Naturschutz- und Natura-2000-Gebiet Fließwiese Ruhleben | ||
---|---|---|
Bruchwald ausSchwarz-Erlen undGemeinen Eschen im Südteil der Fließwiese bei hohem Wasserstand im April 2009 | ||
Geographische Lage | HügelgebietMurellenberge,Berlin | |
Zuflüsse | keiner; Grund- und Regenwassergespeist | |
Abfluss | bis in die 1920er JahreElsgraben →Havel; seither abflusslos | |
Orte am Ufer | Siedlung Ruhleben | |
Ufernaher Ort | Berlin-Charlottenburg,Berlin-Spandau | |
Daten | ||
Koordinaten | 52° 31′ 34″ N,13° 14′ 10″ O52.52611111111113.236111111111Koordinaten:52° 31′ 34″ N,13° 14′ 10″ O | |
Fläche | 11,8hadep1 | |
Länge | rund 1000 m (gesamtes Naturschutzgebiet)dep1 | |
Breite | rund 200 m (gesamtes Naturschutzgebiet)dep1 | |
Maximale Tiefe | rund 1 m | |
Besonderheiten | Verlandungsmoor, seit 1959 als BerlinerNaturschutzgebiet Nr. 05 gelistet | |
![]() | ||
Lage der Fließwiese bei denMurellenbergen und amOlympiagelände |
DieFließwiese Ruhleben ist einVerlandungsmoor in derBerliner OrtslageRuhleben im OrtsteilWestend imBezirk Charlottenburg-Wilmersdorf nördlich desOlympiaparks und derWaldbühne.
Das 11,8 Hektar umfassende Feuchtgebiet ist seit 1959 alsNaturschutzgebiet ausgewiesen, ferner Schutzgebiet der europäischenFauna-Flora-Habitat-Richtlinie und Bestandteil des länderübergreifenden SchutzgebietssystemsNatura 2000. Es ist ein Teil derStauch- undEndmoränenlandschaft derMurellenberge im Nordband desTeltowplateaus und der nördliche Ausläufer desTrockentals Murellenschlucht. Den ehemaligen See prägt ein Bestand anWasserpflanzen, einSchwarzerlenbiotop und derAmphibienreichtum – darunter ist insbesondere der streng geschützteNördliche Kammmolch zu nennen, der der Fließwiese die Meldung als Natura-2000-Gebiet einbrachte. Aufgrund erheblich schwankender Wasserstände veränderte sich die Vegetation in der torfigen Senke immer wieder stark.
Die langgestreckteSenke der Fließwiese weitet sich über rund einen Kilometer in einem leichten Bogen von einer schmalen Spitze unterhalb derWaldbühne von Südwest nach Nord auf, wo sie auf ihrer maximalen Breite von etwa 250 Metern durch den Hempelsteig begrenzt wird. Die Südspitze ist lediglich durch einen Waldweg von derMurellenschlucht getrennt. Auf der Westseite erheben sich dieMurellenberge mit demFriedhof Ruhleben und einem Übungsgelände derBerliner Polizei. Auf der Ostseite liegt dieSiedlung Ruhleben und südlich davon derOlympiapark Berlin.
Den südlichen Teil der Ostseite begrenzt ein schmaler, unverbauter und bewaldeter Streifen des Teltownordbandes, der sich entlang des Brombeerweges nach Nordosten zumNaturdenkmalMurellenteich zieht. Die westliche Fortsetzung des Brombeerweges quert als einziger Weg die Fließwiese und schneidet ihren Südzipfel ab. Der Weg steigt auf der Westseite an und geht in den Denkzeichenweg (Denkzeichen zur Erinnerung an die Ermordeten der NS-Militärjustiz am Murellenberg) über, der oberhalb der Südspitze der Fließwiese den Hinrichtungsplatz erreicht und weiter durch die Murellenschlucht zu der Eissporthalle an der Glockenturmstraße führt. Ein weiterer Waldweg begleitet das rundum eingezäunte Naturschutzgebiet auf seinen beiden Längsseiten.
Die Fließwiese Ruhleben ist eineSchmelzwasserrinne derWeichseleiszeit und hat sich aus einem See zu einem Verlandungsmoor entwickelt.[1] Sie bildet die nördliche Fortsetzung desTrockentals Murellenschlucht, einer ehemaligenToteisrinne, die sich bis zu 30 Meter in die bis zu 62 Meter hoheHügellandschaft der Murellenberge und des Schanzenwalds einschneidet.Geologisch gehören die Murellenberge zur Nordkante desTeltow, der nach Westen in derHavelniederung und nach Norden in demBerliner Urstromtal, das heute von derSpree durchflossen wird, ausläuft. Einige Kilometer weiter nordöstlich im Bereich des heutigenRuhwaldparks reicht das Teltownordband bis auf wenige Meter an die Spree heran. Im Bereich der Murellenberge haben die Gletscher dieSchmelzwassersande aus der Vorstoßphase desInlandeises kräftig gestaucht (gestört), sodass hier ein bewegtesRelief einerStauch-/Endmoräne das Landschaftsbild bestimmt. Der nordwestliche Teil des Schanzenwalds gehört bereits zum Talsandbereich der Spreeniederung im Urstromtal.[2] Die Fließwiese wird in derNaturraumeinheit D 12a (Ostdeutsches Tiefland, Mittelbrandenburgische Platten und Niederungen)[3] demBrandenburg-Potsdamer Havelgebiet (Nr. 812) zugeordnet.[4] Der Zusammenhang des eiszeitlich geprägtenNaturraums und seine Anbindung an denGrunewald und dieTiefwerder Wiesen ging durch denStadtbau weitgehend verloren.[1]
→Siehe Hauptartikel:Murellenberge, Murellenschlucht und Schanzenwald
Aus derVertorfung vonSeggen undTorfmoosen entwickelte sich der ehemalige See zumVerlandungsmoor.[1] ZurMelioration wurde im 19. Jahrhundert in der Mitte der Fließwiese ein Längsgraben angelegt, der zumElsgraben führte. Der bis 1886 schiffbare Elsgraben aus dem Jahr 1832 begrenzte das Feuchtgebiet im Norden und sollteSpandau beiHochwasser schützen, indem er das Wasser der Spree bereits vor der Stadt zur Havel leitete.[5] Zu dieser Zeit wurde der nördliche Teil des Verlandungsmoors als Wiese genutzt, während den höher gelegenen Südteil bis heute einBruchwald bestimmt.[6] Die Entwässerung ist seit der Zuschüttung des Elsgrabens und der Aufschüttung des Hempelsteigs im Jahr 1936 mit demAushub aus der Waldbühne unterbrochen. Bis in die 1950er Jahre wurde die zu dieser Zeit blumenreicheFeuchtwiese noch zum Teil landwirtschaftlich genutzt. In der Nordostecke bestand ein kleines Gehöft mit Obstbäumen, Gemüseäckern und einerViehweide. Ziegenhalter gewannen Heu und Gras und die Anwohner nutzten die Bäume des Erlenbruchs als Brennholz.[7] Der Viehweide schloss sich ein weites Flachmoor mit geschlossenenSchilf- undRohrkolbenbeständen an, das von einem Erlenbruch umgeben war.
In den folgenden Jahrzehnten veränderte sich der Wasserstand der Senke mehrfach. Zeitweise drohte nach einerGrundwasserabsenkung die Austrocknung und der zentrale Röhricht- und Moorbereich war in den 1970er Jahren großflächig von einemBirken- undGrauweidengebüsch überwachsen. In einer ausgeprägten Krautschicht dominierteLanzettliches Reitgras, ergänzt vonSumpf-Blutauge,Sumpf-Haarstrang,Gilbweiderich,Blutweiderich,Moor-Labkraut und an offenen StellenLand-Reitgras. Der Erlenbruch im Südteil war zu dieser Zeit von einer dichtenHolunder-Strauchschicht unterwachsen. Gemeinsam mitBrombeeren,Kratzbeeren,Hopfen,Brennnesseln,Knoten-Braunwurz,Kleinem Springkraut undFrauenfarn bildete der Holunder eine fast undurchdringlicheStrauch- und Krautschicht. Den Boden überzog eine fast geschlossene Moosdecke ausKatharinenmoos undGewöhnlichem Sternmoos. Auf offenes Gelände angewiesene Vögel wieRohrsänger,Grasmücke undNeuntöter verschwanden in diesen Jahren. Durch Rodung wurde 1976 versucht, den offenen Charakter der Fließwiese wiederherzustellen.[6] Ende der 1980er Jahre hingegen stand das Wasser rund einen Meter über Flur und das Gebiet glich einem See. Seit 1994 ist der Röhrichtbereich fast ganzjährig überstaut. In diesem Jahr hatte dasWasserwerkTiefwerder die Grundwasserentnahme verringert, sodass sich die oberenGrundwasserstockwerke auffüllten. Die insbesondere im Frühjahr anhaltend hohen Wasserstände führten zu einem Absterben fast aller Bäume im inneren Bereich.[1]
Während des Frühjahrs sind seither weite Teile der Wiese überschwemmt und der Wasserstand reicht beidseitig bis an den Querweg heran. Im Sommer und Herbst stehen in den meisten Jahren nur kleinere Flächen im Norden unter Wasser.[8] Natura 2000 kennzeichnet die Fließwiese als subneutrales (= pH-Wert zwischen 4,8 und 6,4),meso- bis eutrophes Verlandungsmoor mit großer Bedeutung für die Amphibienfauna und als Landlebensraum fürhydrophile Arten.[9]
Die Beschreibung der Flora und Fauna der Fließwiese, die zu denartenreichsten Gebieten Berlins zählt,[7] bezieht sich auf den Bestand der 2000er Jahre.
Die umgebenden Hänge der Murellenberge und des Teltownordbandes nehmenKiefern- undEichen ein, darunter einige an die 300 Jahre alte Exemplare. An einigen Stellen, insbesondere in der Nähe des Friedhofs Ruhleben, lockern in Berlin sehr selten gewordene trockenwarmeBiotope mitSandtrockenrasen den Wald auf.
Der Nordteil der Fließwiese, der rund 80 Prozent der Gesamtfläche einnimmt, ist in seinem Zentrum vonRöhricht bestanden. Den Bestand dominiertGemeines Schilf, vereinzelt unterbrochen vonBreitblättrigem Rohrkolben,Wasser-Schwaden undSumpf-Seggen. Ein unterschiedlich breiter Bruchwald ausSchwarz-Erlen umgibt die zentrale Fläche, dem punktuell Grauweidengebüsche, Schilfrohr sowie Sumpf- undUfer-Seggen vorgelagert sind. Blutweiderich, der giftigeBittersüße Nachtschatten,Rotes Straußgras,Sumpffarn,Flatter-Binse und die nach derBundesartenschutzverordnung alsbesonders geschützt eingestufteSumpf-Schwertlilie bestimmen die Zonen zum Ufer hin. Im Sommer bedeckt dieKleine Wasserlinse mit ihren lediglich drei Millimeter großen und länglich-ovalenSchwimmblättern die verbliebene Wasserfläche wie einen schwimmenden Teppich.[1]
In diesem Teil der Fließwiese, den der Querweg vom zentralen Gebiet trennt, bestimmt ein kleinflächigerTraubenkirschen-Eschenwald den Uferrand. Der Bruchwald aus Schwarz-Erle undGemeiner Esche genießt als bedrohtes Biotop besonderen Schutz. Die gut ausgebildete Krautschicht desnährstoffreichen Gebietes bilden aus derFamilie derSüßgräser der bis zu zwei Meter hoheRiesen-Schwingel,Sumpf-Rispengras und die wintergrüneRasen-Schmiele, die an Gewässerufern dieVerlandungsprozesse fördert. GelbblühendeEchte Nelkenwurz aus der Familie derRosengewächse,Zaunwinde, Sumpf-Segge,Große Brennnessel und Hopfen ergänzen die Krautschicht. Hinzu kommen dreiArzneipflanzen: dasPfennigkraut, das in mittelalterlichenBauerngärten als Hustenmittel angepflanzt wurde; aus der Familie derLippenblütler dieWasserminze, die imMittelalter Verwendung gegen dasSeitenstechen fand; und aus der gleichen Familie derUfer-Wolfstrapp, dessen kurz vor der Blüte geerntete oberirdische Pflanzenteile zu Fertigpräparaten verarbeitet und noch heute bei einerSchilddrüsenüberfunktion gegen deren Begleiterscheinungen wieNervosität undHerzrasen eingesetzt werden.[10]
Große Bedeutung hat die Fließwiese Ruhleben alsLaichgewässer von siebenAmphibienarten, die in ihrer Umgebung leben.
In der Amphibien-Biozönose nimmt das große Vorkommen desNördlichen Kammmolchs einen besonderen Stellenwert ein. Der Wassermolch aus derOrdnung derSchwanzlurche ist nach demBundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)streng geschützt und auch dieFauna-Flora-Habitat-Richtlinie führt ihn im Anhang II alsstreng zu schützende Art, für dieeigens Schutzgebiete auszuweisen sind.[11] In ihrer ergänzenden Liste zur Nachmeldung als FFH-Gebiet aus dem Jahr 2000 gaben die Berliner Naturschutzverbände den Bestandadulter Tiere mit geschätzten 500 Exemplaren an. Gemeinsam mit denFalkenberger Rieselfeldern und demSpandauer Forst erreicht die Fließwiese 38 Prozent des Berliner Gesamtbestandes; die größte Berliner Kammmolchpopulation befindet sich mit rund 1500 adulten Tieren im Weiher Friedrichsfelde (Reichsbahnteich), der nordöstlich vomS-Bahnhof Friedrichsfelde Ost aufMarzahner Gebiet liegt.[12] Der Kammmolch bevorzugt krautreiche, besonnte und nicht zu flache, meistensperennierende, also dauerhaft wasserführende Kleingewässer ohne Fische in eher lehmigen, seltener sandigen Böden, die zumindest mehrere Stunden am Tag der Sonnenbestrahlung ausgesetzt sind.
