DerExpressionismus (vonlateinischexpressio‚Ausdrücken, Ausdruck‘) ist eineStilrichtung in der Kunst. Ihre Anfänge und Vorläufer finden sich im ausgehenden19. Jahrhundert. Wie derImpressionismus, derSymbolismus und derFauvismus ist der Expressionismus eine Bewegung gegen die Tendenzen desNaturalismus. Im Expressionismus überwiegt die expressive Ebene gegenüber derästhetischen,appellativen und sachlichen Ebene. Der Künstler möchte sein Erlebnis für den Betrachter darstellen.
Als Ausdrucksmittel dienten den bildenden Künstlern wie auch den Literaten und Musikern des Expressionismus u. a.
die Wendung zur breiten Öffentlichkeit, die durch das plakative,superlativische, erregt-exklamatorische Element und den Pamphletstil der Literatur unterstrichen wurde;
die „aggressive Deformation“ von Formen, Figuren, Wörtern, Harmonien und Tempi, das Unkultivierte, Archaische und „Wilde“;
dieTravestie, dieParodie des „Erhabenen“ bei gleichzeitiger Heroisierung des Banalen;
eine forcierte Simultaneität, die z. B. durch extreme Zeitraffung in der Literatur oder durch Wiedergabe zeitlich oder räumlich nicht übereinstimmender Ereignisse auf demselben Bild erreicht wird;
der Hang zum Konstruierten, zur Typisierung, Metaphorisierung, Entindividualisierung undDepersonalisierung, der sich der einfühlenden Identifikation versperrt.
Darin wird ein Destruktionswille erkennbar, der sich gegen ein dekadent-erschlafftes und wohlanständiges Bürgertum derWilhelminischen Epoche wie auch gegen die Genussästhetik des Impressionismus undJugendstils wendet, wobei das Ziel der Stimulation oft unklar bleibt.[1]
Der Expressionismus ist eine Stilrichtung derbildenden Kunst, die als künstlerische Bewegung im frühen 20. Jahrhundert innerhalb des deutschsprachigen Raumes erstmals in derMalerei und derGrafik durch jene explizite Namensgebung hervortrat. Wie bereits zuvor imFauvismus in Frankreich stellte sich der Expressionismus den bildnerischen Gestaltungsweisen desImpressionismus entgegen.
In den expressionistischen Bildwerken treten ein freier Umgang mitFarbe undForm in häufiger Verwendung ungemischter Farben und im deutschsprachigen Raum des Weiteren die Verwendung holzschnittartiger Formen hervor. Weitere Charakteristika sind eine Motivreduzierung auf markante Formelemente der Bildobjekte und eine Auflösung der traditionellen Perspektive.
DenKünstlern dieser Epoche waren nicht die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe von Eindrücken und schöne Formen wichtig; im Gegensatz zu den impressionistischen Malern drückten die Expressionisten ihre subjektiven Regungen aus. Sie gaben direkt und spontan ein „durchfühlt“ interpretiertes Motiv weiter.
Außerdem kamen erste Andeutungen auf denästhetizistischen Charakter der bevorstehenden Stilrichtung des Expressionismus vonHermann Bahr, der ein Gemälde vonLudwig von Hofmann in einer Ausstellung imKünstlerhaus Wien 1895 unter dem TitelRote Bäume besprach.[2]
Eine zweite expressionistische Welle, weit wichtiger als die erste, zeigte sich in Frankreich bereits durch die BeiträgeGeorges Rouaults, im FrühwerkPablo Picassos, im Schaffen desFauvismus und in Deutschland mit der Gründung der DresdnerBrücke.[3]
Der Expressionismus richtete sich als Protest gegen die damals bestehende Ordnung und somit vielfach gegen dasBürgertum. Seine Entstehung muss in engem Zusammenhang mit derLebensreformbewegung gesehen werden. Expressionistische Künstler beriefen sich aufFriedrich Nietzsche als Vordenker. Die ZeitschriftDer Sturm (herausgegeben vonHerwarth Walden) und andere neu gegründete künstlerisch-literarische Zeitschriften dienten den Protagonisten als Diskussionsforum. Überkommene künstlerische Formen wurden aufgegeben („Formzertrümmerung“). Der Expressionismus stand so in Opposition zumNaturalismus.
