Graswurzelrevolution | |
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Beschreibung | Anarchopazifistische Zeitschrift |
Verlag | Verlag Graswurzelrevolution e. V. |
Erstausgabe | 1972 |
Erscheinungsweise | monatlich |
Verbreitete Auflage | 3500–4000 Exemplare |
Chefredakteur | Koordinationsredaktion |
Herausgeber | unabhängiger Kreis |
Weblink | www.graswurzel.net |
ISSN (Print) | 0344-2683 |
Graswurzelrevolution (GWR) ist eineanarchopazifistischeZeitschrift, die sich seit Gründung 1972 als ein Sprachrohr der internationalenGraswurzelbewegung im deutschsprachigen Raum versteht. Sie trägt den Untertitel „für eine gewaltfreie, herrschaftsfreie Gesellschaft“. Nach ihrem Selbstverständnis tritt sie fürgewaltfreie gesellschaftliche Veränderungen ein, wobei die inhaltlichen Schwerpunkte insbesondere auf den ThemenbereichenGleichberechtigung,Antimilitarismus,Ökologie undAntifaschismus liegen. Sie ist das langlebigste Periodikum des Anarchismus in Deutschland und gilt als einflussreichsteanarchistische Zeitschrift der deutschen Nachkriegszeit.
Die erste Ausgabe („Nullnummer“) der Zeitschrift wurde im Sommer 1972 von der „Gewaltfreien Aktion Augsburg“ herausgegeben, einem kleinen Kreislibertärer Pazifisten um denAugsburger StudentenWolfgang Hertle.[1] Ab der dritten Ausgabe im Frühjahr 1973 erschien das Blatt in Berlin, später wurde es in verschiedenen Städten Deutschlands produziert. Wechselnde Redaktionen erstellten die GWR inGöttingen (Nr. 20/21/1976 – Nr. 28/1978), inHamburg (Nr. 29/1978 bis Nr. 123/Feb. 1988), inHeidelberg (Nr. 124/Mai 1988 bis Nr. 167/Sommer 1992), im wendländischenWustrow (Nr. 168/Sept. 1992 bis Nr. 201/Okt. 1995) und inOldenburg (Nr. 202/November 1995 bis Nr. 235/Januar 1999). Seit März 1999 (Nr. 237 ff.) wird die Zeitschrift inMünster im Eigenverlag (Verlag Graswurzelrevolution e. V.) herausgegeben und presserechtlich von Koordinationsredakteur Bernd Drücke verantwortet.
Von 1972 bis 1981 erschien die GWR in wenig regelmäßigen Abständen etwa vierteljährlich, seit 1981 erscheint sie regelmäßig (bis heute) monatlich, mit einer zweimonatlichen Erscheinungspause im Sommer. Von 1981 bis 1987 wurde die Zeitschrift von derFöderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA) herausgegeben, danach wieder von einem unabhängigen Herausgeberkreis.Die GWR ist Mitglied beim linken Politik- und WissenschaftsportalLinksnet und seit 1973[2] assoziiertes Mitglied derWar Resisters’ International.DerVerlag Graswurzelrevolution mit Sitz in Heidelberg gibt auch Bücher zu Themen wie Theorie und Praxis desAnarchismus undPazifismus heraus.
