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Minderwertigkeitskomplex

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Schamfamilie[1]Verlegenheit
Befangenheit
Schüchternheit
Peinlichkeit
Kränkung
Schmach
Minderwertigkeitsgefühl

EinMinderwertigkeitskomplex oderMinderwertigkeitsgefühl ist einseelisches Empfinden, das ein Gefühl der eigenenUnvollkommenheit ausdrückt. Der PsychotherapeutAlfred Adler hat den bis dahin nur in der Kunst- und Literaturtheorie verwendeten Stilbegriff für Psychologie und Psychotherapie entdeckt und als zentralen Begriff derIndividualpsychologie eingeführt.[2]

Verwendung des Begriffs

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Der von Adler eingeführte Begriff war – noch bevor ihm in Fachkreisen ein endgültiger Platz eingeräumt wurde – den gewöhnlichen Menschen längst geläufig, war Gegenstand in den Spalten der Tagespresse und wurde Gegenstand der Unterhaltung unter Intellektuellen.[3] Die wenigsten allerdings kannten den Namen des »Vater des Minderwertigkeitskomplex«[4], wie Adler auf seiner ersten Vortragsreise in denUSA genannt wurde (InterviewNew York Times, Herbst 1925).[5]

Anfänglich benutzte Adler das WortMinderwertigkeitskomplex in seinen Schriften alsSynonym für dasMinderwertigkeitsgefühl im Allgemeinen. Später gebrauchte er den BegriffMinderwertigkeitskomplex für das abnorm gesteigerteMinderwertigkeitsgefühl im Gegensatz zum normalenMinderwertigkeitsgefühl.[6]

Kritiker wie derSoziologeNiklas Luhmann haben „Minderwertigkeitskomplex“ zu den „pseudowissenschaftliche[n] Begriffen oder Gesetzmäßigkeiten“ gezählt.[7]

Geschichte

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Die Betonung des Minderwertigkeitsgefühles (frz.„sentiment d’incomplétude“, dt.: „Gefühl der Unvollständigkeit“) durchNeurotiker wurde vom französischenPsychiaterPierre Janet erstmals beschrieben und stimmte mit den Befunden Adlers überein, wie er 1912 in seinem BuchÜber den nervösen Charakter schrieb. Im Gegensatz zu Janet nahmAlfred Adler Minderwertigkeitsgefühle bei jedem Menschen an. Er sah einekompensatorische Wechselwirkung zwischen dem Gefühl der Unvollkommenheit und dem Streben auf ein Ziel hin.

Oliver Brachfeld beschrieb das Problem der Minderwertigkeitsgefühle 1935 umfassend in seinem BuchMinderwertigkeitsgefühle beim Einzelnen und in der Gemeinschaft. Er stellte das Minderwertigkeitsgefühl und seine Überwindung als ein Grundmotiv dar, das seit derNeuzeit Dichter und Philosophen beschäftigte. In derDiskriminierung bestimmter Menschengruppen sah er die Ursachen für vieleKriege undRevolutionen, aber auch die Antriebskräfte fürsoziale und kulturelle Neuschöpfungen. Von den Minderwertigkeitsgefühlen ausgehend, wollte er die Grundlage zu einer neuen Theorie desSelbstwertgefühls schaffen.[2]

In diesem Sinne: fraglos basierend auf Nietzsches bedeutenden Einsichten inRessentiment sowie parallel zuMax Schelers Re-Interpretation dieses Konzepts, erkannteOswald SpenglerNeid und (strukturell establierte) Minderwertigkeitskomplexe als eine gefährliche Urkraft der abendländischen Moderne.[8] Er benennt einen „schiefen Blick von unten“, welcheripso facto überlegenen Wertmaßstäben, nämlicharistokratischen, nichts als reaktive Entwertung, den sklavischen „Willen zum Nichts“ entgegensetzen kann. Darin lässt sich Adlers Dualismus kulturphilosophisch fortsetzen; gewissermaßen als eine fundamentale Ätiologie fürDekadenz.

