spanischen Kriegs vereitelte dies.
Als White drei Jahre später, am 18. August 1590, nach Roanoke zurückkehrte, war die Kolonie erneut verlassen.
White fand die Kolonie verfallen vor, und von den verbliebenen 90 Männern, 17 Frauen und 11 Kindern fehlte jede Spur. Ebenso gab es keinerlei Hinweise auf einen Kampf oder Überfall. Auf einem Baum fand White das eingeschnitzte Wort „CROATOAN“, ein Hinweis auf die gleichnamige Insel, die heuteHatteras Island heißt (nach dem Stamm derHatteras) und die Heimat von Häuptling Manteo war. Auch fanden sich die Buchstaben „CRO“ eingeschnitzt in einen nahegelegenen Baumstamm. Als einHurrikan aufzog, weigerten sich die Männer, weiterzusuchen. White musste fliehen und erneut nach England zurückkehren.
1602 entsandte Raleigh erneut eine Expedition nach Roanoke, die ebenfalls keine weiteren Spuren der „verlorenen Kolonie“ fand.
1709 berichtete der AbenteurerJohn Lawson in seinem ReiseberichtA New Voyage to Carolina, dass ihm Indianer mit blauen Augen auf Hatteras Island vor der Ostküste North Carolinas von weißen Vorfahren erzählt hätten und von Verwandten, die lesen („aus Büchern sprechen“) konnten.[3] Er stellte die These auf, dass sich die Bewohner der Kolonie mit einheimischen Indianerstämmen vermischt hätten. Um 1880 vermutete der Lehrer und Rechtsanwalt Hamilton McMillan, dass die Bewohner der Kolonie im Indianerstamm der Croatoan aufgegangen seien.[4] Auch wurde vermutet, die ursprüngliche Gruppe der Siedler sei getrennte Wege gegangen. Manche seien von Einheimischen getötet worden, manche hätten sich Indianerstämmen angeschlossen. Warum sie dies taten und warum niemals persönliche Gegenstände oder Aufzeichnungen gefunden wurden, blieb unklar.
Eleanor und Virginia Dare auf der Rückseite einer 50-Cent-Gedenkmünze von 1937
1937 wurde in North Carolina eine Reihe von Steinen gefunden, die das Rätsel um Roanoke Island aufklären sollten. Ein Reisender fand angeblich den ersten Stein in einem Sumpfgebiet; bis Ende 1939 wurden über 40 Steine (englischDare Stones) gefunden. Der erste Stein sieht deutlich anders aus als die übrigen. In die Steine hatte angeblich Eleanor Dare (Tochter von John White, Mutter von Virginia Dare) ihre Geschichte eingemeißelt; sie erzählt ihrem Vater auf diese Weise von der Flucht ins Landesinnere nach einem Indianerangriff. Auf den letzten Steinen berichtet ein unbekannter Verfasser schließlich von ihrem Tod 1599. Die Presse stürzte sich auf diese Funde, aber später deckte ein Reporter auf, dass die Steine neuzeitliche Fälschungen waren.[5][6]Das Bild von der mit ihrem Baby durch die amerikanische Wildnis flüchtenden Eleanor gehört noch heute zur amerikanischen Folklore.
Im Jahr 2012 wurde die Karte von John White analysiert und festgestellt, dass ein Teil überklebt wurde und sich dort ein Fort befunden haben könnte.[7][8]
Im Jahr 2013 untersuchte Malcolm LeComte von derElizabeth City State University (North Carolina) Satellitenbilder der Region, die auf Whites Karte eingezeichnet war. Rund 100 Kilometer westlich von Roanoke im Binnenland entdeckte er gerade Umrisse unterirdischer Fundamente, die sich deutlich von den runden Bauten der Indianer unterscheiden.[9] Ein Team um den britischen Archäologen Mark Horton (Universität Bristol) hat bei Grabungen viele Gegenstände gefunden, die auf ein Zusammenleben der englischen Siedler mit den Ureinwohnern hindeuten, darunter Werkzeuge und Schmuck.[10] Ob sie friedlich zusammenlebten oder ob möglicherweise die Ureinwohner die Siedler versklavten, lässt sich nicht klären.[3]
In dem FilmMindhunters (2004) wird die Thematik der verlorenen Kolonie als Hintergrund für eine Mordserie auf einer Insel vermutet.
Brad Anderson nimmt in seinem 2010 erschienenen FilmDie Herrschaft der Schatten Bezug auf das Verschwinden einer Zivilisation. Der Ausdruck Croatoan ist häufig im Filmhintergrund zu erkennen, z. B. auf Hauswänden.
Der FernsehfilmLost Colony von 2007 setzt die Geschichte der zweiten Besiedlung mit übernatürlichem Horror in Verbindung.
Ebenfalls verwendet wird das Thema der verlorenen Kolonie bzw. das Stichwort „Croatoan“ in den SerienSupernatural (Folge 2×09Croatoan und in der fünften Staffel gibt es ein Virus namensCroatoan),Andromeda (Folge 3×20:Der Patriarch),American Horror Story (Folge 1×11:Die Geburt),Sleepy Hollow (Folge 1×05:Die verlorene Kolonie),Haven (diverse Folgen),Falling Skies (Folge 4×04), sowieLegacies (Folge 2×06) und die erste Folge der achten Staffel der TV-SerieThe Blacklist.
Brandon Fullam:The Lost Colony of Roanoke: New Perspectives. McFarland & Co, Jefferson 2017,ISBN 978-1-4766-6786-7.
Alexander Menden:Die verschollene Kolonie. In:Süddeutsche Zeitung, 7./8. Februar 2015, S. 63.
Kathleen Donegan:Seasons of Misery: Catastrophe and Colonial Settlement in Early America. University of Pennsylvania Press, Philadelphia 2014,ISBN 978-0-8122-4540-0, S. 21–68 (=1. Roanoke: Left in Virginia).
Carl Ortwin Sauer:Sixteenth Century North America: The Land and the People as Seen by the Europeans. University of California Press, Berkeley und Los Angeles 1971,ISBN 0-520-02777-9, S. 250–269 (=14. The Roanoke Colony (1584–1590)).