Flammschutzmittel (oderBrandhemmer) sindStoffe, die eineEntflammung verhindern oder wenigstens die Ausbreitung vonBränden einschränken und verlangsamen können. Meist werden sie Kunststoffen oder anderen brennbaren Materialien als Additive zugefügt. Angewendet werden Flammschutzmittel überall dort, wo sich potentielleZündquellen befinden, wie z. B. in elektronischen Geräten (Elektrischer Kurzschluss),Polstermöbeln oder Teppichen.
Flammschutzmittel werden hauptsächlich in brennbaren Werkstoffen und Fertigteilen verwendet, um brandschutztechnische Anforderungen im Bau- und Verkehrswesen sowie im Elektro-/Elektronik-Sektor (E&E) zu erfüllen. Grundlage dafür sind Vorschriften zum vorbeugendenBrandschutz, die das Risiko eines Brandes minimieren und dadurch Leben, Gesundheit und Besitz des Menschen sowie die Umwelt schützen sollen.[1] Allerdings können Brandhemmer auch selbst riskant und deshalb von Verboten betroffen sein: Manche Flammschutzmittel gelten alsgesundheitlich und/oderökologisch bedenklich, weil sie Gifte freisetzen, sich in Lebewesen anreichern oder das Recycling von Kunststoffen erschweren können. ImHausstaub, imBlutserum und in derMuttermilch findet man von einigen Flammschutzmitteln seit Jahren steigende Konzentrationen.[2][3][4] Teilweise reichern sie sich auf der Oberfläche vonMikroplastik an.
Für das Jahr 2012 wurde der weltweite Jahresverbrauch von Flammschutzmitteln auf knapp 2 Mio. Tonnen geschätzt, was einem Verkaufsvolumen von ca. 5 Mrd. US-$ entsprach.[5] Im Jahr 2023 wurden weltweit rund 2,3 Mio. Tonnen Flammschutzmittel verkauft. Das mit Abstand meistgebrauchte Flammschutzmittel war dabeiAluminiumtrihydroxid (ATH, auch Aluminiumhydroxid), dashalogenfrei ist und bislang als relativ umweltfreundlich gilt. Kommerziell besonders bedeutend sind auch Bromierte Verbindungen und Organophosphor. Zunehmend werden Flammschutzmittel speziell für bestimmte Materialien oder Anwendungen gefertigt. Beispielsweise werden fürBiokunststoffe dazu passende biobasierte Flammschutzmittel entwickelt, unter anderem ausNanocellulose,Lignin,Sojaproteinen oderPhytinsäure.[6]
Die Wirkung wird in chemische und physikalische Prinzipien unterteilt.
Bei der chemischen Wirkung wird wie folgt unterschieden:
Bei der physikalischen Wirkung unterscheidet man folgende Effekte:
Die meisten Flammschutzmittel wirken sowohl durch einen oder mehrere chemische als auch physikalische Prozesse, in jeweils unterschiedlich starken Anteilen.
Der Vorgang der Radikalkettenreaktion läuft schematisch folgendermaßen ab:
1. | Freisetzung der Halogenradikale (X·) aus dem Flammschutzmittel: | R–X | → R· + X· |
2. | Bildung von Halogenwasserstoffen (HX): | R–H + X· | → R· + H–X |
3. | Endothermes Binden des Sauerstoffes über Zwischenstufen: | X· + ·O–O· | → X–O· + ·O· |
X· + ·O· | → X–O· | ||
·O· + H–X | → ·OH + X· | ||
X-O· + H–X | → 2 X· + ·OH | ||
4. | Abfangen energiereicher Radikale und Rekombination: | H–X + ·OH | → H2O + X· |
R· + ·OH | → R–OH | ||
R· + R· | → R–R |
Die Reaktion vonHalogenradikal undHalogenwasserstoff mitSauerstoff und dessen Reaktionsprodukten dient hierbei alsendothermer Schritt, um die starkexotherme Verbrennung zu bremsen und eine Ausbreitung derFlamme zu erschweren. Gleichzeitig wirkt derHalogenwasserstoff als verdünnendes Gas in der Umgebung der Flamme und verringert so den Sauerstoffanteil im Gas-Luft-Gemisch. Hierdurch wird zusätzlich ein flammhemmender Effekt erzielt.
