Unweit des Studios Ghibli inKoganei befindet sich seit 1998 Miyazakis privatesAtelierButaya (豚屋; dt. etwa „Schweinehaus“)
Hayao Miyazaki wurde am 5. Januar 1941 als zweites Kind des Flugzeugunternehmers Katsuji Miyazaki (1915–1993) in Tokio geboren. Um den US-amerikanischen Bombardements zu entgehen, zog seine Familie in die StadtUtsunomiya, 100 km nördlich von Tokio, wo er aufwuchs. Nach seiner Schulzeit studierte er zunächst vier Jahre Politikwissenschaften und Ökonomie, bevor er sich 1963 der ProduktionsfirmaStudio Toei anschloss. Dort begann er seine Karriere als Zeichner diverser Animationsfilme/-Serien, u. a. arbeitete er bei der Fernsehumsetzung der ZeichentrickserieHeidi (1974) mit. Bei Toei lernte er seinen späteren GeschäftspartnerIsao Takahata kennen, mit dem er nach mehreren Studiowechseln dieGhibli-Studios gründete.
1979 realisierte Hayao Miyazaki mitDas Schloss des Cagliostro seinen ersten Spielfilm als Autorenfilmer. 1982 startete er sein bis dahin größtes Projekt mit dem MangaNausicaä aus dem Tal der Winde, einer Geschichte, in dem eine junge Prinzessin in einer unwirtlichen Welt ums Überleben kämpft. Er avancierte, wie die zwei Jahre später erfolgte LeinwandadaptionNausicaä aus dem Tal der Winde, zu einem kommerziellen Erfolg und verschaffte ihm internationale Anerkennung. Dies ermöglichte ihm die Gründung vonStudio Ghibli, in dem er fortan seine Filme produzierte, das aber auch Filme anderer talentierter Künstler veröffentlichte. Neben Kurzfilmen produzierte er sieben Spielfilmprojekte für die Ghibli-Studios, die ihn zu einem der wichtigsten Vertreter des japanischen Animationsfilms werden ließen.
Nach der Produktion vonPrinzessin Mononoke als damals erfolgreichster japanischer Film aller Zeiten 1997 erklärte Miyazaki zunächst seinen Rücktritt als Regisseur, um jüngeren Talenten Platz zu machen. Er kehrte jedoch zurück und schuf unter anderem 2001 den FilmChihiros Reise ins Zauberland, der neue Verkaufsrekorde aufstellte und zum weltweit meistausgezeichneten Zeichentrickfilm wurde (u. a.Goldener Bär2002,Oscar2003).
Miyazakis nächster Film,Das wandelnde Schloss, kam 2004 in die Kinos und wurde ebenfalls mehrfach ausgezeichnet; im deutschsprachigen Raum lief eine synchronisierte Fassung im August 2005 an. Das nächste Projekt war der FilmPonyo – Das große Abenteuer am Meer, der im Juli 2008 in die japanischen Kinos kam und bereits am Startwochenende über 1,2 Millionen Besucher zählte.[1] 2008 erhielt der Film eine Einladung in den Wettbewerb der65. Filmfestspiele von Venedig.[2] Am 1. September 2013 wurde anlässlich der Aufführung seines jüngsten FilmsWie der Wind sich hebt bei den70. Filmfestspielen von Venedig bekannt gegeben, dass Miyazaki in den Ruhestand gehe.[3][4] Im Oktober 2016 vermehrten sich die Gerüchte darüber, dass Miyazaki trotzdem einen neuen Animationsfilm in Spielfilmlänge plane.[5] Im Oktober 2017 bestätigte er diese Gerüchte und gab bekannt, dass dieser Spielfilm anlehnend an das 1937 erschieneneKinderbuchKimitachi Wa Dō Ikiruka (君たちはどう生きるか; dt. etwa „Wie werdet ihr leben?“) vonGenzaburō Yoshino (1899–1981) denselben Titel wie das Buch tragen wird und die Produktionszeit auf drei bis vier Jahre angesetzt sei. Im Dezember des Jahres erklärteToshio Suzuki zusätzlich, dass die Handlung des Films erheblich von der des Romans abweichen und es sich um einenFantasy- undActionfilm handeln werde.[6]
Hayao Miyazaki ist seit 1965 mit der Animatorin Akemi Ōta verheiratet und hat mit ihr zwei Söhne,Gorō und Keisuke.