Programm derBrücke (1906), Holzschnitt von Ernst Ludwig Kirchner
Da das Programm des deutschen Expressionismus weitgehend negativ definiert war (nicht naturgetreu, nicht bürgerlich, nicht konventionell), ergab sich daraus im Gegensatz zumImpressionismus nicht eine Kunst, die ohne weiteres an Stilmerkmalen zu erkennen ist. Es war die geistige Haltung, die den Expressionismus ausmachte. So formulierte Ernst Ludwig Kirchner 1906 das „Programm derBrücke“ in dem gleich betitelten Holzschnitt wie folgt:
„Mit dem Glauben an Entwicklung an eine neue Generation der Schaffenden wie der Geniessenden rufen wir alle Jugend zusammen und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergiebt, was ihn zum Schaffen draengt.“
Wichtige Vertreter des deutschen Expressionismus wehrten sich vehement, als Expressionisten bezeichnet zu werden, soErnst Ludwig Kirchner undOtto Mueller. Sie hoben hervor, dass diese Bezeichnung ihrem Stil und ihrer Originalität nicht gerecht werde.
Anfang des 20. Jahrhunderts füllten sich Europas Völkerkundemuseen mit Objekten aus Afrika und Ozeanien. Die schlichte und ausdrucksstarke Gestaltung der Masken und Figuren, allesamt mystische Sinnbilder fremder Kulturen, erfüllten die Sehnsucht der Künstler nach einer „neuen Natürlichkeit“.
Das 1967 eröffneteBrücke-Museum Berlin hat die weltweit größte zusammenhängende Sammlung von Werken der expressionistischen Brücke-Künstler. DieStädtische Galerie im Lenbachhaus in München verfügt über die weltweit größte Sammlung der Künstler des Blauen Reiters.
Eine zweite expressionistische Generation von Malern und Bildhauern entwickelte sich aus oft bereits lokal bedeutsamen Künstlern, die schon in der Weimarer Zeit hervorgetreten waren oder ihre Ausbildung beendet hatten. Durch Krieg und die Vorgaben zur Kunst im Nationalsozialismus waren sie aber häufig an ihrer Wirkung gehindert und konnten so nicht die ihnen eigentlich zukommende Bedeutung erlangen. Der KunsthistorikerRainer Zimmermann (1920–2009) hat in seinem 1980 erschienenen Buch auf die betroffene Generation dieser überwiegend expressionistisch arbeitenden Künstler aufmerksam gemacht und prägte mit dem TitelDie Kunst der verschollenen Generation. Deutsche Malerei des expressiven Realismus von 1925–1975 den BegriffVerschollene Generation.[6][7]
Ähnlich dem Expressionismus in der bildenden Kunst befasste sich derExpressionismus in der Literatur in erster Linie mit den ThemenKrieg,Großstadt,Zerfall,Angst, Ich-Verlust undWeltuntergang (Apokalypse), des Weiteren auch mitWahnsinn,Liebe undRausch sowie derNatur. Die bürgerlicheÄsthetik wird durch eine ‚Ästhetik des Hässlichen‘ zurückgewiesen; wie keine andere literarische Bewegung zuvor machen die Expressionisten das Hässliche, Kranke, Wahnsinnige zum Gegenstand ihrer Darstellungen.Die junge Generation der Autoren drückte sich vor allem durchLyrik und in Lyrik aus wie beiLasker-Schüler,van Hoddis,Stramm,Benn undHeym. Werkbeispiele sind die GedichteWeltende von van Hoddis undUmbra Vitae von Heym. Deutlich wird hier die Abwendung von formalen Vorgaben.
