Patrilinearität (lateinisch für „in der Linie des Vaters“),Väterlinie oderVaterfolge bezeichnet dieVererbung und Übertragung von sozialen Eigenschaften und Besitz sowie desFamiliennamens ausschließlich über diemännliche Linie vonVätern anSöhne. Dabei erfolgt die Weitergabe vonVerwandtschaftsbeziehungen,sozialen Positionen, Ämtern,Ansehen,Privilegien und Eigentum von einerGeneration an die nächsteeinlinig nach derAbstammung des Mannes – die Linie der Frau und ihrer Mutter oderihres Vaters bleibt ohne Bedeutung.Töchter werden in der väterlichen Erbfolge nicht berücksichtigt, da sie die Linie ihres Vaters nicht eigenständig fortsetzen können: Nach einerHeirat muss eine Tochter ihr Elternhaus verlassen und zu ihrem Ehemann ziehen(Patrilokalität). Gemeinsame Kinder werden dann zu seinerFamilie gezählt und führen seine Linie weiter, nicht den Namen oder die Abstammungslinie der Ehefrau oder deren Eltern.
Die bekanntesten Formen der Patrilinearität sind „Stammlinien“, vor allem beiAdelsfamilien undHerrschergeschlechtern imeuropäischen Kulturraum. Eine Stammlinie besteht aus einer ununterbrochenen, immerehelich legitimierten Vater-Sohn-Abfolge bis zurück zu einem „Stammvater“, dem ursprünglichen Gründer der Familie; eine solche Linie wird bisweilen alsagnatisch bezeichnet,[1][2] früher auch als „vaterrechtlich“.[3][4]
Patrilinearität ist ein Begriff aus derEthnosoziologie, um die Vorstellungen von Abstammung (Deszendenzregeln) und ihre Bedeutung für die soziale Organisation einerGesellschaft zu untersuchen, vor allem beiethnischen Gruppen undindigenen Völkern. Das direkte Gegenteil ist dieMatrilinearität, bei der die Abstammung, Übertragung und Vererbung nur über die Linie der Müttergeregelt werden. Daneben gibt es gemischte Formen wie die auch in modernen Gesellschaften übliche beidseitige,kognatisch-bilaterale Herleitung der Abstammung von Vaterund Mutter. Bei einigen wenigen Ethnien erben Söhne von ihren Vätern und Töchter von ihren Müttern (parallele Erbfolge).
Rund 50 % der weltweit imEthnographic Atlas erfassten 1300 ethnischen Völker[5] ordnen sich nach ihrer Abstammung über die Linie des Mannes, seines Vaters, dessen Vaters (Großvater) und so fort aufsteigend.[6] Diese reine Väter-Söhne-Linie orientiert sich zwar anBlutsverwandtschaft undbiologischer Vaterschaft, muss aber nicht immer den Tatsachen entsprechen (sieheKuckuckskinder), vor allem bei nurmündlich überlieferten Vorfahrengenerationen (sieheHerkunftssagen). Außerdem sindrechtliche Formen der Verwandtschaft möglich (Adoption,Vaterschaftsanerkennung). In fast allen patrilinearenGruppen und Gesellschaften liegt nach einer Heirat der eheliche Wohnsitz am Ort des Ehemannes, meist bei seinem Vater, die Ehefrau muss hinzuziehen.[7]
In der archäologischen Vererbungslehre (Archäogenetik) wurde über den „paternalen“ Erbgang des männlichen Y-Geschlechts-Chromosoms ein menschlicherAdam des Y-Chromosoms errechnet, der vor geschätzten 75.000 Jahren in Afrika lebte: Mit diesemAdam sollen alle heute lebenden Männer biologisch in direkter Linie verwandt sein (siehe unten).
Bei der patrilinearen Abstammungsfolge einersozialen Gruppe oderGesellschaft entscheidet ausschließlich diemännliche Linie derVorfahren einer Person über ihre Gruppenzugehörigkeiten mit entsprechenden Rechten und Pflichten. Diese Väterlinie verläuft in aufsteigender Folge über denVater, dessen Vater (Großvater), wiederum dessen Vater (Urgroßvater) und so weiter zurück. PatrilineareStammbäume beziehen sich mindestens auf den Ururgroßvater väterlicherseits, haben aber oft eine Tiefe von zehn und mehr Vorväter-Generationen. Väterlinien verstehen sich als „Blutlinie“, wobei in jeder Generation von Bedeutung ist, dass derNachkomme einerlegitimenEhe entstammt (Ehelichkeit). Sonderregeln gelten fürrechtliche Vaterschaften, beispielsweise durch Adoption oder Anerkennung einesKindes.
Der alleinige Bezug auf die väterlicheAbstammung bedeutet zwangsläufig, dass die männliche Abfolge absteigend nur über (eheliche) Söhne fortgeführt werden kann – Töchter können ihre eigene väterliche Linie nicht fortsetzen, weil ihre Kinder (Enkel) zur Familie ihres Ehemanns zählen, seinenFamiliennamen tragen und seine Linie weiterführen, nicht aber die Linie der Mutter oder ihres Vaters. Fast immer muss die Ehefrau nach der Heirat zum Ehemann oder seiner Familie ziehen (Patrilokalität), oft geht dabei dersoziale Status und möglichesEigentum der Ehefrau an den Ehemann über. Folglich wird es zum Ziel jedes Mannes, innerhalb einer Ehe einen männlichen „Stammhalter“ zu zeugen, der wiederum einen legitimen männlichen Nachkommen zeugt, und so fort, ansonsten würde sein Zweig des väterlichen „Stammbaums“ enden. Von Ehefrauen wird dasGebären vieler Söhne erwartet, damit zumindest einer überlebt, wobei oft derErstgeborene oder zumindest älteste Sohn bevorzugt wird (Erbfolgeprinzip derPrimogenitur).
