Luitzen Egbertus Jan (Bertus) Brouwer (*27. Februar1881 in Overschie (heute zuRotterdam); †2. Dezember1966 inBlaricum) war ein niederländischerMathematiker. Er schuf grundlegendetopologische Methoden und Begriffe und bewies bedeutende topologische Sätze. Nach ihm ist derBrouwersche Fixpunktsatz benannt. Durch seine Begründung desIntuitionismus wurde er Protagonist im sogenanntenGrundlagenstreit der Mathematik, der in den 1920er und 1930er Jahren seinen Höhepunkt fand.
Brouwers spätere Arbeiten waren bahnbrechend für die Entwicklung derkonstruktiven Mathematik. Formalisierungen seiner Anschauungen über die Natur derLogik brachten die Disziplin derintuitionistischen Logik hervor. In seinen Schriften zurPhilosophie der Mathematik beschäftigte er sich mit den Beziehungen zwischen Logik und Mathematik, besonders mit der Rolle vonExistenzaussagen und der Verwendung desPrinzips des ausgeschlossenen Dritten in mathematischenBeweisen.
Brouwer war der älteste dreier Söhne von Egbertus Luitzens Brouwer und Henderika Poutsma. Sein Vater war, wie auch einige Verwandte, Lehrer. Sein jüngerer Bruder war der spätere GeologieprofessorHendrik Albertus Brouwer. Nach einigen Umzügen und dem Schulbesuch in Hoorn und Haarlem erlangte der sechzehnjährige Brouwer 1897 seinen Gymnasialabschluss und immatrikulierte sich an derUniversität Amsterdam. Im Zuge eines Übertritts zurRemonstrantse Kerk im darauffolgenden Jahr ist einidealistisches undsolipsistisches religiöses Credo Brouwers überliefert.
An der Fakultät für Mathematik undNaturwissenschaften arbeiteten so bekannte Personen wie der PhysikerJohannes Diederik van der Waals und der BiologeHugo de Vries. Die mathematischen Vorlesungen wurden hauptsächlich vonDiederik Johannes Korteweg gehalten. Korteweg, der später auch BrouwersDissertation akzeptieren sollte, bot ihm zwar Faszination, aber keine Inspiration. Er arbeitete in einem weiten Gebiet derangewandten Mathematik, hauptsächlich für diePhysik.
Unter den studentischen Bekanntschaften Brouwers sticht der DichterCarel Adema van Scheltema (1877–1924) hervor, mit dem Brouwer eine lebenslange Freundschaft verband. Brouwer selbst schrieb Gedichte und unterhielt stets literarische Interessen. Nach seiner Graduierung 1904 nahm er aufmerksam die seit kurzem propagierte Philosophie vonG. J. P. J. Bolland zur Kenntnis, publizierte einige Artikel über kulturelle philosophische Fragen und veranstaltete schließlich 1905 inDelft eine Reihe von Vorträgen.Moralische undmystische Themen,Kontemplation, der Wegfall derUnschuld und dieSprache bilden ihren Inhalt; sie wurden unter dem TitelLeven, Kunst en Mystiek (Leben, Kunst und Mystik) herausgegeben.
Einfluss auf Brouwer übte vor allem der Philosoph und MathematikerGerrit Mannoury aus. Der Privatdozent für die logischenGrundlagen der Mathematik sensibilisierte Brouwer für die neuen Entwicklungen derMengenlehre und der logischen Notation vonGiuseppe Peano undBertrand Russell. Brouwer setzte sich damit ausführlich in seiner Dissertation auseinander, die sich neben einem kleinen Teil aus mathematischen Resultaten ausschließlich dem Unterschied von Logik und Mathematik widmet (Over de grondslagen der wiskunde, 1907; dt.Über die Grundlagen der Mathematik).
1908 veröffentlichte Brouwer den ArtikelDe onbetrouwbaarheid der logische principes (dt.Die Unverlässlichkeit der logischen Prinzipien), wo er erstmals deutlich die Ablehnung des principium exclusii tertii (Satz vom ausgeschlossenen Dritten) formulierte. Er identifizierte dieses Prinzip auch mit dem Problem der Lösbarkeit eines jeden mathematischen Problems, was das Ziel des vom deutschen MathematikerDavid Hilbert formuliertenProgrammes gewesen war.
Der Besuch desInternationalen Mathematikerkongresses in Rom 1908 markiert den Beginn der eigentlichen topologischen Schaffensperiode in Brouwers Leben. Schon einige Jahre lang hatte er Arbeiten zur Geometrie veröffentlicht. Nun intensivierte sich diese Beschäftigung; die Grundlagen der Mathematik sollten erst später wieder Berücksichtigung finden.
Die SchriftZur Analysis Situs (1910) bezog sich ganz auf die Entwicklungen der damaligen mengentheoretischen Topologie. Brouwer ergänzte und verbesserte die Arbeiten vonArthur Schoenflies, zu denen er etliche Gegenbeispiele angeben konnte. Er hatte zuvor schon überLie-Gruppen undVektorfelder aufFlächen publiziert. Dies wiederum führte ihn zur Entdeckung desAbbildungsgrades. Er bewies denSatz von der Gebietsinvarianz und verallgemeinerte denjordanschen Kurvensatz auf Dimensionen (Jordan-Brouwer-Zerlegungssatz). Er klärte auch den Begriff derDimension auf. Daneben entwickelte er die Methode dersimplizialen Approximation. Sein heute bekanntestes Resultat ist derbrouwersche Fixpunktsatz.
