Fermi war das dritte und jüngste Kind von Alberto Fermi, einem Abteilungsleiter imitalienischMinistero delle poste e dei telegrafi, und Ida De Gattis, einer Grundschullehrerin. Seine beiden Geschwister waren Marie (1899–1959) und Giulio Fermi (1900–1915).[1][2][3]Bereits im Alter von 17 Jahren begann er ein Physikstudium an derScuola Normale Superiore inPisa, das er 1922magna cum laude mit einer experimentellen Arbeit überRöntgenstreuung an Kristallen mit dem Laurea-Abschluss[4] beendete. 1923 hatte Fermi dank eines Stipendiums einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt inGöttingen beiMax Born. Göttingen war damals das führende Zentrum dertheoretischen Physik, hier entstanden viele wesentliche Arbeiten für dieQuantenmechanik. 1924 arbeitete er mehrere Monate in den Niederlanden beiPaul Ehrenfest, ebenfalls ein Mitbegründer der Quantenmechanik. Im Januar 1925 wurde Fermi zunächst als Professor für Mathematik nach Florenz berufen. 1926 ging er als Professor für theoretische Physik an dieUniversität Rom (La Sapienza) auf den vonOrso Mario Corbino neu gegründeten Lehrstuhl für theoretische Physik, den er bis 1938 innehatte. Fermi war seit 1924 Mitglied desFreimaurerbundes.
Seit 1928 war er mit Laura Capon (1907–1977) verheiratet und hatte mit ihr zwei Kinder: Nella (1931–1995) und Giulio (1936–1997).
Angeregt durch die Entdeckung desNeutrons durchJames Chadwick im Jahr 1932 sowie durch den Nachweis von Kernumwandlungen nach Bestrahlung mitAlphateilchen durchIrène undFrédéric Joliot-Curie wandte sich Fermi 1934 der Experimentalphysik zu. Seine bahnbrechende Entdeckung war, dass Kernumwandlungsprozesse durch Neutronenstrahlung wesentlich effektiver ablaufen. Eine weitere Verbesserung der Ausbeute erhält man, wenn die Neutronen stark abgebremst werden (thermische Neutronen). 1934 veröffentlichte Fermi seine Theorie desBeta-Zerfalls („Fermi-Wechselwirkung“). Schon 1933 hatte er die BezeichnungNeutrino für eines der am Beta-Zerfall beteiligten Teilchen geprägt, dessen Existenz drei Jahre zuvor vonWolfgang Pauli postuliert worden war.
Durch Neutronenbestrahlung des damals schwersten bekannten ElementesUran erzielten Fermi und seine Mitarbeiter ebenfalls Veränderungen im Ausgangsmaterial (anderes chemisches Verhalten, geänderteHalbwertszeiten der austretenden Strahlung) und interpretierten diese irrtümlich als Kernumwandlung zuTransuranen (Nature-Artikel 1934).Ida Noddack kritisierte das und wies schon auf die Möglichkeit einerKernspaltung hin, was dann vier Jahre späterOtto Hahn undFritz Straßmann mittels chemisch-analytischer Techniken zeigten; die theoretischen Grundlagen wurden vonLise Meitner undOtto Frisch erarbeitet (sieheGeschichte der Kernspaltung). Das erste Transuran konnte erst 1942 nachgewiesen werden, allerdings nach einer gänzlich anderen Synthesevorschrift. 1938 erhielt Fermi für seine Arbeiten denNobelpreis für Physik (laut offizieller Begründung für die Identifizierung neuer radioaktiver Elemente produziert nach Bestrahlung mit Neutronen und seine Entdeckung von Kernreaktionen, die durch langsame Neutronen bewirkt werden[5]), obschon seine Interpretation des Neutronenexperiments (Erzeugung von Transuranen) nach heutigem Kenntnisstand falsch war.
Im selben Jahr emigrierte Fermi aufgrund der 1938 erlassenenantisemitischen Gesetze des Mussolini-Regimes, die seine jüdische Frau Laura, seine beiden Kinder und einige seiner Mitarbeiter betrafen, mit seiner Familie in die USA. Anfang der 1940er-Jahre arbeitete Fermi mitIsidor Isaac Rabi undPolykarp Kusch an der Columbia-Universität in New York. Ihm gelang am 2. Dezember 1942 um 15:25 Uhr an derUniversity of Chicago mit demKernreaktorChicago Pile No. 1 erstmals einekritischeKernspaltungs-Kettenreaktion, eine Leistung, die auf der theoretischen Vorarbeit vonLeó Szilárd fußte.
