Ezra Pound war das einzige Kind seiner Eltern Homer Loomis Pound und Isabel geb. Weston und ein Enkel des amerikanischen PolitikersThaddeus C. Pound. Er studierte von 1900 bis 1905vergleichende Literaturwissenschaft undRomanistik an derUniversity of Pennsylvania und amHamilton College im StaatNew York. In dieser Zeit schloss er Freundschaft mitWilliam Carlos Williams undHilda Doolittle (besser bekannt unter ihren InitialenH. D.). Mit Williams war er lange befreundet, wiewohl beide sehr häufig gegensätzlicher Auffassungen waren – Pound stilisierte sich als klassisch gebildeter Literat, Williams gab in seiner Autobiografie den ungebildeten Amerikaner, der wenig Ahnung von europäischer Literatur hatte. 1908 siedelte Pound nachEuropa über, wo er zuerst inVenedig lebte. Während seines Studiums und auch weiterhin in Europa beschäftigte er sich intensiv mitprovenzalischer Literatur und schuf eine Reihe von Übersetzungen und Nachdichtungen.
Von 1909 bis 1920 lebte er mit Unterbrechungen inLondon, wo er mit den bedeutendsten englischsprachigen Literaten seiner Zeit, unter anderen mitJames Joyce,Ford Madox Ford undWyndham Lewis verkehrte. Auch sah er Williams inFrankreich wieder, der mit seiner Frau auf einer Europareise war. Während seiner ersten Zeit in London gehörte er denImagisten an, einer literarischen Bewegung, die mit verknappter lyrischer Sprache experimentierte und von fernöstlicher Literatur, unter anderem den japanischenHaikus, beeinflusst war. Pound veröffentlichte Arbeiten im Sprachrohr dieser Gruppe, der ZeitschriftThe Egoist. Aus seiner Begegnung mit dem BildhauerHenri Gaudier-Brzeska ergab sich die Bewegung des am italienischenFuturismus orientiertenVortizismus.BLAST, die von Wyndham Lewis herausgegebene Zeitschrift der Bewegung, erlebte jedoch nur zwei Ausgaben.
Während desErsten Weltkriegs arbeitete Pound als Privatsekretär seines VorbildesWilliam Butler Yeats inIrland. 1914 heirateten Ezra Pound und die KünstlerinDorothy Shakespear. In dieser Zeit suchte die Witwe des OstasienkennersErnest Fenollosa jemanden, der den Nachlass ihres Mannes herausgeben könnte. Sie fand ihn in Pound, der sich dann mitostasiatischer Lyrik beschäftigte und Fenollosas Text zum japanischenNō-Theater herausgab. 1915 begann Pound sein Hauptwerk, dieCantos („Gesänge“), an denen er bis zu seinem Tode arbeitete.
Von 1920 bis 1924 lebte er inParis. In dieser Zeit lernte er die GeigerinOlga Rudge kennen, mit der er und seine Ehefrau bis zu seinem Tode in einerDreiecksbeziehung lebten. 1922 redigierte erT. S. Eliots GedichtDas wüste Land, das neben seinen eigenenCantos zu den bedeutendsten lyrischen Werken der englischsprachigen Moderne zählt. 1924 kehrte Pound Paris den Rücken und ließ sich im italienischenRapallo nieder. Dort wurde er bald zum FürsprecherMussolinis.[1] 1938 wurde er in dieAmerican Academy of Arts and Letters gewählt.[2]
Pound blieb auch nach Ausbruch desZweiten Weltkrieges in Italien und verbreitete über Radio Rom, publizistisch und in seinen Dichtungen (Cantos 72–73)antiamerikanische,rassistische undantisemitische Propagandatexte. Pound machte dieJuden für die Herrschaft des Wuchers, lateinischusura, verantwortlich. „Der Jude“, der internationale und amerikanische Kapitalismus, hatte nach seiner Meinung auch den Zweiten Weltkrieg verursacht. Seine rassistisch grundierten Wutreden standen im krassen Gegensatz zuThomas Manns in etwa zeitgleichen antifaschistischen Radiosendungen, die dieser aus dem amerikanischen Exil gegenHitler-Deutschland richtete.[3] 1943 gehörte Pound zu jenen Schriftstellern, die auf Einladung des NS-PropagandaministersJoseph Goebbels die Massengräber beiKatyn besichtigen und anschließend darüber schreiben sollten; doch wurde er letztlich von der Teilnehmerliste gestrichen, weil er als unberechenbar galt. DemMassaker von Katyn hat er vier Zeilen in seinem HauptwerkThe Cantos gewidmet.[4]
