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Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Zur ostkirchlichen Gottesdienstfeier sieheGöttliche Liturgie; zur Dienst- oder Geldleistung im antiken Griechenland sieheLeiturgie.
AlsLiturgie (vonaltgriechischλειτουργίαleiturgía „öffentlicher Dienst, Gemeindedienst“; ausλαός/λεώς/λειτόςlaós/leōs/leitós „Volk, Volksmenge“ undἔργονérgon „Werk, Dienst“) wird die Ordnung und Gesamtheit der religiösenZeremonien undRiten des jüdischen und des christlichenGottesdienstes bezeichnet. In analoger Redeweise wird der Begriff bisweilen auch für die Ordnung der religiösen Feiern und Vollzüge andererReligionen verwendet.
Das Zentrum der jüdischen Liturgie ist dieToravorlesung. Die Tora ist in 54 Abschnitte unterteilt, sogenannte Paraschot. Am Schabbatvormittag wird während des Gottesdienstes eineParascha vorgelesen.[2]
Ursprünglich bedeutete das Wort den Dienst der wohlhabenden Bürger an den Armen, der sowohlArmenspeisungen wie auch die Einrichtung öffentlicher Unterhaltung umfasste. Auch kultische Dienstleistungen konnten so bezeichnet werden. In derSeptuaginta wird sowohl der jüdische Tempeldienst wie auch derheidnische Kult alsleitourgia bezeichnet. Von hier aus fand die Begrifflichkeit Eingang in dasgriechischeChristentum, wobei der Begriff erst seit dem 9. Jahrhundert als Bezeichnung des christlichen Gottesdienstes belegt ist. Das latinisierteLiturgia wurde in der westlichen Kirche erst im Spätmittelalter gebräuchlich. Auf diesem Hintergrund ist Liturgie nicht gleichzusetzen mit der Rede vonKult undRitual, wiewohl religionswissenschaftlich die Liturgie diesen als eine spezielle Form zuzurechnen ist.
Durchgängig problematisch ist die Trennung der Rede von Liturgie einerseits und Gottesdienst andererseits, da es hier eine Vielzahl von historischen, theologischen und schlicht regionalen Gründen gibt, diese beiden Begriffe entweder synonym oder differenzierend zu verwenden.Martin Luther, der die deutsche Sprache maßgeblich mitgeprägt hat, übersetzte das griechische Wortleitourgia als ‚Gottes Dienst‘. In seiner Übersetzung kommt noch zum Ausdruck, dass Gottesdienst für den Menschen zuerst Dienst Gottes an den Menschen bedeutet, also zuerst Geschenk undGnade durch Gott selbst.Liturgie meint erst in einem zweiten Schritt Antwort des Menschen auf Gottes Dienst an den Menschen. „Wir wollen lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.“ (1 Joh 4,19 EU).
Hauptsächlich in protestantischen Kreisen und Gemeinden hat sich eine Rede von der Liturgie für die Teile des Gottesdienstes etabliert, die vor und nach derPredigt ihren Ort haben – als wäre die Predigt weniger liturgisch. Damit wird also ein stärker ritualisierter Bezug fürLiturgie genommen, eine Unterscheidung, die katholischerseits nicht nachvollzogen wird. Hier wäre dagegen faktisch zu differenzieren in die Rede vom „Gottesdienst“ als umgangssprachlichen Brauch und vonLiturgie als Hochsprache der Amtsträger.
Liturgie ist nie privater Natur, sondern Feier und Lebensvollzug derKirche. Sie ist daher von profanen Versammlungen und privatemGebet zu unterscheiden. Neben den sonn- und werktäglichen Gemeindeliturgien und denKasualien (Taufe,Trauung undBegräbnisfeier) feiern Teile der Gemeinde, Gemeinschaften (zum BeispielKonvente) oder Gruppen weitere Liturgieformen wie dasStundengebet.