„Eine Tochter erbt kein Land von ihrem Vater, außer wenn sie keine Brüder hat, wenn sie eine Erbtochter(Frau-Erbe) ist, und auch dann nur auf Lebenszeit.“
Patrilinearität ist einsoziales Konstrukt, eine gedankliche Vorstellung, die Angehörige einer Gruppe oder Gesellschaft von ihrer Herkunft (Aszendenz) haben. Das geltendeAbstammungssystem (Deszendenz) wirkt alssoziale Norm undregelt, wen ein Mensch zu seinerVerwandtschaft zählt und wen nicht, wen er heiraten darf und wen nicht, sowie von wem ererben und an wen er vererben wird.
In der Fachliteratur sowie im internationalen Gebrauch werden die Bezeichnungen oft mit Bindestrich getrennt: Patri-Linearität,Patri-Lokalität, Patri-Lineage und Patri-Clan, um sie im Textzusammenhang leichter zu unterscheiden, auch von mütterseitigenMatri-Wortverbindungen.
Agnation
Eine rein patrilineare Vererbungsfolge wird bisweilen alsagnatisch bezeichnet,[1][2]ein Begriff aus dem altenrömischen Recht für ausschließlich männlicheBlutsverwandte, die Agnaten (lateinischagnatus „der Hinzu-/Nachgeborene“), die sich in einer ununterbrochenen männlichen Väterlinie von einem gemeinsamenStammvater herleiten. Die Agnation war Teil derrömischen Vorstellung von „väterlicher Gewalt“(Patria Potestas) und betrachtete Frauen und männlicheSeitenverwandte als nur „kognatisch“ (lateinisch „mitgeboren“), sie gehörten nicht zum „Mannesstamm“ (siehe auchEhe im Römischen Reich). Agnatisch gesehen ist ein Sohn nicht mit denSchwestern seines Vaters (Tanten) verwandt, streng genommen nicht einmal mit seinen eigenen Schwestern. Gute Beispiele für Agnation liefern die beiden erfundenen „Stammbäume von Jesus Christus“ in denbiblischen Evangelien: reine (Erbsohn-)Vater-Abfolgen über bis zu 78Generationen; die vierStammmütter sind die einzigen Frauen, werden aber nur erwähnt, weil Agnaten ohne Erbsohn starben (sieheErbtochter).
Diese Sichtweise von Frauen alskognatisch unterscheidet die Agnation von anderen patrilinearen Systemen, bei denen auch die Töchter als Mitglied der patrilinearen Abstammungsgruppe gelten, wobei aber nur die männlichen Mitglieder der Patri-Linie die Mitgliedschaft in der Linie an ihre Nachkommen weitergeben können, auch an ihre Töchter.[1]
Patriarchat
Im Unterschied zur extrempatriarchalisch geprägten Rechtsvorstellung der Römer ist Patrilinearität nicht zwingend mitgesellschaftlicher Herrschaft verbunden, für diese bildet sie allerdings eine Grundlage. Zu unterscheiden ist auch, ob Patrilinearität als „Väterfolge“ bei einzelnen sozialen Gruppen oder bei ganzen Gesellschaften untersucht wird, und obgeschichtliche Völker untersucht werden oder gegenwärtigeEthnien undindigene Völker.
DieEthnosoziologie untersuchtAbstammungsregeln in Bezug auf die sich daraus ergebendenVerwandtschaftsbeziehungen,Heiratsregeln und soziale Organisation; nur am Rande interessieren dabei tatsächlichebiologische Zusammenhänge. Erforscht werden auch die Gründe, warum Gruppen und Gesellschaften mit entschiedener Ausschließlichkeit nur (noch) der patrilinearen Linie der Vaterschaft folgen und nicht der offensichtlichen Linie der Mütter oder beiden Linien gleichzeitig. Demgegenüber hat mehr als die Hälfte der weltweit 1300 indigenen Völker und Ethnien[5] andere Abstammungs- und Vererbungskonzepte entwickelt und folgt derMütterlinie oder beiden Linien,[6] woraus sich andere Verwandtschaften, Heiratsbräuche und soziale Strukturen ergeben.
Vaterrecht
Patrilinearität wurde früher auch alsvaterrechtlich bezeichnet,[3][4] denn der systematische Ausschluss von Töchtern (und unehelichen Kindern) aus der Erblinie stellt zusammen mitErstgeburtsrechten einErbrecht dar und ist eine (vorstaatliche)Rechtsordnung (siehe auchRechtsethnologie). Allerdings gehört zu einem Vaterrecht im Sinne einer Männer-Herrschaft (Patriarchat) mehr als nur die väterliche Abstammungsregelung. Der Begriff des Vaterrechts wurde 1861 vom Schweizer RechtshistorikerJohann Jakob Bachofen in seinem WerkDas Mutterrecht eingeführt,[8] wird aber in der aktuellen Forschung wegen seiner Unschärfe vermieden. Außerdem hatte Bachofen den Begriff als Bestandteil seiner dreistufigen Entwicklungstheorie von menschlichen Gesellschaften entwickelt (Evolutionismus), die als überholt gilt (sieheMultilineare Evolution).