Ezra Pound kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Kriegsgefangener
Pound wurde 1945 nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen festgenommen. Es wird berichtet, dass er sich selbst stellte. Er war einige Zeit inPisa in einem eigens angefertigten Käfig inhaftiert und „ausgestellt“.[5]
1958 wurde er auf Betreiben von Freunden – darunterErnest Hemingway – freigelassen. Er kehrte zu seiner TochterMary de Rachewiltz nach Italien zurück und ließ sich auf der seiner Tochter und deren MannBoris de Rachewiltz gehörendenBrunnenburg oberhalbMerans imBurggrafenamt (Südtirol) und in Venedig nieder. Er lebte bis zu seinem Tod weitgehend zurückgezogen und weigerte sich zuletzt, überhaupt noch zu sprechen. 1967 unternahm Pound seine letzte Reise nach Paris, um den BildhauerArno Breker aufzusuchen. Pound saß in Brekers Atelier in derRue de Navarin Modell für ein Porträt. Im Atelier kam es zu einer Begegnung mitIra von Fürstenberg, die sich ebenfalls von Breker porträtieren ließ. 1967 wirktePier Paolo Pasolini maßgeblich an dem vonRAI produzierten DokumentarfilmUn’ora con Ezra Pound mit. Darin drückte der kommunistische Regisseur und Dichter seine Bewunderung für Pound aus und las seine Gedichte in italienischer Übersetzung.
Pound hat sich auch nach 1945 nicht vomFaschismus distanziert. Er bekannte sich zu seinem „Leben in der Gesamtheit von Höhen und Tiefen“. Sein Grab liegt auf der FriedhofsinselSan Michele nördlich von Venedig.
Ezra Pound wurde zehnmal für den Literaturnobelpreis nominiert.[7]
Pounds Frühwerk ist von seiner Beschäftigung mit dem Werk der englischenPräraffaeliten und mittelalterlicher Literatur, insbesondere der provenzalischenTroubadoure undDantes geprägt. Dieser Dichtung entsprangen auch die Vorbilder für Pounds „Personae“-verfahren. Ausgehend vonRobert Browning und seinen dramatischen Monologen und vonWilliam Butler Yeats, dessen Sekretär Pound eine Zeit lang war, schrieb Pound Gedichte, in denen daslyrische Ich eine berühmte Dichterpersönlichkeit ist (etwa der TroubadourBertran de Born), und nutzt diese Persönlichkeit alsAlter Ego, als Maske (lateinischpersona bedeutet „Schauspielmaske“). Es sind weniger Texte, die um eine authentische Nachdichtung bemüht sind, als um eine Erneuerung der dichterischen Vision dahinter.
Die Faszination für ostasiatische Dichtung führte zu einer Wende in Pounds Schaffen. Auslöser waren die Notizen des AsienforschersErnest Francisco Fenollosa mit Gedichten aus China und Japan, die Pound 1913/14 erbte. Er übersetzte chinesische Gedichte und suchte eine englische Entsprechung für das japanischeHaiku. Eines seiner berühmtesten Gedichte,In a Station of the Metro, ist ein solches nachempfundenes Kurzgedicht. Diese „Übersetzungen“ waren nicht im herkömmlichen Sinne um eine möglichst präzise Wiedergabe des Inhalts bemüht, sondern wollten die poetischen Qualitäten des Textes in einer anderen Sprache erneuern. So nutzte er an Stelle der inhaltlich richtigen Wörter lieber gleichlautende, um den Geist und den Klang der Texte äquivalent in die eigene Sprache zu transponieren. Das bekannteste Beispiel dieser neuen Herangehensweise an alte Texte (Pound sprach vonThe „New Method“ in Literary Scholarship) war seine umstrittene Übersetzung des altenglischen GedichtesThe Seafarer. In diesem Kontext ist auch Pounds WerkDemSextus Propertius zur Huldigung von 1919 zu betrachten.
