Dieser Artikel behandelt die Hyperglykämie in der Humanmedizin; zur Hyperglykämie in der Veterinärmedizin siehe Artikel zum Diabetes mellitusdes Hundes undder Katze.
Hyperglykämie (altgriechischὑπέρhyper „über“,γλυκύςglykys „süß“ undαἷμαhaima „Blut“,umgangssprachlich auchÜberzucker) ist eine krankhaft vermehrte Menge anGlukose im Blut (Blutzucker).[1] Eine akute Hyperglykämie zeigt sich im Glukosespiegel, eine langfristige imHbA1c-Spiegel des Bluts.
Hyperglykämie ist dasLeitsymptom desDiabetes mellitus (Zuckerkrankheit), bei der die notwendige Regulation des Nährstoffes Glukose gestört ist, sodass dieser ab einer Höhe von etwa 180 mg/dl, der sogenanntenNierenschwelle, auch über denUrin ausgeschieden wird. Die bei einer Hyperglykämie auftretendenSymptome reichen kurzfristig vonDurstgefühl und trockenem Mund übervermehrte Urinausscheidung (Polyurie) undSehstörungen bis hin zum unbehandelt tödlich verlaufendenhyperglykämischen Koma. Langfristig ist die Hyperglykämie wesentlich an den klassischen Folgen einer Zuckererkrankung wieSchlaganfall,Verlust der Sehkraft oderNierenschwäche beteiligt. Ihre Behandlung besteht in einer Regulation des Glukosespiegels im Blut mittels geeigneter Maßnahmen, wie beispielsweise der Gabe vonInsulin.
Der Begriff Hyperglykämie war unterschiedlich definiert. So ging die Medizin bis zum Ende des 19. Jahrhunderts davon aus, dass jegliches Vorkommen von Zucker im Blut als krankhaft angesehen werden müsse. 1885 wurde erkannt, dass Zucker auch im Blut gesunder Personen vorkommt und erst bei einem Wert von etwa 210 bis 260 mg/dl eine vermehrte Urinausscheidung dasZeichen einer Krankheit ist. Der Blutzuckerspiegel liegt nach heutiger Definition bei Gesunden nüchtern nicht über 100 mg/dl und nach einemZuckerbelastungstest (oGTT) nicht über 140 mg/dl. Bei Zuckerkranken liegt er nüchtern über 125 mg/dl und bei oGTT über 200 mg/dl. Der „Graubereich“ dazwischen wird auch alsintermediäre Hyperglykämie bezeichnet und birgt statistisch ein erhöhtes Risiko, an Diabetes mellitus zu erkranken.[2]
Der Blutzuckerspiegel sollte bei Gesunden nüchtern (also mindestens 8 Stunden nach der letzten Zufuhr anNahrungsenergie) unter 100 mg/dl und nach einemZuckerbelastungstest unter 140 mg/dl liegen.[2] Nimmt der Körper Nahrung auf, dann werden Glukose und andereZucker, von Ausnahmen abgesehen, über den Darm aufgenommen und über denPfortaderkreislauf (enterohepatischen Kreislauf) zur Leber geführt, bevor sie insBlut gelangen. Durch verschiedene Regulationsmechanismen wird der Blutzuckerspiegel dort bei Gesunden langfristig bei etwa 70 bis 80 mg/dl konstant gehalten. Steigt nun infolge einerkohlenhydratreichen Nahrungszufuhr der Glukosespiegel im enterohepatischen Kreislauf, werden die Betazellen derBauchspeicheldrüse angeregt, das blutzuckersenkende HormonInsulin auszuschütten, um so den Glukosespiegel im Blut konstant zu halten. Versagt diese Regulation oder verliert das Insulin seine Wirkung, kommt es zu kurz- oder langfristiger Hyperglykämie.