Aus demUrchristentum sind keine vollständigen Gottesdienstordnungen bekannt, da sich die Gestaltung der Feiern noch in der Entwicklung befand und je nach Gemeinde auch unterschiedlich ausfiel. Wahrscheinlich war der frühchristliche Gottesdienst mehr oder minder stark vom jüdischen Gottesdienst in derSynagoge beeinflusst[3] und umfasste zudem die Lesung und Auslegung der kanonischen Schriften und dasBrotbrechen. Wohl gab es auch eine Überlieferung der liturgischenFußwaschung.[4]
Die Liturgie ist aus der geschichtlichen Entwicklung der Kirche entstanden; eine der ersten Linien führt dabei insAlte Testament. Ein Motiv desAuszuges des Gottesvolkes aus der ägyptischen Gefangenschaft war nicht nur das Erreichen des verheißenen Landes, sondern auch Gottes Befehl an den Pharao:
„Sag zum Pharao: Jahwe, der Gott der Hebräer, hat mich zu dir gesandt und lässt dir sagen: Lass mein Volk ziehen, damit sie mich in der Wüste verehren können. Bis jetzt hast du nicht hören wollen.“
Der Pharao erlaubte dann eine nicht näher beschriebene Opferfeier. Aber Mose bestand – den Befehl Gottes ausführend – darauf, dass zum Kult auch ein Auszug notwendig sei, da er den Kult nicht unter die Formel politischer Kompromisse stellen konnte.Israel zog schließlich aus, nicht um ein Volk wie alle andere zu sein, sondern um seinemGott zu dienen. Nach dem Auszug erhielt das Volk am Berg Sinai von Gott nicht nur eine erste umfassende Rechts- und Lebensordnung, sondern auch Kultanweisungen.
„In der Liturgie, besonders im heiligen Opfer der Eucharistie, vollzieht sich das Werk unserer Erlösung, und so trägt sie in höchstem Maße dazu bei, dass das Leben der Gläubigen Ausdruck und Offenbarung des Mysteriums Christi und des eigentlichen Wesens der wahren Kirche wird.“
Demzufolge geht es im katholischen Liturgieverständnis nicht primär um die genaue Regelung einzelner Ritenabfolgen, sondern um einen Wesensvollzug der Kirche. DerCodex Iuris Canonici (CIC) formuliert dies auf folgende Weise:
„Den Heiligungsdienst erfüllt die Kirche in besonderer Weise durch die heilige Liturgie, die als Ausübung des priesterlichen Dienstes Jesu Christi zu betrachten ist; darin wird die Heiligung der Menschen durch sinnenhafte Zeichen bezeichnet und in der diesen je eigenen Weise bewirkt sowie der mystische Leib Jesu Christi, von Haupt und Gliedern, der unverbrüchliche amtliche Gottesdienst vollzogen.“
Die in derlateinischen Kirche verwendeten Formulare für die einzelnen Feiern finden sich in den im Rahmen derLiturgiereform überarbeiteten (und in die Landessprachen übersetzten) liturgischen Büchern desrömischen Ritus (Missale Romanum,Rituale Romanum,Stundenbuch und andere). Zur katholischen Liturgie gehören auch die Liturgien der unterschiedlichen mit Rom verbundenenOstkirchen, die eigenen, orientalischenRiten folgen.
Der im Westen am besten bekannte ostkirchliche Ritus dürfte der Byzantinische Ritus sein, der auf die Kirche vonKonstantinopel (Byzanz) zurückgeht. Für die Feier derEucharistie gebräuchlich ist hier die Liturgie des hl.Johannes Chrysostomos; daneben gibt es die Liturgie des hl.Basilius (Basilius-Anaphora), die bis zur ersten Jahrtausendwende einen höheren Stellenwert einnahm und heute in unveränderter Form noch an zehn Tagen im Jahr gefeiert wird, und zwar am Tag des heiligen Basilius (1. Januar), am Vorabend desWeihnachtsfestes (25. Dezember) und desEpiphaniasfestes (6. Januar), an fünf Sonntagen der großenFastenzeit, amGründonnerstag und amKarsamstag. Außerdem ist eine gemeinsameKommunionfeier bekannt: dieLiturgie der Vorgeweihten Gaben (vorwiegend mittwochs und freitags in der großen Fastenzeit).[7]
Selbstverständlich fehlen nicht die übrigen in Kirchen katholischen Typs üblichen sakramentlichen Feiern: Taufe, Priesterweihe, Eheschließung usw. sowie Stundengebet und Festgottesdienste und Segnungen aller Art. Allen Ostriten gemeinsam ist, dass sie vor der Mitte des ersten Jahrtausends entstanden und seither dem allgemeinen Empfinden nach praktisch unverändert geblieben sind. Tatsächlich aber ist ihre Geschichte nicht weniger bewegt als die der abendländischen Liturgien vor derReformation. Diemit Rom unierten Ostkirchen feiern die Liturgie grundsätzlich, allerdings mit mehr oder minder spürbaren Abweichungen, in ihrem hergebrachten ostkirchlichen Ritus.
