Léon Poliakov (russischLew Wladimirowitsch Poljakow, Лев Владимирович Поляков; geboren25. November1910 inSt. Petersburg,Russisches Kaiserreich; gestorben8. Dezember1997 inOrsay,Frankreich) war ein bedeutenderPublizist undHistoriker. Er war Forschungsleiter amCentre national de la recherche scientifique in Paris und gilt alsPionier der Holocaustforschung.
Lew Poljakow wurde 1910 als Sohn des jüdischen ZeitschriftenunternehmersWladimir Poljakow und dessen Ehefrau Fanny in St. Petersburg geboren. Er hatte mehrere ältere Schwestern. Sein OnkelAlexander Poljakow war Journalist.Lew Poljakow wuchs in St. Petersburg und dann in Odessa auf.
1920 flüchtete seine Familie vor denBolschewiki nach Frankreich. 1921 zog sie aus wirtschaftlichen Gründen nachBerlin, wo Lew das Goethegymnasium besuchte. Er bekam als Jugendlicher bereits die Anfänge desNationalsozialismus in Deutschland mit. 1924 zog die Familie nachParis.[1]Dort besuchte er ein Gymnasium. Sein Vater Vladimir Poliakoff wurde 1933 Herausgeber des wichtigenPariser Tageblatts kritischer deutscher Exilanten. 1936 zwangen ihn die Redakteure, die Zeitung einzustellen.
Léon Poliakov studierteJura undLiteraturwissenschaft in Paris. 1937 wurde er Mitglied derFreimaurerlogeJupiter. Er arbeitete danach alsJournalist und wandte sich historischen Forschungen zu.
1940 trat Léon Poliakov in die französische Armee nach dem deutschen Überfall ein. Am 13. Juni 1940 geriet er mit seinem Bataillon in deutsche Kriegsgefangenschaft beiSaint-Valéry-en-Caux. Drei Monate später flüchtete er aus dem Kriegsgefangenenlager inDoullens und schlug sich unter dem NamenRobert Paul nach Südfrankreich durch. Er schloss sich derRésistance an, wo er den jüdischen Widerstand maßgeblich mitorganisierte.
Im Jahre 1943 beteiligte sich Léon Poliakov zusammen mit Zalman Schneerson, dem Gründer Joseph Bass und weiteren untergetauchten Juden an einerGruppe André in Südfrankreich zur Rettung vieler jüdischer Kinder durch ihr Verstecken in nichtjüdischen Familien.[2]
Léon Poliakov gründete mit Zalman Schneerson und verschiedenen jüdischen Gruppen dasCentre de documentation juive contemporaine, CDJC, das Urkunden und Beweise sammelte, um die Verfolgung der Juden in Frankreich zu dokumentieren.Ab 1947 war er bei denNürnberger Prozessen als Pressebeobachter akkreditiert, wo erEdgar Faure, dem Leiter der französischen Delegation, als Berater und Dolmetscher zur Seite stand.
Zalman Schneerson und Léon Poliakov sahen auch in den nächsten Jahren ihre wichtigste Aufgabe darin, die Verfolgung der Juden in Frankreich zu dokumentieren.Die Publikationen richteten sich dabei vorrangig an dienormale nichtjüdische französische Öffentlichkeit.[3]Léon Poliakov war Forschungsleiter amCentre national de la recherche scientifique in Paris.
1989 wurde er alsChevalier de la Légion d'honneur(Ritter der Ehrenlegion) ausgezeichnet. Er starb am 8. Dezember 1997 im Alter von 87 Jahren im französischenOrsay.[4]
Schneerson und Poliakov sahen ihre wichtigste Aufgabe darin, die Verfolgung der Juden in Frankreich 1939–1944 zu dokumentieren. Dabei war es die Perspektive der Täter, die ihnen in den 1960er Jahren als der Schlüssel für eine „objektive“ Darstellung dieses historischen Ereignisses galt. Bei ihren Publikationen beim CDJC legten sie daher den Schwerpunkt auf offizielle Dokumente zur Judenvernichtung durch die Deutschen selbst oder durch die aktiveKollaboration desVichy-Regimes.
Léon Poliakoff veröffentlichte mitFrançois Mauriac 1951 mitBréviaire de la haine (Saat des Hasses) die erste umfangreiche Studie über den Judenhass und die Vernichtungspolitik der Nazis, sowie deren historische und geistesgeschichtliche Wurzeln, nach Recherchen in deutschen Archiven und der Auswertung zahlreicher Augenzeugenberichte. Er kritisierte das Schweigen von PapstPius XII. zu den Verbrechen der Nazis und machte das Christentum für die Judenvernichtung mitverantwortlich.
Seine Studie zurGeschichte des Antisemitismus von der Antike bis zum 20. Jahrhundert in acht Bänden gilt heute als Standardwerk derAntisemitismusforschung. InLe mythe aryen (Der arische Mythos) untersuchte Poliakov unter Berücksichtigung von Erkenntnissen ausAnthropologie,Philosophie,Psychoanalyse,Religions- undSprachwissenschaft, wie sich der Mythos desAriers und seiner Überlegenheit seit der Antike allmählich herausbildete, um schließlich im 19. und 20. Jahrhundert zum festen Bestandteil abendländischen Denkens zu werden.
Léon Poliakov komme, soPeter Ullrich, mit seiner SchriftVom Antizionismus zum Antisemitismus auch das Verdienst zu, schon frühzeitig auf die Relevanz der problematischen Verquickung vonAntizionismus und Antisemitismus aufmerksam gemacht zu haben. Die Schrift gebe einen gut lesbaren Überblick zur Entwicklung von Antisemitismus und Antizionismus, insbesondere in derSowjetunion.[5]
Léon Poliakov forschte auch über weitere verfolgte Gruppen, darunter dieAltorthodoxen (Altgläubigen) in Russland.
Personendaten | |
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NAME | Poliakov, Léon |
ALTERNATIVNAMEN | Poljakow, Lew Wladimirowitsch (Geburtsname) |
KURZBESCHREIBUNG | russisch-französischer Historiker, „Pionier der Holocaustforschung“ |
GEBURTSDATUM | 25. November 1910 |
GEBURTSORT | St. Petersburg,Russisches Kaiserreich |
STERBEDATUM | 8. Dezember 1997 |
STERBEORT | Orsay,Frankreich |