Hans-Peter Martin (*11. August1957 inBregenz) ist einösterreichischerJournalist undSachbuchautor. Er war 2004 Gründer der ParteiListe Dr. Martin und von 1999 bis 2014 Mitglied desEuropäischen Parlaments.
Martin studierte Rechts- und Politikwissenschaft an derUniversität Wien und promovierte dort 1984 zum Dr. iur.
1978 arbeitete er als Hilfsarbeiter in der damals größten österreichischen TextilfabrikF. M. Hämmerle und verfasste darüber das BuchNachtschicht. Eine Betriebsreportage.[1] Die Firmenleitung intervenierte gegen die Verbreitung des Buches, doch in der Folge kam es zu vielen Verbesserungen im Unternehmen.[2] Von 1978 bis 1980 war er Redakteur beim österreichischen MonatsmagazinExtrablatt, gemeinsam unter anderem mitChristoph Ransmayr undPeter Turrini.[3]
1980 arbeitete er als Tellerwäscher eine Saison lang im Hotel Klosterbräu inSeefeld und schrieb darüber eine Artikelserie für das österreichische MagazinProfil. 1981 veröffentlichte er gemeinsam mitKurt Langbein,Hans Weiss und Roland Werner das EnthüllungsbuchGesunde Geschäfte. Die Praktiken der Pharmaindustrie. 1983 veröffentlichte er mit demselben Autorenteam den MedikamentenratgeberBittere Pillen. Bereits damals arbeitete er für das deutsche NachrichtenmagazinDer Spiegel. 1986 wurde erRedakteur, ab 1989 Südamerika-Korrespondent desSpiegel mit Sitz in Rio de Janeiro. 1996 wurde er Korrespondent in Wien und Prag.[4]
1988 zählte Martin zu den Herausgebern derSatanischen Verse vonSalman Rushdie.[5]
1989 war er Mitautor desKursbuch Gesundheit. Internationale Aufmerksamkeit erlangte er 1996 mit dem mitHarald Schumann verfassten globalisierungskritischen SachbuchbestsellerDie Globalisierungsfalle. Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand. Das Buch wurde in 27 Sprachen übersetzt.[6] 2009 verfasste Martin das BuchDie Europafalle. Das Ende von Demokratie und Wohlstand.
Der Verlag Penguin Random House veröffentlichte im September 2018 von Martin das BuchGame Over. Wohlstand für wenige, Demokratie für niemand, Nationalismus für alle – Und dann? Das Buch wurde auf die Shortlist für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2018 gesetzt.[7]
Seit 2018 arbeitet Martin für die deutsche Tageszeitungtaz. Er schreibt in seinem BlogGame Over über politische, soziale und kulturelle Themen.[8] In internationalen Medien und in Vorträgen kommentiert er aktuelle Ereignisse, etwa in der österreichischen TageszeitungKurier und über Italien.[9][10][11]
2022 erschien das BuchMi subers Ländle, in dem Martin seine Erfahrungen und die Folgen seiner Arbeit als Hilfsarbeiter ausführlich darlegte.[12]
Martin lebt in Lech am Arlberg und in Venedig.
Von 1996 bis 1999 saß Martin im Aufsichtsrat vonGreenpeace Deutschland, 1997 wurde er Mitglied desClub of Rome. Er erhielt 1980 den„Karl Renner“-Förderungspreis für Publizistik und im Jahr 1997 denBruno-Kreisky-Preis für das politische Buch.
Zahlreiche Bücher von Martin sorgten für intensive Diskussionen.Bittere Pillen nannteDer Spiegel „die Bibel zur Verhinderung von Arzneimittelmissbrauch“.[13]Die Globalisierungsfalle bezeichneteDie Zeit als „das Sachbuch aller Sachbücher“, dieSüddeutsche Zeitung nannte es das „vielleicht wichtigste Buch des Jahres“.[14]Game Over nannteDie Zeit „eine intelligente Fortschreibung, dass die Menschheit tatsächlich in die Globalisierungsfalle getapert ist“ und „anregend streitbar... für hoffentlich hitzige Diskussionen, die uns über das Thema bevorstehen“.[15]
Martin war von 1999 bis 2014 ununterbrochen Mitglied des Europäischen Parlaments.[1]
Aufgrund seiner Bekanntheit als EU- und Globalisierungskritiker wählte dieSozialdemokratische Partei Österreichs Martin für dieEuropawahl 1999 zumparteilosen Spitzenkandidaten, wodurch Martin im selben JahrMitglied des Europäischen Parlaments (MdEP) wurde.[16] Er trat der Partei auch danach nicht bei. 2004 verließ er dieSPE-Fraktion und war danachfraktionsloser Abgeordneter im Europäischen Parlament.
