Paul Louis Charles Marie Claudel wuchs auf in der ländlichenPicardie als Sohn einesaufgeklärt-positivistisch denkenden Kataster-Beamten und als jüngerer Bruder der späterenBildhauerinCamille Claudel und verbrachte seine letzten Schuljahre auf dem Pariser TraditionsgymnasiumLouis-le-Grand. Mit 18 Jahren hatte er bei derVesper zuWeihnachten in der Pariser KathedraleNotre-Dame (als die Sängerknaben dasMagnificat sangen) ein Erlebnis religiöser Bekehrung; fortan war er gläubiger Katholik undBenediktineroblate.[1]
Nach Abschluss eines Studiums an derÉcole libre des sciences politiques (Sciences po), während dessen er bereits Gedichte schrieb und dem Kreis umMallarmé angehörte, dachte er daran, fernöstliche Sprachen zu studieren. Er bewarb sich dann jedoch für eine Ausbildung als Diplomat im konsularischen Dienst, in dem er bis zu seiner Pensionierung gewissenhaft tätig war. So war er von 1893 bis 1895 als Diplomat in den USA, von 1895 bis 1909 in China (Shanghai,Fuzhou,Peking,Tientsin) und danach inPrag, jeweils kürzere Zeit in Deutschland, Brasilien und Dänemark. In den Jahren 1919–1920 gehörte er der „Internationalen Kommission für die Überwachung des Plebiszits in Schleswig“ an. Von 1921 bis 1927 arbeitete er in Japan, wo er sich für die Verstärkung der kulturellen Beziehungen zwischen beiden Ländern einsetzte. So geht auf ihn die Einrichtung des Maison Franco-Japonaise zurück. Seine Vorträge und Schriften fasste er 1928 zusammen inL’Oiseau noir dans le soleil levant („Ein schwarzer Vogel in der aufgehenden Sonne“). Anschließend war er nochmals in den USA (1927–1933) und schließlich in Belgien.
Das trotz seiner bewegten Existenz sehr umfangreiche literarische Schaffen Claudels, für das er jeweils die ersten Stunden seines Arbeitstags reservierte, umfasst Lyrik, Philosophisch-Essayistisches – stark beeinflusst von seinen Fernost-Aufenthalten – und vor allem Theaterstücke. Diese verfasste er in einer pathetisch-lyrischen Sprache und unter Verzicht auf eine spannende Handlung. Im Mittelpunkt steht zumeist das Motiv des Sich-Aufopferns im Sinne einer religiös inspiriertenMoral.
Das bekannteste und am häufigsten aufgeführte Stück ist das 1911/12 verfasste, imMittelalter spielendeL’Annonce faite à Marie (Mariä Verkündigung). Einigermaßen bekannt wurde auch die fast sechs Jahrzehnte (von 1812 bis 1869) überspannende TrilogieL’Otage (Die Geisel) 1909,Le Pain dur (Das harte Brot) 1914 undLe Père humilié (Der gedemütigte Vater) 1916. Als sein Hauptwerk gilt jedoch das im spanischen 16. Jahrhundert spielende StückLe Soulier de satin (Der seidene Schuh) 1925, ein immens langes, die Summe von Claudels Denken präsentierendes Drama, das erst am 27. November 1943[2] in einer von ihm selbst und dem RegisseurJean-Louis Barrault stark gestrafften Version zur Aufführung kam und dessen weitere Aufführung im Mai 1944 von dendeutschen Besatzungsbehörden verboten[2] wurde. Als Librettist trat Claudel im dramatischen OratoriumJeanne d’Arc au bûcher und mit mehreren Operntexten fürDarius Milhaud hervor.
Seine Schwester Camille Claudel, die in der psychiatrischen Anstalt vonMontdevergues verhungerte, besuchte er nur ein einziges Mal, etwa einen Monat vor ihrem Tod.[3]
Seine Werke waren beeinflusst von den Arbeiten des Philosophen und LiteraturnobelpreisträgersHenri Bergson. Claudel wird zumRenouveau catholique gezählt. Er wurde von den 1920er bis 1940er Jahren imkatholischen Milieu sehr geschätzt, aber auch von anderen Lesern und von der Literaturkritik hoch bewertet und 1946 mit der Aufnahme in dieAcadémie Française belohnt. Er war auch Träger des Großkreuzes derEhrenlegion. 1932 wurde er in dieAmerican Academy of Arts and Sciences gewählt. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet er allmählich in Vergessenheit.
Das Libretto von Walter Braunfels’ OperDie Verkündigung (komponiert 1935, uraufgeführt in Köln 1948) beruht auf einer deutschen Übersetzung von Claudels DramaL’annonce faite à Marie.