Die Arbeit von Bachofen und anderen „Völkerkundlern“ (Ethnologen) beschleunigte die wissenschaftliche Entwicklung zur heutigenEthnologie (Sozialanthropologie), vor allem mit umfangreichenFeldforschungen und Datensammlungen, die bis heute imEthnographischen Atlas erfasst werden (Stand 2018: 1300 Ethnien).[5] In der Ethnologie wurde dann ab 1900 die Ethnosoziologie entwickelt, als Teilbereich von Ethnologie undSoziologie, um die Untersuchung vonsozialen Beziehungen in Gruppen und Gesellschaften zu systematisieren. In der neueren Forschung wird die Wichtigkeit der Abstammung (Deszendenz) in ihren AusprägungenPatrilinearität undMatrilinearität auch grundsätzlich hinterfragt (sieheKritik am Konzept der Deszendenz).
Patri-Linearität als alleinigeAbstammungsregel befolgen 46 % aller weltweit erfasstenindigenen Völker undEthnien (1998: 584 von 1267),[6] von diesen wohnen wiederum 96 % nach einer Heiratpatri-lokal beim Ehemann, dessen Vater,Familie oder Abstammungsgruppe (Lineage,Clan).[9] Dazu kommen etwa 5 % (63 Ethnien), bei denen Patri-Linearität nur bei einem Teil der sozialen Gruppen gilt, während sich gleichzeitig andere Lineages oder Clansmatri-linear nach der Mütterlinie ausrichten (siehe dazu auch das häufigeMoiety-System aus zwei Erblinien).
Ein praktisches Beispiel verdeutlicht Unterschiede zu rein patrilinearen Gesellschaften:
Das kleine Volk derNgaing inPapua-Neuguinea folgt einer zweilinigen,bilinearen Abstammungsregel, vom Vaterund von der Mutter. Im Dorf umfassen die väterseitigen Abstammungsgruppen (Patri-Lineages) 3 bis 5 Generationen und bilden größere Patri-Clans, welche die Grundeinheiten der Siedlung ausmachen. Über sie werden die Regeln derexogamen Heirat (zwischen den Clans), der Landrechte (wichtig fürGartenbau und Jagd) und derRitualrechte (wichtig für Männerkult-Zeremonien) weitergegeben und vererbt. Ähnlich organisiert sind die parallel zu den Männern berechtigten mütterseitigen Abstammungsgruppen (Matri-Lineages), die dasTotem-Recht auf sich vereinen und damitSchutzgeistfunktionen ausüben. Die einzelnen Gruppen leben im Siedlungsgebiet verstreut und befolgen dieeheliche Wohnfolgeregel der Patri-Lokalität: Der Wohnsitz eines verheirateten Paares wird beim Ehemann eingerichtet, der bei seinem Vater wohnt. Versammlungen beider Gruppierungen zu gemeinsamen Aktivitäten finden nicht statt.
Bevor soziale Gruppen sich in patrilinear geordnetenGroßfamilien,Clans oderStämmen organisieren können, muss ihnen die Tatsache der biologischen Vaterschaft bekannt sein als Beteiligung von männlichen Lebewesen bei derZeugung von Nachkommen. Weitergehend müssen sie diemenschliche biologische Vaterschaft erkennen, die Tatsache, dass derMann durch denGeschlechtsakt an der Zeugung neuen Lebens beteiligt ist, das von derFrau rund neun Monate später zur Welt gebracht wird. Augenfällig ist diese Beteiligung nicht, denn dieEmpfängnis als Verschmelzung vonSpermium undEizelle kann bei derBefruchtung nicht beobachtet werden, und der zeitliche Zusammenhang zur späterenGeburt ist kaum nachvollziehbar (auch heute noch, vergleicheVaterschaftsvermutung).