Körperlich-seelische Voraussetzungen

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DieIndividualpsychologie sieht die Ursache des normalen Minderwertigkeitsgefühles beim Kleinkind in seiner Unvollkommenheit als menschliches Wesen. Nur wenn das Minderwertigkeitsgefühl zu stark ist, kann sich auf dem Weg der Kompensation ein neurotischer Lebensplan entwickeln. Eine wirklich vorhandene Minderwertigkeit, die übertrieben erlebt wird, kann mit einer mehr oder weniger eingebildeten Überlegenheit kompensiert werden. Mit ungewöhnlicher Intensität als nachteilig empfundene Minderwertigkeit und ersehnte, aberfiktive Überlegenheit verursachen zuerst beim Kind, später beim Erwachsenen eine gewisse Unbeständigkeit in seinen Selbstwerterlebnissen.[9]

Ursachen und Auswirkungen des Minderwertigkeitsgefühls

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Menschen mit einem Minderwertigkeitskomplex fühlen sich unterlegen, klein und unbedeutend. Viele habenDepressionen und sind, insbesondere bei schwerer Depression, möglicherweise sogarsuizidgefährdet. Wiederholte Erfahrungen durch Fehler und eigenes Versagen können einePersönlichkeitsstruktur in negativer Weise prägen. Minderwertigkeitsgefühle können sich auch inSymptomen ausdrücken, die Signale sein können, mit denen man andere (unbewusst) auf sich aufmerksam machen will. Minderwertigkeitsgefühle können zu Beziehungsarmut, Liebesunfähigkeit in Form einer einseitigen Abhängigkeit vom Partner,Soziophobie und zu ständigerAngst, etwas falsch zu machen, sowie zu Sprechhemmungen führen.

Minderwertigkeitsgefühle führen zu Kompensationsverhalten wie einer gut wahrnehmbaren Opferrolle (siehe auch:Drama-Dreieck), bei Männern – häufig besonders in jungen Jahren – nach außen gerichteteAggressivität, Alkohol-Überkonsum und Flucht inStatussymbole oder unangemessen teure Wertgegenstände. Frauen neigen eher zu einer nach innen gerichteten Aggressivität (Depression). Meist wirdArroganz als gesichertes kompensatorisches Zeichen eines Minderwertigkeitskomplexes gesehen.

Der Schweizer PsychologePaul Häberlin betonte, dass Minderwertigkeitsgefühle stets auf inneremoralische Urteilsprozesse des Individuums zurückzuführen sind: „Wenn wir uns minderwertig fühlen, so geschieht es deshalb, weil wir uns klar werden, dass wir dem Anspruch nicht genügen, den unser eigenesIdeal, unser Gefühl oderBewusstsein des Richtigen an uns stellt […] Interne Minderwertigkeitsgefühle sindSchuldgefühle: Wir wissen, dass wir uns selbst, nämlich dem ‚richtigen Menschen‘ in uns, etwas schuldig geblieben sind, dass wir ihm gegenüber minderen Wertes sind.“[10]

Grundlage dieses moralischen Urteils sind verinnerlichte Wertmaßstäbe, die – oftmals kaum bewusst – subjektiv für ideal gehalten werden. Beherrschen im Sinne von Vollkommenheitsidealen (Perfektionismus) unerreichbare Wunschbilder die persönlichen Maßstäbe, so führt dies zu chronischer Selbstüberforderung und Entmutigung. In diesem Fall kann es bereits hilfreich sein, das ursprüngliche „echte Ideal“ freizulegen, das „der Gegebenheit und Eigenart seines Trägers“ entspricht: „Es verlangt nichts, was nicht […] in der Möglichkeit der Person liegt, also z. B. keine Leistung, für welche die Art des Talentes nicht vorhanden wäre. […] Das echte Ideal enthält in sich keinerlei Entmutigung, im Gegenteil; denn es ist der Persönlichkeit, bei aller Strenge seiner Forderung, angemessen.“[11]

Akute Minderwertigkeitsgefühle entstehen immer dann, wenn man eine konkrete eigene Handlung subjektiv als unzulänglich beurteilt. Zeichen dafür sind schlechtesGewissen,Scham- undReuegefühle, die in der Regel das aktive Streben nach Wiedergutmachung einleiten und damit bereits zur erneuten Stabilisierung des Selbstbildes beitragen. Demgegenüber entstehenchronische Minderwertigkeitsgefühle Häberlin zufolge, wenn man den inneren Widerstand gegen starke Versuchungen dauerhaft aufgibt, gegen „bestimmte[n] Gelüste[n] oder Triebe[n], deren Verfolgung eben nicht mit dem Anspruch […] des gespürten eigentlichenIchs harmoniert. […] Wir geben zugunsten dieser Befriedigung die Treue gegen unser eigentliches Ich preis, wir üben Verrat an uns selbst.“[12]