Schrei aus der Tiefe. Eine Auswahl aus den frühen Dichtungen von Paul Claudel. Die Gedichte übertragen vonFranz Fassbinder, die Prosastücke vonKlara Fassbinder. Textzeichnung von Kurt Pohle. Paderborn 1948, Schöningh-Verlag[4]
Die Messe von Paul Claudel. Übertragen und eingeleitet von Klara Maria Faßbinder. Leipzig 1956, St.-Benno-Verlag[5]
Die sieben Busspsalmen mit einer Gewissenserforschung. Frei übertragen von Paul Claudel. Ins Deutsche übertragen von Klara Marie Fassbinder undRobert Kohlstadt. Paderborn 1956, Schöningh-Verlag[6]
Der Kreuzweg, von Paul Claudel. Übers. und Anmerkungen K. M. Faßbinder. Thomas-Verlag, Zürich undSchöningh, Paderborn, 14. Aufl. 1960 (Imprimatur 1938)[7]
Im Dezember 2004 ehrte die Claudel-Gesellschaft La Société Paul Claudel den MalerGötz von Seckendorff (1889–1914), der einige Werke Claudels illustriert hatte, in Bulletin No 176: Hommage à Götz von Seckendorff.
Claudels SchauspielMittagswende (1905) spielt eine wichtige Rolle inHarald Eckers RomanSchmählich (2015).
Die DramatikerinAnja Hilling übertrug zwei Stücke Paul Claudels in eine archaische Zukunft:Mittagswende. Die Stunde der Spurlosen (2017) undTeile (hartes Brot) (2021).
wieder in:Französischer Geist im zwanzigsten Jahrhundert. …,Péguy,Valéry,Larbaud,Bremond Franke, Bern 1952 (Die 3. Aufl. des Buchs von 1923, ergänzt um diese 4 Autoren) 4. Aufl. Francke, Tübingen 1994,ISBN 3-7720-1377-5Sammlung Dalp o. Nr.
Spanische Ausgabe, Teil 1:El espíritu francès en siglo XX. Gide, Rolland, Claudel, Suarès, Péguy Visor, Madrid 1992,ISBN 84-7774-545-5 Reihe La balsa de la Medusa Bd. 45
Herbert Dieckmann:Die Kunstanschauung Paul Claudels Bonn, Cohen 1931. Zugl. Diss. Phil. 1930 (als solche verlegt bei Kolbermoor, München 1931)
dsb.:Das dramatische Werk P. C’s. in: Zs. Neue Schweizer Rundschau, 24. Jg., März 1931, H. 3. Girsberger, Zürich, S. 212–223, sowie folgendes Heft.
Impossible de ne pas mentionner l’ouvrage d’Anatoly Livry, enseignant à l’Université de Nice – Sophia Antipolis et enseignant de Claudel, sur Tête d’Or[8]
Gudula Biedermann:Der Einfluss vonRimbaud undMallarmé auf das dichterische Schaffen Paul Claudels. Diss., Univ. Tübingen 1956.
Gudula Biedermann:Rückkehr zum magisch-religiösen Ursprung der Sprache bei Baudelaire, Mallarmé, Rimbaud und Claudel. In: Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg (Hrsg.):Deutschland – Frankreich. Ludwigsburger Beiträge zum Problem der deutsch-französischen Beziehungen, Bd. 2 (=Veröffentlichungen des Deutsch-Französischen Instituts Ludwigsburg e. V. Band 2), Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1957, S. 180–188.
Louis Chaigne:Paul Claudel. Leben und Werk,. Aus dem Französischen ins Deutsche übertragen von Klara Marie Fassbinder. Vorwort von Robert Grosche. Heidelberg 1963, Kerle-Verlag, 299 S.[9]
S. Noma (Hrsg.):Claudel, Paul Louis Charles. In: Japan. An Illustrated Encyclopedia. Kodansha, 1993.ISBN 4-06-205938-X, S. 207.
Jens Rosteck:Darius Milhauds Claudel-Opern „Christophe Colomb“ und „L’Orestie d’Eschyle“. Studien zu Entstehung, Ästhetik, Struktur und Rezeption. Laaber, Laaber 1995
Album Claudel. Iconographie choisie et annotée par Guy Goffette. Bibliothèque de la Pléiade. Éditions Gallimard, 2011.ISBN 978-2-07-012375-9. (Illustrierte Biographie.)
↑abCatherine Chadefaud:Histoire des femmes en France de la Renaissance à nos jours (= Collection « Biographies et mythes historiques »). Éditions Ellipses, Paris 2023,ISBN 978-2-340-07811-6,S.427.
↑Claude Quétel:Vichy (= Emmanuel Hecht [Hrsg.]:Collection Vérités et légendes (VL)). Éditions Perrin, Paris 2024,ISBN 978-2-262-10104-6,S.175f.
↑Paul Claudel:Schrei aus der Tiefe: Eine Ausw. aus den frühen Dichtungen. Schöningh, Paderborn 1948 (dnb.de [abgerufen am 26. Februar 2025]).
↑Paul Claudel, Paul Claudel:Die Messe. St. Benno-Verl, Leipzig 1956 (dnb.de [abgerufen am 26. Februar 2025]).
↑Paul Claudel, Paul Claudel:Die sieben Busspsalmen mit einer Gewissenserforschung. Schöningh, Paderborn 1956 (dnb.de [abgerufen am 26. Februar 2025]).
↑weitere Claudel-Übersetzungen durch K. M. F. in diesen Verlagen:Die Messe; Auswahl aus den frühen Dichtungen; Die SiebenBußpsalmen. Morceaux choisis.