Iwan Mintschew Wasow wurde in Sopot in der Familie des Kaufmanns Mintscho Wasow und Saba Wasowa geboren. Zu seiner traditionsbewussten Familie zählten seine Brüder, die bulgarischen Revolutionäre und späteren GeneräleGeorgi Wasow undWladimir Wasow, sowie der PolitikerBoris Wasow. Laut Boris stammt die Familie Wasow aus dem DorfJanoweni im heutigen griechischenRegionalbezirk Kastoria, aus dem sie während der Herrschaft vonAli Pascha von Janina floh.[1]
Iwan Wasow beendete diebulgarische Klosterschule und eine weiterführende Schule in Sopot. Dort kam er recht früh mit der bulgarischen und ausländischen Literatur in Berührung. Eine tragende Rolle dabei spielte sein inRussland ausgebildeter Lehrer Partenij Beltschew, der Wasow als Erster die russische Poesie und bulgarische revolutionäre Werke nahebrachte. Ab 1865 lernte WasowGriechisch in der Schule vonKalofer bei dem Lehrer Botjo Petkow (Vater des bulgarischen Dichters und FreiheitskämpfersChristo Botew). In der Schule wurde Iwan wenig später Stellvertreter und Hilfslehrer Botews. Auch hier fand Wasow eine reiche Bibliothek vor, voll mit französischen und russischen Werken, die für seine spätere literarische Entwicklung prägend wurden.
Im Jahr 1866 wurde der junge Wasow von seinem Vater nachPlowdiw geschickt, wo er sich in der 4. Klasse derbulgarischen Klassenschule einschrieb. Eigentlich wollte der Vater, dass Wasow sein Griechisch verbessern undTürkisch erlernen sollte; stattdessen lernte dieser jedochFranzösisch und studierte die Poesie der französischen DichterPierre-Jean de Béranger,Victor Hugo undAlphonse de Lamartine. Zwei Jahre später wurde er von seinem Vater nach Sopot zurück berufen, um die Geschäfte zu übernehmen. Der Junge Iwan zeigte aber wenig Interesse daran und füllte schnell die Geschäftshefte mit Reimen und Versen statt mit Zahlen aus. Dabei wurde er von seiner Mutter Saba unterstützt. Ein Teil dieser Gedichte wurden im Jahr 1880 unter dem Namen „Majska Kitka“ (bulg.Майска китка) veröffentlicht.
Um den kaufmännischen Beruf besser zu erlernen, wurde Iwan 1870 von seinem Vater als Lehrling und für ein Wirtschaftsstudium zu seinem Onkel, einem Kaufmann inOltenița (Rumänien), geschickt. Doch auch dort galt sein Interesse nicht der Wirtschaft. Er lernteRumänisch, studierte dierumänische Literatur und befasste sich mit den Revolutionsideen vonMihail Kogălniceanu,Vasile Alecsandri,Nicolae Bălcescu und anderen. Sein verstärktes Interesse für das Schreiben zog ihn nachBrăila, wo er sich noch im selben Jahr der großen bulgarischen Exilgemeinschaft anschloss. In Brăila angekommen, wohnte er einige Zeit im Gasthof von Nikola ausStrandscha, einem der Treffpunkte der bulgarische Freiheitsaktivisten. Dort traf erChristo Botew, der mit seinen revolutionären und freiheitskämpferischen Ideen Wasow maßgeblich beeinflusste. Wasow nahm an den Treffen derInneren Revolutionären Organisation und desBulgarischen Revolutionäres Zentralkomitees (BRZK) in Brăila undGalați teil. Das harte Leben der Emigranten und die Treffen der patriotischen Gesellschaften beeinflussten den jungen Dichter und hinterließen tiefe Spuren in seinen literarischen Werken. Einige seiner späteren Werke,Freiheitskämpfer (bulg. Хъшове; Haschowe), oder die Novelle „Unbeliebt und Heimatlos“ (bulg. Немили-недраги; Nemili-Nedragi), befassen sich mit ebendiesem Abschnitt seines Lebens. In diesem Zusammenhang entstand auch sein erstes publiziertes Werk, das Gedicht „Borba“ (bulg.Борба, ‚Kampf‘), das in der Exilzeitschrift „Periodische Zeitschrift derBulgarischen Literarischen Gemeinschaft in Brăila“ (bulg.Периодическо списание на Браилското книжовно дружество) 1870 publiziert wurde. Weitere patriotische Gedichte schrieb er für die ZeitungenVaterland (bulg. Отечество),Freiheit (bulg. Свобода), für die ZeitschriftTschitalischte (bulg. Читалище) und andere.