Es gibt unterschiedliche Gründe, warum der Körper den Blutzuckerspiegel nicht im physiologischen Bereich stabilisieren kann. Die häufigsten Ursachen für eine Erhöhung des Blutzuckerspiegels sind ein vermindertes Ansprechen zuckerspeichernder Zellen wieFett- undMuskelzellen auf Insulin (Insulinresistenz) durchÜberkonsum (Zivilisationskrankheit) vonKohlenhydraten undZucker oder eine verminderte Insulinausschüttung der Bauchspeicheldrüse. In ersterem Fall kann die Insulinausschüttung sogar erhöht sein. Deshalb rät dieWeltgesundheitsorganisation zurZuckersteuer um einen spürbaren Rückgang des Zuckerkonsums zu erreichen, damit weniger Menschen anÜbergewicht,Adipositas undZuckerkrankheit leiden.[5][6][7]
Der Spiegel des Wachstumshormons (Somatropin) ist beim gesunden Menschen nur dann erhöht, wenn der Insulinspiegel zu niedrig ist. Es steigert den Blutzuckerspiegel, indem es sowohl die Aufnahme von Zucker in Fett- und Muskelzellen hemmt, als auch den Zuckerverbrauch durch eine vermehrte Bereitstellung vonFetten (Fettsäureoxidation) insbesondere im Muskel reduziert. Sind beide Hormone erhöht, kann es zu einer Hyperglykämie kommen, weil die blutzuckersenkende Wirkung des Insulins an den zuckerspeichernden Zellen dann eingeschränkt ist.[8][9]
Cortisol steigert den Blutzuckerspiegel. Dabei regt es insbesondere dieNeubildung von Zucker im Körper an und vermindert gleichzeitig denZuckerverbrauch. Daher wirkt es dem blutzuckersenkenden Insulin entgegen. Ist ein Übermaß an Cortisol vorhanden (Cushing-Syndrom, Stress), steigt der Blutzuckerspiegel.
Schwere Erkrankungen wieHerzinfarkt, schwereInfekte oderTraumata können ebenso wieNarkosen eine Hyperglykämie bewirken. Ursache ist der davon ausgelöstePostaggressionsstoffwechsel, bei dem es zu einer peripherenInsulinresistenz kommt, wobei dann auch die Gabe von Insulin nicht zu einer ausreichenden Senkung des Blutzuckerspiegels führt.[12] Als Sonderfall einer morgendlichen Hyperglykämie bei laufenderInsulintherapie gelten: DerSomogyi-Effekt, bei dem es beispielsweise infolge überhöhter abendlicher Insulingabe zu einer nächtlichenHypoglykämie und anschließender reaktiver Hyperglykämie kommt. AlsDawn-Phänomen bezeichnet man die Hyperglykämie, die entsteht, wenn der vermehrte Insulinbedarf in der zweiten Nachthälfte infolge der zu diesem Zeitpunkt gesteigertenGH-Ausscheidung nicht kompensiert wird, beispielsweise infolge des nächtlichen Wirkabfall einesVerzögerungsinsulins nach morgendlich einmaliger Gabe.[13]
Beispiel einer Hyperglykämie im TagesverlaufMikroangiopathie, die typisch für eine langfristige Hyperglykämie ist. Gezeigt ist eine mikroskopische Aufnahme einesangefärbten Schnittes einer Niere. In der Mitte ist eine ovale, weiße Fläche, der Innenraum eines Blutgefäßes. Darum ist eine stark verdickte Wandstruktur zu sehen, die sich durch einen etwas dunkleren Farbton von der Umgebung abhebt. Rechts darüber ist noch ein kleineres Gefäß mit dem gleichen Symptom.