Die Idee des Konstruktivismus wird in der Negierung der vorgegebenen Strukturen vorweggenommen. Obwohl auch diese Epoche – wie jede andere – fließende Übergänge besitzt und ihre Eingrenzung natürlich stark definitionsabhängig ist, hat sich in der Literaturwissenschaft das Schlagwort des ‚Expressionistischen Jahrzehnts‘ für die Blütezeit des Expressionismus zwischen 1910 und 1920 eingebürgert. Hierbei stellt der Beginn desErsten Weltkriegs eine starke Zäsur für die BegriffeTenor undTopos insbesondere der Expressionistischen Lyrik dar; während viele Autoren zunächst noch den Krieg als eine die überkommene bürgerliche Gesellschaft hinwegfegende, erneuernde Kraft herbeigesehnt und verherrlicht hatten (vgl. auchFuturismus), ändert sich das Kriegsbild bald durch die Schreckenseindrücke vieler Dichter, die selbst das Ausmaß der Vernichtung und des Elends als Soldaten an der Front erleben müssen.
Die Neubewertung derromanischen Skulptur und dergotischen Architektur sowieEl Grecos und die Diskussion derFarbigkeit spielten in den Forschungen einiger Kunsthistoriker Anfang des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle. Einige von ihnen wie Fritz Burger hatten engen Kontakt zu zeitgenössischen Künstlern.
Im Bereich derKunstgeschichte sind die wichtigsten Vertreter:
Kurt Pinthus (Hrsg.):Menschheitsdämmerung. Symphonie jüngster Dichtung. Rowohlt, Berlin 1920. (die wichtigste Anthologie expressionistischer Lyrik); revidierte Ausgabe:Menschheitsdämmerung – Ein Dokument des Expressionismus, mit wesentlich erweitertem bio-bibliographischen Anhang, Rowohlt, Reinbek 1959 ff,ISBN 3-499-45055-0.
Heinrich Eduard Jacob (Hrsg.):Verse der Lebenden. Deutsche Lyrik seit 1910. Propyläen Verlag, Berlin 1924; 2., ergänzte Aufl. 1927; 3., ergänzte Aufl. 1932. (Dieser nach der von Kurt Pinthus herausgegebenenMenschheitsdämmerung wichtigsten expressionistischen Anthologie hat Jacob eine umfangreiche Einleitung vorangestellt)
Paul Raabe,H. L. Greve:Expressionismus. Literatur und Kunst 1910 (Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach a. N., vom 8. Mai bis 31. Oktober 1960. Katalog Nr. 7). Marbach a. N. 1960. (wird im DLA laufend neu aufgelegt)
Kasimir Edschmid:Lebendiger Expressionismus. Auseinandersetzungen, Gestalten, Erinnerungen (mit 31 Dichterportraits von Künstlern der Zeit). Verlag Kurt Desch, Wien & München 1961.
Heinrich Eduard Jacob:Berlin, Vorkriegsdichtung und Lebensgefühl. In:Imprimatur – Jahrbuch für Bücherfreunde Band III. Gesellschaft der Bibliophilen, Frankfurt am Main 1961/62, S. 186–189. (erneut abgedruckt in: Paul Raabe (Hrsg.):Expressionismus. Aufzeichnungen und Erinnerungen der Zeitgenossen. Walter-Verlag, Olten 1965, S. 15–19)
Theodor Sapper:Alle Glocken dieser Erde. Expressionistische Dichtung aus dem Donauraum. Europaverlag Wissenschaft, Wien 1974,ISBN 3-203-50494-4.
Silvio Vietta, Hans-Georg Kemper:Expressionismus (= UTB 362). Wilhelm Fink Verlag, München 1975 (6. Aufl. 1994),ISBN 3-8252-0362-X.
Ernst Fischer, Wilhelm Haefs (Hrsg.):Hirnwelten Funkeln. Literatur des Expressionismus in Wien. Otto Müller Verlag, Salzburg 1988,ISBN 3-7013-0745-8.
Peter Bekes:Arbeitstexte für den Unterricht. Gedichte des Expressionismus. Reclam, Stuttgart 1991,ISBN 3-15-015024-8.
