Christine Ebner trat bereits 1289, als Zwölfjährige, in dasDominikanerinnenkloster Engelthal bei Nürnberg ein; von Anfang an strebte sie nach einer strengen klösterlichen Lebensführung. Ein Jahr nach ihremNoviziat wurde sie erstmals von einer rätselhaften Krankheit befallen, die für längere Zeit jährlich wiederkehrte. Von 1291 an hatte sie 47Visionen, in denen ihr verschiedene Engel und Heilige, die Jungfrau Maria und Jesus Christus[1] erschienen sein sollen, und außerordentliche Gnadenerlebnisse, die sie seit 1317 auf Anregung ihresBeichtvatersKonrad von Füssen niederschrieb; diese Niederschriften, entstanden in mehreren Versionen, sind unter dem TitelLeben und Offenbarungen bekannt. In ihrem Alter war sie eine Person von öffentlichem Rang: Sie erhielt Besuche von KaiserKarl IV., der ihren Segen erbat, und dem MystikerHeinrich von Nördlingen, der sie mit derMystikMechthilds von Magdeburg,Heinrich Seuses undJohannes Taulers bekannt machte. Auch mit derMödinger MystikerinMargareta Ebner (die mit ihr nicht verwandt war) hatte sie Kontakt. In ihren Aufzeichnungen nahm sie Anteil an dem KonfliktLudwigs des Bayern mit demHeiligen Stuhl und den Wirrungen derFlagellantenprozessionen von 1349 ebenso wie an einemErdbeben und dem Wüten desSchwarzen Todes in Nürnberg. In den Jahren 1338–1340 war Christine möglicherweisePriorin des Klosters.[2]
Die AufzeichnungenLeben und Offenbarungen sind in drei inhaltlich und formal sowie hinsichtlich der Abfassungszeit unterschiedlichen Schriften überliefertGnadenvita (1317–1324),Offenbarungen (1344–1352) undVita (fragmentarisch; vermutlich nach 1356).[3] Christines Werk, insbesondere ihre Gnadenvita, zeigt ein leidenschaftliches Bemühen um eine persönliche Gottesbeziehung und neue Formen der Religiosität, wie sie heute gemeinhin als „mystisch“ bezeichnet werden. Dabei setzt sich Christine intensiv mit den zu ihrer Zeit aktuellen Problemstellungen auseinander, z. B. im Blick aufAskeseformen und theologische Fragen, wobei sie, gerade auch als Frau, hohe Autorität beansprucht. Sie entfernt sich von den Formenblutiger Askese und entwickelt das Bild eines liebenden, den Menschen nahen Gottes.Leben und Offenbarungen liegen bislang nicht in gedruckter Form vor.
DasEngelthaler Schwesternbuch (Von der Gnaden Überlast) enthält 47 Berichte über Klosterangehörige und ihre Gnadenerfahrungen. Es ist vermutlich zwischen 1340 und 1346 entstanden. 1871 besorgteKarl Schröder eine Textausgabe, die der Handschrift N folgt. Überliefert ist der Text in drei Handschriften N, W und Wo sowie einigen Fragmenten (vgl. den AbschnittDatierung und Überlieferung im Artikel zum Schwesternbuch). Eine Angabe zur Autorin findet sich nur in derInzigkofener Handschrift W vom Jahr 1451 (f.118r: „ich cristin ebnerin“), während die übrigen Handschriften ohne Autornennung auskommen. Wenngleich eine reine Autorzuschreibung an eine prominente Autorin des Klosters denkbar ist, hatSiegfried Ringler nachdrücklich für Christine Ebner auch als Autorin des Schwesternbuchs plädiert. In der altgermanistischen Forschung hat insbesondere Susanne Bürkle gegen eine Autoridentifikation argumentiert und die Zuschreibung als sekundär im Rahmen der Rezeption und nicht im Rahmen der Produktion verortet.[4] Für Janina Sollbach gilt die Frage der Autorzuschreibung als noch „nicht abschließend“ geklärt.[5]
Christine Ebner wurde in der Klosterkirche begraben, allerdings gilt ihr Grab heute als verschollen,[6] nachdem von den Protestanten 1565 die Nonnen aus Engelthal vertrieben worden sind und das Kloster aufgelöst worden ist.[7] Ebners Gedenktag bzw.Patronatstag in der katholischen Kirche ist der 27. Dezember, sie wird lokal als Heilige verehrt.[8]
Peter Lechner:Das mystische Leben der hl.Margareth von Cortona. Mit einem Anhange: Bericht aus dem mystischen Leben der gottseligen Ordensjungfrauen Christina undMargareth Ebner aus Nürnberg. Manz, Regensburg 1862.
Christine Ebner:Das Büchlein von der Gnaden Überlast. Übertragen und eingeleitet von Wilhelm Oehl (=Dokumente der Religion. 11). Schöningh, Paderborn 1924.
Matthias Binder u. a.:Christina Ebner 1277–1356. Beiträge zum 650. Todesjahr der Engelthaler Dominikanerin und Mystikerin. Schriftenreihe der Altnürnberger Landschaft, Sonderheft Nr. 51. Hersbruck 2007.