Die Symptome einer Hyperglykämie hängen von Ausmaß und Zeitdauer des erhöhten Blutzuckerspiegels ab. Eine typische Kombination von Symptomen, die den Verdacht auf eine Hyperglykämie (und damit auf einen Diabetes mellitus) als Ursache lenkt, ist häufiges Urinieren großer Harnmengen bei gleichzeitig bestehendem vermehrten Durstgefühl trotz großer Trinkmengen. Dazu kommen nicht selten unspezifische klinische Zeichen wieAustrocknung, Schwäche,Schwindel, Sehstörungen,Bauchschmerzen,Übelkeit,Erbrechen, abgeschwächteMuskelreflexe, trockener Mund und trockene Haut. In schweren Fällen, die zumhyperglykämischen Koma führen, sind die Patienten dann zunehmendbewusstlos und können unbehandelt auch daran versterben.
Akute kurzzeitige Hyperglykämien können beispielsweise zwar mittelsZuckerbelastungstest erfasst werden, verursachen aber keine typischen klinischen Symptome, solange sie dieNierenschwelle (etwa 180 bis 200 mg/dl) nicht überschreiten. Ihre klinische Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf die Ausbildung vonFolgeschäden, hängt von ihrer Häufigkeit und Dauer ab und kann mittels desHbA1c abgeschätzt werden. Wird die Nierenschwelle überschritten, kommt es, insbesondere durch diewasserbindende Eigenschaft des Zuckers und der damit verbundenen Reduzierung der Wasserrückresorption aus demPrimärharn in denNieren, zu einervermehrten Urinausscheidung. Die dabei ausgelöste, zunehmendeAustrocknung des Körpers ist für dasDurstgefühl verantwortlich. Kann die Trinkmenge den Flüssigkeitsverlust nicht adäquat ersetzen, so kommt es zurExsikkose. Wird diese Krankheitsentwicklung nicht erkannt und behandelt, entsteht, insbesondere bei sehr hohen Blutzuckerwerten (> 600 mg/dl) über Tage hinweg, eineTrübung des Bewusstseins bis hin zumhyperosmolaren Koma. Insgesamt besteht beim hyperosmolaren Koma ein relativer Insulinmangel, sodass nicht selten zu wenig Insulin vorhanden ist, um die Lipolyse ausreichend zu hemmen. So entsteht durch dieKetonkörperbildung eine, meist jedoch relativ moderat ausgeprägtemetabolische Azidose, eine Übersäuerung des Blutes. Eine zweite Form von mit Hyperglykämie einhergehender Bewusstseinstrübung ist dasketoazidotische Koma, bei dem der Blutzuckerspiegel deutlich niedriger als beim hyperosmolaren Koma sein kann. Dabei ist allerdings weniger das Austrocknen ursächlich, sondern das vollständige Fehlen von Insulin als Ursache einer in aller Regel viel stärker ausgeprägten Azidose als beim hyperosmolaren Koma. Die Azidose entsteht dabei durch eine mangels Insulin ungehemmteLipolyse und die damit verbundene Ketonkörperbildung. Das hyperosmolare Koma tritt so eher bei Diabetes vom Typ II (noch vorhandene Insulinproduktion) und das ketoazidotische eher bei Diabetes Typ I (Fehlen von Insulin) auf. Bei letzterem kann die Hyperglykämie als begleitendes Symptom, aber nicht wie beim hyperosmolaren als ursächlicher Zustand angesehen werden.