Im Zeitraum von 1872 bis 1873 kehrte Iwan Wasow in das weiterhin von den Osmanen besetzte Bulgarien zurück und arbeitete als Lehrer inMustafa Pascha (heute Swilengrad). In den Jahren danach war er als Übersetzer beim Bau der EisenbahnlinieSofia–Kjustendil beschäftigt, lernteDeutsch und bekam Einblicke in die Lebensweise der einfachen bulgarischen Bauern, vor allem das der Schopen. 1875 kehrte er in seine Heimatstadt zurück und schloss sich dem im selben Jahr gegründetenSopoter Revolutionären Komitee an, welches Teil derInneren Revolutionären Organisation war und gegen die türkische Herrschaft kämpfte.
Wasow bei der Hauptversammlung derZentralen Bulgarischen Wohltätigkeitsgesellschaft im November 1876 (hintere Reihe, ganz rechts)
Nach der blutigen Niederschlagung desStara-Sagora-Aufstandes von 1875 geriet Wasow in Gefahr. Er emigrierte illegal in das ihm vertraute Rumänien und ließ sich inBukarest nieder. Dort schloss er sich derZentralen Bulgarischen Wohltätigkeitsgesellschaft (bulg. Българско централно благотворително общество) an und wurde deren Sekretär. In Bukarest schrieb und veröffentlichte er unter erschwerten Bedingungen und in Gefahr, von den rumänischen Behörden verhaftet und an die Türken ausgeliefert zu werden, unter dem PseudonymPejtschin die GedichtsammlungenPrjaporez i Gusla (bulg. Пряпорец и гусла) undDie Trauer Bulgariens (bulg. Тъгите на България; Tagite na Balgarija).
Während desRussisch-Osmanischen Krieges von 1877 bis 1878 war Wasow alsSchreiber beim russischen VizekonsulNajden Gerow inSwischtow undRuse beschäftigt. In dieser Zeit verfasste er die GedichtsammlungErlösung (bulg. Избавление), als Aufruf für die noch unter fremder Herrschaft lebende bulgarische Bevölkerung. Von März 1879 bis September 1880 war er Vorsitzender des Landgerichts inBerkowiza, obwohl er keine juristische Ausbildung hatte. Seine richterlichen Erfahrungen gaben ihm die Motive für seinPoemGramada. Aus dem Leben der Schopen (bulg. Грамада).
Am 5. Oktober 1880 ließ sich Wasow inPlowdiw, der HauptstadtOstrumeliens nieder. Hier nahm Wasow als Mitglied der prorussischenVolkspartei aktiv am politischen Alltag der unter türkischer Herrschaft stehenden bulgarischen Sonderprovinz teil. Er wurde als Abgeordneter in das Provinzparlament (bulg. Областното събрание) gewählt und Redakteur der parteinahen ZeitungenMariza (bulg. „Марица“),Volksstimme (bulg. „Народний глас“) undVereinigung (bulg. „Съединение“). Als dann 1881Alexander I. imKönigreich Bulgarien durch eine Proklamation außerordentliche Regierungsvollmachten und die Absetzung der„Verfassung von Tarnowo“[2] forderte und erreichte, wurde Wasow einer seiner stärksten Kritiker.
Anfang 1881 wurde Wasow Vorsitzender der Literarischen und Wissenschaftsgemeinschaft Plowdiw (bulg. Пловдивското научно книжовно дружество) und Redakteur der von ihr herausgegebenen ZeitschriftWissenschaft (bulg. „Наука“), der ersten bulgarischen Wissenschaftszeitschrift nach der Unabhängigkeit Bulgariens. Im selben Jahr wird er Mitglied derBulgarischen Akademie der Wissenschaften. 1885 gründete Wasow, gemeinsam mit dem SchriftstellerKonstantin Welitschkow, die erste reine Literaturzeitschrift Bulgariens, die ZeitschriftSora (bulg. „Зора“; 'Morgenröte'). Beide waren auch Herausgeber der zweiteiligenBulgarischen Chrestomathie (bulg. „Българска христоматия“) mit Werken von mehr als 100 Werken bulgarischer und ausländischer Autoren. Die von seinerVolkspartei abgelehnte Vereinigung von Ostrumelien mit dem Königreich Bulgarien erlebte er in Plowdiw. Als Bulgarien den darauf folgendenSerbisch-Bulgarischen Krieg gewann und die internationale Gemeinschaft dieVereinigung Bulgariens mit Ostrumeliens anerkannte, geriet dieVolkspartei ins politische Abseits.
Während seiner Zeit in Plowdiw schrieb Wasow einige seiner Klassiker wieEpopöe der Vergessenen (bulg. Епопея на забравените), die GedichteDie Bulgarische Sprache (bulg. „Българският език“),Auf zur Freiheit (bulg. „Към свободата“), die GedichtsammlungSliwnitza (bulg. „Сливница“), die NovellenUnbeliebt und Heimatlos (bulg.Немили-недраги; Nemili-Nedragi) undDie Onkel (bulg. „Чичовци“), die ErzählungKommt es? (bulg. „Иде ли?“) u. a. Einige dieser Werke bilden die Grundlage der neuen bulgarischen Literatur in vielenGenres.
