Netzpolitik (teilweise auch:Digitalpolitik[1]) bezeichnet einPolitikfeld umnetzkulturelle,medienpolitische undmedienrechtliche Fragen.
Der BegriffNetzpolitik umfasst neben den im Folgenden aufgeführten Themenfeldern auch die resultierenden Kontroversen aus technologischen Entwicklungen und ihrer gesellschaftlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Einflüsse.
In der Netzpolitik verbinden sich seit Mitte der2000er-Jahre zwei Denkschulen: Die ursprünglich aus demLiberalismus entwickeltenFreiheitsrechte in Gestalt derGrundrechte und derBürgerrechte sowie die aus derNetzkultur entstandenen Vorstellungen eines freien, offenen und selbstbestimmten Internets als eines gesellschaftlichen und politischen Raums.[1] AlsQuerschnittsmaterie umfasst die Netzpolitik in einem weiteren Sinne alle gesellschaftlichen Bereiche, die von derDigitalisierung betroffen sind.
Der Unterschied zwischen den BegriffenDigitalpolitik undNetzpolitik liegt vor allem im Fokus auf bestimmte Bereiche. So kann man beispielsweise Diskussionen um das Thema Netzneutralität attestieren, eher im Fokus der Netzpolitik zu stehen, während Diskussionen um Autonomes Fahren eher im Fokus der Digitalpolitik stehen. Beide Themen gehören aber zur Netzpolitik und zur Digitalpolitik.[2][3][4]
Der Begriff der Netzkultur beschreibt die Kultur der digitalen Kommunikation in Datennetzen und legt bei politischen Themen den Fokus unter anderem aufDatenschutz,Partizipation oder die Förderungfreier Inhalte.
Typisch für netzpolitische Themen ist, dass sie wesentlich durch den Stand der digitalen Technik zu einem bestimmten Zeitpunkt bedingt sind und dass die gesellschaftliche Reaktion darauf zu einem großen Teil nicht allein in der Hand des nationalenGesetzgebers oder sonstigerBehörden nur eines Staates liegt. Netzpolitische Fragen werden in komplexen Prozessen gestaltet. Dabei wirken viele Akteure zusammen: Private und öffentliche Unternehmen,Nichtregierungs- bzw.zivilgesellschaftliche Organisationen und staatliche odersuprastaatliche Träger, aber auch unmittelbar alle Bürger, die Online-Dienste und Plattformen nutzen. Beispiele sind die zentrale Verwaltung des Internets durch die Mitglieder derICANN oder die Entscheidung einer Benutzerin, lieber einen datenschutzfreundlicheren Anbieter für den eigenenE-Mail-Verkehr auszuwählen.
Grob können drei Bereiche netzpolitischer Themen unterschieden werden:[5]
Im Jahr 1996 wurde vonJohn Perry Barlow, einem Gründungsmitglied derElectronic Frontier Foundation, als Reaktion auf den „Telecommunications Act of 1996“ in den USA dieUnabhängigkeitserklärung des Cyberspace[6] veröffentlicht. Sie gilt bis heute als eine der einflussreichsten Schriften für eine freie und unabhängige Internetkultur.[7]
In den Jahren 1999 und 2000 sorgte der sogenannteToywar für Aufsehen, bei dem Internetaktivisten eine Kampagne vorwiegend über das Internet und andere Massenmedien gegen den SpielwarenhändlereToys führten.[8]
Während derPräsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 2000 (Al Gore vs.G.W. Bush) hatUbermorgen auf der Plattform 'Vote-Auction' Wahlstimmen angekauft und verkauft und dadurch eine globale Debatte über Demokratie und Kapitalismus (Bringing Capitalism and Democracy closer together, Kampagnenslogan) und „fehlendes Recht“ ausgelöst[9][10].
Erstmals 2006 wurden in Deutschland unter dem Motto „Freiheit statt Angst“Demonstrationen für Datenschutz und gegen staatliche Überwachung veranstaltet. Bis 2014 waren diese eine jährlich stattfindende politische Großveranstaltung, die vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung organisiert wurde. Die Demonstrationen hatten auch außerhalb desvirtuellenRaums ein starkes Mobilisierungspotential innerhalb der Netzkultur und erhielten ein entsprechendes Medienecho.
