Der politische KampfbegriffKriegsschuldlüge wurde in derWeimarer Republik geprägt, um die imFriedensvertrag von Versailles formulierte „alleinige Kriegsschuld“ desDeutschen Reichs und seiner Verbündeten amErsten Weltkrieg als Lüge darzustellen. Zugleich wurden damit dieReparationsforderungen der Alliierten und politische Gegner als deren „Erfüllungspolitiker“ und „Novemberverbrecher“ angegriffen.
Bereits bei derPariser Friedenskonferenz 1919 (18. bis 21. Januar) verwendeten die deutschen Delegierten den Begriff. Er wurde dann zu einerPropaganda-Figur der politischen Rechtsparteien und ihnen nahestehenden Medien in Deutschland. Vor allem dieNSDAP und dieDNVP benutzten ihn, um jede Verantwortung Deutschlands am Ausbruch des Weltkriegs zu bestreiten und damit dieWeimarer Verfassung in Frage zu stellen. Die historische Aufarbeitung derKriegsschuldfrage unterblieb weitgehend, da sie in allen beteiligten Staaten von politischen Vorgaben beeinflusst und staatlich gelenkt wurde.
Erst Veröffentlichungen des HistorikersFritz Fischer brachten ab 1959 eine nachhaltige und differenzierte Erforschung der Ursachen des Ersten Weltkriegs inDeutschland,Frankreich undGroßbritannien in Gang.
Heinrich August Winkler sieht eine wesentliche Verantwortung derMSPD seit 1914 für den Erfolg der Propaganda gegen den Versailler Vertrag:[1]
„Deutschland trug die Hauptschuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs: Das war auf Grund der deutschen diplomatischen Akten auch schon der RegierungScheidemann Anfang 1919 bekannt. Doch die Mehrheitssozialdemokratie scheute, nachdem sie vier Jahre langKriegskredite bewilligt hatte, vor dem öffentlichen Eingeständnis zurück, dass der Krieg, entgegen ihren Beteuerungen, kein deutscher Verteidigungskampf gewesen war. Den Nutzen aus der Verdrängung der Kriegsschuldfrage zog die nationalistische Rechte: Die Kriegsunschuldslegende, die Zwillingsschwester derDolchstoßlegende, wurde zum Nährboden gegen das ‚Diktat von Versailles‘.“