Claudio Abbado war der Sohn der Maria Carmela Savagnone, einer Klavierlehrerin undKinderbuchautorin und des Violinisten und MusiklehrersMichelangelo Abbado. Bei seinem Vater studierte er zunächstKlavierspiel. Mit 16 Jahren begann er amConservatorio Giuseppe Verdi in Mailand[1] ein Studium in Klavier, Komposition, Harmonielehre, Kontrapunkt und später erst Orchesterleitung. Außerdem belegte er einen Literaturkurs beim späteren NobelpreisträgerSalvatore Quasimodo. Als jugendlicherOrganist studierte erJohann Sebastian Bachs Werke intensiv; bei einem Hauskonzert spielte er 1952Toscanini Bachs d-Moll-Konzert vor. 1953 schloss er sein Studium in Mailand ab und musizierte mit verschiedenen Kammermusikensembles – Grundlage für sein späteres Musizieren: „Es ist wie ein Gespräch, bei dem man nicht nur aufmerksam lauscht, sondern auf den anderen eingeht und versucht, auch das Unausgesprochene, Gefühle und Gedanken zu erfassen.“
Bei einem Dirigierkurs an derChigiana inSiena[1] lernte AbbadoZubin Mehta und den elfjährigenDaniel Barenboim kennen. Mehta vermittelte ihn zum weiteren Studium anHans Swarowsky nachWien. Abbado bewährte sich dann 1958 auch bei einem Dirigierwettbewerb inTanglewood und wurde dort ausgezeichnet, plante zunächst jedoch keine Karriere als Dirigent, sondern ging vielmehr nach Italien zurück und nahm einen Lehrauftrag für Kammermusik inParma an.
Wichtige Impulse für die Musik der Moderne bekam Abbado in dieser Zeit vonMaurizio Pollini undLuigi Nono. 1969 erhielt er eine feste Anstellung als Dirigent an der Mailänder Scala und wurde 1971 zusätzlich derenMusikdirektor. 1979 bis 1987 war er Chefdirigent (Musikdirektor) beimLondon Symphony Orchestra. Von 1980 bis 1986 war er Chefdirigent der Mailänder Scala. In den Jahren 1982 bis 1985 arbeitete er als ErsterGastdirigent mit demChicago Symphony Orchestra.
1988 und 1991 dirigierte Abbado dasNeujahrskonzert der Wiener Philharmoniker (beide Male folgte in den Jahren darauf, also 1989 und1992,Carlos Kleiber als Dirigent der Konzerte). Im Oktober 1989 wurde Abbado von den Berliner Philharmonikern als Künstlerischer Leiter des Orchesters zum NachfolgerHerbert von Karajans gewählt. Im Jahr 1994 wurde Abbado auch Leiter derSalzburger Osterfestspiele. Die Zeit in Berlin war nicht frei von Spannungen. Abbados offenes Musizierverständnis, das im Kontrast zum eher autoritären Auftreten Karajans stand, provozierte beim Orchester Widerspruch. Im Jahr 2000 erkrankte Claudio Abbado an Magenkrebs, von dem er zwischenzeitlich als geheilt galt. Im Jahr 2002 beendete er, wie bereits 1998 angekündigt, seine Arbeit als Künstlerischer Leiter der Berliner Philharmoniker – mit einem für ihn typischen breitgefächerten Programm: mitBrahms’Schicksalslied, MahlersRückert-Lieder undSchostakowitschs Musik zuKing Lear. Auch nach seinem Vertragsablauf blieb er in Berlin sehr beliebt. Abbado dirigierte die Berliner Philharmoniker im Mai 2008 in derBerliner Waldbühne. Wegen eines Brandschadens in der Berliner Philharmonie fand das Konzert, zu dem mehr als 20.000 Zuhörer kamen, auf der Freilichtbühne statt.
Zuvor war Claudio Abbado 2002 nach Italien zurückgekehrt, zunächst nach Ferrara und dann nach Bologna, wo er mit jungen Musikern dasOrchestra Mozart aufbaute und bis zu seinem Tod lebte. Im Jahr 2003 gründete er dasLucerne Festival Orchestra – ein Orchester, das sich aus Musikern einiger der besten europäischen Ensembles, wie demMahler Chamber Orchestra, zusammensetzt.
Das Grab im Jahr 2024 mit dem Fextal im Hintergrund.