Aktivisten der Netzkultur waren oft schnell in der Lage sich gegen politische Maßnahmen wie beispielsweise die 2009 von der deutschen Bundesregierung angegangeneSperrung von Webseiten zu organisieren. Die von der NetzaktivistinFranziska Heine eingebrachtee-Petition wurde zur bisher meist unterstützten Online-Petition in Deutschland und blieb es bis 2018.[11]
Das KollektivAnonymous erhielt 2008 weltweite Aufmerksamkeit durch das „Projekt Chanology“, einen internationalen Protest gegenScientology.
Ab 2010 erlebte die Netzpolitik neue Höhen und Tiefen. Besonders prägend war der Höhenflug derPiratenpartei, die 2011 und 2012 mit ihrem Fokus auf digitale Bürgerrechte,Transparenz und Mitbestimmung große Wahlerfolge erzielte, darunter der Einzug in vier deutsche Landesparlamente. Ihre Basisdemokratie und das Konzept „Liquid Democracy“ fanden großen Anklang in einer Zeit, in der Fragen zu Datenschutz, Urheberrecht und staatlicher Überwachung immer relevanter wurden. Doch interne Konflikte und die fehlende Weiterentwicklung ihrer politischen Agenda führten bald zu einem Bedeutungsverlust.[12]
Parallel dazu brachten die Enthüllungen vonEdward Snowden 2013 die globale Überwachung durch dieNSA und andere Geheimdienste ans Licht. Diese Enthüllungen lösten weltweit Proteste und Diskussionen über den Schutz derPrivatsphäre und digitale Selbstbestimmung aus und gaben der Netzpolitik weiteren Auftrieb.[13]
Ab Mitte der 2010er-Jahre traten zunehmend auch Themen wie die Macht von Internetkonzernen, Algorithmenregulierung und die Bekämpfung von Hassrede und Fake News in den Vordergrund. Mit derDatenschutz-Grundverordnung (DSGVO) führte die EU 2018 eines der weltweit umfassendsten Regelwerke zum Schutz der Privatsphäre ein, was die politische Bedeutung der Netzpolitik weiter unterstrich.
Die bundesdeutschen Länder haben seit 2015 nach und nach sogenannte „Digitalisierungsstrategien“ veröffentlicht.[14]
Während die Protestbewegung gegen das Urheberrechtsreformvorhaben der EU (Artikel 13/17) im Jahr 2019 erneut zeigte, wie mobilisierungsfähig die Netzcommunity ist, blieben viele Fragen rund um digitale Grundrechte, Netzneutralität und Überwachung auch nach 2020 Teil der Tagespolitik. Netzpolitik hat sich so von einer Nischendebatte zu einem festen Bestandteil des politischen Diskurses entwickelt.
Die Netzpolitik umfasst ein breites Spektrum an Themenfeldern, die sich mit der Regulierung, Gestaltung und Nutzung des Internets sowie der digitalen Technologien auseinandersetzen. Diese Felder sind eng miteinander verbunden und betreffen grundlegende gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Fragestellungen.
Ein zentrales Thema der Netzpolitik ist der Schutz der Privatsphäre und die Wahrung der Datensouveränität. Hierbei geht es um Datenschutz und die Hoheit überpersonenbezogene Daten, um die Rechte aufinformationelle Selbstbestimmung zu garantieren. Zur Sicherung der Privatsphäre sowohl gegenüber Staat als auch Privatunternehmen ist das Thema digitale Überwachung und Tracking von großer Bedeutung. Maßnahmen wie die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) auf EU-Ebene zielen darauf ab, Überwachung und Tracking durch Unternehmen oder staatliche Akteure einzuschränken und klare Regeln für die Nutzung persönlicher Daten festzulegen.[3]
Ein wichtiges Thema der Netzpolitik ist die Sicherung derNetzneutralität, die garantiert, dass kein Datenverkehr bevorzugt oder benachteiligt wird. Dies schafft die Grundlage für einen offenen und diskriminierungsfreien Zugang zu Online-Diensten.[15] Zudem beschäftigt sich die Netzpolitik mit dem Ausbau digitaler Infrastruktur, besonders in ländlichen Regionen um allen gleichberechtigt Zugang zum Netz zu ermöglichen.