Europaweit bekannt wurde Hans-Peter Martin im März 2004 dadurch, dass er seinen ParlamentarierkollegenKorruption und Bereicherung durch unredlicheSpesen- undReisekostenabrechnungen vorwarf. Er filmte Parlamentarier, wie sie sich in Tagegeldlisten eintrugen, aber den Sitzungsort direkt danach wieder verließen. Martin erklärte, er habe 7200 Fälle registriert, in denen Abgeordnete aus allen Parteien ungerechtfertigt Sitzungstagegelder kassiert hätten. Er veröffentlichte eine Liste mit den Namen von 57 deutschen Parlamentariern, die laut Martin alle zu Unrecht Tagegelder kassiert hatten.
Das deutsche MagazinStern-TV unter der Leitung vonGünther Jauch strahlte zahlreiche Ausschnitte aus den von Hans-Peter Martin gemachten Aufnahmen aus und Martins Korruptionsanzeigen an dasEuropäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) wurden veröffentlicht. Kurz darauf wurde eine Razzia im Büro vonHans-Martin Tillack, dem damaligen Brüssel-Korrespondenten des NachrichtenmagazinsStern durchgeführt und Unterlagen konfisziert. DieNew York Times berichtete über Martins Enthüllungen auf der Titelseite.[17]
In einer gemeinsamen Pressekonferenz der Vorsitzenden allerFraktionen des Europäischen Parlaments bezeichnete derCDU-PolitikerHans-Gert Pöttering die Äußerungen Martins als unhaltbar und ungerechtfertigt: Zwar werde eine Reform der Regelung von Bezügen für EU-Parlamentarier von vielen begrüßt, doch besonders das öffentliche Vorgehen Martins stoße auf einhellige Ablehnung. Der damaligePräsident des Europäischen ParlamentsPat Cox hätte eine interne Behandlung begrüßt. Hans-Peter Martin wurde dabei vorgeworfen, „umstrittene Aufdeckermethoden“ zu nutzen, Europaparlamentarier verfolgt, beschattet und verdeckt gefilmt zu haben, um deren angeblichen Missbrauch zu beweisen.
Bei derEuropawahl 2004 kandidierte Hans-Peter Martin in Österreich für die von ihm dafür neu gegründeteListe Dr. Martin. Mit 14,04 Prozent der Stimmen wurde die Liste drittstärkste Kraft hinterSPÖ undÖVP. Damit gewann die Liste zwei der 18 österreichischen Sitze im Europäischen Parlament.[18] Neben Martin zog so nochKarin Resetarits, eine ehemalige Moderatorin desORF, mit ins Parlament ein. Resetarits verließ allerdings 2005 nach Streitigkeiten mit Martin die Liste, um sich der liberalen FraktionALDE anzuschließen.
Am 29. Juli 2006 kündigte Martin ein Antreten mit einer Bürgerliste – derListe Dr. Martin – bei derNationalratswahl 2006 an. Binnen drei Wochen konnte die Bürgerliste 8311 Unterstützungserklärungen sammeln, was das Antreten bei den Wahlen ermöglichte. Die Liste Martin erreichte jedoch nur 2,80 % der Stimmen,[19] womit sie an derVier-Prozent-Hürde für denNationalratseinzug scheiterte.
Wegen „zweckentsprechender, aber regelwidriger“ Verwendung von Sekretariatszulagen für Mitarbeiter übermittelte OLAF im September 2006 einen Untersuchungsbericht an die Staatsanwaltschaft Wien.[20] Die Vorerhebungen der Staatsanwaltschaft Wien wurden im November 2007 eingestellt und das Verfahren zurückgewiesen, da eine zweckwidrige Verwendung der Zulagen nicht nachgewiesen werden konnte. Martin machte Formfehler für die Anschuldigungen verantwortlich.[21][22] Der Generalsekretär des Europäischen Parlaments verlangte trotzdem von Martin eine Rückzahlung von Teilen der ausgezahlten Sekretariatszulagen für Mitarbeiter in Höhe von 163.381 Euro. Eine Klage Martins gegen diese Entscheidung wurde vomEuropäischen Gerichtshof abgewiesen.[23]
Bei derEuropawahl in Österreich 2009 erreichte die Liste Martin 17,7 % der abgegebenen Stimmen und damit drei Mandate.[24] Besonders die große Zustimmung für die Liste unter Lesern derKronenzeitung war Gegenstand öffentlicher Debatten in Österreich. Martin hatte in dieser eine vergleichsweise große Präsenz, was unter anderem einige führende Kommunikationswissenschaftler als Grund für seinen Wahlerfolg sahen.[25] Neben ihm zogen noch die ListendritteAngelika Werthmann und der ListenvierteMartin Ehrenhauser ins Europäische Parlament ein. Mit dem Wahlerfolg der Liste Martin wird das bei der EU-Wahl 2009 überraschend schlechte Abschneiden rechtspopulistischer Parteien wie derFPÖ und desBZÖ erklärt.[26][27][28]
Martin beschäftigte sich im Parlament vor allem mit Finanz- und Wirtschaftsthemen und erlangte im Februar 2010 Aufmerksamkeit, weil er schon früh eine volle Aufklärung der Finanzlage Griechenlands forderte.[29] Im April 2009 hat Martin sein neuestes BuchDie Europafalle. Das Ende von Demokratie und Wohlstand veröffentlicht.