DieErkenntnis der biologischen Vaterschaft verbreitete sich durchViehzucht,Ackerbau undSesshaftigkeit in einer Jahrtausende dauernden Entwicklung etwa ab 10.000 v. Chr. im Gefolge der „Neolithischen Revolution“ in verschiedenen Gegenden der Welt.[10] Noch im Jahr 1914 fand der polnischeEthnologeBronislaw Malinowski imsüdpazifischenMelanesien bei denTrobriandern eine Gesellschaft vor, die biologische Vaterschaft nicht kannte.[11] Mit zunehmenderNeolithisierung und Ausbreitung des neuen Wissens entwickelten oder übernahmen Gruppen oder ganze Gesellschaften zu verschiedenen Zeiten und aus unterschiedlichen Gründen patrilinear geordnete Formen der sozialen Organisation.[10]
Einlinige(unilineare) Abstammungssysteme wie die Patrilinearität finden sich in vielen nicht-staatenbildenden Gesellschaften und ethnischen Gruppen, in denen es wichtige Güter wie Land und Vieh aufzuteilen und zu vererben gilt (siehe auchEntwicklung von Privateigentum).[2] So sieht der deutsche SoziologeGeorg Simmel einen Zusammenhang zwischen der Durchsetzung nomadischer Lebensformen und patrilinearen Verwandtschaftssystemen. Mit der Mobilität des Besitzes entfernen die Männer die Frauen aus der Nachbarschaft ihrer Herkunftsfamilien.[12] Dennoch behielt oder bekam auch diematri-lineare Abstammung eine gewisse Bedeutung beiInzestverboten bezüglich der Paarung eines Sohnes mit engen Verwandten aus seiner Mütterlinie.[13]
Emmanuel Todd, dessen Interesse der historischen Verbreitung der Familienstrukturen im Raum gilt, geht 2017 davon aus, dass sich die männlichePrimogenitur inSumer seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. und inChina unabhängig voneinander unter dem Einfluss der Verknappung von Boden entwickelt hat. Diese Entwicklung inMesopotamien habe dann Einfluss auf Nordindien und Europa ausgeübt. Der für Sumer (5000–2000 v. Chr.) typische doppelte Anteil des Ältesten am Erbe finde sich auch in der Bibel und in der indischen TextsammlungManusmriti. Dieses Prinzip wie die männliche Primogenitur überhaupt habe zur räumlichen Expansion der Landwirtschaft geführt, weil die jüngeren Brüder gezwungen waren, neuen fruchtbaren Boden zu suchen. Todd weist jedoch darauf hin, dass die patrilineale „Stammfamilie“ inEurasien später in teils insuläre oder isolierte Randlagen abgedrängt wurde (nach Japan, Korea, Tibet, Südskandinavien, Deutschland, Okzitanien und in den Norden der britischen Inseln, worauf auch die Bevölkerungswissenschaftlerin Antoinette Fauve-Chamoux und die Soziologin Emiko Ochiai hingewiesen haben). In diesen Regionen taucht die patrilineare Stammfamilie im Mittelalter auf, in Europa zuerst beim frankonormannischen Adel im 11. Jahrhundert, in Japan recht spät, wo sie erst im 19. Jahrhundert rechtlich kodifiziert wird. Todd führt diese Entwicklung im Westen und Osten der eurasischen Landmasse auf die Überlagerung durch einen Familientyp mit zeitweiser patrilokaler Koresidenz, also einen Verbund von patrilinearen Kernfamilien(Clan) mit maximal zwei koresidierendenGenerationen zurück, der in relativ jüngerer Zeit aus dem großen Siedlungsraum der eurasischen Steppennomaden heraus entstanden sei, und zwar zuerst beiAmurritern,Aramäern und schließlich beiArabern. Diese Familienstruktur sieht Todd als Folge einer wegen des reichlich vorhandenen, für die Viehzucht mehr als ausreichenden Bodens nur unvollkommen erfolgten Übertragung des patrilinealen Familienprinzips auf die eurasischen Viehzüchter an; sie fördere jedoch die demographische Expansion und die militärische Schlagkraft, was wiederum zu ausgedehnten Kriegszügen um Nahrungsressourcen führe. Daneben existieren – ebenfalls in Randlage – die größeren Inseln der kommunitären patrilinearen Familien der gleichberechtigten Söhne ohne die Einrichtung der Primogenitur unter der Ackerbauern Russlands, Chinas, Nordindiens, Vorderasiens und auf dem Nordbalkan. Dabei handele es sich um zeitweise von Nomadenvölkern unterworfene sesshafte Kulturen, denen unter der Herrschaft der Nomadenclans das kommunitäre Prinzip aufgezwungen worden sei. Sie vereinten das Autoritäre der Stammfamilie mit der Gleichrangigkeit der Brüderhorde aus den nomadischen Clans und führten zu einer Absenkung des Status der Frau, vor allem imNahen Osten und im NordenIndiens.[14]
Erstmals im Jahr 1926 wurde inWien durch einanthropologischesGutachten der wissenschaftlicheNachweis über die Abstammung eines Kindes von einem bestimmten Mann geführt.[15] In der Gegenwart ermöglicht diegenetische Analyse eineunwiderlegbare Eindeutigkeit, bis hin zuAbstammungsgutachten während derSchwangerschaft.
Da es für einen Ehemann grundsätzlich kein mit der Geburt des Kindes gleichwertiges äußeres Beweiszeichen seiner Vaterschaft gibt (ähnliches Aussehen ist nur einIndiz), bleibt immer die Möglichkeit, dass jemand anders als der Ehemann derbiologische Vater (Genitor) des Kindes ist. Dieses grundlegende Problem der Patrilinearität zeigt sich im 2000 Jahre altenrömischenRechtssprichwortPater semper incertus est: „Der Vater ist immer ungewiss“; er muss das Kind erst förmlich als das seine anerkennen. Demgegenüber galt und giltMater semper certa est: „Die Mutter ist immer sicher“, Mutter ist die Frau, die das Kind geboren hat (steht wörtlich seit 1992 auch im deutschenBürgerlichen Gesetzbuch in§ 1591). Daraus folgte bei den RömernPater est, quem nuptiae demonstrant: „Vater ist [nur], wer durch die Heirat als solcher erwiesen ist“ (siehe auchVaterschaft im deutschen Recht).
Die Grundlage fast aller patrilinear geordneten Gruppen und Gesellschaften ist deshalb eine offizielleVaterschaftsanerkennung von ehelichen Kindern in sozialer und vor allem juristischer Hinsicht (siehe auchEhelichkeitserklärung). Meist findet diese in den Tagen nach der Geburt statt; manche Gruppen erlauben dem Vater dabei grundsätzlich, das Kind nicht als eigenes anzunehmen und die Vaterschaft abzulehnen. Das römische VaterrechtPatria Potestas erlaubte sogarKindstötung. Mit steigendemsozialem Status spielt die Eindeutigkeit der Abstammung eine immer wichtigere Rolle, entsprechend heftiger werden im Streitfall dieAuseinandersetzungen bezüglich derLegitimität von Nachkommen und ihrer(Un-)Ehelichkeit.
Die Sicherstellung der biologischen Vaterschaft wird als ein wesentlicher Grund für patrilineareErbfolge verstanden (siehe auchEuropäische Männlichkeitsentwürfe, sowieReligiöse Bestimmungen zur Sicherstellung der Vaterschaft). Eine der ältesten erhaltenen germanischen Rechtssammlungen schloss Frauen von derThronfolge aus, selbst wenn keine männlichenErben existierten: die berühmteLex Salica (Salisches Recht) desFrankenkönigsChlodwig I. aus dem Jahr 511, der sich im Übrigen einige Jahre zuvor hattekatholischtaufen lassen.
Im strikt patrilinearenarabischen Kulturraum erhält ein Ehemann und seine Ehefrau, sobald der erste Sohn geboren wird, diekunya als neuen Namensbestandteil: „Vater des [Name des Sohnes]“(Abū…) und „Mutter des [Name des Sohnes]“(Umm…). So wurde derProphet Mohammed nach der Geburt seines ersten Sohnes al-Qāsim entsprechendAbū l-Qāsim genannt: „Vater des al-Qāsim“. Das Ansprechen einer Person mit ihrer Kunya gilt als Ehrenbezeigung ihr gegenüber. Der WienerSozialhistorikerMichael Mitterauer schreibt 2003 dazu:[16]
„Die ‚kunya‘ in ihrer ursprünglichen Bedeutung lässt erkennen, welche enorme Bedeutung Söhnegeburten in diesem Kulturkreis zukam. Die Fortsetzung des Mannesstamms sichergestellt zu haben, veränderte die Position eines Mannes bzw. seiner Frau derart, dass der persönliche Name erweitert wurde. Dieser hohe Stellenwert von Söhnegeburten beeinflusst die Familienstruktur grundlegend.“
In fast allen patrilinearen Gruppen oder Gesellschaften muss eine Ehefrau nach ihrerHeirat ihr Elternhaus verlassen und zum Wohnsitz oder Wohnort ihres Ehemannes, dessen Vaters oder dessen Familie umziehen. Diese eheliche Wohnfolge (Residenzregel) wird alsPatri-Lokalität (lateinisch „am Ort des Vaters“) bezeichnet oder allgemeiner alsViri-Lokalität („am Ort des Mannes“). Dadurch entstehen enge Beziehungen zwischen dem Vater und seinen Söhnen sowie zwischen den Brüdern und ihren Familien, während die Familie der Ehefrau ohne Bedeutung bleibt. Gewöhnlich bilden Väter, Brüder und Söhne eine Kerngruppe,[7] bis hin zu umfangreichen Patri-Lineages und Patri-Clans, innerhalb deren sich alleVerwandtschaftsbeziehungen auf nur eine Väterlinie beziehen. Alle Töchter heiraten hinaus (sieheExogamie), Söhne holen sich Ehefrauen aus anderen Abstammungsgruppen herein.
96 Prozent aller Ethnien mit Patrilinearität praktizieren Patrilokalität – von allen patri-lokalen Ethnien sind 95 Prozent patri-linear (sieheVerhältnis von Residenz und unilinearer Deszendenz). Weltweit findet sich nur eine Ethnie mitpatri-linearer Abstammungsregel, abermatri-lokaler Wohnfolgeregel.[9]
In patrilinear geordneten Gemeinschaften und Gesellschaften ist der Vater für densozialen Status seiner (anerkannten) Kinder verantwortlich; er beansprucht auch ihre Repräsentation nach außen und die Verfügungsgewalt über sie. In Ehen kann dies nicht nur gemeinsame Kinder betreffen, sondern auch seine Kinder von anderen (früheren) Frauen sowie die nicht von ihm abstammenden (früheren) Kinder seiner Ehefrau(en). Diesoziale undrechtliche Stellung der Ehefrau hängt sehr von ihrer Fähigkeit ab, eine möglichst große Zahl von männlichen Nachkommen zu gebären. Die Unfähigkeit, Söhne zu zeugen, führt oftmals zurVerstoßung der Ehefrau, zurScheidung von ihr oder zur Heirat mit einer zweiten oder dritten Frau (Vielehe, siehePolygynie).[17]
Um die Möglichkeit auszuschließen, dass das Kind eines Ehepaares von einem anderen Mann stammt, entwickeln die patrilinearen Kulturen viele und einschneidendesoziale Vorschriften für das geschlechtliche Zusammenleben (auch in Deutschland galt bis 1957 derGehorsamsparagraph). Ehefrauen sollen durch beschränkte Ausgehmöglichkeiten,Verhüllung und die harte Bestrafung im Falle desFremdgehens von anderen Sexualkontakten ferngehalten werden. Betroffen von solchen Regeln sind aber direkt oder indirekt auch alle unverheirateten Frauen imempfängnisfähigen Alter. Daraus entwickelt sich eineGeschlechterhierarchie, bei der Frauen aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden, bis hin zurGeschlechtertrennung beim familiären Essen.[18]
In vielen alten Rechtssystemen war die Frau dem Mann untergeordnet: zuerst dem Vater, dann dem Ehemann, als Witwe schließlich dem Sohn (sieheGeschlechtsvormundschaft als Familienpatriarchalismus: rechtliche Unselbständigkeit von Frauen).