Sehstörungen bei Schwankungen des Blutzuckerspiegels werden in akuten Fällen weniger auf diediabetische Retinopathie zurückgeführt als auf einen veränderten Wassergehalt derLinse und desGlaskörpers. Bauchschmerzen können ebenfalls eine Hyperglykämie begleiten und dann sogar einemakuten Abdomen gleichen. Ursache ist in diesen Fällen einePseudoperitonitis diabetica, ausgelöst durch eineHyperperistaltik des Magen-Darm-Traktes infolge Azidose.[14] Die Abschwächung der Muskelreflexe (beispielsweise desPatellarsehnenreflexes) wird im Zusammenhang mit einer Hyperglykämie als erstes Zeichen einediabetischen Polyneuropathie gewertet, eine Azidose als solche führt jedoch auch unabhängig vom Blutzuckerspiegel zu einer Abnahme derKontraktionsgeschwindigkeit der Muskulatur.[15]
Bei langfristiger Hyperglykämie kommt es zur unkontrollierten Anlagerung von Zucker an Proteine (endogene Glykation), wodurchGlykoproteine, sogenannte AGEs (advanced glycation endproducts) entstehen. Diesen kommt klinisch eine besondere Bedeutung zu. In der Diagnostik findet HbA1c als Glykoprotein des Hämoglobins Verwendung. Insbesondere die Schädigung derBasalmembran ist bedeutsam. Durch dortige Ablagerungen der AGEs verändert sie ihre Eigenschaften. Sie wird dadurch grobporiger und verliert negative Ladungsträger. EineMikroangiopathie entsteht. So ändern sich beispielsweise auch ihre elektrostatischen und mechanischen Filtereigenschaften in den Nieren, wodurch sie für Eiweiße wieAlbumin durchlässig werden und als FolgeProteine im Urin und im weiteren Verlauf eineNiereninsuffizienz auftritt. Als weitere Folgeschäden der Mikroangiopathie geltendiabetische Retinopathie,Neuropathie und periphereMakroangiopathie. Diese unkontrollierte Anlagerung von Zucker betrifft auch die Zellmembran der roten Blutkörperchen sowie andereLipo- und Seroproteine.[16][17]
Unterschiedliche, für Schnelltests geeignete Blutzuckermessgeräte
DieMessung des Blutzuckers erfolgt apparativ in der Regel aus kapillarem oder venösem Blut. Orientierend kann auch eine Messung des Zuckergehaltes des Urins Informationen liefern (Nierenschwelle). Die Angabe der Höhe des Blutzuckerspiegels erfolgt von den Geräten in aller Regel in der Einheit mg/dl (Milligramm pro Deziliter), kann aber in seltenen Fällen auch in mmol/l (Millimol pro Liter) erfolgen, wobei dann 1,000 mg/dl etwa 0,05549 mmol/l entspricht.
Neben einer exakten laborchemisch quantitativen Analyse (beispielsweise mittels derReduktionsmethode nachHagedorn-Jensen[18]) im Regelfall sind insbesondere inNotfallsituationen, aber auch zur Selbstkontrolle möglichst zuverlässige Erfassungen der Größenordnung einer Hyperglykämie wichtig (semiquantitative Analyse). Dazu sind Schnelltests geeignet, bei denen das Blut auf einen Teststreifen gegeben wird und dort zu einer Verfärbung führt. Diese Verfärbungen werden dann optisch mittels einesBlutzuckermessgerätes ausgelesen. Es gibt auch Teststreifen, die ohne Hilfsmittel, also mit bloßem Auge eine sinnvolle Abschätzung zulassen. Im Urin verbrauchen typischerweise Mikroorganismen, im Blutrote Blutkörperchen Glukose. Daher können Messwerte von Proben, die bereits längere Zeit ungeeignet gelagert waren, falsch niedrige Werte aufweisen.
Zur Beurteilung des langfristigen Verlaufes des Blutzuckerspiegels ist die Bestimmung desGlykohämoglobinsHbA1c aus dem venösen Blut geeignet. Ihr liegt die Tatsache zugrunde, dass abhängig von der Höhe des Zuckerspiegels im Blut sich mehr oder weniger Zucker an das Hämoglobin bindet (Glykation). So zeigt der HbA1c-Spiegel den durchschnittlichen Zuckerspiegel der vergangenen 6 bis 8 Wochen an. Phasen vonHypoglykämie und Hyperglykämie, die einander abwechseln, können auf diese Weise sogar einen normalen HbA1c-Spiegel bewirken und so fälschlich normale Blutzuckerwerte annehmen lassen.