Die von Pound herausgegebene AnthologieDes Imagistes (1914) begründete die anglo-amerikanische literarische Bewegung desImagismus, der die zentrale Bedeutung eines kraftvollen, präzisen Bildes für ein Gedicht propagierte. Sowohl die Bewegung des Imagismus als auch der spätere, aber ebenfalls noch in London entstandeneVortizismus waren geprägt von der Auseinandersetzung mit der avantgardistischen Herausforderung durch den italienischenFuturismus eines F. T. Marinetti.
Einen weiteren Wendepunkt in Pounds lyrischem Schaffen stellt derErste Weltkrieg dar, dessen sinnloses Schlachten ihn tief an Europas Zukunft und an der Moderne zweifeln ließ. Frucht dieser Krise wurde sein bedeutendstes Langgedicht,Hugh Selwyn Mauberley, in dem er sich kritisch mit seinen Londoner Jahren auseinandersetzte, verschiedene ästhetisch-politische Standpunkte verwarf und zum ersten Mal grundsätzlich das Zinssystem mit dem BegriffUsura (lateinisch fürWucher) belegt und ablehnt. Dabei identifizierte er „die Juden“ als die vermeintlichen Urheber der verderblichen Usura-Herrschaft über die Welt und griffantisemitische Stereotypen auf. Unter anderem rechtfertigte er im 1937 erschienenenCanto CIIantijüdische Ausschreitungen mit den angeblichen Verfehlungen reicher Juden wie derRothschilds, deren Namen er zu „Stinkschuld“ verballhornte:
„Stinkschuld's sin drawing vengeance, poor yitts paying for Stinkschuld paying for a few big Jew's vendetta on goyim.“
„Stinkschulds Sünde zieht Rache nach sich, arme Jidden zahlen für Stinkschuld zahlen für dieBlutrache von ein paar großen Juden gegen dieGojim.“[8]
Der britische LiteraturkritikerMax Wykes-Joyce analysierte Pounds wirtschaftliche Konzeptionen inSome Considerations Arising from Ezra Pound's Conception of the Bank.
Vorbild für sein Hauptwerk,The Cantos, war zunächst DantesGöttliche Komödie. In späteren Jahrzehnten integrierte er zahlreiche andere Formen und eine enzyklopädische Fülle von Motiven, die oftokkulter odermystischer Natur sind. Bedeutend sind auch diePisaner Gesänge, die er während und nach seiner Internierung in Italien verfasste.
DieCantos gelten in den USA als eine der wichtigsten Dichtungen des 20. Jahrhunderts. Pound war das Vorbild zahlreicher junger Dichter. Trotzdem war er lange Jahre und ist er zum Teil bis heute stark umstritten. Insbesondere die Kontroverse um die Verleihung desBollingen Awards für diePisaner Gesänge[9] zeigt, dass Pounds Parteinahme für denFaschismus und sein Landesverrat und ganz besonders sein Antisemitismus[10] ihn zu einer „persona non grata“ in vielen literarischen und publizistischen Zirkeln machten.
Hanns Cibulka befasst sich in einem als „Roman“ bezeichneten, spät (2000) edierten Kriegs-Tagebuch über das Ende des Zweiten Weltkriegs unter anderem mit Pound, dem er seine eigene Schwermut in den Mund legt. Er sucht nach dem Lager, in dem Pound in Italien wegen seiner Kollaboration festgehalten wurde, und findet keine Spuren davon. Er kann nicht mehr feststellen, ob Pound dort tatsächlich unter den schlechten Umständen leben musste, die berichtet wurden; möglicherweise waren diese Berichte nur interessengeleitet.
Die Vorgänge um den Prozess wegen Landesverrats setzteFritz J. Raddatz 1985 in das HörspielDer Pound-Prozess um.[11]
Der französische HistorikerJacques Le Goff bezieht sich in seinem Werk über die Entstehung des mittelalterlichen Begriffs vonWucher mehrfach auf Poundsusura-Cantos.[12]
Die seit 2003 in Italien existierende, rechtsextreme undneofaschistische Bewegung und ParteiCasaPound bezieht sich mit ihrer Benennung programmatisch auf Ezra Pound.[13]
Certain Noble Plays of Japan: From the Manuscripts of Ernest Fenollosa, chosen and finished by Ezra Pound, with an introduction by William Butler Yeats. 1916
Noh", or, Accomplishment: A Study of the Classical Stage of Japan: Ernest Fenollosa, Ezra Pound. Macmillan, London, 1916.