Im April 1943 schlug FermiRobert Oppenheimer die Möglichkeit vor, mittels der radioaktiven Nebenprodukte aus der Anreicherung die deutsche Lebensmittelversorgung zu verseuchen. Hintergrund war Angst davor, dass das deutsche Atombombenprojekt schon in einem fortgeschrittenen Stadium wäre, und Fermi war auch zum damaligen Zeitpunkt skeptisch, ob eine Atombombe schnell genug entwickelt werden konnte. Oppenheimer besprach den „vielversprechenden“ Vorschlag mitEdward Teller, welcher die Verwendung von Strontium-90 vorschlug. AuchJames Bryant Conant undLeslie R. Groves wurden unterrichtet, Oppenheimer wollte aber nur dann den Plan in Angriff nehmen, falls mit der Waffe genug Nahrungsmittel verseucht werden könnten, um eine halbe Million Menschen zu töten.[6]
Im Sommer 1944 zog Fermi mit seiner Familie nachLos Alamos (New Mexico) in das geheime Atom-Forschungslabor der USA. Als Berater vonRobert Oppenheimer spielte Fermi (Deckname: Henry Farmer[7]) eine wichtige Rolle bei Entwicklung und Bau der erstenAtombomben. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte sich Fermi wieder mit der Grundlagenforschung im Kernforschungszentrum an der Universität Chicago. Nach einer Europareise 1954 wurde bei FermiMagenkrebs diagnostiziert. Er unterzog sich am 9. Oktober einer Operation und starb sieben Wochen später.[8]
Fermi war für seine schnellen Abschätzungen und seine physikalische Intuition bekannt – er war ein Meister der „back of the envelope“-Rechnungen (die nicht mehr Platz als die Rückseite eines Briefkuverts benötigen). Sprichwörtlich sind auch dieFermi questions (Fermi-Probleme), wie etwa aus wenigen Daten die Anzahl der Klavierstimmer in einer Stadt wie Chicago abzuschätzen.[9]
Quantum theory of radiation. Reviews of modern physics, Bd. 4, 1932, S. 87–132.
Über den Ramaneffekt des Kohlendioxyds. Zeitschrift für Physik Bd. 71, 1931, S. 250–259 (Fermi-Resonanz).
Experimental production of a divergent chain reaction. American Journal of physics, Bd. 20, 1952, S. 536 (der Chicago-Reaktor, wieder abgedruckt in Horst Wohlfahrt:40 Jahre Kernspaltung, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1979).
Peter Gabriel nennt Fermi in seinemText desLiedesGames Without Frontiers von 1980[10] „Adolf builds a bonfire/Enrico plays with it“ (=„Adolf baut ein Lagerfeuer/Enrico spielt damit“), in dem er auf Zeilen ausEvelyn WaughsTagebuch zum V-J Day „Randolph built a bonfire andAuberon fell into it“ (=„Randolph baute ein Lagerfeuer und Auberon fiel hinein.“) anspielt.[11]
Giuseppe Bruzzaniti:Enrico fermi: the obedient genius. Birkhäuser, 2016.
Dan Cooper:Enrico Fermi and the revolutions of modern physics. Oxford University Press, 1999.
Laura FermiMein Mann und das Atom. Diederichs Verlag, 1956 (englisches Original:Atoms in the family, University of Chicago Press 1954).
David N. Schwartz:The Last Man Who Knew Everything: The Life and Times of Enrico Fermi, Father of the Nuclear Age. Basic, New York 2017,ISBN 978-0-465-07292-7.
Emilio Segrè:Enrico Fermi: Physicist. University of Chicago Press, 1970, Paperback 1988:ISBN 88-08-02238-2.
↑Portale Antenati. Gli Archivi per la Ricerca Anagrafica, auf antenati.cultura.gov.it[2]
↑The Nobel Prize in Physics 1938. Enrico Fermi Biographical, auf nobelprize.org[3]
↑Emilio Segrè, Enrico Fermi, Bologna: Zanichelli, 1971, S. 22
↑Laudatio:for his demonstrations of the existence of new radioactive elements produced by neutron irradiation, and for his related discovery of nuclear reactions brought about by slow neutrons,Nobelprize.org
↑Richard Rhodes: Die Atombombe oder Die Geschichte des 8. Schöpfungstages. Greno, Nördlingen, 1988.ISBN 3-89190-522-X, S. S. 854f, Rhodes, Making of the atomic bomb, S. 510ff