Miyazakis Werke weisen eine Reihe von wiederkehrenden Themen und Motiven auf. So bestimmen die komplexen und eigenständigen Mädchen- und Frauencharaktere alle seine Werke.[7] Die Darstellung von Frauen in Miyazakis Filmen weicht auffällig von der in anderen animierten Filmen – sowohl japanischen als auch internationalen – ab.[8] Seine Heldinnen bedienen die gesamte Bandbreite menschlicher Persönlichkeit und nehmen zumeist die Hauptrolle ein (z. B. inNausicaä aus dem Tal der Winde,Mein Nachbar Totoro,Kikis kleiner Lieferservice,Prinzessin Mononoke,Chihiros Reise ins Zauberland,Ponyo – Das große Abenteuer am Meer undArrietty – Die wundersame Welt der Borger). Sie übernehmen körperlich überlegene Führungsrollen wie Nausicaä als Regentin ihres Volkes in einer unwirtlichen Welt oder das Wolfsmädchen San in Prinzessin Mononoke, welche die Zuschauer kennenlernen, als sie blutbeschmiert eine Gewehrkugel aus der Schulter eines ihrer Gefährten, eines überdimensionierten Wolfsdämons, saugt. Auch übernehmen Frauen häufig traditionelle Männerberufe, so wie die 17-jährige Fio inPorco Rosso, die als geniale Flugzeugkonstrukteurin in einem fiktiven Italien zur Zeit der Depression zwischen den beiden Weltkriegen ihre Familie wirtschaftlich rettet und später die Flugzeugfabrik übernimmt. Auch die oft ambivalent gezeichneten Antagonisten der Geschichten werden auffällig oft von Frauencharakteren besetzt. In Prinzessin Mononoke wird die naturzerstörende Eisenhütte als aggressiver Gegenpol zu Sans Welt der Naturdämonen von Lady Eboshi geleitet. Die ausschließlich weiblichen Arbeiterinnen der Eisenhütte sind ehemalige Prostituierte, die in der ultraharten Arbeit der Eisenhütte eine Befreiung und Erlösung von ihrem vorherigen Dasein als Prostituierte finden. InNausicaä aus dem Tal der Winde wird die gegnerische Nation, mit der sich Nausicaäs Volk im Krieg befindet, von einer harten und unerbittlichen einarmigen Königin geführt. Die Bandbreite der weiblichen Rollen beschränkt sich dennoch nicht auf traditionell männliche Rollenbilder. Auch eher dem traditionellen Frauenbild entsprechende Heldinnen haben ihren Raum und treten in dieser Form oft als Retterinnen auf. So wie die sanfte und bescheidene Sophie, die als Putzfrau inDas wandelnde Schloss den begabten wie eitlen Zauberer und Schlossherrn Howl von seinen inneren wie äußeren Dämonen befreit. Bemerkenswerterweise entwickelt sich die romantische Liebe der beiden, als Sophie in ihrem Alter Ego als ergraute und gekrümmt gehende Großmutter gefangen ist und nicht als die schöne, junge Frau, die sie eigentlich ist. So spielt Miyazaki konstant mit den klassischen Geschlechterrollen und Stereotypen und erlaubt so seinen weiblichen wie männlichen Charakteren die gesamte Bandbreite des menschlichen Daseins. Mit dieser insbesondere für animierte Filme völlig untypischen Darstellung eigenständiger Heldinnen gilt Miyazaki als Vorreiter, der den Weg für eigenständige Disney-Heldinnen wie Merida oder Elsa inDie Eiskönigin oder auch PixarsAlles steht Kopf bereitet hat.[9]
Ein weiteres Thema in Miyazakis Filmen ist die Konfrontation von traditioneller Kultur auf der einen Seite, technisierter Moderne und Naturzerstörung auf der anderen Seite.[10] 1997 erklärte Miyazaki in einem Interview: „Ich bin an einen Punkt gelangt, an dem ich einfach keinen Film mehr machen kann, ohne das Problem der Menschheit als Teil eines Ökosystems anzusprechen.“[11] Miyazaki hat für die Darstellung dieser Thematik sowohl japanische (Prinzessin Mononoke,Chihiros Reise ins Zauberland) wie europäische Settings als Hintergrund gewählt (Das Schloss im Himmel,Porco Rosso). Der FilmDas wandelnde Schloss (2004) spielt beispielsweise in einer romantischen deutschen oder elsässischen Fachwerkstadt im Zeitalter der Industrialisierung. Die romantische Kulisse, basierend aufColmar, wird zerstört, als die Stadt einem Bombenangriff aus der Luft zum Opfer fällt.[12] Die drastischen Bilder der brennenden Stadt stellen die Leistungen der Moderne (Industrialisierung,Nationalismus undMilitarismus) in Frage. Eine ähnliche Thematik spielt in Prinzessin Mononoke eine tragende Rolle. Hier fällt ein von mythischen Tieren bewohnter Wald dem Holz- bzw. Holzkohlebedarf einer Eisenhütte zum Opfer. Die Technik der Moderne wird mit mythischen oder magischen Gestalten und Kräften aus der traditionellen Überlieferung konfrontiert.[13] Häufig wächst Kindern oder jungen Erwachsenen als Helden von Miyazakis Filmen eine vermittelnde Funktion zwischen diesen Polen zu.[14]
Ein wiederholt auftauchendes Motiv in Miyazakis Filmen sind phantastische Flugmaschinen und Luftschiffe.[15] Die Heldinnen und Helden treibt oft eine tiefe Faszination für das Fliegen an und für Maschinen, die den Traum vom Fliegen wahr werden lassen. Dies reicht von Filmen, in denen es explizit um das Fliegen und den Flugmaschinenbau geht wie z. B.Porco Rosso oderWie der Wind sich hebt. In anderen Filmen wieDas Schloss im Himmel oderKikis kleiner Lieferservice ist das Fliegen ein zentrales Element der Geschichte.