Die Geschichte der Graswurzelrevolution „muss im politischen und historischen Kontext mit der Entwicklung des libertären Pazifismus gesehen werden“, so der spätere KoordinationsredakteurBernd Drücke 1998 in seiner Dissertation: „In den zwanziger Jahren hatte die anarchistisch-pazifistische Bewegung in Deutschland zahlreiche Periodika wieJunge Anarchisten (1923–1931) undDie Schwarze Fahne (1925–1929) hervorgebracht. 1933 wurde die Bewegung zerschlagen, die libertär-antimilitaristische Literatur, wie z. B. ‚Krieg dem Kriege‘ vonErnst Friedrich, das meistverbreitete antimilitaristische Buch der zwanziger Jahre, war unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verboten worden. Es fiel den Bücherverbrennungen zum Opfer und wurde erst nach 1968 wieder neu entdeckt und verlegt. Nach 1945 war die Tradition des libertären Antimilitarismus weitgehend in Vergessenheit geraten. Die Nazis hatten nicht nur zahllose Menschen, sondern auch viele Erinnerungen vernichtet. So verfügte die, u. a. durch den indischen Politiker Mahatma Gandhi beeinflusste, gewaltfreie Bewegung im Nachkriegsdeutschland über wenig libertäre Anknüpfungspunkte. Die Geschichte und Tradition einer anarchistisch-pazifistischen Bewegung in Deutschland war ihr nicht bewusst. In der Zeit des kalten Krieges entstand in der Bundesrepublik zwar eine Massenbewegung gegen Remilitarisierung, Aufrüstung und Atombewaffnung, jedoch blieb der Einfluss anarchistischer Gruppen auf die pazifistische Bewegung kaum wahrnehmbar. Die gewaltfreien AktivistInnen in der Bundesrepublik waren während der fünfziger und sechziger Jahre zum großen Teil entweder christlich oder etatistisch-sozialistisch orientiert. Das begann sich erst ab Mitte der sechziger Jahre zu ändern, mit Gründung der ersten Graswurzelgruppen. Sie wurden nicht zuletzt durch französische, schweizerische, britische und US-amerikanische AktivistInnen und Publikationen aus dem Umfeld der international vernetzten War Resisters’ international (WRI) beeinflusst. (…) Im Jahre 1965 gründete Wolfgang Zucht gemeinsam mit anderen Menschen aus Hannover die libertär-pazifistische 'Direkte Aktion, Blätter für Anarchismus und Gewaltlosigkeit’ (Untertitel). Dieses hektographierte ‚Organ gewaltfreier Anarchisten‘ (Untertitel) wurde monatlich bis 1966 als Zeitschrift zur Theorie und Praxis des gewaltfreien Anarchismus publiziert.“[3]
In Konzept und Ausrichtung wurde die GWR inspiriert durch die im frankophonen Sprachraum von der gleichnamigen Gruppe verbreitete gewaltfrei-anarchistischeAnarchisme et Nonviolence (Lausanne, 1964–1967) und die seit 1936 in London erscheinendePeace News.[4]
1974 wurde bei einem Treffen gewaltfreier Aktionsgruppen in Bückeburg die Graswurzelwerkstatt gegründet.Wolfgang Zucht undHelga Weber inKassel übernahmen die Koordinierungsarbeit im losen Netzwerk, was auch der Zeitschrift eine festere politische Basis gab. 1976 folgte die Versandbuchhandlung und derVerlag Weber & Zucht.
Entsprechende Gruppen sind auch in der Gegenwart in derFriedensbewegung, bei Aktionen vonAtomkraftgegnern, zum Beispiel gegen dieCastortransporte oder in der Bewegung derGlobalisierungskritiker aktiv. Berichte über Aktionen desZivilen Ungehorsams stellen neben theoretischen Artikeln einen wesentlichen Anteil an der Berichterstattung der GWR.
DerZivildienst wurde von Anarchisten ebenso wie derWehrdienst als „staatlicher Zwangsdienst“ abgelehnt. Daher gehörte die Berichterstattung über Fälle vonTotalverweigerung ebenso zu den Themenschwerpunkten.
Zu den inhaltlichen Schwerpunkten der Zeitschrift gehören die ThemenGleichberechtigung,Ökologie,Antimilitarismus und seit etwa Mitte der 2010er Jahre verstärkt derAntifaschismus, insbesondere im Zusammenhang mit derAfD.
2022 feierte dieGraswurzelrevolution auf der Anarchistischen Buchmesse in Mannheim ihren 50. Geburtstag. Die Auflage lag 2022 bei 3000 Exemplaren,[5] ab 2023 nach eigenen Angaben wieder bei 3500 bis 4000.[6]
Die GWR erschien bis zur Nummer 396 (Februar 2015) mit einem Umfang von mindestens 20 Seiten imBerliner Format. Seit März 2015 (Nummer 397) erscheint sie nach einem Relaunch im neuen Design und mit jeweils 24 Seiten im Berliner Format. Ihre Auflage beträgt seit ihrem Bestehen etwa 3000 bis 3500 Exemplare pro Einzelausgabe. Während der Proteste gegen denNATO-Doppelbeschluss in den frühen 1980er Jahren erreichte sie eine monatliche Auflage von etwa 5000 Stück. In der Gegenwart werden noch die Oktober-Ausgaben, denen seit 1989 das SupplementLibertäre Buchseiten anlässlich der Frankfurter Buchmesse beiliegt, in dieser Auflagenhöhe verlegt.Seit 2013 erscheint auch zur Leipziger Buchmesse eine Ausgabe der Libertären Buchseiten mit 5.000er Auflage. Von 2001 bis 2003 produzierte die GWR-Redaktion gemeinsam mit Kriegsdienstverweigerern in der Türkei acht Ausgaben der Otkökü (türkisch: Graswurzel). Die zweisprachige, türkisch-deutsche Otkökü erschien vierteljährlich als Beilage der GWR und separat mit einer Auflage von jeweils bis zu 7000. Nachdem die in die Türkei geschickten Ausgaben dort beschlagnahmt wurden, beschränkte sich der Otkökü-Vertrieb auf Westeuropa.„Nein zum Krieg!“-GWR-Extrablätter zum Jugoslawienkrieg 1999 erreichten Auflagen bis zu 35.000. Im Mai 2007 erschien das „NO WAR! NO G8!-Sturmwarnung“-Extrablatt der GWR mit einer Auflage von 20.000, im Mai 2011 wurden 30.000 Exemplare von "Abschalten! Sofort! Extrablatt und Beilage zu GWR 359" verteilt. Die höchste GWR-Auflage wurde mit einem GWR-„No WAR!“-Extrablatt im Vorfeld des 3. Golfkriegs 2003 erreicht: 55.000.
Abgesehen vonAbonnements wird die GWR im Handverkauf beiDemonstrationen, Kundgebungen und anderen einschlägigen Veranstaltungen verkauft wie z. B. in der Schweiz auf derLibertären Buchmesse. Bundesweit ist sie auch in Bahnhofsbuchhandlungen, Buch- und Infoläden vertreten. In größeren Städten ist sie vereinzelt auch in manchenFilialen des normalen Zeitschriftenhandels oder an einigenKiosken erhältlich.
Die Redaktion der GWR versteht sich als nichthierarchisch strukturiertes Kollektiv von gleichberechtigten Mitarbeitern und hat dementsprechend auch keinen Chefredakteur. Viele GWR-Autoren veröffentlichen ihre Beiträge unterPseudonym; – mit der Begründung, dass Inhalte Vorrang vor der (abgelehnten) Hervorhebung Einzelner und/oder deren möglicher Prominenz haben sollen.
Getragen wurde und wird die Zeitschrift Graswurzelrevolution von einem Netzwerk der seit Mitte/Ende der 1970er Jahre mitbasisdemokratischem Anspruch gebildetenGewaltfreien Aktionsgruppen (GAs), die vor allem während der 1980er Jahre durch spektakuläre Aktionen im Umfeld derNeuen sozialen Bewegungen öffentliche Aufmerksamkeit erregten. Dazu gehörten beispielsweise Bauplatzbesetzungen von geplantenKernkraftwerken oder anderen umstrittenen Großprojekten,Sitzblockaden im Zusammenhang mit dem NATO-Doppelbeschluss oder Selbstankettungsaktionen vor militärischen Einrichtungen und Ähnliches mehr. Der PolitikwissenschaftlerWolfram Beyer beschreibt, dass die Graswurzelrevolution für den deutschsprachigen Raum ein wichtiges Organ ist, weil die GWR "dieGewaltfreie Aktion aus dem wissenschaftlichen Bereich löst und konkrete gewaltfreie Aktionen publizistisch begleitet und auch zu gewaltfreien Kampagnen mobilisiert sowie vor allem auch zur Gruppenbildung und Organisation der gewaltfreien Aktionsgruppen einen Beitrag leistet".[7]
Von 2007 bis Ende 2011 gab es zweimonatlich als Beilage insgesamt 21 Ausgaben der Jugendzeitungutopia – gewaltlos – herrschaftsfrei. Die Auflage der Utopia stieg von 10.000 auf 25.000 (Nr. 9, März 2009). Die Autoren schrieben ehrenamtlich und die Zeitung wurde kostenlos verteilt. Finanziert wurde die Zeitung durch Anzeigen und Spenden. Sie wurde an Gruppen und Einzelpersonen verschickt und auf Demonstrationen, an Schulen und Jugendzentren verteilt.