Die Effizienz von halogenierten Flammschutzmitteln kann durch Kombination mitAntimonoxid (Sb2O3) auf ein Mehrfaches gesteigert werden. Hierbei spricht man von einemsynergistischen Effekt.
Prinzipiell unterscheidet man vier Typen von Flammschutzmitteln:
Diese setzen sich anteilig aus den folgenden Flammschutzmittelfamilien zusammen (Verbrauchsanteile weltweit, Stand 2023, nach einer Marktstudie von Ceresana[7]):
Quelle:[8]
halogeniert | nicht halogeniert | |
---|---|---|
hohe Leistung | isobutyliertesTriphenylphosphat (TBPP),DOPO,Phosphinate | |
mittlere Leistung | Br-Polystyrol, Br-Epoxide,Hexabromcyclododecan (HBCDD) | Ammoniumpolyphosphat (APP),Roter Phosphor,Zinkborat,Triarylphosphate,Melaminpolyphosphat (MPP),Antimontrioxid |
für Massenkunststoffe | TCPP,TDCP,TBBA,Octa-BDE,Deca-BDE,Chlorparaffine | RDP,BDP,Aluminiumhydroxid,Magnesiumhydroxid,Trialkylphosphate |
Die DIN EN ISO 1043-4 klassifiziert Flammschutzmittel fürKunststoffe und weist ihnen zweistellige Codenummern zu:
Flammgeschützte Kunststoffe enthalten in ihremKurzzeichen den ZusatzFR(‹Codenummer1›+‹›‹Codenummer2›+..). Beispielsweise stehtPA6 GF30 FR(52) für ein mit 30 %Glasfasern gefülltesPolyamid 6, welches mitrotem Phosphor flammgeschützt ist.
Die wichtigsten Vertreter sindpolybromierte Diphenylether (PentaBDE,OctaBDE,DecaBDE),DBDPE,BTBPE,TBBPA undHBCDD. Bis in die 1970er-Jahre wurden außerdemPolybromierte Biphenyle (PBB) als Flammschutzmittel verwendet. Zu den chlorierten Flammschutzmitteln zählen z. B.Chlorparaffine undMirex. Mit Ausnahme von TBBPA werden diese Substanzen nur alsadditive Flammschutzmittel eingesetzt. Haupteinsatzbereiche sind Kunststoffe in elektrischen und elektronischen Geräten (z. B. Fernseher, Computer), Textilien (Polstermöbel, Matratzen, Vorhänge, Sonnenstoren, Teppiche), Automobilindustrie (Kunststoffbestandteile und Polsterüberzüge) und Bau (Isolationsmaterialien undMontageschäume).[9][10]
Vor allem bei Bränden stellenhalogenierte Flammschutzmittel eine große Gefahr dar. Unter der Hitzeeinwirkung wirken sie zwar brandhemmend, indem die bei derPyrolyse gebildeten Halogen-Radikale dieReaktion mitSauerstoff hemmen. Allerdings entstehen auch hohe Konzentration anpolybromierten (PBDD und PBDF) oderpolychlorierten Dibenzodioxinen und Dibenzofuranen (PCDD und PCDF). Diese sind auch unter dem Überbegriff „Dioxine“ für ihre hoheToxizität bekannt („Seveso-Gift“). Überdies kann während der Produktion, der Gebrauchsphase und der Entsorgung eine Emission von Flammschutzmitteln stattfinden.[11]
TBBPA stellt einen Spezialfall der bromierten Flammschutzmittel dar. Es wird hauptsächlich als reaktives Flammschutzmittel eingesetzt, d. h., es wird chemisch in diePolymermatrix (z. B.Epoxidharze vonLeiterplatten) eingebunden und stellt einen festen Bestandteil des Kunststoffes dar. Weitere reaktive bromierte Flammschutzmittel sind z. B. Brom- und Dibromstyrol, sowie2,4,6-Tribromphenol. Ins Polymer eingebunden, sind die Emissionen dieses Flammschutzmittels sehr gering, und stellen meistens keine Gefahr dar. Die Dioxinbildung ist dennoch nicht grundsätzlich geringer. Im geringeren Maß wird TBBPA jedoch auch alsadditives Flammschutzmittel eingesetzt. Über die Abbauprodukte des durch Licht leicht zersetzlichen TBBPA liegen erst sehr wenige Daten vor.