Zahlreiche dieser Arbeiten wurden in der deutschen ZeitschriftMathematische Annalen gedruckt. Als einer von drei Hauptherausgebern wirkte damals in der Redaktion derMathematischen Annalen David Hilbert, der als führender Mathematiker der Epoche zu Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gilt. Mit Hilbert gelangte Brouwer zunächst zu einer einvernehmlichen Zusammenarbeit, welche dann jedoch im Rahmen desGrundlagenstreits in der Mathematik ein Ende fand.
1912 wurde Brouwer Ordinarius an der Universität Amsterdam. Seine Antrittsvorlesung nahm wieder Gedanken aus seiner Dissertation auf. Er referierte überIntuitionismus undFormalismus und wandte sich gegen den stärker werdenden Trend zur Formalisierung. Insbesondere griff er dieAxiomatisierung der Mengenlehre vonErnst Zermelo an. 1914 wurde Brouwer zu einem Mitherausgeber der Mathematischen Annalen bestellt; deshalb und auch wegen seiner Lehrtätigkeit kam es zu einer Stagnation von Brouwers Forschung. Er wandte sich einem philosophischen Projekt zu, derSignifik, das vonVictoria Lady Welby begründet worden war. Spiritus Rector der Gesellschaft warMannoury, Brouwers Freund und Lehrer. Die Signifik strebte eine umfassende Sprachreform an, die jedoch nicht zustande kam.
In der Zeit desErsten Weltkrieges gestaltete Brouwer eine Mengenlehre nach intuitionistischen Prinzipien. SeineBegründung der Mengenlehre unabhängig vom logischen Satz vom ausgeschlossenen Dritten (1918) ist eine technische Arbeit, frei von der Polemik seiner Dissertation, und versucht, auf einer konstruktiven Basis dieAnalysis zu begründen; weitere derartige Arbeiten folgen und bauen auf dieser Studie auf.
Hermann Weyl hatte ähnliche Versuche unternommen, dasKontinuum anders als mit den vonRichard Dedekind eingeführtenSchnitten zu begründen. Weyl nahm Brouwers Schriften begeistert auf und verteidigte Brouwers konstruktive Basis. Vornehmlich Weyls Betreiben entfachte denGrundlagenstreit in der Mathematik. In einem äußerst provokativen und einflussreichen Artikel (Über die neue Grundlagenkrise der Mathematik, 1921) machte er Brouwers Ideen einem breiten Publikum bekannt.
Hilbert war über diese Entwicklung alarmiert, er fühlte sich allerdings weiter angespornt, die logischen Grundlagen der Mathematik zu klären. Er entwickelte seine Beweistheorie und bestätigte seine Ansichten überAxiomatisierung und Grundlegung in derLogik, wo dasPrinzip des ausgeschlossenen Dritten selbstverständlich benutzt wurde und Konstruierbarkeit für eineExistenzannahme nicht ausschlaggebend war (vorausgesetzt war nur dieKonsistenz derAxiome).
Brouwer dagegen war in den 1920er Jahren vorwiegend damit beschäftigt, klassische Resultate der Mathematik neu zu beweisen und intuitionistisch umzuformulieren bis hin zum Entwurf einer neuenFunktionentheorie. Für Konfliktstoff sorgte nun die internationale Wissenschaftspolitik nach dem Krieg, die Gründung desConseil International de Recherches und dieUnion Mathématique Internationale: Brouwer hatte früh und erfolglos versucht, deren Boykott gegen deutsche Wissenschaftler aufzuheben. Als nun Jahre später (1928) von diesen Gesellschaften ein internationaler Kongress inBologna abgehalten wurde, rief Brouwer die nun eingeladenen Deutschen ihrerseits zum Boykott auf. Von Hilbert, der an der Konferenz teilnahm, wurde dies als unzulässige Einmischung in deutsche Angelegenheiten und als Schaden für die Wissenschaft angesehen.
Hilbert schloss Brouwer kurz darauf von der Herausgeberschaft derMathematischen Annalen aus, was zum Streit mit den anderen Herausgebern, vor allem Einstein und Carathéodory führte. Diese gehörten darauf ebenfalls dem Herausgeberkreis nicht mehr an. Dieser überraschende Schlag zerbrach das freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden Mathematikern endgültig und belastete Brouwer sehr. Brouwer selbst führte ihn darauf zurück, dass er einem früheren Ruf (1919) nachGöttingen, dem Sitz des Hilbertkreises, nicht gefolgt war. Im Umkreis Hilberts wurde vermutet, dass dieser befürchtete, bald zu sterben und dass Brouwer nach seinem Tod zu einflussreich werden könnte.[1]
Die Diskussion um die Grundlagen der Mathematik wurde indes von anderer Seite intensiv fortgeführt. Hesseling[2] spricht von über 250 Arbeiten, die in den zwanziger und dreißiger Jahren auf die Auseinandersetzung reagierten.