Die Graswurzelrevolution bzw. die Graswurzelbewegung wurde 2006 bis 2007 von verschiedenen Landesbehörden fürVerfassungsschutz sowie demBundesamt für Verfassungsschutz in einigenJahresberichten erwähnt und darin demlinksextremistischen Spektrum zugeordnet.
Der am 22. Mai 2006 vom Bundesinnenministerium vorgelegte „Verfassungsschutzbericht 2005“ widmete der Zeitschrift etwa eine halbe Seite im Abschnitt „Traditionelle Anarchisten“. Zur Begründung heißt es dort: „Klassische anarchistische Konzepte werden in Deutschland vor allem von Gruppierungen der ‚Graswurzelbewegung‘ und der anarcho-syndikalistischenFreie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) als deutscher Sektion der ‚Internationalen Arbeiter Assoziation‘ (IAA) vertreten.“ Die Stärke der „Graswurzelbewegung“ veranschlagte der Bericht auf „etwa 200 in Aktionsgruppen, Trainingskollektiven und sonstigen Zirkeln zusammengeschlossenen Anhänger“. Zu ihren Aktionsformen gehöre „das Konzept deszivilen Ungehorsams mit bewussten Regelverletzungen“, weiter „Auch ‚gewaltfreien Widerstand‘, der zwarSachbeschädigung, nicht aber Übergriffe auf Personen einschließt, halten sie für legitim.“ Frühere Berichte enthalten weitgehend gleichlautende Erwähnungen und Einschätzungen.Während die Erwähnung in den Verfassungsschutz-Berichten von der Redaktion eher ironisch kommentiert wurde,[8] löste die Titelgestaltung eines der VS-Berichte erheblichen Unmut aus, da das Emblem der Zeitschrift neben Symbolen neonazistischer Gruppierungen zu sehen war, worin eine unzulässige Gleichsetzung von Gewalt und Diktatur befürwortendem Rechtsradikalismus und gewaltfrei-anarchistischen Linken gesehen wurde.
Im August 2007 äußerte sich GWR-Redakteur Drücke in einem Interview in der ZeitschriftJungle World zur erneuten Erwähnung der GWR im Verfassungsschutzbericht: „Schon die Stasi hat uns als kleinbürgerlich und pseudorevolutionär bezeichnet. (…) Man kann nachvollziehen, dass der Verfassungsschutz es nicht gut findet, dass wir mit gewaltfreien Mitteln den Staat bekämpfen wollen. Aber es ist ärgerlich. Allein durch die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht werden Berufskarrieren zerstört. (…) Allein die Mitarbeit in einer anarchistischen Zeitung ist für den Staat schon Grund genug, Verdacht zu schöpfen.“[9]
Der Sozialwissenschaftler Ralf Vandamme charakterisiert die Graswurzelrevolution in seiner DissertationBasisdemokratie als zivile Intervention[10] als „das Hauptorgan basisdemokratisch organisierter Akteure“.Horst Stowasser schreibt: „Die Gruppierung, die die Herausbildung eines Wurzelwerks am konsequentesten vorangetrieben hat und zugleich der anarchistischen Ethik am nächsten kommt, ist die ‚Gewaltfreie Aktion‘. Nicht zufällig trägt ihre recht weit verbreitete Zeitung den Namen ‚Graswurzel-Revolution‘.“[11]