Nach Prüfung der Stoffe im Rahmen vonREACH wurden die oben genannten bromierten Flammschutzmittel wie folgt eingestuft:Aufnahmen in Anhang XIV (und damit einem Vertriebsverbot):
Als nicht gefährlich eingestuft wurden:
Die Gefahrenpotentiale von Flammschutzmitteln wiepolybromierten Diphenylethern (PBDE) undpolybromierten Biphenylen (PBB) in Bezug auf deren Bildung von PBDD/F haben zu einem Verbot durch die EU geführt (WEEE,RoHS,ElektroG). Eine Ausnahme bildete DecaBDE, das von diesem Verbot vorerst ausgenommen war. Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist dieses ab dem 1. Juli 2008 in Elektro- und Elektronikgeräten nun doch verboten.[15]
Im Jahr 2000 wurden weltweit 38 % der rund 5 Millionen Tonnen Brom für die Herstellung von bromierten Flammschutzmitteln verwendet.[16]
Gehalt an Flammschutzmitteln in verschiedenen Kunststoffen:[17]Hinweis: Diese Liste stammt aus 2001 und enthält noch das mittlerweile verbotene DecaBDE.
Polymer | Gehalt [%] | Flammschutzmittel |
---|---|---|
Polystyrolschaum | 0,8–4 | Bromiertes Styrol-Butadien-Copolymer (früher: HBCD) |
HIPS | 11–15 | DecaBDE, bromiertes Polystyrol |
Epoxidharz | 19–33 | TBBPA |
Polyamide | 13–16 | DecaBDE, bromiertes Polystyrol |
Polyolefine | 5–8 | DecaBDE, Propylendibromstyrol |
Polyurethan | 10–18 | PentaBDE, TBBPA-Ester |
Polyethylenterephthalat | 8–11 | Bromiertes Polystyrol, TBBPA-Derivat |
UngesättigtePolyester | 13–28 | TBBPA |
Polycarbonate | 4–6 | Bromiertes Polystyrol, TBBPA-Derivat |
Styrol-Copolymere | 12–15 | OctaBDE, bromiertes Polystyrol |
Ausschließlich aus halogenierten Monomeren bestehende Kunststoffe wie z. B.Polyvinylchlorid (PVC) undPolytetrafluorethen (PTFE), aber auch Polydibromstyrol und ähnliche Kunststoffe, sind durch ihre besonderen chemischen Eigenschaften nicht brennbar und werden alsinhärent Flammgeschützt bezeichnet. Sie benötigen, je nachFlammschutzkategorie, kein oder nur wenig zusätzliches Flammschutzmittel.
Stickstoffbasierte Flammschutzmittel sind beispielsweiseMelamin undHarnstoff.
Bei dieser Verbindungsklasse werden typischerweisearomatische undaliphatischeEster derPhosphorsäure eingesetzt, wie beispielsweise:
Diese Flammschutzmittel kommen beispielsweise bei weichen und hartenPUR-Schäumen in Polstermöbeln, Fahrzeugsitzen oder Baumaterialien zum Einsatz.[18] In letzter Zeit werden BDP und RDP jedoch zunehmend als Ersatzstoffe fürOctaBDE in Elektrogeräte-Kunststoffen eingesetzt.
Anorganische Flammschutzmittel sind beispielsweise: