DiePartisanenrepublik Ossola (ital.Repubblica dell’Ossola) war während 40 Tagen (vom 10. September bis 19. Oktober1944) eine vonPartisanen gegründete „befreite Zone“ (zona liberata) imPiemont im NordenItaliens mitDomodossola als „Hauptstadt“.
Das Gebiet umfasste das gesamteVal d’Ossola, begrenzt im Westen durch die Grenze zumKanton Wallis, im Osten durch die Grenze zumKanton Tessin und im Süden durch eine Linie über die südliche Bergkette desValle Anzasca, das obereValsesia,Ornavasso bis nachMergozzo mit einer Fläche von ca. 1600 km² und ungefähr 82.000 Einwohnern.[1] Ausgenommen war die Gegend umCannobio, die nach einer Woche Unabhängigkeit am 9. September wieder von einer 2.000 Mann starkendeutschen Truppe eingenommen wurde.[2]
Nachdem es verschiedenen bewaffneten Partisanenverbänden unterschiedlicher politischer Couleur gelungen war, die deutschen Besatzungstruppen und italienischen Faschisten in die Flucht zu schlagen, wurde am 10. September in Domodossola, nahe der Schweizer Grenze, die Republik Ossola ausgerufen. Am 12. September wurden vomNationalen Befreiungskomitee (CLN) die Mitglieder der provisorischen Regierung öffentlich bekanntgegeben.
In der Folge wurde das öffentliche Leben aufgrund innovativer Ideen reorganisiert, die sich nicht nur auf die normale Verwaltung beschränkten. Es wurden Parlamente eingerichtet und Dorfräte eingesetzt. Eine eigene Zeitung, Notgeld und Briefmarken wurden herausgegeben. Die Verteilung und Rationierung von Lebensmitteln und Hilfsgütern musste neu organisiert werden.[3]
Die Neuordnung des Justizwesens wurde vom sozialistischen RechtsanwaltEzio Vigorelli in Angriff genommen. Es sollte auf demokratischen Prinzipien beruhen und auch die Rechte der Angeklagten gewährleisten. Die Gefangenen inDruogno in Val Vigezzo wurden ohne Härte behandelt, wie dieTribune de Genève bestätigt haben soll.
Im Erziehungssystem entwickelten antifaschistische Intellektuelle wieGianfranco Contini anspruchsvolle Programme. Es gab Pläne für die Förderung der grundlegenden Allgemeinbildung[4] und für eine fortschreitende Trennung zwischen gymnasialer Ausbildung und Berufslehre[5]. Viele Projekte mussten jedoch angesichts der kurzen Zeitspanne der Republik auf dem Papier bleiben.[6]
Das kurze soziale und politische Selbstverwaltungsexperiment in der größten befreiten Zone Italiens gilt als demokratische Keimzelle der späteren italienischen Republik.
Der am 9. Oktober 1944 durch die deutsche Wehrmacht mit Unterstützung italienischer Faschisten gestarteten RückeroberungsoperationAvanti konnten die Partisanenformationen nur wenige Tage Widerstand leisten.
Eine der letzten Kampfhandlungen war am 18. Oktober 1944 die so genannteBattaglia dei Bagni di Craveggia, ein Gefecht bei den ehemaligen KurbädernBagni di Craveggia westlichSpruga im Tessin. Am 21. Oktober 1944 fiel im Val Formazza die letzte Verteidigungslinie.
Von 1943 bis 1945 flüchteten, nach einem Artikel derNZZ aus dem Jahr 2004, die keine Quellen nennt, etwa 15.000 Zivilisten sowie 30.000 Partisanen und ehemalige Angehörige der königlich italienischen Armee, davon allein 35.000 in den letzten Tagen (12.–22. Oktober 1944), in die Schweizer KantoneWallis undTessin.[7]
„Heute geht man von maximal 10'000 Flüchtlingen aus, davon ungefähr 3000 Partisanen. [...] Doch was die erschöpften Partisanen in der Schweiz erwartete, war keine warme Gastfreundschaft. [...] Nach dem Verhör wurde ein Partisan in eines der vielen Endlager in der Schweiz gebracht. Wenn der Betreffende ins Tessin oder ins Wallis eingereist war, wurde er in der Regel auf die andere Seite der Alpen gebracht, um eine möglichst grosse Distanz zu seinem Einreiseort und der Grenze zu schaffen.Die Ossola-Partisanen landeten deshalb fast alle in Internierungslagern in der Deutschschweiz, viele im Kanton Bern bei Thun, in Mürren, Finsterhennen, Gurnigel, Büren an der Aare oder Langenthal. Einige verschob man in den Kanton Zürich (Wetzikon, Girenbad und Wald bei Hinwil, Adliswil, Nänikon) oder in den Kanton Aargau (Bremgarten). Die Lager wurden meistens an abgelegenen Orten errichtet, um den Kontakt mit der Zivilbevölkerung möglichst zu vermeiden.“
Die Unterbringung erfolgte in schlecht isolierten und selbst im kalten Winter meist unbeheizten Baracken. Trotz Erschöpfung, Unterernährung und knapper Verpflegung mussten viele Partisanen Zwangsarbeit verrichten. Vor allem die so genannten „Garibaldini“ (kommunistische Partisanen) wurden schlecht behandelt.[8]
Mit dem beginnenden Frühjahr 1945 kehrten hunderte der Partisanen nach Italien zurück, um wieder gegen die deutsche Besatzung und die Faschisten derItalienischen SozialrepublikMussolinis zu kämpfen. Formell handelte es sich hierbei nun um eine „Flucht“ aus den Internierungslagern, bei der die Schweizer Behörden jedoch oft beide Augen zudrückten. Hauptsache, der Partisan verließ zügig und für immer die Schweiz.[8]
DasSchweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH) hatteMargherita Zoebeli und Gabriella Meyer am 9. Oktober 1944 beauftragt, im oberen Val d’Ossola (ValFormazza) den Grenzübertritt der flüchtenden Partisanen und Zivilisten zu organisieren. Die Erwachsenen fanden in Flüchtlingslagern Unterkunft, und 2.500 Kinder im Alter zwischen 5 und 13 Jahren wurden durch Vermittlung derKinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes auf Gastfamilien in der ganzen Schweiz verteilt.