Diese Art des Musizierens junger Musiker gemeinsam mit erfahrenen Solisten, die sich als Teamer im Orchester engagieren, war für Claudio Abbado typisch. Schon als Gründer desEuropean Community Youth Orchestra (1978) und später desGustav Mahler Jugendorchesters (1986) widmete er sich der Förderung des musikalischen Nachwuchses. Daraus entstanden die Gründung desChamber Orchestra of Europe (1981) sowie die Gründung desMahler Chamber Orchestra (1997), die wiederum die Basis für die Gründung des Lucerne Festival Orchestra (2003) und des Orchestra Mozart in Bologna in den Jahren 2003 / 2004 bildeten.[4]
Am 20. Januar 2014 starb Claudio Abbado im Alter von achtzig Jahren nach langem Krebsleiden inBologna.[5] Abbados sterbliche Überreste wurden eingeäschert und eine Urne mit einem Teil seiner Asche auf dem Friedhof derBergkirche Fex-Crasta imFextal beigesetzt. Der Ort gehört zu der GemeindeSils im Engadin, einem Dorf im SchweizerKanton Graubünden, in dem Abbado ein Ferienhaus hatte.[6][7]
Im März 2016 wurde bekannt, dass seinNachlass an dieStaatsbibliothek Berlin geht. Die kostenlose Überlassung wurde durch einen Vertrag vereinbart. Der Nachlass umfasst unter anderem die mit Notizen versehenen Partituren, die Geschäftskorrespondenz und den musikwissenschaftlichen Teil der Bibliothek Abbados.[8][9]
Claudio Abbado war der Bruder des KomponistenMarcello Abbado und damit Onkel des DirigentenRoberto Abbado. Von 1956 bis 1968 war er mit Giovanna Cavazzoni verheiratet; aus dieser Verbindung stammen zwei Kinder. Die Tochter Alessandra Abbado arbeitet im Theatermanagement, der Sohn Daniele Abbado als Opernregisseur. Außerdem bekam Abbado einen Sohn mit der GeigerinViktoria Mullova, den KontrabassistenMisha Mullov-Abbado.
Von Abbado sind CDs mit Werken von nahezu jedem namhaften Komponisten erschienen. Er dirigierte auch die Werke zahlreicher Gegenwarts-Komponisten wieLuigi Nono,Pierre Boulez,Karlheinz Stockhausen,György Ligeti,György Kurtág,Wolfgang Rihm undBeat Furrer.[21] 1965 führte er an der Scala die OperAtomtod vonGiacomo Manzoni auf.[22] Trotzdem gibt es Komponisten, die auffallend oft vertreten sind:Gustav Mahler,Claude Debussy,Franz Schubert und auchWolfgang Amadeus Mozart. Besonders in seinen letzten Jahren fiel eine Rückkehr zu seinen Favoriten auf. So dirigierte er 2009 die Berliner Philharmoniker mit einem Programm bestehend aus Schubert, Mahler und Debussy; im Mai 2010 bestand das Programm an derselben Stelle aus Schubert, Schönberg und Brahms. 2013 erschien eine Edition (41 CDs) mit Symphonien von Beethoven, Brahms, Bruckner, Haydn, Mahler, Mendelssohn-Bartholdy, Mozart und Schubert.[23]
In Zusammenarbeit mit namhaften Solisten und Orchestern entstanden außerordentliche Aufnahmen und Produktionen:
die großen Opern von Mozart bis Nono mit verschiedenen Sängern,
Mahler Symphonien 1–7 und 9 mit dem Lucerne Festival Orchestra ab 2003.
DieDigital Concert Hall der Berliner Philharmoniker enthält viele akusto-optische Livemitschnitte der von ihm mit diesem Orchester gegebenen Konzerte, darunter dasEuropakonzert vom Mai 2000 mitBeethovens9. Sinfonie und den Zyklus mit Beethovens weiteren acht Sinfonien, aufgenommen im Februar 2001 in Rom.
Abbados Musizieren zeichnete sich durch eine Genauigkeit in der Artikulation und besondere Frische aus, später war ein Einfluss derhistorischen Aufführungspraxis nicht von der Hand zu weisen. Als Vorbild galt ihmWilhelm Furtwängler, da bei ihm „jede Note, jede Phrasierung eine logische Bedeutung für den Zusammenhang des Ganzen gefunden hatte“. Abbado dirigierte meist ohne Partitur.[25]
Cordula Groth:Das Berliner Philharmonische Orchester mit Claudio Abbado. Mit Beiträgen von Helge Grünewald, Hans-Jörg von Jena, Ulrich Meyer-Schoellkopf. Fotografiert von C. Groth. Nicolai, Berlin 1994,ISBN 3-87584-481-5.
Frithjof Hager:Claudio Abbado: Die anderen in der Stille hören. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2000,ISBN 3-518-39662-5.
Musik über Berlin. Claudio Abbado im Gespräch mit Lidia Bramani, aus dem Ital. übersetzt vonAgnes Dünneisen und Beatrix Birken unter Mitarbeit von Doris Adloff. 2. Auflage. Dielmann, Frankfurt am Main 2002,ISBN 3-929232-82-0.
Ulrich Eckhardt (Hrsg.):Claudio Abbado. Dirigent. Nicolai, Berlin 2003,ISBN 3-89479-090-3.
Claudio Abbado: Die Stille hören. Dokumentarfilm (2003), 67:00 Min., Regie: Paul Smaczny, Produktion: EuroArts Music,SFB,Arte, Erstsendung: 24. September 2003 auf Arte,[26][27]
Magdalena Zięba-Schwind (Regie):Abbado dirigiert Mahlers „Auferstehungssymphonie“ — Sternstunden der Musik. 2023, Deutschland, 43 Min,ZDF. Der Film zeigt auch Kommentare einiger der Beteiligten zwanzig Jahre später zu dieser Darbietung/Aufnahme 2003 imKKL Luzern (Renaud Capuçon,Emmanuel Pahud,Reinhold Friedrich undAntonello Manacorda).[28]