Rechtfertigung ist ein zentraler Begriff derchristlichen Theologie innerhalb derGnadenlehre.
Die Rechtfertigungslehre fragt danach, was geschehen muss, damit das Verhältnis zwischenMensch undGott, das durchSünden des Menschen belastet worden ist, wieder in Ordnung kommen kann. Die jahrhundertelange Kontroverse, was eine angemessene Rechtfertigungslehre zu vermitteln habe, hatte ihren Schwerpunkt in der Zeit derReformation und derKatholischen Reform.
Die Hauptkontrahenten von einst – dierömisch-katholische Kirche und dieevangelisch-lutherischen Kirchen – haben amReformationstag 1999 ihren Streit beigelegt. Dennoch sind Teilaspekte weiterhin strittig, deren Diskussion von Nichtbeteiligten oder im Streit Unterlegenen angemahnt wird.
Das WortRechtfertigung ist eineBegriffsübernahme von lateinischiustificatio und griechisch δικαίωσις(dikaíōsis).
Gerechtigkeit (hebräisch צדקהzedaqah, Gerechtigkeit als Tat; sowie צדקzedaq, als Zustand) ist ein Schlüsselwort schon des sogenanntenAlten Testamentes und meint sowohl dieBundestreue Gottes wie den Bundesgehorsam der Menschen (des Bundesvolkes), die innere Einstellung wie das äußere (soziale) Verhalten.
ImNeuen Testament kommt das Substantiv nur zweimal vor (Röm 4,25 EU und 5,18EU). Das dazugehörige Verb δικαιοῦν(dikaioūn) wird in denPaulusbriefen öfter verwendet für Gott, der sich seinRecht verschafft, indem er die sich von ihrem Dasein entfremdeten Menschen, ohne dass diese einen Anspruch darauf haben, darin einbezieht – mit allen lebensbejahenden Folgen.[1]
Einzelheiten der Gnadenlehre waren in allen christlichen Epochen umstritten, in der Frühzeit etwa die Frage, ob ein Christ, der nach derTaufe wieder gesündigt hat, erneut gerechtfertigt werden kann. Lösungsversuch war und ist dieBuß- undBeichtpraxis.
In der Zeit derReformation wurde die Rechtfertigung, die fürMartin Luther zu den unaufgebbaren Lehren der Kirche zählte, ein zentraler Streitpunkt. Seit langem bestand in derabendländischen Kirche die Situation, durch aufgeschobeneReformen unterstellte biblische Kernbotschaften zu übersehen oder den Gläubigen vorzuenthalten und sie durch eine Fülle überlieferter Richtlinien, Bräuche und Vorschriften zu ersetzen, die dahingehend zu verstehen waren, dass ein Mensch in der Lage sei, sich vor Gott durch die Erfüllung von Beichtauflagen sowie Frömmigkeitsübungen rechtfertigen zu können (Taten der Liebe, aber auchReliquienverehrung,Ablasszahlungen oderMessen). Sehr wichtig war für Luther derBrief des Paulus an die Galater, der einen zentralen biblischen Text für die Rechtfertigungslehre darstellt. Er bezeichnet ihn sogar als „[…] mein epistelcha, der ich mir vertrawt hab. Ist meinKeth von Bor“.[2]
In den Kirchen der Reformation wird (mit Berufung aufPaulus und dieKirchenväter) daran erinnert, dass Rechtfertigung zwar ein für den Menschen überaus dienliches Geschehen, aber komplett auf Seiten Gottes – und nicht auf der der Menschen – zu verorten sei.[3] Von dort werde die heilvolle Wirkung allein durchChristus (solus Christus) gestiftet, entfaltet und geschenkt und sei von den Gläubigen allein durch den auf ihn vertrauendenGlauben,sola fide, nicht jedoch durch jedwedes auf Gott gerichtete Tun zu empfangen (Röm 3,28 LUT; 4,25LUT). Der die einzig erlösende Gnade bringende Glaube wiederum werde allein durch das Wort der Christusverkündigung bewirkt, das in derBibel grundlegend und hinreichend enthalten sei und in derPredigt aktualisiert werde(sola gratia,sola scriptura).
In der Kunst fand die lutherische Rechtfertigungslehre imBildprogramm „Gesetz und Gnade“ ihren Niederschlag.[4] Dieses wurde in der Wittenberger Werkstatt desLucas Cranach des Älteren entwickelt, fand im Buchdruck und in Gemälden eine weite Verbreitung[5] und ist auch häufig an Kanzeln[6] und auf Altären, aber auch auf profanen Gegenständen wie Kaminsimsen oder Möbeln dargestellt. Das Bild und seine Botschaft trug damit maßgeblich zum ideologisch-theologischen Erfolg der Reformation bei.
Katholischerseits (Konzil von Trient) und auch von denorthodoxen Kirchen wurde Luther vorgeworfen, seine Rechtfertigung sei lediglich eine Gerechtsprechung ohne Konsequenzen, keine wirksame Gerechtmachung. DieSakramente derKirche aber gäben real Anteil an der „eingegossenen Gnade“(gratia infusa).
Im nachreformatorischen Zeitalter derKonfessionalisierung wurde dieser Gegensatz stark betont, und es kam auf beiden Seiten zu Vereinseitigungen. Im Rahmen desökumenischen Dialogs seit dem frühen 20. Jahrhundert begann dann eine Annäherung, in deren Verlauf sowohl das Anliegen der Reformation wie die Sakramente und die Bußpraxis gegenseitig gewürdigt wurden.
Höhepunkt dieser Annäherung war dieGemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die von römisch-katholischen und evangelisch-lutherischen Theologen erarbeitet und am 31. Oktober 1999 in Augsburg feierlich unterzeichnet wurde.
Die Beendigung des Streites blieb weder ohne Nachahmer noch ohne Nachbeben. Zahlreiche evangelisch-lutherische und römisch-katholische Theologen übten Kritik an dieser Erklärung. Einer der Wortführer war der Göttinger DogmatikerJörg Baur, und ein Beispiel jener Kirchen, die sich von der Erklärung distanzierten, ist dieSelbständige Evangelisch-Lutherische Kirche.
Am 23. Juli 2006 indes unterzeichnete der Präsident desWeltrats methodistischer Kirchen, Sunday C. Mbang, auf einer Weltkonferenz in Seoul die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre.[7]
In denOstkirchen gibt es keinen entsprechenden griechischen Ausdruck fürRechtfertigung (die Übersetzung mitdikaiopoiia ist eine moderne Wortschöpfung), so dass dort unmediatisiert bleibt, was in den Kirchen des Westens darunter verstanden wird. Inhalte, die diese mitRechtfertigung verbinden, tauchen bei jenen im Rahmen des Glaubens derTrinität auf.[8]