Eine Hyperglykämie kann pathologisch-anatomisch (auch im Falle des Todes infolge einer Form des diabetischen Komas) kaum mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden. Ursächlich dafür ist die nach Eintritt des Todes eintretendeAutolyse. So verschwinden beispielsweise dieGranula in denB-Zellen sehr schnell, lediglich der Gehalt desLiquors anLaktose undGlukose ist nach einem diabetischen Koma erhöht. Erkennbar bleiben nach dem Ableben natürlich langfristige, strukturelle Veränderungen wie dieAmyloidose der Langerhans-Inseln oder eineGlomerulosklerose.[19]
Bei der Behandlung muss zwischen akutem Eingreifen und langfristiger Behandlung (→ Behandlung desDiabetes mellitus) unterschieden werden. Zudem ist sie abhängig von der Ausprägung der Hyperglykämie.
Werden beispielsweise im Rahmen einerVorsorgeuntersuchung leicht erhöhte Blutzuckerwerte gefunden, so sind keine akuten, blutzuckersenkenden Maßnahmen angezeigt, sondern weitere Diagnostik. Wird durch einen Blutzuckerbelastungstest eine gestörte Glukosetoleranz aufgedeckt, ohne dass derHbA1c-Spiegel erhöht ist, so sind in der Regel Verbesserungen des Lebensstils wie diätetische Maßnahmen unter besonderer Berücksichtigung desglykämischen Indexes von Lebensmitteln ausreichend.[2] Ist gleichzeitig der HbA1c-Spiegel im Sinne eines manifestenDiabetes mellitus moderat erhöht, so ist zu prüfen, inwieweit diätetische Maßnahmen ausreichen, oder aber die Gabe vonMedikamenten notwendig ist.
Bei stark erhöhten Werten ab etwa 250 mg/dl (13,9 mmol/l) bis 300 mg/dl (16,7 mmol/l) ist auch bei Abwesenheit von Begleitsymptomen ein rasches Handeln mit dem Ziel, denBlutzucker zu normalisieren und so ein diabetisches Koma zu verhindern, angezeigt. Zur akuten Therapie eignet sich besonders die Gabe vonInsulin.
Bei Gesunden ist, abgesehen von der allgemein gültigen Regel einer gesunden Lebensführung, keine gezielte Vorbeugung angezeigt, ist doch der Körper von sich aus in der Lage, denBlutzuckerspiegel in normalen Grenzen zu halten. Besteht jedoch eine Zuckerstoffwechselstörung, so sind regelmäßige Kontrollen bei gleichzeitig guterTherapietreue wesentlich, nicht nur im Hinblick auf eine Komavorbeugung, sondern besonders im Hinblick auf die bestmögliche Verhinderung vonBegleit- und Folgeerkrankungen, insbesondere der Glykosylierung unterschiedlicher Proteine und der damit verbundenen Veränderungen der Basalmembran der Kapillaren (siehe auch Abschnitt Pathologie).[2]
Die bekannteste Auswirkung der Hyperglykämie, das Auftreten der Polyurie, war bereits in der Antike bekannt. Eine der ältesten überlieferten Beschreibungen stammt vonAretaios im 2. Jahrhundert n. Chr. Auch das Auftreten von honigartig schmeckendem Urin ist seit langem bekannt, den erstmaligen Nachweis von Zucker im Urin führte jedoch erst 1776Matthew Dobson durch. Der Zuckernachweis im Urin erfolgte damals mittelsHefe-Gärungsproben.