Nō – Vom Genius Japans. Ezra Pound, Ernest Fenollosa, Serge Einstein, Vorwort:Eva Hesse. Die Arche, Zürich, 1963.ISBN 3-7160-1912-7.
ABC des Lesens. Übersetzung und Nachwort von Eva Hesse. Arche Verlag, Zürich/Hamburg 2007,ISBN 978-3-7160-2511-6.
Aleida Assmann:Der Sturz vom Parnass. Die De-Kanonisierung E.P.s. In: Aleida Assmann, Michael C. Frank (Hrsg.):Vergessene Texte. UVK, Konstanz 2004,ISBN 3-87940-787-8.
Leonard W. Doob:„Ezra Pound Speaking“: Radio Speeches of World War II.Contributions in American Studies. Greenwood Press, Westport, Conn. 1978,ISBN 0-313-20057-2.
Eva Hesse (Hrsg.):Ezra Pound: 22 Versuche über einen Dichter. Athenäum, Frankfurt am Main 1967.
Eva Hesse:Ezra Pound. Von Sinn und Wahnsinn. Kindler, München 1978,ISBN 3-463-00728-2.
Hans-Christian Kirsch:Ezra Pound. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt. (= Rowohlts Monographien, Nr. 480). Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1992,ISBN 3-499-50480-4.
Carol Loeb Shloss:Let the Wind Speak. Mary de Rachewiltz and Ezra Pound. Penn, Philadelphia 2023,ISBN 978-1-512823257.
Anthony David Moody:Ezra Pound: Poet, A Portrait of the Man and His Work. Band 1:The Young Genius, 1885–1920. Oxford University Press, Oxford 2007,ISBN 978-0-19-921557-7.
Paul Morrison:The Poetics of Fascism: Ezra Pound, T.S. Eliot, Paul De Man. Oxford University Press, Oxford 1996,ISBN 978-0-195080858.
Ezra Pound – Werk und Leben, eine ausführliche Biografie vonEva Hesse. Auf ihrer Website findet sich auch eine Leseprobe ausEzra Pound. Von Sinn und Wahnsinn (1978)
Ezra Pound und Rudolf Borchardt im faschistischen Italien. Textauszug ausMichael Basse:Ein einziges lyrisches Missverständnis, Borchardt, Adorno und die neue deutsche Befindlichkeit. In: Heinz Ludwig Arnold, Gerhard Schuster (Hrsg.):Rudolf Borchardt, Text und Kritik Sonderband. München 2007
↑Paul Morrison:The Poetics of Fascism: Ezra Pound, T.S. Eliot, Paul De Man. Oxford University Press, Oxford 1996.
↑Members: Ezra Pound. American Academy of Arts and Letters, abgerufen am 20. April 2019.
↑Hannes Obermair:Kunst, Kultur – Nationalsozialismus. In:Carl Kraus, Hannes Obermair (Hrsg.):Mythen der Diktaturen. Kunst in Faschismus und Nationalsozialismus – Miti delle dittature. Arte nel fascismo e nazionalsocialismo. Südtiroler Landesmuseum für Kultur- und Landesgeschichte Schloss Tirol, Dorf Tirol 2019,ISBN 978-88-95523-16-3,S.30–43, Bezug S. 36.
↑Zitiert nach Wendy Flory:Pound and antisemitism. In: Ira B. Nadel (Hrsg.):The Cambridge Companion to Ezra Pound. Cambridge University Press, Cambridge 1999, S. 293.
↑Jacques Le Goff:Wucherzins und Höllenqualen. Ökonomie und Religion im Mittelalter. 2. Auflage. Stuttgart 2008,ISBN 978-3-608-94468-6, S. 194ff.
↑Matthew Feldman, Andrea Rinaldi:‘Penny-wise…’. Ezra Pound’s Posthumous Legacy to Fascism. In: Paul Jackson, Anton Shekhovtsov (Hrsg.):The Post-War Anglo-American Far Right. A Special Relationship of Hate. Palgrave Macmillan, Basingstoke 2014,ISBN 978-1-137-39619-8, S. 39ff.