Andrew Colin Renfrew, Baron Renfrew of Kaimsthorn (*25. Juli1937 inStockton-on-Tees; †24. November2024 inCambridge[1]) war einbritischerArchäologe, der für seine Arbeiten über dieRadiokohlenstoffdatierung,Archäogenetik und den Schutz archäologischer Fundstätten vor Plünderungen bekannt ist.
Renfrew absolvierte 1962 dasSt John’s College an derUniversity of Cambridge. Bereits 1961–1963 arbeitete er als Experte fürObsidian an der ersten Grabungskampagne inÇatalhöyük unterJames Mellaart mit. 1965 wurde er mit einer Arbeit über dieJungsteinzeit auf denKykladenpromoviert.
1972 wurde RenfrewProfessor an derUniversity of Southampton. 1973 veröffentlichte er die vielbeachtete ArbeitBefore Civilisation: The Radiocarbon Revolution and Prehistoric Europe, in der er die Annahme bezweifelte, dassprähistorische kulturelle Neuerungen imNahen Osten entstanden seien und sich anschließend überEuropa verbreitet hätten. 1983 wurde erDisney Professor of Archaeology an der Universität Cambridge. Die Stelle hatte er bis zur Pensionierung 2004 inne. 1990 wurde er Direktor desMcDonald Institutes an der University of Cambridge, eines Instituts für die archäologische Forschung.
Renfrew war ab 1965 verheiratet mitJane Margaret Ewbank und hatte mit ihr eine Tochter und zwei Söhne.
Colin Renfrew prägte die in den 1960er Jahren entstandeneNew Archaeology – bekannt auch alsProcessual Archaeology – entscheidend. Renfrew beschäftigte sich neben seinen ersten Arbeiten zur frühen Kulturentwicklung (vor allem in der Ägäis) in jüngerer Zeit mit dem Problem der Verwandtschaft und Ausbreitung der Sprachen. Dabei verband er die „indogermanische Ursprache“ mit derNeolithisierung Europas. Er kritisierte die vonMarija Gimbutas formulierteKurgan-Hypothese und erklärte die Ausbreitung derIndogermanische Sprachen über Europa stattdessen durch seineAnatolien-Hypothese.
In den 1980er Jahren griff er Ansätze der theoretischen Archäologie aus seinen frühen Jahren wieder auf. Hatte er sich seinerzeit mit linguistischen Einflüssen befasst, begann er jetzt, dieKognitive Archäologie zu begründen, die Ausgrabung des Bewusstseins, das frühere Völker hatten und das deswegen einfloss in die verschiedenen Gegenstände, die sie erschufen oder im Sinne ihrer Bedürfnisse umgestalteten. Dafür versuchte er zu klären, welche Formen von Wechselwirkungen es gab zwischen diesen Gesellschaften und ihrer materiellen Umgebung, ggf. auch, wie deren kulturell-zivilisatorische Umgestaltung auf die Völker zurückwirkte. In den 2000er Jahren baute er den theoretischen Hintergrund seines Ansatzes weiter aus.[2][3] Wie interagieren Menschen und Dinge? Wird eine symbolische Bedeutung zunächst abstrakt im Bewusstsein entwickelt und dann mit Objekten umgesetzt oder entsteht sie durch Ritualisierung des praktischen Umgangs mit Dingen?[4]
ImSpektrum der Wissenschaften 1/1984 publizierte er den ArtikelDie Megalithkulturen. In Hinblick auf die megalithischen Bauten des heutigen Britanniens wies er darin auf das Fehlen von Rangunterschieden zwischen den Bestatteten im Inneren der großen, oft über Jahrhunderte in Gebrauch gewesenen Gemeinschaftsgräber hin. Aus diesem Befund, der sich auf durchschnittlich 17 Verstorbene pro Generation bezieht (acht weiblich, neun männlich), schlussfolgerte er in einer zusammenfassenden Hypothese, dass die Megalithkulturen – anders als solche, die ihre pyramidale Machthierarchie durch monumentale Gräber für Einzelherrscher zum Ausdruck brachten – von „egalitären“ Gruppen errichtet worden seien.
Den „functional-processual“-Ansatz der in den 1960er Jahren begründeten New Archaeology wollte er ab den 1990er Jahren durch eine als „cognitive-processual“ bezeichnete Methode weiterentwickeln. Hierfür sei der symbolische Gehalt der jeweils untersuchten Objekte zu berücksichtigen, so dass nicht nur „Funktionen“ wie etwa die Steigerung derBodenproduktivität durch die von einer prähistorischen Bevölkerungsgruppe erzielten technischen Fortschritte zugelassen seien, sondern eineganzheitliche Betrachtung der betreffenden Kultur ermöglicht werde. Archäologische Befunde wie das erwähnte Fehlen einer Ranghierarchie unter den Bestatteten im Inneren der megalithischen Gemeinschaftsgräber ließen auf die Mentalität des Volkes, das solch Objekt erschuf und nutzte, schließen: sein soziales Miteinander, die Art seines Glaubens (an ein Leben im unterirdischen 'Jenseits') und Ähnliches. Er vertrat damit nach eigenen Aussagen einen anderen Ansatz als die „postprocessual“ oder „interpretive“ Theorien, insofern deren Bestrebung lediglich sei, den Vektor der Funktionalität inhermeneutischer Weise zu ergänzen.[5] Zu weiteren Einzelheiten der Egalitäts-Hypothese sieheKognitive Archäologie.