Als eine Gruppe prorussischer Offiziere am 9. August 1886 den bulgarischenZarenAlexander I. in einemPutsch absetzte und darauf ein Gegenputsch vonStefan Stambolow zur Wiederherstellung der Macht des Zaren erfolgte, flüchtete Wasow vor den Repressionen der antirussischen Interimsregierung Stambolows gegen die prorussischen Kräfte im Sommer 1886 über Konstantinopel in das damals zu Russland gehörigeOdessa. Während seines Aufenthaltes in Odessa (1886–1889) schrieb Wasow sein Werk „Unter dem Joch“ (bulg.Под игото).
1889 kehrte Wasow nach Bulgarien zurück und ließ sich inSofia nieder. 1890 gründete er die ZeitschriftDenniza (bulg. „Денница“). In dieser Zeit schrieb er einen Großteil seiner kritisch-realistischen Erzählungen, die er in zwei Bänden unter dem TitelKratzer und Striche (bulg. „Драски и шарки“) zusammenfasste. Im Jahre 1895 während der Feiern zum 25-jährigen Jubiläum seiner literarischen Tätigkeit veröffentlichte er seinen RomanNeues Land (bulg. Нова земя). Gekränkt von der breiten negativen Kritik über diesen Roman legte er das Schreiben für einige Jahre nieder. In diesem Zusammenhang wird auch seine erneute politische Aktivität erklärt.
Wasows Grab in Sofia
Als nach der Vereinigung Bulgariens dieVolkspartei Ostrumeliens an Bedeutung verlor und komplett in der 1894 gegründeten konservativenVolkspartei des Königreichs Bulgarien aufging, schlossen sich viele der alten Aktivisten der neuen Partei an, unter anderen auch Wasow undKonstantin Stoilow. Als Stoilow zum zweiten Mal (1897) das Amt des Ministerpräsidenten innehatte, wurde Iwan Wasow zum Bildungsminister ernannt. Während derBalkankriege schrieb er eins seiner berühmtesten Gedichte;Ich bin ein Bulgare (bulg. „Аз съм българче“). Später wurde Wasow zu einem Führer der Gruppe, die den Eintritt Bulgariens an der SeiteDeutschlands imErsten Weltkrieg zunächst ablehnte. Im Verlauf des Krieges würdigte Wasow allerdings die bulgarischen Soldaten in Gedichten wieLieder für Makedonien (bulg. Песни за Македония),Er wird nicht sterben (bulg. Не ще загине) oderWas singt das Gebirge (bulg. Какво пее планината). Iwan Wasow starb am 21. September 1921 an einemBlutsturz.
„[…] der schöpferische Dämon flüsterte mir dauerhaft: „Arbeite!“ Und ich habe gearbeitet und schüttete den Inhalt meiner Seele wie in einem Lied aus. Ich gab mein bestes, alles was ich meinem Vaterland geben konnte. Es war wenig, aber soviel hatte ich.“.[4]
Häufige Pseudonyme die Wasow benutzte waren: Pejtschin, Dobrinow, Z-w, D. N-row, T. Gaborowski, Bojanez, Beltschin, N-tschew und andere. Seine Werke wurden in mehr als 50 Sprachen übersetzt.
Im Schoße der Rhodopen. Wanderungen durch Bulgarien (bulg.В недрата на Родопите) (Deutsche Übersetzung von Hartmut Herboth, Verlag Rütten & Loening Berlin 1982)
Himmelshöhen (bulg.Висините)
Witoscha (bulg.Витоша)
Rila (bulg.Рила)
Pirin (bulg.Пирин)
Eine Ecke des Balkangebirges (bulg.Един кът от Стара планина)
Der Ochse (bulg.Волът)
Jumruktschal (bulg.Юмрукчал)
Weliko Tarnowo (bulg.Велико Търново)
Zarewez (bulg.Царевец)
Auf dem Berg Sweti Nikola (bulg.На върха Свети Никола)
Das Rosental und Tundscha (bulg.Розовата долина и Тунджа)
Eine der unseren Schwarzmeerperlen (bulg.Един наш черноморски бисер)
↑Petar Kartschew,Prez prozoreca na edno polustoletie (1900–1950), Sofia, 2004, S. 274.
↑Die erste bulgarische Verfassung wurde von der Nationalversammlung am 16. April 1879 inWeliko Tarnowo ausgearbeitet, woher auch ihr TitelVerfassung von Tarnowo stammt. Als Vorbild galt die zu diesem Zeitpunkt recht neue und moderne VerfassungBelgiens
↑Aus dem Bulgarischen„...творческият демон постоянно ми нашепваше: “Работи!” И аз работих и изливах съдържанието на моята душа в песен. Дадох всичко добро, каквото можах да дам на отечеството. Малко бе, но толкова имах.“