Während seiner Laufbahn hat sich Martin vielmals kritisch gegenüber Lobbyismus geäußert, so zum Beispiel in derEuropafalle.
Seit seinem ersten Mandat im Jahr 1999 war Martin in sieben verschiedenenParlamentsausschüssen und sechsParlamentsdelegationen aktiv. In derLegislaturperiode 2009 bis 2014 war er Mitglied desAusschusses für Wirtschaft und Währung und war Mitglied des zeitlich beschränktenSonderausschuss zur Finanz-, Wirtschafts- und Sozialkrise. Zusätzlich war er Mitglied derDelegation für die Beziehungen zur Volksrepublik China,[30] in der er sich für Menschenrechte einsetzt[31] und als Energie- und Umweltexperte gilt.[32][33][34] Er war ebenfallsStellvertreter imAusschuss für Kultur und Bildung sowie für dieDelegation für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten.[35]
Er war Berichterstatter einiger Parlamentsberichte, zuletzt für den Wirtschafts- und Währungsausschuss. Unter anderem beeinflusste er die Gestaltung der Euro-Banknoten und forderte dieEU-Kommission auf, eine Folgenabschätzung für eine mögliche Einführung vonEin- und Zwei-Euro-Scheinen durchzuführen.[36]
Angelika Werthmann sollte ursprünglich ihr Mandat nur die halbe Mandatszeit ausüben und es dann an den Listenzweiten Robert Sabitzer abtreten, allerdings trat Werthmann bereits 2010 nach Meinungsverschiedenheiten mit Martin aus der Partei aus – nach ihren Aussagen ging der Konflikt unter anderem um den Verbleib von Geldern der Wahlkampfkostenrückerstattung.
Im April 2011 trat auchMartin Ehrenhauser aus der Parlamentsgruppe aus, warf Martin „nicht nachvollziehbare Finanzgebaren“ vor und erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Wien.[37] Martin bezeichnete Ehrenhausers Anschuldigungen als „falsch und rufschädigend“[38] und kündigte seinerseits an, dass er bei OLAF Anzeige gegen Ehrenhauser wegen „missbräuchlicher Verwendung von EU-Geldern“ eingereicht habe. Außerdem wolle er gegen Ehrenhauser Klage wegen Einbruchs in sein E-Mail-System einreichen.
Der Vorwurf Ehrenhausers lautete, Martin habe bei der Europawahl 2009 rund 950.000 Euro staatliche Wahlkampfgelder für falsche oder private Zwecke verwendet.[39] Nach einer Anfrage der StaatsanwaltschaftWien stimmte im September 2011 das EU-Parlament für die Aufhebung derImmunität Martins, was nötig war, um der Wiener Staatsanwaltschaft eine Untersuchung zu ermöglichen.[40] Die Oberstaatsanwaltschaft Wien stellte im Januar 2015 die Ermittlungen gegen Hans-Peter Martin ein.[41]
Insgesamt verstand sich Martin stets als „Prellbock gegen rechts“.[42][43] Ende März 2014 gab Martin bekannt, nicht mehr für dieEuropawahl 2014 zu kandidieren und sich mit Ende der Legislaturperiode aus der Politik zurückzuziehen. Die Entscheidung begründete er in der Wiener WochenzeitungFalter damit, dass „zu viele Mächtige in Österreich [...] keine echt unabhängige Person in der Politik“ wollten und „der Sog hin zur rechtsradikalen FPÖ [...] beängstigend stark“ sei. Er sehe deshalb „keine sinnvolle Möglichkeit mehr, diesem gefährlichen Rechtsruck ausreichend entgegen treten zu können“ und konstatierte eine „beängstigende Sehnsucht nach einem neuen Heil-Hitler-Gefühl.“ In Zukunft werde er zum Journalismus und zum Bücherschreiben zurückkehren.[44]
Am 11. März 2012 veröffentlichte Martin[45] eine Webseite, auf der er Informationen über den Lobbyismus der Atomindustrie öffentlich macht.[46] Ab April 2011 sammelte Martin Beeinflussungsversuche von Lobbyisten auf seiner Homepage. Martin war in 24 Monaten 1427 Beeinflussungsversuchen von Lobbyisten ausgesetzt.[47]
Personendaten | |
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NAME | Martin, Hans-Peter |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer Autor, Journalist, Politiker, MdEP |
GEBURTSDATUM | 11. August 1957 |
GEBURTSORT | Bregenz |