Etwa um die Jahrtausendwende fokussierte er seinen Ansatz des symbolischen Gehalts der Forschungsobjekte auf die Fragestellung der frühenReligionen oder vielmehr: desrituellen Verhaltens vor dem Beginn einer Religion im Sinne des heute sogenannten Götter-Glaubens (Deismus). Anhand entsprechender Interpretation der vorgefundenen Relikte identifizierte 2001 denChaco Canyon in Südwest-Amerika als Ort, an dem Verhaltensweisen mit Ausdrücken hoher Verehrung stattgefunden hätten: Rituale vonHigh devotional expression.[5] Er definierte diese Lokalität als Ziel gemeinschaftlicher Zusammenkünfte, ähnlich der christlichen Wallfahrten. Die Art der damaligen Rituale unterschied er von denen der heutigen Religionen, indem er aus dem Fehlen jederIkonographie (Darstellung personaler, individuellerGottheiten einschließlich ihrer übernatürlichen Kräfte) auf die Abwesenheit jener Form von Götterverehrung schloss.
Im Zuge dieser Arbeiten führte er Aspekte seiner früheren Tätigkeiten zusammen. Insbesondere identifizierte er auch dieHorte vonKavos auf der griechischen InselKeros,Göbekli Tepe in Anatolien, die Orkneys, dieOsterinsel, dieMegalithischen Tempel von Malta[5] undStonehenge als Orte vonhigh devotional expression.[6]
Als Doktorand machte er 1963 den erstenSurvey des Kavos-Feldes auf der KykladeninselKeros und leitete 1978/88 zusammen mitChristos Doumas die bis dato größte Ausgrabung von Kavos. Die Auszeichnung mit demBalzan-Preis im Jahr 2004 ermöglichte es ihm, mithilfe des Preisgeldes noch einmal eine große Ausgrabung zu organisieren. Mit der Unterstützung derUniversity of Cambridge, desInstitute of Aegean Prehistory (INSTAP), derBritish Academy, derBritish School at Athens sowie mehrerer Stiftungen und Vereine konnte er in den Jahren 2006 bis 2008 drei Grabungskampagnen im Kavos-Feld im Westen der Insel Keros und auf dem vorgelagerten EilandDaskalio durchführen. Sie erbrachten herausragende Ergebnisse, so den mit Abstand größtenHortfund derKykladenkultur und die größte Siedlung derKeros-Syros-Kultur.
Colin Renfrew gehörte unter anderem demAncient Monuments Board for England (1974–1984), demAncient Monuments and Advisory Committee (HMBC) (1983–2002), derHistoric Buildings and Monuments Commission for England (1983–1986), demScience and Conversation Panel (HMBC) (1983–1986) und derRoyal Commission on Historic Monuments (England) (1976–1985) an. Er war Chairman desArchaeological Committees (RCHM) (1979–1983), Mitglied desScience-Based Archaeological Committees (SERC) (1979–1983) und Trustee desBritish Museums (1991–2001).
Im Jahr 2003 wurde Renfrew mit demEuropäischen Latsis-Preis ausgezeichnet, 2004 mit demBalzan-Preis für Prähistorische Archäologie[7]. 2007 wurde er zum Ehrenmitglied derRussischen Akademie der Wissenschaften ernannt. Er ist Fellow derBritish Academy und ordentliches Mitglied derAcademia Europaea. 1991 wurde er alsBaron Renfrew of Kaimsthorn, of Hurlet in the District ofRenfrew, zumLife Peer erhoben und wurde dadurch Mitglied desHouse of Lords.[8] 1996 wurde er in dieNational Academy of Sciences und 2006 in dieAmerican Philosophical Society[9] gewählt. Im Jahr 2000 wurde er als korrespondierendes Mitglied in dieÖsterreichische Akademie der Wissenschaften aufgenommen.[10]
Personendaten | |
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NAME | Renfrew, Colin |
ALTERNATIVNAMEN | Renfrew, Andrew Colin, Baron Renfrew of Kaimsthorn |
KURZBESCHREIBUNG | britischer Archäologe und Politiker |
GEBURTSDATUM | 25. Juli 1937 |
GEBURTSORT | Stockton-on-Tees |
STERBEDATUM | 24. November 2024 |
STERBEORT | Cambridge |