Erika Bosl: Ebner (von Eschenbach), Christina. In:Karl Bosl (Hrsg.):Bosls bayerische Biographie. Pustet, Regensburg 1983,ISBN 3-7917-0792-2, S. 161 (Digitalisat).
Susanne Bürkle:Literatur im Kloster. Historische Funktion und rhetorische Legitimation frauenmystischer Texte des 14. Jahrhunderts. Franke, Tübingen / Basel 1999 (Bibliotheca Germanica 38),ISBN 3-7720-2029-1.
Susanne Bürkle:Die „Gnadenvita“ Christine Ebners. Episodenstruktur – Text-Ich und Autorschaft. In: Walter Haug (Hrsg.):Deutsche Mystik im abendländischen Zusammenhang. Neu erschlossene Texte, neue methodische Ansätze, neue theoretische Konzepte. Kolloquium Kloster Fischingen 1998. Niemeyer, Tübingen 2000, S. 438–514.
Susanne Bürkle:Ebner, Christine. In:Walther Killy:Literaturlexikon. 2. vollst. überarb. Aufl., Bd. 3. Walter de Gruyter, Berlin / New York 2008, S. 163b–165b.
Marie-Luise Ehrenschwendtner:Die Bildung der Dominikanerinnen in Süddeutschland vom 13. bis 15. Jahrhundert. Steiner, Stuttgart 2004,ISBN 3-515-07838-X. (online in der Google-Buchsuche).
Leonard Patrick Hindsley:The Mystics of Engelthal: Writings from a Medieval Monastery. Palgrave MacMillan, New York 1998,ISBN 0-312-16251-0.
Ursula Peters:Das „Leben“ der Christine Ebner. Textanalyse und kulturhistorischer Kommentar. In: Kurt Ruh (Hrsg.):Abendländische Mystik im Mittelalter. Symposion Kloster Engelberg 1984. Stuttgart 1986.
Ursula Peters:Religiöse Erfahrung als literarisches Faktum. Zur Vorgeschichte und Genese frauenmystischer Texte des 13. und 14. Jahrhunderts. Niemeyer, Tübingen 1988 (Hermaea NF 56), bes. S. 155–176,ISBN 3-484-15056-4.
Siegfried Ringler:Viten- und Offenbarungsliteratur in Frauenklöstern des Mittelalters. Quellen und Studien. Artemis, München 1980 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 72), S. 88–91 u. ö. (s. Register:Ebner, Christine).
Siegfried Ringler:Die Rezeption mittelalterlicher Frauenmystik als wissenschaftliches Problem, dargestellt am Werk der Christine Ebner. In:Peter Dinzelbacher, Dieter R. Bauer (Hrsg.):Frauenmystik im Mittelalter. Schwabenverlag, Ostfildern 1985, S. 178–200.
Siegfried Ringler:Christine Ebner. In: Johannes Thiele (Hrsg.):Mein Herz schmilzt wie Eis am Feuer. Die religiöse Frauenbewegung des Mittelalters in Porträts. Wege der Mystik. Kreuz, Stuttgart 1988, S. 146–159.
Claudia Spanily:Autorschaft und Geschlechterrolle. Möglichkeiten weiblichen Literatentums im Mittelalter. Tradition – Reform – Innovation 5. Lang, Frankfurt am Main 2002,ISBN 3-631-39951-0.
Johanna Thali:Beten – Schreiben – Lesen. Literarisches Leben und Marienspiritualität im Kloster Engelthal. Francke, Tübingen/Basel 2003 (Bibliotheca Germanica 42).
Janina Sollbach:„Mein minnecliche zarte rede hon ich mit dir geteilt“ – Studien zu den „Offenbarungen“ Christine Ebners, Dissertation, Eberhard Karls Universität Tübingen, 2014doi:10.15496/publikation-13338
↑Martin Droschke:Frankens Ortsnamen – was soll denn das? Engelthal. In:Franken 2024. Franken-Wissen für das ganze Jahr. Emons Verlag, Köln 2023,ISBN 978-3-7408-1797-8, Blatt16. Dezember.
↑Vgl. Gustav Voit:Engelthal. Geschichte eines Dominikanerinnenklosters im Nürnberger Raum. 2 Bde. Korn & Berg, Nürnberg 1977/78 (Schriftenreihe der Altnürnberger Landschaft XXVI), S. 224.
↑Vgl. Ringler, VL², Sp. 298–301, und Bürkle 2008, S. 163–165 (s. beiLiteratur).
↑Vgl. Susanne Bürkle: Literatur im Kloster. Historische Funktion und rhetorische Legitimation frauenmystischer Texte des 14. Jahrhunderts. Tübingen, Basel: Francke Verlag 1999, S. 258.
↑Vgl. Janina Sollbach: „Mein minnecliche zarte rede hon ich mit dir geteilt“ - Studien zu den „Offenbarungen“ Christine Ebners. Tübingen 2016, S. 17.