Chronische Minderwertigkeitsgefühle rufen vielfältige Verschleierungs- und Kompensationsreaktionen hervor und haben dadurch massive Auswirkungen auf Leben und Persönlichkeit. Als einzig wirksame Abhilfe empfahl Häberlin: „Verhütung und Heilung muss auf die Wurzel zielen, jenen faulen Kompromiss, […] mit allen ihn begünstigendenSuggestionen, falschen Idealen,Selbsttäuschungen. In der Regel wird es dazu fremder Hilfe bedürfen […], dass der Mensch wieder den Mut und den Willen aufbringen lernt zum sittlichen Kampf, und zwar gerade an der Stelle, an welcher er […] bisher versagt hat. Zur Heilung ist es nicht nötig, dass er in Zukunft nicht mehr unterliegt. […] Die Überwindung derResignation ist das Wesentliche.“[13]

Psychoanalytische Betrachtungsweise

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Ursachen des Minderwertigkeitskomplexes und der daraus resultierendenDepressionen finden sich nachSigmund FreudsTriebtheorie in deroralen Phase (Fritz Riemann:Grundformen der Angst, 1961), die nicht ausgelebt bzw. befriedigt werden konnte. So führen wenig Zuwendung in diesem Alter und keinStillen des Kindes, keine oder nur eine wenigempathische Unterstützung zu einem Minderwertigkeitskomplex. Betroffene wurden in der Kindheit meist selten gelobt und häufig kritisiert.

NachPaul Häberlin begünstigt ebenso eine allzu große Verwöhnung in der Kindheit, „der Tanz um das Kind“[14], die Entstehung von Minderwertigkeitsgefühlen.

Beide Umstände entziehen dem Aufbau eines gesunden Selbstwertgefühls die Grundlage und führen oft auch zu einerSuchtdisposition.

Siehe auch

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Literatur

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  • Alfred Adler:Über den nervösen Charakter. 1912.
  • Oliver Brachfeld:Los sentimientos de inferioridad. Luis Miracle, Barcelona 1935; dt.:Minderwertigkeitsgefühle beim Einzelnen und in der Gemeinschaft. Klett, Stuttgart 1953.
  • Paul Häberlin:Minderwertigkeitsgefühle. Wesen, Entstehung, Verhütung, Überwindung. Schweizer Spiegel Verlag, Zürich 1947.
  • Heinz L. Ansbacher, Rowena R. Ansbacher:Alfred Adlers Individualpsychologie. Ernst Reinhardt, München/Basel 1982,ISBN 3-497-00979-2.

Weblinks

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Wiktionary: Minderwertigkeitsgefühl – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Minderwertigkeitskomplex – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Jens León Tiedemann:Die intersubjektive Natur der Scham. Dissertation. Berlin 2007,S. 10–13 (Online [abgerufen am 11. September 2019]). 
  2. abBrachfeld:Minderwertigkeitsgefühle, S. 10.
  3. Brachfeld:Minderwertigkeitsgefühle, S. 14.
  4. Alfred Adler:Gesellschaft und Kultur (1897 - 1937). Hrsg.:Almuth Bruder-Bezzel. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009,ISBN 978-3-525-46055-9 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche). 
  5. Heinz Ludwig Ansbacher:Individualpsychologie, S. 245.
  6. Heinz L. Ansbacher und Rowena R. Ansbacher:Alfred Adlers Individualpsychologie. Ernst Reinhardt Verlag, München 1982,ISBN 3-497-00979-2, S. 246
  7. Niklas Luhmann:Rechtssoziologie, Reinbek bei Hamburg 1972, Band 1, S. 56.
  8. Oswald Spengler:Jahre der Entscheidung – Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung. 1933,S. 99–100. 
  9. Brachfeld:Minderwertigkeitsgefühle, S. 163.
  10. Häberlin:Minderwertigkeitsgefühle, S. 7
  11. Häberlin:Minderwertigkeitsgefühle, S. 32–34
  12. Häberlin:Minderwertigkeitsgefühle, S. 16f
  13. Häberlin:Minderwertigkeitsgefühle, S. 60–62
  14. Häberlin:Minderwertigkeitsgefühle, S. 24
Normdaten (Sachbegriff):GND:4039423-2 (GND Explorer,lobid,OGND,AKS)
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