Netzpolitik beschäftigt sich aber auch mit Themen, wie globale Regulierung und Standardisierung des Internets, die alsInternet Governance bezeichnet werden. Hierbei geht es um die Koordination technischer Standards, die Vergabe von Domainnamen sowie die Festlegung internationaler Regeln für den Datenaustausch.[5]
Die Sicherheit im digitalen Raum ist ein weiteres zentrales Feld der Netzpolitik. Der Fokus liegt hier auf Themen, wie der Entwicklung robuster Sicherheitsstandards und der Förderung vonVerschlüsselungstechnologien, um digitale Infrastrukturen und personenbezogene Daten besser zu schützen.[16]
Im Bereich der digitalen Kultur stehen gesellschaftliche und technologische Veränderungen im Vordergrund. Dazu gehört klassischerweise das ThemaUrheberrecht, um es an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen, sowie die Förderung offener Lizenzen wieCreative Commons[17], die den Zugang zu Wissen und kreativen Inhalten erleichtern. Gleichzeitig sind die Wechselwirkungen zwischen Technologie und Gesellschaft und die Rolle von Medien im digitalen Raum häufig Gegenstand netzpolitischer Diskussionen.
Am schnellsten wechselt wohl die Schwerpunktsetzung innerhalb des ThemasDigitale Transformation. Zuletzt steht dabei die zunehmende Nutzung vonkünstlicher Intelligenz (KI) und Automatisierung im Fokus, die neue Herausforderungen für die Netzpolitik darstellt. Themen wie die Regulierung von KI-Systemen, der Umgang mit algorithmischer Diskriminierung und die Auswirkungen auf Arbeitsmärkte sind Gegenstand aktueller politischer und gesellschaftlicher Debatten. DieEuropäische Union hat in ihrem Weißbuch zur KI einen ethischen und rechtlichen Rahmen vorgeschlagen[18]. Unabhängig vom Thema der künstlichen Intelligenz gehören hier aber auch andere technologiegetriebene Veränderungen in das Themenfeld, wie beispielsweiseSmart Cities oder digitale Gesundheitslösungen.
Ein großes Feld innerhalb der Netzpolitik ist das Thema Partizipation und damit eng verbunden die digitale Demokratie. Das Thema „Digitale Bürgerbeteiligung“ ist die Möglichkeit an Ideenfindungen, Meinungsaustausch und Entscheidungsprozessen mithilfe digitaler Tools teilnehmen und Einfluss nehmen zu können.[19]Cyberfeministische Ansätze fördern dabei eine geschlechtergerechte und inklusive digitale Gesellschaft. Beim ThemaOpen Data geht es darum, wie öffentliche Daten der Allgemeinheit bereitgestellt und dann weitergenutzt werden können. Dazu gehören beispielsweiseInformationsfreiheits- undTransparenzgesetze.[20] Darüber hinaus ist auch die Frage wie datengetriebene Prozesse in einem freien und selbstbestimmten Netz genutzt werden können ein wichtiges Feld.
Die größte netzpolitische Organisation in Deutschland ist derChaos Computer Club. Aber auch weitere Akteure wie derArbeitskreis Vorratsdatenspeicherung oderDigitalcourage (ehemals FoeBuD) fühlen sich zu großen Teilen in der Netzkultur beheimatet. Weitere bekannte Organisationen sind u. a. der VereinDigitale Gesellschaft, dieGesellschaft für Freiheitsrechte oder dieDeutsche Vereinigung für Datenschutz.
Das BlogNetzpolitik.org ist die wichtigste mediale Plattform der deutschen Netzpolitik. Es informiert regelmäßig über Themen wie Überwachung, Datenschutz und digitale Bürgerrechte und versteht sich als politisches Medium und Watchdog.