Abendmahl in der evangelischenDreikönigskirche in Frankfurt am Main
Für die Mitgliedskirchen derVELKD und der ehemaligenEKU gibt es in Deutschland eine gemeinsame Gottesdienstordnung, die im Evangelischen Gottesdienstbuch enthalten ist. Das Gottesdienstbuch gründet auf dem „Prinzip der festen Grundstruktur in variabler Ausformung“, das zu einem eigenverantwortlichen Gebrauch derAgende anleiten soll (Evangelisches Gottesdienstbuch, S. 17). Ausgangspunkt für diese Varianten sind dabei zwei verschiedene historische Grundformen: der Typ der evangelischen Messe sowie der oberdeutsche Predigtgottesdienst.
In derSelbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) werden die Gottesdienste liturgisch nach der Evangelisch-Lutherischen Kirchenagende gefeiert, die eine dezidiert lutherische ist, also der evangelischen Messe angelehnt ist.
Die evangelisch-reformierten Kirchen haben ihre Gottesdienststruktur auf der Grundlage des oberdeutschen Predigtgottesdienstes entwickelt, in der kaum Wechselgesänge zwischen Liturgen und Gemeinde enthalten sind. Erst in den letzten Jahrzehnten wird hier wieder unbefangen von „Liturgie“ gesprochen.[8] In der schweizerischen reformierten Tradition wurde die Liturgie immer wieder neu gestaltet. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich eine fünfteilige Struktur entwickelt, welche sich – in aller gestalterischen Freiheit – zu bewähren scheint. Diese Struktur ist einfach zu vergleichen mit jener der lateinischen Rhetorik (Cicero) sowie mit der Struktur des klassischen, aristotelischen Theaters und umfasst im Wesentlichen: Sammlung – Lob und Anbeten – Lesung und Predigt – Fürbitten (Abendmahl) – Sendung und Segen. Der Vergleich mit der lateinischen, respektive griechischen Tradition ist darin zu sehen, dass vom Introitus bis zum erlösenden, segnenden Abschluss eine vergleichbare Form von Dramaturgie zu beobachten ist. Diese (verbindliche) Struktur der Liturgie lässt gleichwohl eine Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten zu. In jüngster Zeit sind deshalb Modelle entwickelt worden, nach denen Gottesdienste auch als kommunikative Anlässe verstanden und entsprechend gestaltet werden.
In einigenFreikirchen ist das Wort Liturgie verpönt, weil der Begriff zu sehr mitTradition verbunden ist, aber die meisten von ihnen haben dennoch eine Ordnung für denAbendmahlsgottesdienst (mit wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel dieQuäker). Dennoch ist bei fast allen Gemeinschaften ein ritualisierter Ablauf zu erkennen, wodurch sich ja die Liturgie auszeichnet: als Dienst an der Gemeinschaft.
Als ein Charakteristikum aller evangelischen Hauptgottesdienstformen ist die zentrale Stellung der Predigt zu benennen. Ob diese im Gegenüber zur Liturgie oder als ein Teil von ihr verstanden wird, ist in den verschiedenen Richtungen unterschiedlich. Historisch bedeutsam war auch die Aufwertung der Gemeinde in der Partizipation am Gottesdienstgeschehen.
Unter dem Einfluss des niederländischenCalvinismus verlagerte sich der gottesdienstliche Schwerpunkt um 1885 auf den Wortgottesdienst. Noch heute nehmen meist die Predigten den zeitlich größten Anteil am Gottesdienst ein. Vereinzelt finden sich noch Rudimente der katholisch-apostolischen Tradition in der neuapostolischen Liturgie, beispielsweise das „Dreifache Amen“ (liturgischer Gesang zum Gottesdienstende). Bis 1998 wurde das Abendmahl nur am Sonntag und kirchlichen Feiertagen gefeiert, seit 1998 findet auch in den übrigen Gottesdiensten eine Abendmahlsfeier statt.
