DieWahltagsbefragung, genauer auchNachwahlbefragung (auchexit poll nach dem englischsprachigen Fachausdruck) ist ein Instrument derWahlforschung. Am Tag derWahl werden Wähler beim Verlassen desWahllokals durch Interviewer nach ihrer Stimmabgabe befragt. Neben der aktuellen Wahlentscheidung werden auch soziodemografische Daten und die Wahlentscheidung der letzten Wahl –Recall-Frage – erhoben. Die Daten werden fürHochrechnungen in derWahlberichterstattung und zur Nachwahlanalyse, inklusive derWählerstromanalyse, verwendet.
Das Instrument wurde erstmals 1967 bei denWahlen zurZweiten Kammer in den Niederlanden durch den SoziologenMarcel van Dam[1] eingesetzt. Kurze Zeit später geschah dies auch bei der Gouverneurswahl in Kentucky,USA. Seit 1978 wird es auch in Deutschland verwendet. Dem damaligen Ersteinsatz bei derBürgerschaftswahl in Hamburg 1978 und derLandtagswahl in Niedersachsen 1978 durchInfas ging ein nicht veröffentlichter Test 1976 voraus. Anschließend beschlossen die Intendanten von ARD und ZDF, das Instrument nicht weiter zu verwenden, um Missbrauch der Daten während des Wahltages zu verhindern. Seit 1990 werden auch in Deutschland wiederexit polls angewendet.[2]
Während in Deutschland die Prognose des Ergebnisses für die Wahlberichterstattung im Vordergrund steht, werden die Daten derexit polls in den USA hauptsächlich zur Wahlanalyse verwendet.[3] Dort erhebt eine gemeinsame Einrichtung vonABC,CBS,NBC,CNN undFox News Channel die Daten am Wahltag.[2]
In Deutschland ist beiBundestagswahlen undEuropawahlen die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe bis zur Schließung der Wahllokale unzulässig und kann alsOrdnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 50.000 € geahndet werden (§ 32 Abs. 2 und§ 49aBundeswahlgesetz,§ 4Europawahlgesetz). Für viele andere Wahlen gelten vergleichbare Regelungen.[2]
Im Vorfeld derBundestagswahl 2009 geriet die Möglichkeit solcher unerlaubter vorzeitiger Veröffentlichungen in den Blickpunkt von Politik und Publizistik. Obgleich eine zeitnahe Veröffentlichung bereits durch herkömmliche Internetseiten problemlos möglich ist, werden in diesem Zusammenhang besonders neuartige Internetdienste wieTwitter (Mikro-Blogging) skeptisch betrachtet – insbesondere, da die vorgefallenen Vorveröffentlichungen bei dieser Wahl just über Twitter erfolgten.[4]
Auch bei derBundestagswahl 2013 sickerten spätestens um 17:03 Uhr Exit-Polls über Twitter durch.[5]
Während derBundestagswahl 2021 veröffentlichte der Spitzenkandidat derFreien WählerHubert Aiwanger bereits um 16:00 den Stand der Befragungen über Twitter. Er verband mit diesem Tweet einen Aufruf, seine Partei zu wählen. DerBundeswahlleiter überprüfte den Fall.[6]
Durchgeführt werden die Befragungen durch dieMeinungsforschungsinstituteInfratest dimap für dieARD und dieForschungsgruppe Wahlen für dasZDF.
Je nach Wahl werden unterschiedlich viele Stimmbezirke für die Wahltagsbefragungen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. BeiBundestagswahlen sind dies etwa 400 von insgesamt 80.000, bei Landtagswahlen zwischen 120 und 200. Beiexit polls werden zwischen 20.000 (bei Bundestagswahlen) und 5000 bis 10.000 (bei Landtagswahlen) Befragungen durchgeführt. Dies sind bedeutend mehr als die etwa 1000 Fälle, die bei Meinungsumfragen undWahlabsichtsbefragungen erhoben werden. Auch bei der Zusammensetzung der Befragten unterscheiden sich dieexit polls von den Wahlabsichtsbefragungen, denn es werden nur wirkliche Wähler befragt. Nichtwähler und Unentschlossene kommen bei Wahltagsbefragungen nicht vor.[7]Briefwähler können nicht berücksichtigt werden, wodurch ein Teil der Wähler systematisch aus der Stichprobe ausfällt. Die Befragung findet in schriftlicher Form mit Hilfe eines kurzen Fragebogens statt, den der Befragte selbständig ausfüllt und anschließend in eine Box wirft, die einer Wahlurne ähnelt.[8]
Die Ergebnisse der Befragungen werden für die Prognose nach Schließung der Wahllokale um 18:00 verwendet (18-Uhr-Prognose). Die späteren Hochrechnungen basieren dagegen auf den Auszählungen der tatsächlichen Wählerstimmen.
Im Gegensatz zu Befragungen vor der Wahl wird bei der Wahltagsbefragung nicht nach der Wahlabsicht, sondern nach dem tatsächlichen Abstimmverhalten gefragt. Die Rohdaten werden vor der Veröffentlichung von den Meinungsforschungsinstituten nach internem Schlüssel gewichtet. Diese Gewichtungsverfahren sind nicht öffentlich bekannt, was die intersubjektive Nachvollziehbarkeit, die Voraussetzung für eine wissenschaftliche Prognose ist, unmöglich macht.[9]
In der Wahlberichterstattung werde die Wahltagsbefragungen als Grundlage für Prognosen und Hochrechnungen verwendet. Dabei handelt es sich nicht um wirkliche Prognosen, da nicht nach zukünftigem Verhalten gefragt wird, sondern nach schon ausgeführten Handlungen. Die Vorhersage wird erst nach dem eigentlichen Ereignis veröffentlicht.[9]
Wahltagsbefragungen können ein Hinweis fürWahlfälschung sein; gleichwohl kann auch ohne Wahlfälschung das Ergebnis einer Wahltagsbefragung stark vom tatsächlichen Wahlergebnis abweichen.[2] Da dieGrundgesamtheit einer Nachwahlbefragung letztlich nur die Urnenwähler sind, das Wahlergebnis jedoch auchBriefwahl mit einschließt, kann es bei hinreichend großem Anteil der Briefwähler und entsprechend relevanter Abweichung zwischen der Wahlentscheidung der beiden Gruppen zu beträchtlichen Abweichungen zwischen exit poll Ergebnis und tatsächlichem Wahlergebnis kommen – vergleichbar dem amerikanischen Phänomen des“Blue Shift”.
Wählernachbefragung. Wahl-Lexikon desBundeswahlleiters. Abgerufen am 29. September 2021.