Darüber hinaus gibt es eine Reihe an unabhängigen Vereinen, die einzelnen politischen Parteien nahestehen.
Der Deutsche Bundestag hat einenAusschuss für Digitales, die Deutsche Bundesregierung neben demBundesministerium für Digitales und Verkehr[veraltet] u. a. auch einen „IT-Planungsrat“.
Von den im Bundestag vertretenen Parteien habenCDU[22],CSU[23],Bündnis 90/Die Grünen[24] undDie Linke[25] jeweils Arbeitskreise oder Arbeitsgemeinschaften zu diesem Themenbereich auf Bundesebene in ihrer Partei. DiePiratenpartei versteht sich selbst als Partei derInformationsgesellschaft und war zwischen 2011 und 2024 in einigen Landesparlamenten und dem Europaparlament vertreten.
Zu den bekanntenNetzaktivisten zählen unter anderem die BürgerrechtlerinBettina Winsemann, die BloggerMarkus Beckedahl und Andre Meister vonnetzpolitik.org, die PolitikwissenschaftlerinJeanette Hofmann, der WirtschaftswissenschaftlerLeonhard Dobusch, der SoziologeAndreas Kemper, die feministische Netzaktivistin und Politikerin derLinkenAnke Domscheit-Berg, die ehrenamtlichen Sprecher des Chaos Computer ClubsConstanze Kurz undFrank Rieger, die ehemalige politische Geschäftsführerin derPiratenpartei DeutschlandMarina Weisband, der frühere Abgeordnete der Piratenpartei im Europäischen ParlamentFelix Reda oder die KünstlerRena Tangens undpadeluun.
In Österreich sind mehrere netzpolitische Organisationen aktiv. Dazu gehören etwa die Erfas desChaos Computer Clubs, namentlich derChaos Computerclub Wien und der Chaostreff Salzburg.[26] Zu europapolitischen Themen wie derNetzneutralität engagiert sich insbesondere die Grundrechtsorganisationepicenter.works. Am ersten Donnerstag im Monat veranstalten Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen seit 3. Dezember 2015 den Netzpolitischen Abend.[27] Als Datenschützer ist besondersMaximilian Schrems hervorgetreten, der mitNOYB eine eigeneNichtregierungsorganisation gegründet hat und insbesondere gegen Datenschutzverstöße von großenInternetplattformen vorgeht.
ImNationalrat gibt es einen Ausschuss für Forschung, Innovation und Digitalisierung. Ein 2018 gebildetesMinisterium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort wurde im Zuge der Regierungsumbildung im Juli 2022 aufgelöst. Seit 2024 gibt es im Bundeskanzleramt ein Staatssekretariat für Digitalisierung.
In der Schweiz gibt es seit 2011 dieDigitale Gesellschaft als gemeinnützige Organisation, die sich mit digitalen Rechten beschäftigt. Sie ist unabhängig von demVerein gleichen Namens, der in Deutschland aktiv ist.
Innerhalb der Schweizer Parteien gibt es eine Themenkommission „Netz- und Datenpolitik“ bei dersozialdemokratischen SP[28], eine netzpolitische Arbeitsgruppe bei denGrünen[29] und diegrünliberale GLP benennt in ihremglp lab Digitale Technologien als eines der Hauptthemen, zu dem Projekte erarbeitet werden.[30]
Viele der netzpolitischen Organisationen in Europa innerhalb und außerhalb derEuropäischen Union sind Mitglied der DachorganisationEDRi. In Frankreich gibt es dieNichtregierungsorganisationLa Quadrature du Net.
Außerhalb Europas gibt es als netzpolitische Organisationen u. a. in den USA dieElectronic Frontier Foundation (EFF), der beispielsweise derKryptologe und IT-SicherheitsberaterBruce Schneier angehört.
Zu den bekannten internationalen Netzaktivisten gehören unter anderem der Gründer desGNU-ProjektsRichard Stallman, derWhistleblowerEdward Snowden oder der US-amerikanische MedienrechtlerTim Wu.