Paul Raabe:Die Autoren und Bücher des literarischen Expressionismus. Ein bibliographisches Handbuch in Zusammenarbeit mit Ingrid Hannich-Bode. J. B. Metzler, Stuttgart 1992,ISBN 3-476-00756-1.
Walter Fähnders (Hrsg.):Expressionistische Prosa. Ein Studienbuch. Aisthesis, Bielefeld 2001,ISBN 3-89528-283-9.
Nicole Leonhardt:Die Farbmetaphorik in der Lyrik des Expressionismus. Eine Untersuchung an Benn, Trakl und Heym. Ubooks Verlag, Augsburg 2004,ISBN 3-937536-17-5.
Brigitte Lühl-Wiese:Georg Trakl – der Blaue Reiter: Form- und Farbstruktur in Dichtung und Malerei des Expressionismus. Münster 1963DNB481959858 (Dissertation Westfälische Wilhelms-Universität, Philosophische Fakultät, 19. Juli 1963, 192 Seiten).
Richard Hamann, Jost Hermand:Expressionismus. Akademie-Verlag, Berlin 1975,ISBN 0-7601-0485-9.
Ursula Peters (in Zusammenarbeit mit Andrea Legde):Moderne Zeiten. Die Sammlung zum 20. Jahrhundert (Kulturgeschichtliche Spaziergänge im Germanischen Nationalmuseum, Bd. 3). Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2000,ISBN 3-926982-61-6. (insb. S. 11–120)
Kai Buchholz u. a. (Hrsg.),Die Lebensreform, Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. haeusser-media, Darmstadt 2001,ISBN 3-89552-077-2.
Karl-Heinz Morscheck:Expressionismus. Stil und Umsetzung. Englisch Verlag, Wiesbaden 2005,ISBN 978-3-8241-1334-7.
Magdalena M. Moeller (Hrsg.):Expressionismus. Die große Künstlerbewegung der Moderne. DuMont, Köln 2005,ISBN 3-8321-7527-X.
Peter Stepan u. a.:Die expressive Geste. Deutsche Expressionisten und afrikanische Kunst. Hatje Cantz, Ostfildern 2007,ISBN 978-3-7757-1918-6.
Antje Birthälmer (Hrsg.):Der Sturm (Band 1:Zentrum der Avantgarde, Band 2:Aufsätze). Von der Heydt-Museum, Wuppertal 2012,ISBN 978-3-89202-081-3. (Katalog zur AusstellungDer Sturm – Zentrum der Avantgarde, Von der Heydt-Museum, Wuppertal, 13. März bis 10. Juni 2012)
Timothy O. Benson u. a.:Expressionismus in Deutschland und Frankreich. Von Matisse zum Blauen Reiter. Prestel, München 2014,ISBN 978-3-7913-5339-5.
Tayfun Belgin, Otto Letze:Radikal subjektiv: Identitätssuche im deutschen Expressionismus. Hirmer, München 2015,ISBN 978-3-7774-2489-7.
Jutta Hülsewig-Johnen, Henrike Mund (Hrsg.):Der böse Expressionismus: Trauma und Tabu. Wienand, Köln 2017,ISBN 978-3-86832-413-6. (Katalog zur AusstellungDer böse Expressionismus. Trauma und Tabu, Kunsthalle Bielefeld, 11. November 2017 bis 11. März 2018)
↑Rainer Zimmermann:Die Kunst der verschollenen Generation. Deutsche Malerei des expressiven Realismus von 1925–1975. Überarbeitete Neuausgabe unter dem Titel: Expressiver Realismus. Malerei der verschollenen Generation. Hirmer, München 1994. Hrsg.: Econ-Verlag. Düsseldorf u. a., 1980,ISBN 3-7774-6420-1.
↑Dietrich Heißenbüttel:Droht ein kultureller Gedächtnisschwund? Zum problematischen Umgang mit Künstlernachlässen, (Teil 2): Wer ist für das Erbe der Künstler zuständig? In: Schwäbische Heimat 2015/3, S. 269–276,doi:10.53458/sh.v66i3.