Öffentliche Vorlesungen in den Jahren 1927 und 1928 in Berlin respektive Wien waren vorerst die letzten beiden großen öffentlichen Auftritte Brouwers. Nach dem Eklat um die Mathematischen Annalen war Brouwer in der mathematischen Öffentlichkeit nicht präsent und publizierte kaum. Er engagierte sich in der Lokalpolitik und beschäftigte sich mit dem Fehlschlag einer privaten Investition.
Die Jahre nach demZweiten Weltkrieg waren gekennzeichnet durch Differenzen Brouwers inAmsterdam. Die von ihm gegründete ZeitschriftCompositio Mathematica wurde seinem Einfluss entzogen, ein Forschungszentrum unabhängig von ihm gegründet.Arend Heyting trat schließlich seine mathematische Nachfolge an. Brouwer wurde 1951 emeritiert.
Vortragsreisen führten Brouwer in die USA, nach Kanada und Südafrika. Er gab in Europa verschiedene Vorlesungen, hervorzuheben ist die längere Serie inCambridge. Die späteren Publikationen brachten keine wesentlichen neuen Resultate, kreisten jedoch um den Begriff deskreativen Subjekts und wiesen einensolipsistischen Eindruck auf.
Brouwer starb 1966, sieben Jahre nach dem Tod seiner Frau Lize Brouwer-de Holl, inBlaricum bei einem Verkehrsunfall. Sie hatten keine gemeinsamen Kinder. Lize Brouwer-de Holl hatte jedoch aus erster Ehe eine Tochter, an deren Erziehung sich Brouwer beteiligte.
Brouwer war Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften (u. a. derRoyal Society of London und derRoyal Society of Edinburgh), Ehrendoktorate verliehen ihm die UniversitätenOslo (1936) undCambridge (1955). Im Jahr 1924 wurde er zum Mitglied derLeopoldina inHalle (Saale) gewählt.
Brouwer lehnte akademisch betriebene Philosophie ab. Vielfach drückt er sich gegen philosophisches Vernünfteln aus; er besaß eine Skepsis gegen professionelle Philosophen wieG. J. P. J. Bolland und versuchte, die Integration des Faches Philosophie in den naturwissenschaftlichen Lehrplan zu verhindern.[3] Schon inLeven, Kunst en Mystiek mokiert er sich über vorgebliche Klärungen derEpistemologie. Dennoch ging seinen Versuchen, Mathematik auf Intuition zu gründen, und dem Misstrauen gegenüber Grundlegung in der Logik eine ausgedehnte philosophische Reflexion voraus. Brouwers Philosophie ist subjektivistisch und setzt mit einer Erwägung der mentalen Konstitution des Menschen ein.
Brouwers Philosophie beschäftigt sich mit den mentalen Funktionen des Subjekts. Die dadurch gewonnene Sichtweise wird nicht nur auf die Grundlegung der Mathematik, sondern auch auf das Leben angewandt. In früheren Schriften ergeben sich dadurch moralische Untertöne.
Erfahrungen von transzendentaler Wahrheit, die Wiedervereinigung der Welt mit dem Selbst, das Streben nach einem freien Leben, Abkehr von ökonomischen Kategorien, die Freiheit im Inneren, Abfall des Menschen von der natürlichen Ordnung und Brouwers Ansichten über die sprachliche Äußerung mystischer Erfahrungen etwa in der Kunst bilden den thematischen Block vonLeven, Kunst en Mystiek. Als philosophisches Argument wurde das Buch kaum wahrgenommen. Trotzdem lassen sich Spuren der späteren Differenzierungen darin bemerken.
In der Selbstreflexion, in der Mystik, erlebe man die Freiheit. Die äußere Realität wird dagegen alstraurige Welt abgeschwächt. Brouwer äußert sich kritisch gegenüber der Sprache, die als Mittel des Ausdrucks der inneren Realität schwerlich in Frage kommt. Gleichläufig mit der Sprache ist der Intellekt. Er bewirkt auch den Abfall des Menschen. Die ursprüngliche Kondition des Menschen sei durch Zivilisation (begründet durch den Intellekt) beschädigt worden; die Kultur scheint als Spezialfall einer menschlichenSündigkeit auf. — Durchwegs erhebt Brouwer die kritische Stimme gegen die Annahme einer allgemeingültigen und unabhängigenRealität, welche die Menschen und ihren Intellekt aneinander binde. Von einer solchen Realität stammt auch nicht die Bedeutung der Sprache. Die Sprache kann erst in Anbetracht des jeweiligenWillens verstanden werden und ist Ausdruck einer inneren Realität. Das Werk ist zu einem Teil eine Reaktion auf den Hegelianer G. J. P. J. Bolland. Es sollte eine Gegendarstellung zu dessen rhetorisch flammenden Auftritten sein.
Einige Schriften Brouwers, darunter auch solche zur intuitionistischen Mathematik, haben einen moralisierenden oder pessimistischen Anklang; er spricht dabei auch vonSünde oder Sündhaftigkeit. Brouwers Bezeichnung „Sünde“ lässt sich jedoch alsBewusstseinszustand des Zentralisierens und Veräußerlichens beschreiben: Sünde deutet den Übergang der freien, ungerichteten Kontemplation im Selbst zur Konzentration auf ganz bestimmte Aspekte sowie die Verlagerung der erfahrenen Konzepte in ein unabhängiges Äußeres an. In einer kurzen privaten Notiz nannte er Mathematik, ihre Anwendung und die Intuition der Zeit (siehe unten) als sündhaft.[4]
In späteren Schriften unterschied Brouwer drei Phasen des Bewusstseins:[5]
Das Bewusstsein der naiven Phase empfängt in der Stille spontan Empfindungen. Es verknüpft sie nicht, dazwischen bleibt Stille. Reaktionen auf diese Empfindungen sind direkt, spontan. Es gibt keine Aktivität des Willens.
Im Gefolge des Wechsels der Empfindungen beginnt das Bewusstsein, eine Sensation alsvergangen zurückzuhalten und Vergangenes vom Gegenwärtigen zu unterscheiden. Das Bewusstsein erhebt sich also über den Wechsel der beiden Empfindungen und wirdGeist. (Im Niederländischen schreibt Brouwer dafür das englischemind.)
Das Bewusstsein identifiziert nun verschiedene Sensationen und deren Komplexe, um eine Aufeinanderfolge zu kreieren. Spezialfälle solch einer aufeinanderfolgenden geistigen Wahrnehmung sind Dinge undKausalfolgen.
In der zweiten Phase werden Dinge bereits erkannt. Ein Übergang vom Geist zum Willen passiert, wenn Objekte der Sensation so gesehen werden, dass sie kausal aufeinander folgen. Dies ist der Akt des Intellekts und kennzeichnet die wissenschaftliche Betrachtungsweise, Brouwer nennt es auch die mathematische Sicht.
Der Übergang zum freien Willen, zum handelnden Menschen erfolgt durch den Vorgang, mit dem ein Wechsel der Eindrücke durch Handeln bewusst erlangt wird: die zielgerichtete Handlung.Die dritte und soziale Phase umfasst nun alle Phänomene, in denen der Wille selbst in seiner Richtung geändert wird, etwa durch Befehl oder Suggestion. Gesetze beziehen daraus ihre Wirkung. Sprache stellt für Brouwer ursprünglich nichts anderes dar als die Übertragung des Willens auf andere. Ausgehend von einfachen Gesten und primitiven Lauten brachte die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft eine ausgefeiltere Sprache mit sich, die auch als Gedächtnishilfe Verwendung findet.
Brouwers DissertationOver de grondslagen der wiskunde (1907) legt das Grundelement dar, das ihm als Basis für alle weiteren Schriften zur Philosophie der Mathematik dienen sollte. Es handelt sich um die Ur-Intuition derZeit.
Durch die Ur-Intuition der Zeit versucht Brouwer zu einem genetischen Verständnis der Mathematik in der Erfahrung zu gelangen. Letztlich bedeutet für Brouwer Mathematik nichts als eine exakte Tätigkeit des Geistes, vor aller Sprache, die aus mentalen Konstruktionen besteht. Die Möglichkeit geistiger Konstruktionen wird durch die Ur-Intuition der Zeit gewährleistet.
Der Vorgang ist nichts anders als die oben beschriebene Verknüpfung zweier Empfindungen im Bewusstsein. Im Bewusstsein entsteht eine Zweiheit, die zweiEntitäten sowie die Verbindung dazwischen beinhaltet. Durch dieses dem Menschen eigeneVermögen können Dinge, Kausalfolgen, Relationen in der Natur gesehen werden.Sinnesreize werden durch die eigentlich mathematische Ur-Intuition der ZeitPerzeptionen.[7] Jedes wissenschaftlicheExperiment gründe sich auch in dieser Intuition der Zweiheit.
UngleichImmanuel Kant betont Brouwer, dass die Intuition der Zeit keine permanente Eigenschaft der menschlichen Denkungsart ist, sondern erst durch ein Ereignis vermittelt wird, von dem an das Bewusstsein frei zu handeln vermag. In der naiven Phase zuvor werden weder Dinge noch Kausalität erkannt.
Weiters fallen in der Ur-Intuition die Eigenschaftendiskret undkontinuierlich nicht auseinander: sie sind ineinander integriert und können nicht gegenseitig ausgezeichnet werden. Dies unterscheidet Brouwer besonders vonHenri Bergson, der sich um eine Differenzierung des Diskreten (als einzelnen Zeitpunkten) vom Kontinuierlichen bemüht.
Wissenschaftlichemessbare Zeit ist für Brouwer ein abgeleitetes Phänomen.Zahl undMaß sind für ihn vorerst isoliert. Bei der Ur-Intuition der Zeit geht es ihm nur um die Zweiheit, die aus einer Zeitabfolge geschöpft werden kann.
Die Ur-Intuition Brouwers bezeichnet die Grundlage des Verstandesvermögens. Das Bewusstsein kann durch den Inhalt der Sinnesreize und die mathematische Intuition Dinge schaffen und so die äußere Welt gleichsam konstruieren (Veräußerlichung). Zweitens aber kann der Geist neue, künstlicheEntitäten schaffen, indem er bloß Elemente verknüpft, die ausschließlich in der Ur-Intuition bestehen. Dies ist reine Mathematik und unabhängig von Erfahrung. Konstruktive Elemente, die von der Ur-Intuition stammen, sind etwa: Einheit,Kontinuum, Wiederholung.
Mathematisches Denken besteht für Brouwer in dieser Konstruktion (niederländischgebouw, Gebäude), die auf Elemente der Ur-Intuition beschränkt ist. Mathematischexistieren die so hergestellten Objekte. Der Vorgang der Konstruktion ist aber an das individuelle Bewusstsein gebunden; Aufzeichnungen dieses Vorganges in einem symbolischen Medium können ihn nicht ersetzen. Sie eignen sich etwa zur Exposition. Brouwer war höchst skeptisch, selbst in seinen Schriften spezielle Symbole zu verwenden.
Brouwer grenzt dabei dreierlei voneinander ab:[8]
Die intuitive Konstruktion selbst ist nicht sprachlich, sondern bleibt eine mentale Realität, auf die Ur-Intuition der Zeit gegründet. Jegliche Analyse des Wissens sollte nach Brouwer auf den ersten Punkt gerichtet bleiben.
Hier setzt Brouwers scharfe Kritik an den damals gängigen Philosophien der Mathematik ein. Nirgends wurde die Sprache deutlich von der Mathematik getrennt. Selbst der Intuitionismus der französischen MathematikerHenri Poincaré,Émile Borel undHenri Lebesgue, die in Opposition zumLogizismus undFormalismus auftraten, brachte keine so scharfe Differenzierung. Im Vergleich zu Brouwer verwendeten sie den Begriff derIntuition vage und bauten darauf keine systematische Theorie. Insbesondere schien die Intuition nur für das Postulat der natürlichen Reiheganzer Zahlen auszureichen, nicht aber für diereellen Zahlen, derenDedekind’sche Einführung Brouwer für eine bloß sprachlich festgesetzte Sache hielt. Brouwer nannte später seine Trennung von Mathematik und mathematischer Sprache „die erste Handlung des Intuitionismus“.
Im Beginn sei die Mathematik aus dem Sprung vom Mittel zum Zweck, in der dritten Phase des Bewusstseins also, ausgegangen. Eine bewusste Handlung baut auf der vorherigen Entdeckung einer Regularität auf. Greift man selbst in das Geschehen ein, erhält man allerdings durch ein gewisses Mittel nicht exakt den gesetzten Zweck. Im Gefolge der nun einsetzenden Verfeinerung der Mittel entdeckt man in einem konzentrierten Bereich noch mehr Regularitäten. Endlich kann auch ein Bereich der Phänomene ausgesondert werden, die unabhängig von anderen intellektuell behandelt werden können: Mathematik. Diese Regularitäten (oder Kausalfolgen) können überall dort angewendet werden, wo auch natürlich eine solche Regularität gesehen wird. Im Versuch, die Schritte zu verfeinern und Regularität zu isolieren, kann man sich auch virtueller Kausalfolgen bedienen, die möglicherweise zuletzt einfacher umgestaltet werden können und auch in konkreten Fällen wieder passen. Ein Beispiel sei dieeuklidische Geometrie, die aus solchen virtuellen Kausalfolgen besteht.
Naturwissenschaften wiederum finden ihren Ursprung ausschließlich in der Anwendung der Mathematik. Die kantischen Ansichten von derApriorität vonZeit undRaum diskutierend, bemerkt Brouwer, dass man – als unabhängig von Erfahrung – wohl die ganze Mathematik (auch euklidische und nicht-euklidische Geometrie) als apriorisch verstehen müsse. Andererseits gebe es nur eines, woraus die Mathematik konstruiert werde und was sie auch mit den Naturwissenschaften verbindet, nämlich die Ur-Intuition der Zeit. Deshalb könne man gleichwohl behaupten, dass letztlich das einzige apriorische Element in der Wissenschaft die Zeit ist. Brouwer verwirft in seiner Dissertation im Anschluss die kantischen Raumargumente.
Durch den strengen Sinn, in dem Brouwer die Intuition versteht, ist auch klar, dass damit keinesfalls ein „vages Gefühl“ bezeichnet wird. Aus seinen Darlegungen zum Raum wird klar, dass im Gegensatz zur etymologischen Konnotation sich hinter Brouwers Intuition auch keine visuelle oder räumliche Metapher verbirgt. Schließlich versteht er darunter auch nicht eine offensichtliche Wahrheit, sondern eben das bloße Vermögen, ausgehend von einer Zweiheit, eine Regularität zu gewahren.
Der Intuitionismus Brouwers hält Sprache und Gedanken ursprünglich für getrennt. Der subjektive Gedanke geht der Sprache voraus. Diese wiederum ist anfänglich ein rein soziales Phänomen, verwendet, um Handlungen anderer zu beeinflussen. Die Wörter, die dabei Dingen beigelegt werden, beziehen sich nicht auf eine Realität im Äußeren, sondern auf die Erfahrung des Subjekts. Sie sind daher nicht unabhängig von der „kausalen“ Aufmerksamkeit. Das Verstehen eines Wortes ist insofern ein Reflex, der allerdings seinen Ursprung in der Ur-Intuition der Zeit besitzt.
Auch wenn die Sprache ein ursprünglich soziales Phänomen ist, um den Willen anderer zu beeinflussen, findet es sich aus Gewohnheit auch im einzelnen Subjekt selbst: Die Sprache spielt dabei eine Rolle im reflektierenden Denken oder als mnemotechnische Hilfe. Die Sprache ist ebenso das Mittel, gedankliche Konstruktionen mitzuteilen; in dieser Hinsicht ist die Sprache aber defekt und instabil. Der Nachvollzug eines Gedankens, seine Verifikation in einem anderen Subjekt kann etwa zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Rationale Erwägungen jedoch (beispielsweise mathematische) sind, zumindest hypothetisch, gleich strukturiert, und über diese Schnittstelle ist gegenseitiges Verständnis möglich. Im Übrigen wäre Exaktheit nur in Einsamkeit und mit unbeschränktem Gedächtnis möglich.
Brouwers frühes WerkLeven, Kunst en Mystiek polemisiert gegen das übertriebene Vertrauen in die Sprache in philosophischen Abhandlungen; lächerlich sei auch die Anwendung der Sprache dort, wo keine Übereinstimmung des Willens gegeben sei.
Brouwer schloss sich später demSignifischen Kreis umGerrit Mannoury an. Die Mitglieder zielten darauf ab, durch Verbesserungen der Sprache mehr Verständnis der Menschen untereinander herbeizuführen. Dabei sollte die zeitliche Entwicklung der Sprache von primitiven Lauten bis zu anspruchsvollem Niveau mitberücksichtigt werden. Brouwer selbst wollte einerseits Wörter kreieren, die den westlichen Gesellschaften spirituelle Werte vermittelten, andererseits aufzeigen, wo diese Werte nur scheinbar in Worten aufscheinen, die für andere Ideale stehen. Zu diesen Vorhaben kam es nicht.
Ebenso wie sich die Sprache nicht auf eine Welt von Objekten unabhängig von der persönlichen Erfahrung bezieht, so bezieht sichWahrheit nicht auf eine äußerliche Realität. Wahrheit wird vielmehr ebenso vom Subjekt erfahren und bedeutet nichts anderes als Präsenz von Sinn. So besteht die Wahrheit einer Äußerung in nichts anderem als in der Tatsache, dass ihr Inhalt dem Bewusstsein des Subjekts erschienen ist. Deshalb sind auch Erwartungen von zukünftiger Erfahrung oder Aussagen über die Erfahrung anderer nur wahr, insofern es Antizipationen oder Hypothesen sind. Durch einen Satz wird nur Wahrheit übermittelt, wenn die Wahrheit auch erfahren wird.
Seit der Arbeit an seiner Dissertation versuchte Brouwer, einen originären Beitrag zu den Grundlagen der Mathematik zu leisten. Durch seinen LehrerGerrit Mannoury war er auf die Tendenz zurAxiomatisierung undFormalisierung aufmerksam gemacht worden. Im Anschluss anGottlob Frege wurde die Logik als Disziplin weiterentwickelt.Giuseppe Peano undBertrand Russell schufen eine neue symbolische Notation,Georg Cantor schuf dieMengenlehre,Ernst Zermelo axiomatisierte sie und bewies denWohlordnungssatz.
Man war zur Auffassung gekommen, dass die neu entdeckte Logik die Grundlage der Mathematik darstelle. Hilbert axiomatisierte die Geometrie und gründete sie auf gewisse Sätze, in denen ihre Grundbegriffe in gewissen Relationen standen. Er definierte sie nicht mehr explizit und ließ die zugrundeliegende Interpretation offen. Einige Jahre später, nachdem die Axiomatisierung auch anderswo erfolgreich angewendet werden konnte, rief er auf, die ganze Mathematik axiomatisch zu fundieren. Damit den dadurch entstehenden Theorien Sicherheit innewohne, sollte in einem umfangreichenProgramm die Widerspruchsfreiheit der wichtigen Axiomensysteme gesondert erwiesen werden.
Die Ideen dazu waren schon zur Zeit bekannt, als BrouwerOver de grondlsagen der wiskunde schrieb.[9] Brouwer unterzog die entsprechende Arbeit Hilberts einer Analyse und kam zur Auffassung, der Großteil sei ein unmathematischer unbewusster Akt.[10] Brouwers Zergliederung ergibt acht Stufen, er erkennt drei Systeme der Mathematik darin, die einmal mit, dann ohne Sprache auftreten. Folgendes Schema erhellt seinen Grundgedanken und beschreibt den Übergang von Mathematik erster Ordnung zur Mathematik zweiter Ordnung:[11]
Dies ist die Stufe, die Peano erreicht hat. Hilbert, der vermittels seinerBeweistheorie mitfiniten Methoden dieWiderspruchsfreiheit etablieren wollte, hätte sich, wie Brouwer analysiert, auf der dritten Stufe befunden. Hilberts Programm wurde aufgrund der Resultate vonKurt Gödel als unplausibel aufgegeben.
Für Brouwer besteht die Mathematik nur aus der ersten Stufe: mentale Konstruktionen vor jeder Sprache. Die Widerspruchsfreiheit, welche durch das Hilbertprogramm etabliert werden sollte, tat er als ein bloß sprachliches Phänomen ab, sie habe daher keine mathematische Relevanz. Das tatsächliche Problem machte Brouwer darin aus, dass eine rein sprachliche Argumentation keine mentale Konstruktion zur Verfügung stellt. Zu diesen Phänomenen rechnete er die „pathologischen Geometrien Hilberts“, die „logischen Konstruktionen, ganz gewiss diejenigen von Bolyai, möglicherweise auch Lobatcheffsky“, Cantorstransfinite Zahlen und Dedekind-Schnitte.[12]
Die logische Sprache selbst nämlich bezieht sich nicht immer unmittelbar auf eine gleich strukturierte mentale Konstruktion. Es kann etwa vorkommen, dass auch dort, wo in die mathematische Konstruktion die Relation vom Teil zum Ganzen (die beispielsweise in Brouwers intuitionistischer Mengenlehre als das Grundphänomen auftritt) nicht eingeht, beim wörtlichen Ausdruck die echte Relation gegen die Relation Teil-Ganzes getauscht wird. (Brouwer hat hier denSyllogismus im Auge.) Solche Phänomene mögen aufgrund der langen Tradition der logischen Ausdrücke aufkommen; gleichwohl wäre eine andere Sprache der Verständigung bei der gleichen Organisation des Intellekts möglich und eine Frage derKultur.[13]
Regularitäten der Sprache, die dieMathematik begleitet, wie sie vonAristoteles aufgegriffen und klassifiziert wurden, sind für Brouwer bloße Muster; sie geben nicht notwendig eine ursprüngliche Konstruktion an. Umgekehrt allerdings lässt sich auf jede mathematische Konstruktion etwa dasPrinzip des ausgeschlossenen Dritten anwenden und führt niemals zu einerKontradiktion. In der ArbeitDe onbetrouwbaarheid der logische principes (1908) legte Brouwer dar, warum man keinen Grund habe, das Prinzip für wahr zu halten.
Brouwer verwendete hierzu Existenzaussagen wie: „Es gibt in der Dezimalentwicklung von π eine Folge 012…9.“ Laut Brouwer bestünde kein Grund, hier das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten für wahr zu halten, da man keine Möglichkeit ins Auge fassen könnte, dies zu überprüfen. Brouwer hielt das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten für äquivalent mit der Behauptung, dass jedes mathematische Problem lösbar sei. Weitere „schwache Gegenbeispiele“, die auf damals ungelösten Problemen beruhen, sind im Brouwer-Eintrag derStanford Encyclopedia of Philosophy zu finden. Später ersetzte Brouwer tatsächlich die Dichotomie von wahr und falsch durch folgende vier Möglichkeiten: dass die Aussage als wahr oder falsch bewiesen ist, weiters, falls kein Beweis vorliegt, dass einAlgorithmus für die Entscheidung auf Wahrheit oder Falschheit bekannt ist, und viertens, dass auch ein solcher Algorithmus nicht bekannt ist.
Nachdem Brouwer eine intuitionistische Mengenlehre aufgestellt hatte, konnte er auch „starke Gegenbeispiele angeben“ (siehe unten).
Die fruchtbarste Anwendung von Brouwers Anschauungen geht allerdings auf einige Zeilen seiner ArbeitIntuitionistische Zerlegung mathematischer Grundbegriffe (1925) zurück. Dort versucht Brouwer unter anderem, intuitionistische Korrekturen für dieNegation anzugeben, und skizziert dabei die Grundlagen einer neuen Disziplin, derintuitionistischen Logik. Brouwer spricht dabei von Absurdität und Korrektheit anstelle von wahr und falsch und stellt einige Prinzipien auf, wobei er die doppelte Negation intuitionistisch interpretiert:
Arend Heyting war der erste, der eine derartige Logik formalisierte. Von Brouwer selbst wurde der Versuch zwar unterstützt, er betrachtete die Aufgabe freilich als steril.Die intuitionistische Erwägung Brouwers stützt sich in der entsprechenden mentalen Konstruktion auf das Verhältnis von Teil und Ganzem, etwa um den klassischenModus ponens einzusehen. Kompliziertere Aussagen können auch über eine Interpretation der Spezies (siehe unten) gewonnen werden.
Gegen Ende seines Lebens sprach sich Brouwer zunehmend wohlwollender gegen Formalisierungen aus. Er lobte beispielsweise die Algebra vonGeorge Boole und drückte seine ästhetische Wertschätzung dafür aus.
Aus der mathematischen Ur-Intuition ließen sich dieganzen undrationalen Zahlen konstruieren. DasKontinuum ist für Brouwer durch die Erfahrung des „Zwischen“ der Zweiheit der Ur-Intuition gegeben. Brouwer lehnt hingegen die transfinitenOrdinalzahlen Cantors ab, da sie sich nicht in einer Konstruktion fassen ließen.
Das Ziel von Brouwers Mathematik war die Entwicklung einer Theorie derreellen Zahlen, des Kontinuums. Erst nach seinen topologischen Erfolgen kehrt Brouwer zurück zur Mengenlehre und veröffentlicht 1918 dieBegründung der Mengenlehre unabhängig vom logischen Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Brouwer nennt den darin vollzogenen Schritt später den „zweiten Akt des Intuitionismus“. Ungleich seinen vorigen Anschauungen lässt er nämlich nun zur Konstruktion von Mengen (spreads im Englischen) nicht nur Punkte zu, die durch endlich viele Angaben oder durch ein Gesetz zur Konstruktion anzugeben wären, sondern auch sogenannteWahlfolgen. Wahlfolgen beinhalten ein Element der Willkür und können nicht vollständig angegeben werden. Das Konzept der Wahlfolgen geht in die Definition einer Punktmenge (spread) ein:
Ein reeller Punkt entsteht, wenn dabei ineinander geschachtelte Intervalle ausgewählt werden. Punktmengen sind besondere Arten von Punktspezies. Eine Punktspezies wird von Brouwer als eine Eigenschaft definiert, die nur einem Punkt zukommen kann; die Definition lässt sich auch verallgemeinern zu höheren Spezies, die Eigenschaften von Spezies sind. Spezies erlauben auch klassische Operationen derMengenlehre (etwa Durchschnitt, Vereinigung); eine konstruktive Einschränkung besteht wie oben (Negation) bemerkt bei denkomplementären Spezies.
Die strukturellen Theoreme über diese Mengen (spreads) sind dasFan Theorem und dasBar Theorem.[15] Zusammen mit demStetigkeitsprinzip ergibt sich der überraschende Satz für volle (das heißt, auf dem ganzen abgeschlossenen Intervall von 0 bis 1 definierten)Funktionen:
Dieser Satz ist klassisch ungültig. Brouwer verwendete ihn, um „starke Gegenbeispiele“ zumPrinzip des ausgeschlossenen Dritten anzugeben. Die Anwendung des Prinzips führt dabei zu einemWiderspruch.
Die Funktion, die einer reellen Zahl den Wert 0 zuordnet, wenn sie rational ist, den Wert 1 hingegen, falls sie nicht rational ist, muss nach dem Satz im intuitionistischen Sinne konstant sein. Es ist daher nicht möglich, das Kontinuum intuitionistisch in rationale und irrationale Zahlen zu zerlegen. Genau dieses Resultat ergibt sich jedoch, wendet man das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten mit der Eigenschaft „Rationalität“ an, ein Widerspruch. Eine genaue Ausführung dazu findet sich im Eintrag über Strong Counterexamples derStanford Encyclopedia of Philosophy.
Die Resultate, die Brouwer 1909 bis 1913 hervorbrachte, beeinflussten die Topologie nachhaltig. Brouwer verband die mengentheoretische Topologie vonGeorg Cantor undArthur Schoenflies mit den MethodenHenri Poincarés. Insbesondere baute Hermann Weyls Arbeit überRiemannsche Flächen auf Brouwers Topologie auf. SeinFixpunktsatz fand zahlreiche Anwendungen auch außerhalb der Topologie.
Durch Weyls provokativen Artikel[16] bekam der Intuitionismus Brouwers, besonders seine Ablehnung des Prinzips des ausgeschlossenen Dritten, einen hohen Grad an Bekanntheit, der durch seine eigenen Schriften und Vorlesungen nicht erreichbar war. Er selbst besaß keine sonderliche didaktische Fähigkeit, um den Intuitionismus bekannter oder populärer zu machen. Allerdings widmeteA. A. Fraenkel, der dieAxiome der Mengenlehre vonErnst Zermelo ergänzte, in seinen zahlreichen Büchern über Mengenlehre dem Intuitionismus stetige Aufmerksamkeit.
Spätere Reaktionen auf Brouwers Intuitionismus beziehen sich hauptsächlich auf Brouwers SchülerArend Heyting, der die intuitionistische Logik 1930 formalisierte. Ein derartiger Versuch des russischen MathematikersAndrei Nikolajewitsch Kolmogorow im Jahre 1925 war unbeachtet geblieben.Kurt Gödel undWaleri Iwanowitsch Gliwenko trugen maßgeblich zur Entwicklung der intuitionistischen Logik bei. AuchAlonzo Church reagierte schon 1928 mit einem Artikel über das Gesetz des ausgeschlossenen Dritten. In den 1960er Jahren erweckte der GrundlagenforscherStephen Cole Kleene das Interesse an der intuitionistischen Logik aufs Neue.
Vertreter derkonstruktiven Mathematik, auf welche Brouwer zumindest entfernt eine Wirkung hatte, sindErrett Bishop undPaul Lorenzen.
Inwieweit Brouwer Einfluss auf Gödel haben konnte, welcher ihn vermutlich – wie auchLudwig Wittgenstein – bei seiner Wiener Vorlesung 1928 hörte, ist nicht klar. Dass aber die genannte Vorlesung Wittgenstein philosophisch interessierte, ist in Anekdoten vonHerbert Feigl undRudolf Carnap überliefert. Wittgenstein soll dort den Impuls für seine späteren philosophischen Arbeiten erhalten haben.
Seit 1970 ist einMondkrater nach ihm undDirk Brouwer benannt.[17]
Ihm zu Ehren vergibt dieNiederländische Mathematische Gesellschaft seit 1970 alle drei Jahre dieBrouwer-Medaille.
Nach dem Tod erschienen:
Personendaten | |
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NAME | Brouwer, Luitzen Egbertus Jan |
ALTERNATIVNAMEN | Brouwer, Luitzen E. J. |
KURZBESCHREIBUNG | niederländischer Mathematiker |
GEBURTSDATUM | 27. Februar 1881 |
GEBURTSORT | Overschie |
STERBEDATUM | 2. Dezember 1966 |
STERBEORT | Blaricum |