Zum 1. Advent 2010 trat eine Erweiterung der Liturgie der Neuapostolischen Kirche in Kraft. Unter anderem war Ziel dieser Reform, die Feier des heiligen Abendmahls würdiger zu gestalten. Dazu wurden auch die liturgischen Texte überarbeitet und vereinheitlicht, die bis dahin teils regionale Unterschiede aufwiesen.[9]
Angesichts der zunehmenden Wertschätzung von Spontanität und Authentizität sprechen viele Wissenschaftler von einer Liturgieunfähigkeit des modernen Menschen. Andererseits entwickeln sich in vielen Lebensbereichen (Sportveranstaltungen, Medien) neue Gemeinschaftsrituale undParaliturgien.
DieLiturgik oder Liturgiewissenschaft (scientia liturgica) hat als Ziel, die liturgischen Feiern und Handlungen geistig zu durchdringen, ihren Ursprung, ihre Geschichte, ihre Bedeutung darzulegen sowie ihren sachgemäßen und lebendigen Vollzug durch Vorsteher und Gemeinde zu fördern. Die Rubrizistik oder Zeremonienlehre, also der Ritus des Gottesdienstes, zielt darauf ab, die äußeren Zeremonien und Riten darzustellen und die Form zu erklären, nach der die liturgischen Handlungen geschehen sollen. Diese Erklärungen werdenRubriken genannt, weil sie in den liturgischen Büchern zur Unterscheidung von den liturgischen Texten meist in Rot geschrieben sind.
Alfred Ehrensperger:Gottesdienst. Visionen, Erfahrungen, Schmerzstellen. Theologischer Verlag, Zürich 1988,ISBN 3-290-10026-X.
Alfred Ehrensperger:Lebendiger Gottesdienst. Beiträge zur Liturgik. TVZ, Zürich 2003,ISBN 3-290-17254-6.
Albrecht Grözinger:Die Kirche – ist sie noch zu retten? Anstiftung für das Christentum in postmoderner Gesellschaft. Kaiser, Gütersloh 1998,ISBN 3-579-01902-3.
Ralph Kunz:Gottesdienst evangelisch reformiert. Liturgik und Liturgie in der Kirche Zwinglis. Pano-Verlag, Zürich 2006,ISBN 3-907576-89-6 (zugleich Habilitationsschrift, Universität Bonn 2000).
Karl Ferdinand Müller, Walter Blankenburg:Leiturgia. 2. Gestalt und Formen des evangelischen Gottesdienstes ; 1, Der Hauptgottesdienst. Handbuch des evangelischen Gottesdienstes. Stauda, Kassel 1955,urn:nbn:de:bvb:355-ubr24386-2.
Karl Ferdinand Müller, Walter Blankenburg:Leiturgia. 3. Gestalt und Formen des evangelischen Gottesdienstes ; 2, Der Predigtgottesdienst und der tägliche Gottesdienst: Register. Handbuch des evangelischen Gottesdienstes. Stauda, Kassel 1956,urn:nbn:de:bvb:355-ubr24385-7.
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Jürgen Bärsch,Benedikt Kranemann (Hrsg.) in Verbindung mit Winfried Haunerland,Martin Klöckener:Geschichte der Liturgie in den Kirchen des Westens. Rituelle Entwicklungen, theologische Konzepte und kulturelle Kontexte 1: Von der Antike bis zur Neuzeit; 2: Moderne und Gegenwart. Aschendorff, Münster 2018,ISBN 978-3-402-13186-2;ISBN 978-3-402-13187-9.
Thomas Flammer u. a. (Hrsg.):Liturgie im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zum 70. Geburtstag. (=Ästhetik, Theologie, Liturgik. Band 35). 2. Auflage. LIT-Verlag, Münster 2005,ISBN 3-8258-7505-9.
Albert Gerhards, Benedikt Kranemann:Einführung in die Liturgiewissenschaft. 3. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2013,ISBN 978-3-534-70086-8.
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↑Nora Zender, Annett Martini: Jüdische Liturgie, Tora und Feste. In: juedisches-leben.erfurt.de. 11. November 2014, abgerufen am 9. Oktober 2018.
↑Albert Friedlander:Jüdische und Christliche Liturgie: Begegnung oder Gegnerschaft? In:Albert Gerhards, H. H. Hendricks (Hrsg.):Dialog oder Monolog? Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum. Freiburg 2004,S.50–69.
↑Origenes erwähnt die Fußwaschung, die „der Bischof an bestimmten Tagen nach dem Vorbild Christi vornahm“, in Hom. 6,3 (GCS 33, 269).