Frühe Erinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg finden sich in Miyazakis Werk: die nachts von Brandbomben verursachten Feuer finden sich inNausicaä, ein Haus, aus dem die Familie flüchtete, inMein Nachbar Totoro undChihiros Reise ins Zauberland. Miyazakis erste Vorbilder waren mitOsamu Tezuka,Yamakawa Sōji undFukushima Tetsuji Mangaka, entsprechend wollte er diesen Beruf noch vor dem als Animator ergreifen. Sein Frühwerk, noch als Amateur gezeichnete Comics, war stark von Tezukas Stil geprägt, doch er vernichtete es, um sich davon zu lösen. YamakawasShōnen Oja und FukushimasSabaku no Maō prägten ihn aber längerfristig. Später beeinflusste ihn auch der französische ComickünstlerJean Giraud alias Mœbius.[16]
Miyazakis erster professioneller Manga war 1969 ein Werbecomic für den Anime-FilmPerix der Kater und die drei Mausketiere, an dem er beteiligt war.[16] Dieser erschien in 12 Kapiteln zwischen Januar und März 1969 in den Sonntagsausgaben der ZeitungenChūnichi Shimbun undTōkyō Shimbun. Unter dem Pseudonym Saburō Akitsu (秋津三朗) zeichnete er mitSabaku no Tami (砂漠の民, „das Wüstenvolk“) seine erste eigene Reihe, die in 26 Kapiteln vom 12. September 1969 bis 15. März 1970 in der Shōnen Shōjo Shimbun veröffentlicht wurde, einer derKommunistischen Partei Japans nahestehenden Jugendzeitung. Anschließend zeichnete er erneut eine Adaption, diesmal zum FilmDie Schatzinsel, die in 13 Teilen zwischen Januar und März 1971 in der Chūnichi und Tōkyō Shimbun erschien.[17]
Das wohl bekannteste Werk istNausicaä aus dem Tal der Winde, an dem er von 1982 bis 1994 arbeitete und das auch als Vorlage für den gleichnamigen Anime diente. Seinen MangaKaze Tachinu, der 2009 in einem Modellbaumagazin veröffentlicht wurde, setzte er 2013 ebenfalls als Anime um.
Bis in die 1980er Jahre wurden Miyazakis Filme vor allem in den USA und Frankreich stark überarbeitet, wobei die Schnitte und Dialogänderungen teilweise so umfangreich waren, dass die ursprüngliche Handlung völlig entstellt wurde. In der Folge vergab das Studio Ghibli nachNausicaä zunächst keine Rechte mehr für Veröffentlichungen im Westen.
Erst als Studio Ghibli 1996 einen Distributionsvertrag mit dem Disney-Konzern schloss („Tokuma deal“), bei dem für Kino- und Kaufmarktveröffentlichungen jede Art von Veränderung am ursprünglichen Bildmaterial ausdrücklich ausgeschlossen ist, wurden Miyazakis Filme wieder im Westen veröffentlicht und professionell vermarktet.
Prinzessin Mononoke war der erste Miyazaki-Film, der in Deutschland ungeschnitten in die Kinos kam. DieRTL-Group-TochtergesellschaftUniversum Film veröffentlichte weitere Werke des Studio Ghibli ab 2005 im 2-Monats-Rhythmus auf DVD.Das Schloss im Himmel wurde 20 Jahre nach seiner Veröffentlichung in Japan in die deutschen Kinos gebracht.