Auch die strikt nachtaktiveKnoblauchkröte findet in dem flachen,eutrophen Gewässer mit seiner vegetationsreichen Uferzone ideale Bedingungen. Zudem kommen ihr die trocken-sandigen Endmoränenhänge des Teltow entgegen, da die – abgesehen von der Laichzeit – bodenbewohnendenFroschlurche mit ihren scharfkantigenFersenhöckern Löcher in den Sand graben, in denen sie sich oft den ganzen Tag vorFressfeinden verstecken. ZurÜberwinterung graben sich Knoblauchkröten bis zu einem Meter tief in den Boden ein. Im Frühjahr wandern sie in großer Zahl von den Hängen und Hügeln der Murellenberge zum Laichen in die Fließwiese.[1] Um auf ihre starke Gefährdung aufmerksam zu machen, ernannte dieDeutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde die Knoblauchkröte 2007 zumLurch des Jahres. Ein weiterer Froschlurch, der nach der FFH-Richtliniestreng zu schützendeMoorfrosch, lebt hingegen ganzjährig in der Senke. Auch er findet in der Fließwiese seinen bevorzugten Lebensraum: periodische Überschwemmungsdynamik, Bruchwald, sumpfigesExtensivgrünland, für den Laich durch Sonnenexposition verkrautete Seggen und zur Überwinterung Gehölzbiotope.
Unter denInsekten ist die nach dem BNatSchGstreng geschützteGroße Moosjungfer bemerkenswert, die im Anhang II der FFH-Richtlinie für die Fließwiese Ruhleben angeführt ist.[9] Die mittelgroßeLibellenart aus der Familie derSegellibellen erreicht eine Körperlänge von 3,5 bis 4,5 Zentimetern und eineFlügelspannweite von durchschnittlich 5,5 bis 6,5 Zentimetern. DieGraugans brütet in der Fließwiese und 1999 notiertenOrnithologen vier Brutpaare derTeichralle, die die Rote Liste in der Vorwarnstufe führt (Stand 2006).[13] Ungefähr seit der Jahrtausendwende werden im Frühjahr und Sommer zunehmend rastendeKraniche beobachtet.[1] Ansonsten sind hauptsächlichSingvögel vertreten. Die imGrunewald zahlreichenWildschweine kommen über die Murellenberge nur selten in das Biotop, sodass aus derKlasse derSäugetiere hauptsächlichKleinsäuger wie dieWaldspitzmaus das Gebiet besiedeln. Diese Spitzmaus erreicht in feuchten Wäldern und in Feuchtwiesen ihre höchstePopulationsdichte.
Mit derVerordnung über das Naturschutzgebiet „Fließwiese Ruhleben“ im Bezirk Charlottenburg von Berlin vom 21. Mai 1959 stellte das Land Berlin „das Fließgelände mit den angrenzenden Uferhängen“ mit 11,86 Hektar unter der Nr. 04 (heute Nr. 05) unterNaturschutz.[14] Seit der Meldung als Natura-2000- und FFH-Gebiet trägt das Gebiet den NamenNaturschutz- und NATURA 2000-Gebiet Fließwiese Ruhleben.[1] Bei den Pflegemaßnahmen der 1960er und 1970er Jahre ging es hauptsächlich darum, die Fließwiese vor der Austrocknung zu bewahren, von Gehölzaufwuchs freizuhalten und zuroden. 1984 wurden die letzten Gehölze entfernt und bis 1994 wurde die Wiese jährlichgemäht. Diese Maßnahmen sind seit der Grundwasseranhebung nicht mehr erforderlich. Um die Beschattung gering zu halten, werden heute lediglich die Röhrichtbestände und der Übergangsbereich zum Waldmantel von aufkommenden Gehölzen befreit.[1] Als Zielvorstellung gab die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz im Landschafts- und Artenschutzprogramm 1994 an:
„Die noch erhaltenen, naturgeprägten Landschaftselemente dieser Niederungsbereiche sind zu schützen und zu erweitern. Die Fließwiese Ruhleben, die Tiefwerder Wiesen und die Schönower Wiesen sollen als extensive Feuchtwiesen gepflegt werden. Entlang der Gewässer sind als Verbindungselemente durchgehende Grün- und Freiflächen zu schaffen und standortgemäß zu bepflanzen (Feuchtwiesen und Gehölze der Erlenbruch-, Au- und Eichen-Hainbuchen-Wälder).“