Da Töchter ihre väterliche Linie nicht fortsetzen können – ihre Kinder werden zur Familie und Linie des jeweiligen Ehemanns gerechnet –, brauchen Männer männliche „Stammhalter“. Aus diesem Zusammenhang folgt die zunehmende Benachteiligung von Töchtern in patrilinearen Gruppen und Gesellschaften. Im Extremfall werden ungewollte Töchter sogar ausgesetzt oder getötet (siehePatria Potestas undFrauentötung). Nicht nur sind Töchter von der Weitergabe undErbschaft von sozialen Eigenschaften undEigentum ihres Vaters ausgeschlossen – es lohnt auch keine Investition in sie, denn der zeitliche Aufwand und materielle Aufwendungen wären verloren, sobald die Tochter nach ihrer Heirat zur Familie des Ehemannes umgezogen ist. Das führt dazu, Töchter möglichst frühzeitig zu „verheiraten“, damit der Ehemann ihren weiterenLebensunterhalt übernimmt und dadurch ihre Familie entlastet. In vielen Kulturen (auchmatrilinearen) ist ein „Brautpreis“ üblich, den derBräutigam den Eltern der Braut bezahlt (meist dem Vater), auch als Entschädigung für seine „Unkosten“ der Tochtererziehung.
So lohnt doch ein gewisser Aufwand, um Töchter interessanter für ihre Verheiratung zu machen, damit sie einen möglichst wohlhabenden Ehemann finden, der lebenslang für sie sorgen wird. Daraus folgt in patrilinearenKulturräumen eine Beschränkung zuerst von Töchtern, schließlich von allen Frauen auf „frauliche“ Eigenschaften und Fertigkeiten, die Männern gefallen (sieheKulturelle Vorstellung von „Weiblichkeit“ undFrauenhass).
Die Untersuchung verschiedenerVerwandtschaftsbezeichnungen wurde von derEthnosoziologie lange Zeit ins Zentrum ihrerFeldforschungen gestellt. Umfangreiche Beschreibungen versuchten, die verschiedenenVerwandtschaftsbeziehungen vonethnischen Gesellschaften zu erklären und zu unterscheiden (sieheVerwandtschaftssysteme nach Murdock). Mittlerweile versteht die Ethnosoziologie das jeweilige Verwandtschaftssystem nur als einen Faktor von mehreren bei der Untersuchung von sozialen Strukturen und der Stellung des Einzelnen darin.
Patrilineare Verwandtschaftsgruppen (Kindreds) schließen indirekteBlutsverwandte wieOnkel,Großtanten oderNeffen (kollaterale Seitenverwandte) beiderlei Geschlechts ein, aber niemals Verwandte von eingeheirateten Ehefrauen (Schwägerschaft:affine, „angrenzende“ Verwandte). Imagnatischen Verständnis der männlichen Erbfolge werden grundsätzlich keine Frauen zur eigenen Linie gerechnet, auch Töchter werden als nur „kognatisch“ („mitgeboren“) eingeordnet.
In patrilinearen Gruppen werdenVerwandte vor allem danach unterschieden, ob sie von Geschwistern verschiedenen Geschlechts (Kreuzverwandte) oder von Geschwistern gleichen Geschlechts (Parallelverwandte) abstammen (siehe auchPatrilaterale Verwandtschaft). Diese Unterscheidung der kollateralen Seitenverwandten inKreuz- und Parallelverwandte ist eine der wichtigsten Bedingungen bei der systematischen Einordnung von verwandtschaftlichen Systemen und zur Erklärung vonHeiratsregelungen.
Die verwandtschaftliche Trennung spielt vor allem beiEheschließungen eine Rolle, insbesondere bei derKreuzcousinenheirat, bei der ein Kind der Vaterschwester oder des Mutterbruders geheiratet werden darf. Denn die Söhne werden die Linie des Mannes fortführen, nicht die der Mutter. Es entwickelt sich eine spezielle Ausformung der Ehe, bei der „uneheliche“ Kinder ausgeschlossen werden.
„Vater ist, wer durch die Heirat als solcher erwiesen ist:Pater est, quem nuptiae demonstrant“
Ein praktisches Beispiel zur Verdeutlichung von Kreuz- und Parallelverwandtschaft liefern dieAusschlussregeln für Ehen bei den heutigen afrikanischenAkan-Völkern inGhana:
Es entwickeln sich weitreichende Beziehungssysteme, die durch wiederholtes Heiraten über mehrere Generationen zwischen verschiedenen patrilinearen Abstammungsgruppen oder anderen Verwandtschaftsgruppen zu einer dauerhaftenAllianz führen, mit festgelegten Heiratsbeziehungen nur untereinander.[19]
Im Allgemeinen besteht einHeiratsverbot mit Angehörigen dereigenenAbstammungsgruppe (Lineage). Spiegelgleich existiert aber auch ein Prinzip der inwärtigen Heirat (Endogamie), nach dem die Mitglieder der Gruppe den Ehepartner aus der meist umfangreicheren Abstammungsgruppe wählen sollen, also aus einem anderen Segment als demjenigen, dem die eigene Lineage angehört.[20]
Siehe auch:Exogamie,Endogamie,Parallelcousinenheirat (bint ʿamm: Tochter des Vaterbruders),Inzestverbot (Blutschande)
Patrilineare Gruppen und Gesellschaften organisieren sich fast immer nach dem Prinzip der männlichenSeniorität: Dererstgeborene (oder)älteste Sohn steht über seinenGeschwistern, auch über älteren Schwestern, er ist der „Stammhalter“. Der Grund für die Bevorzugung des ältesten Sohnes liegt in der längeren Einflussmöglichkeit des Vaters; in patrilinearen Gesellschaften wird der älteste Sohn gewohnheitsmäßig in die Fertigkeiten und denBeruf des Vaters eingearbeitet und hat dadurch den Vorteil einer längeren Ausbildung.