1971–1972:Lupin III.: Part 1 (ルパン三世Rupan Sansei) – 16 Folgen der TV-Serie
1978:Future Boy Conan (未来少年コナンMirai shōnen Konan, engl.Conan, the Boy in Future) – 26-teilige TV-Serie
1979:Das Schloss des Cagliostro (ルパン三世 カリオストロの城Rupan Sansei: Kariosutoro no Shiro) – 110 Minuten 1987 erschien auf Video eine deutsche Fassung mit einer Laufzeit von 84 Minuten alsHardyman räumt auf, 2006 erstmals in Deutschland ungeschnitten auf DVD erschienen
1969:Perix der Kater und die 3 Mausketiere (BRD-Verleihtitel) bzw.Der gestiefelte Kater (DDR-Verleihtitel) (長靴をはいた猫Nagagutsu o Haita Neko) – 80 Minuten nach der französischen Version des MärchensDer gestiefelte Kater vonCharles Perrault, Regie Kimio Yabuki alsKey Animator
Ghibli et le mystère Miyazaki (deutschDer Tempel der tausend Träume – Miyazaki und das Ghibli-Studio). 52 Min. Regie: Yves Montmayeur. Frankreich 2005.[23]
Miyazaki Hayao to Ghibli Bijutsukan (japanisch宮崎駿とジブリ美術館,englischHayo Miyazaki and the Ghibli Museum). 63 Min. Drehbuch: Toshikazu Satou, Regie: Junichi Sato. Japan 2005.[24]
Owaranai hito: Miyazaki Hayao (japanisch終わらない人 宮﨑駿,englischNever-Ending Man: Hayao Miyazaki). 70 Min. Regie: Kaku Arakawa. Japan 2016.[25]
10 Years with Hayao Miyazaki. (deutschZehn Jahre mit Hayao Miyazaki) 4 Folgen. 196 Min. Drehbuch und Regie: Kaku Arakawa. Japan 2019.[26]
Miyazaki – Die Natur im Blick. 83 Min. Regie: Léo Favier fürArte. Frankreich 2024.
Martin Kölling:Japans Walt Disney. Hayao Miyazaki ist der Oscar-gekrönte Altmeister des Zeichentrickfilms. Doch die digitale Revolution verändert sein Metier dramatisch. In: Handelsblatt, 16. Juli 2015, S. 22–23.
Helen McCarthy:Hayao Miyazaki. Master of Japanese Animation. Stone Bridge Press, Berkeley CA 1999,ISBN 1-880656-41-8 (Revised edition. ebenda 2002), (englisch).
Hayao Miyazaki:Starting Point. 1979–1996. 2nd printing. VIZ Media, San Francisco CA 2009,ISBN 978-1-4215-0594-7 (englisch).
Julia Nieder:Die Filme von Hayao Miyazaki. Schüren Presseverlag, Marburg 2006,ISBN 3-89472-447-1 (deutsch).
S. Noma (Hrsg.):Miyazaki Hayo. In: Japan. An Illustrated Encyclopedia. Kodansha, 1993.ISBN 4-06-205938-X, S. 990. (englisch)
↑Ghibli Producer: "No Greenlight for Miyazaki’s New Feature Film Yet". In:Crunchyroll. 4. März 2017 (englisch,crunchyroll.com [abgerufen am 5. März 2017]).
↑Derrick Recca:Hayao Miyazaki and Studio Ghibli: Reimagining the Portrayal of Women in Japanese Anime. (englisch,academia.edu [abgerufen am 15. August 2020]).
↑Julia Nieder:Die Filme von Hayao Miyazaki. Marburg 2006, S. 121–122. Vgl. auch: Takashi Oshiguchi:Hayao Miyazaki – interviewed by Takashi Oshigichi. (1993). In: Trish Ledoux (Hrsg.):Anime Interviews. The First Five Years of Animerica, Anime & Manga Monthly (1992–1997). Cadence Books, San Francisco CA 1997,ISBN 1-56931-220-6, S. 33. Im gleichen Sinne: Helen McCarthy:Hayao Miyazaki. Master of Japanese Animation. Berkeley 2002, S. 101 ff.
↑Analysis. Digitization Zooms in on Japan’s Film Industry. In:Asia Pulse. 16. Mai 1997,ISSN0739-0548.
↑Never-Ending Man: Hayao Miyazaki. Owaranai hito: Miyazaki Hayao. In: imdb.com. Internet Movie Database, 13. November 2016, abgerufen am 20. März 2023 (japanisch, englisch).