Das Vorhandensein von Zucker im Blut, insbesondere auch von Diabetikern, war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung. Mit der damals üblichen Methode der Blutuntersuchung nachWilliam Hyde Wollaston konnte kein entsprechender Nachweis geführt werden.[22][23][24]
1839 beschreibtFriedrich Ludwig Hünefeld den Einsatz von Schwefelsäure zur Untersuchung des Urins auf Zucker (nachRunge) als sensibler als den der Gärung und hält den Einsatz dieser Methode auf eine entsprechende Untersuchung des Blutes für möglich.[25] Die erste eigentliche chemische Zuckerprobe, auch Trommersche Probe genannt[26], wurde 1841 vonKarl August Trommer (1806–1897) eingeführt.[27] Weitere Zuckerproben wurden 1844 (von John Moore undJohann Florian Heller) und 1848 (vonHermann von Fehling) entwickelt.[28] Die erste chemische Methode, die eine brauchbare Abschätzung des Blutzuckerspiegels zuließ, war diePettenkofersche Zuckerprobe. Nach Zugabe vonGallenlösung undSchwefelsäure zum Blutserum tritt dabei durch Erwärmung eine Verfärbung auf, die abhängig vom Blutzuckerspiegel ist. Diese Methode wurde 1844 von Pettenkofer beschrieben[29] und auch 1847 im Rahmen einerKasuistik erwähnt, also klinisch eingesetzt.[30]
1868 wurde ein Zusammenhang zwischen der Höhe des Blutzuckers und der Polyurie bezweifelt.[31] Es gab aber bereits entsprechende Thesen.[32]
Im selben Jahr wurde auch die Ansicht vertreten, dass„… der Organismus die Anwesenheit von Zucker im Kreislauf gar nicht duldet, sondern immer bemüht ist, denselben durch den Harn zur Ausscheidung zu bringen. …“ (zitiert nach Schultz[33]). Die Medizin ging noch in 70er Jahren des 19. Jahrhunderts davon aus, dass sich im Blut Gesunder kein Zucker befindet und damit dessen bloße Anwesenheit auch als krankhaft im Sinne des Begriffes derHyperglykämie zu betrachten ist.[34] In diesem Zusammenhang ist jedoch zu bemerken, dass zum damaligen Zeitpunkt die Wissenschaftler immer noch versuchten, den Diabetes, also dieHarnruhr mittels dergalenischen Säftelehre, als Ausscheidung schwarzer Galle, die unergründlicherweise süß schmeckt, zu erklären. In den 1880er Jahren dann wurde die Idee desKarlsbader ArztesCarl Hertzka aufgegriffen, die die Ausscheidung des zuckerhaltigen Harns in übermäßiger Menge als Zeichen einer zugrunde liegenden Krankheit und nicht als Krankheit per se postulierte. Das Stadium vor Auftreten derHarnruhr nannte er „passives Stadium des Diabetes“.[35] Damit öffnete er letztlich das Tor zum heutigen Verständnis von Hyperglykämie als Leitsymptom des Diabetes mellitus, obwohl es auch ihm nicht gelang, einen Zusammenhang zwischen Blutzuckerspiegel und dem Auftreten der Glukos-/Polyurie herzustellen.
1885 wurde das normale Blut dann als zuckerhaltig beschrieben und ebenfalls bemerkt, dass bei einer Steigerung seines Zuckergehaltes auf 0,25 bis 0,30 % (entspricht nach der heutigen Nomenklatur etwa 210 bis 260 mg/dl) zeitweise Zucker in den Urin übertritt, was ja auch bereits in früheren Jahren als pathologisch angesehen worden war.[36] Es hat also bis zu diesem Zeitpunkt gedauert, bis festgestellt worden war, dass Zucker auch im Blut Gesunder zirkuliert (Normoglykämie) und dass ab einer gewissen Menge (heute wird diese Grenze als „Nierenschwelle“ bezeichnet) Zucker im Urin aufzufinden ist und somit eine Hyperglykämie (also ein krankhaftes Zuviel an Zucker im Blut) definiert wurde. 1952 beschreibt Herders Volkslexikon als Normalwert 3,0 Gramm Zucker (0,07 %) in der Blutflüssigkeit (2800 ml) von 5 Litern Blut.[37] Das entspricht nach den heute geläufigen Einheiten etwa 60 mg/dl. 1959 wurde der normale Blutzuckerspiegel bereits als zwischen 70 und 120 mg% (entspricht mg/dl) liegend definiert (Hagedorn-Jensen-Methode – eine Reduktionprobe gegenFerricyankali[38]) und entsprach damit bereits fast der heute gültigen Norm.[39]
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