Der älteste Sohn steht deshalb mit seinem „Erstgeburtsrecht“ oder „Ältestenrecht“ auch in derErbfolge an erster Stelle (inmatrilinearenAbstammungsgruppen die letztgeborene Tochter, sieheUltimagenitur bei den nordostindischen Khasi). Für den Fall, dass es keinen männlichen Nachkommen gibt, entwickeln patrilineareFamiliengeschlechter komplizierte Regelungen bezüglich der Erb- undRechtsnachfolge, wie dasMajorat, dasMinorat, oder in seltenen Fällen einErbtochter- oderErbjungfernrecht. Manchmal müssen die Rechte von Söhnen eines verstorbenen Familienvaters gegenVorrechte seiner älteren Brüder (Onkel) abgewogen werden. Bei denAdelsfamilien deseuropäischen Kulturraums verzweigt sich an solchen Bruchstellen dieStammlinie in eine Haupt- und eine Nebenlinie oder in mehrere Seitenlinien (sieheHausgesetz), die als „Mannesstamm“ bezeichnete Hauptlinie kann „erlöschen“ (siehe auchWappenrecht).[21]
Wegen der fehlenden Überprüfbarkeit von Vaterschaft ist es für patrilinear geordnete Gruppen einfach, sich auf einesagenhafte odermythischeVorfahrengeneration zu beziehen, um daraus abgeleitete Gruppenzugehörigkeiten und Rechte zukonstruieren („genealogische Fiktion“,[22] sieheHerkunftssagen, Beispiele: biblische „Vätergeschichte“ und „Stammbäume Jesu“).
In Kulturen mit einem patrilinearen Abstammungsverständnis wird dieZeugungskraft des Mannes/Vaters oft bedeutungsmäßig überhöht, beispielsweise durch dieWunschvorstellung desSpermas als „männlicher Samen“, obwohl es für sich genommen nichtkeimfähig und deshalb nicht mitPflanzensamen vergleichbar ist. So behaupteten im 5. Jahrhundert v. Chr. die griechischen PhilosophenHippon undAnaxagoras, dass nur der Mann zeugungsfähigen Samen bilde und der weibliche Organismus den Keim nur ernähre, ihm nur als „Gefäß“ diene (sieheVorgeschichte der Genetik).
Ein bekanntes Beispiel dazu: Das kleine patrilineare Volk derEtoro inPapua-Neuguinea glaubt, dass Sperma die Quelle aller männlichen Stärke und Macht sei. Sperma sei eine knappeRessource, die nicht produziert, sondern nur von Männern anpubertierende Knaben weitergereicht werden könne. Daher geben Männer ungern ihr Sperma an Frauen ab, außer zum Zweck derFortpflanzung, und das nur an etwa 100 rituellen Tagen pro Jahr. Bei den Etoro verlangt der rituelle Übergang vom Jungen zum Mann (Initiation), dass die pubertierenden Jungen oralen Sex (Blowjobs) an älteren Männern ausführen und ihr Sperma schlucken. So sollen die Jungen die Fähigkeit erhalten, das erhaltene Sperma ihrerseits an jüngere Knaben und an Frauen weiterzugeben. Weil die Etoro glauben, dasshomosexuelle Sexualkontakte die Jungen stärken und die Fruchtbarkeit der Pflanzen mehren, unterliegtSex zwischen Männern keinen Einschränkungen.[23][24] Solche Vorstellungen finden sich auch bei anderen Völkern auf der großen InselNeuguinea.
Grundsätzlich entwickelt sich aus der Tatsache, dass die weibliche Seite die vaterseitige Linie nicht eigenständig fortführen und ihre soziale Position und Eigentum nicht an ihre Kinder übertragen kann (nur an ihren Ehemann), eine soziale und kulturelle Konzentration auf denMann und seine „Männlichkeit“. Schließlich wird der erste Mensch zum Mann (beispielsweiseAdam), und letztendlich wird ein männlicher Ursprung allen Lebens behauptet.[25] Diese Sichtweise gipfelt imAndrozentrismus, der Männer als Zentrum, Maßstab undNorm versteht und die Frau als Abweichung von dieser Norm ansieht (vergleicheHegemoniale Männlichkeit undMaskulinismus).
Für allemonotheistischen Religionen (Eingottglaube) und auch für andereGlaubenssysteme ist die patrilineare Abstammung ihrerGottheiten undGeistwesen, ihrerPropheten oder ihrerPriester von entscheidender Bedeutung, imChristentum angefangen beimStammvater Abraham bis hin zu der Vorstellung vomGottvater mit seinemmenschgewordenenSohn Gottes, dem „Geweihte Jungfrauen“ alsBräute Christi anverlobt werden (sieheDie mystische Hochzeit geweihter Jungfrauen).
Schon im klassischenJudentum war dieErbfolge für Könige oder hochgestellte Persönlichkeiten fast ausschließlich männlich. ImAlten Testament erhält derisraelitische KönigDavid von seinemGottJHWH die Zusage der „ewigen Thronfolge“ (2. Buch Samuel 7,12–13), entsprechend wurde derMessias (Heilsbringer) als spätgeborener „Wurzelspross“ der patrilinearen Linie des königlichen Hauses David erhofft (Buch Jesaja 11,1, siehe auchWurzel Jesse). Dazu gestalten später dasLukas- und dasMatthäus-Evangelium passende „Stammbäume Jesu“: striktagnatischeStammlinien mit bis zu 73Generationen in reiner Vater-Erbsohn-Abfolge, um die Abstammung desJesus von Nazaret vom königlichen David zu behaupten (eine „Ansippung“ mittels Herkunftssage).
Im jüdischen religiösen Recht (Halacha) gilt nach wie vor Abraham als „Erzvater“ des Volkes. Noch heute vererbt sich dieFamilienzugehörigkeit nur patrilinear, ebenso die Stammeszugehörigkeit alsKohen (Nachfolger des MosesbrudersAaron) oder alsLevite (nach demStammvaterLevi, siehe auchLevi des Y-Chromosoms), wie auch die Gemeinschaftsidentität alssephardischer oderaschkenasischer Jude.Für dieReligionszugehörigkeit ist dagegen nur die Mutter entscheidend: Imkonservativen und imorthodoxen Judentum gilt alsJude oder Jüdin nur, wer Kind einer jüdischen Mutter ist.[26]Auchim Staat Israel gilt amtlich nur als Jude oder Jüdin, wessen Vorfahrinnen bis zu vier Generationen zurück Jüdinnen waren, also in rein mütterlicher Abstammungslinie zurück bis zurUrurgroßmutter.
In einigenReligionen gipfelt dieIdealisierung der patrilinearen Zeugungskraft immythologischen Bild der Kopfgeburt durch männliche Gottheiten, das berühmteste Beispiel istAthene: DieGründergöttin der griechischen Stadt Athen entspringt dem Kopf desGöttervaters Zeus (siehe auchSchenkelgeburt). Derartige Konzepte spiegeln die historische Einvernahme einer fremden Gottheit und ihre Unterwerfung unter ein bestehendes patrilineares Abstammungssystem wider.
In Ein-Gott-Religionen erreicht die Idealisierung derManneskraft schließlich ihren Höhepunkt in der Vorstellung von einem einzigen männlichen „Gott“ als alleinigem „Schöpfer von Allem“, der fast immer mit einem kämpferischenAbsolutheitsanspruch verbunden wird und keine anderenGlaubensbekenntnisse oderOffenbarungen neben sich duldet. Imjesidischen Monotheismus gibt es nicht einmal einePersonifizierung desBösen, weil ihr Gott schwach wäre, wenn er eine zweite Kraft neben sich dulden würde.
In der biologischen Vererbungslehre (Genetik) kann die vaterseitige,paternaleAbstammungslinie über dasY-Chromosom desMannes ermittelt werden, anhand von Abschnitten derDNA, die ohneVeränderung vonGeneration zu Generationweitervererbt werden – bei Menschen also vomVater nur zu seinenSöhnen.
Durch die Analyse von Abstammungslinien wird in derArchäogenetik die genetische Geschichte einerSpezies rekonstruiert. Dort bezeichnetAdam des Y-Chromosoms jenenurzeitlichen Mann, der als gemeinsamerStammvater mit allen gegenwärtigen Männern über eine ununterbrochene Linie ausschließlich männlicher Nachkommen biologisch verwandt ist. Er muss aber nicht unbedingt auch der Vorfahre aller heute lebenden Frauen sein, denn die Analyse des Y-Geschlechtschromosoms kann entsprechend nur bei Männern durchgeführt werden.
DieserAdam ist eine männliche Ergänzung zurEva der Mitochondrien, der urzeitlich erstenFrau, die mit allen gegenwärtigen Personen (nicht nur Frauen) durch die ununterbrochene Linie ihrer Nachkommen verwandt ist und von der alle gegenwärtigen menschlichenMitochondrien (Energiekraftwerke) in unserenZellen abstammen.[27]
Aktuelle Studien zurinneren molekularen Uhr und zu verschiedenengenetischen Markern (kurze DNA-Abschnitte) legen nahe, dass der errechneteAdam des Y-Chromosoms vor geschätzten 60.000 bis 90.000 Jahren inAfrika gelebt hat, wie auch rund 100.000 Jahre früher die mitochondrialeEva, deren Alter auf 175.000 Jahre geschätzt wird (plus/minus 50.000 Jahre).
Allerdings berechnete eine Studie von 2013 für das Y-Chromosom einesafroamerikanischen Mannes, dass sich sein Geschlechtschromosom bereits vor geschätzten 333.000 Jahren von allen anderen Y-Chromosom-Linien abgesondert habe und Ähnlichkeiten mit den heutigen Y-Chromosomen von elf Männern im afrikanischenKamerun aufweise.[28][29]