DerWaldhof Carinhall, kurzCarinhall [ˌkaːʁinˈhal], war ein repräsentatives Gut desReichsmarschalls und führendenNationalsozialistenHermann Göring. Der Besitz lag in derSchorfheide zwischenGroßdöllner See undWuckersee im Norden des heutigen BundeslandesBrandenburg. Göring benannte die Anlage nach seiner ersten EhefrauCarin, die er hier bestatten ließ. Er ging in der Umgebung seiner Jagdleidenschaft nach, empfing in Carinhall hochrangige Gäste und brachte dort große Teile seiner privaten Kunstsammlung unter. Kurz vor der Ankunft der sowjetischen Truppen ließ er die Gebäude im April 1945 zerstören.
Carinhall liegt in bewaldetem Gebiet abseits von Siedlungen.Joachimsthal und derGrimnitzsee liegen etwa acht Kilometer südöstlich,Friedrichswalde etwa fünf Kilometer östlich,Groß Dölln etwa acht Kilometer westlich,Templin etwa 15 Kilometer nordwestlich,Groß Schönebeck etwa 12 Kilometer südwestlich.
In der Nähe von Carinhall befanden sich eine Funkstation und sieben Kilometer nördlich an derLandesstraße L 100 beiAhlimbsmühle eine wenig bekannteScheinanlage aus Brettern und Netzen zur Täuschung der alliierten Luftaufklärung. Von 1955 bis 2012 war sieben Kilometer nordwestlich von Carinhall derSonderlandeplatz Templin/Groß Dölln in Betrieb.
Der von Göring gewählte Name „Carinhall“ bezieht sich auf Görings erste Frau, dieSchwedinCarin Göring, geboreneFreiin Fock, geschiedene von Kantzow, mit der er ab 1923 verheiratet war, und dasWalhall,[1] laut dernordischen Mythologie eine prächtige Himmelshalle, in dieOdin die tapfersten gefallenen Krieger aufnimmt.
Carin Göring starb am 17. Oktober 1931 inStockholm und wurde zunächst inSchweden bestattet. Nach einem Besuch an ihrem Grab hielt Göring eine Rede und hinterließ ein Gebinde aus roten Rosen in Hakenkreuzform. Das Gebinde wurde kurz darauf von empörten Schweden entfernt, die eine Protestnote hinterließen. Diese richtete sich gegen die Politisierung einer schwedischen Staatsbürgerin zu Propagandazwecken. Göring ließ den Vorfall in der gleichgeschalteten Presse zu einerGrabschändung umdeklarieren und benutzte ihn als Vorwand, um die Tote in einem Staatsakt von Schweden nach Deutschland zu überführen. Ihreexhumierten Überreste kamen am 19. Juni 1934 in Carinhall an.Am nächsten Tag wurden sie im BeiseinHitlers und der Nazi-Führung in einer Gruft über dem Steilufer des Wuckersees[2] bestattet, die wegen ihrer Ausmaße den Charakter einesMausoleums hatte.[3]
Der Gebäudekomplex wurde nach 1933 in mehreren Etappen errichtet. Architekt war zunächstWerner March, der Schöpfer desBerliner Olympiastadions. Später übernahmFriedrich Hetzelt den Bau. 1939 begann der Bau des zweiten Bauabschnitts, dessen Bibliotheksflügel durch diePhilipp Holzmann AG ausgeführt wurde.[4] Stilistisch griffen die Gebäude auf historische Baustile zurück.[5]
Der Gebäudekomplex bestand zuletzt aus mehreren repräsentativen Gebäuden, Hallen und Sälen. Die Räume hatten eine Gesamtfläche von etwa 11.000 Quadratmetern. Drei 72 Meter lange Seitenflügel, parallel zur Zufahrtsstraße ausgerichtet, begrenzten zwei Innenhöfe mit einer Fläche von zusammen 15.800 Quadratmetern.[2] Zum Anwesen gehörten eine Telefonzentrale, einLuftschutzbunker sowie in einiger Entfernung unter anderem eineAdjutantur, ein Tennisplatz, eine Schießanlage und Bootshäuser am Großdöllner See. Das Mausoleum von Carin Göring lag abseits am Wuckersee.[6]
Die Zufahrtstraße war als Kastanienallee gestaltet. Sie lief von den Wächterhäuschen direkt auf das einen Kilometer entfernte, quer stehende Hauptgebäude zu. Nach 850 Metern erreichte man den Hirschplatz, der einem der Innenhöfe in rund 100 Metern Entfernung vorgelagert war.[6] Der Hirschplatz war mit dem bronzenenKronenhirsch dekoriert.
Im Jahr 1945 war eine dritte Erweiterung des Gebäudekomplexes geplant. Weitere große Gebäude sollten nahe dem Hirschplatz und als Anbauten im Süden (Richtung Wuckersee) entstehen. Göring präsentierte am 12. Januar 1945, seinem 52. Geburtstag, die Grundrisszeichnung.
Göring empfing hier ausländische Staatsgäste, mit denen er bisweilen Jagdausflüge in die Schorfheide unternahm. Staatsgäste waren unter anderem deritalienische DiktatorBenito Mussolini (28. September 1937), derbritische PolitikerEdward Wood (20. November 1937) und derjapanische AußenministerMatsuoka Yōsuke (29. März 1941).
In den Ausstellungsräumen von Carinhall war ein Großteil der privaten Kunstsammlung von Hermann Göring untergebracht, die hauptsächlich ausRaub- undBeutekunst bestand, aber auch Gemälde aus legalen Ankäufen enthielt. Schwerpunkt der Sammlung war dieMalerei der Gotik undder Renaissance. Ein Beispiel ist das Renaissance-GemäldeLeda mit ihren Kindern vonGiampietrino (heute inKassel).
Im Jahr 1943 ließ Göring einen Teil seiner Privatsammlung imBergungsort Salzbergwerk Altaussee beiAltaussee imBezirk Bad Aussee in derSteiermark einlagern. Diese Kunstwerke wurden ab 1945 von denAlliierten in Lastwagen zur zentralen Sammelstelle(Central Collecting Point) in München gebracht, die sich im vormaligenFührerbau und imVerwaltungsbau derNSDAP befand.
Der andere Teil der Privatsammlung blieb in den Ausstellungsräumen von Carinhall. Im Januar 1945 ließ Göring den Rest der Kunstsammlung großenteils in Sonderzügen nachBerchtesgaden bringen und dort in Tunneln unterstellen. Die Kunstschätze wurden ausgeladen und in Luftschutzbunker gebracht. Ein Teil der Gemälde undTapisserien wurde in diesen letztenKriegstagen aus den Zügen geplündert.[7]
Am 20. April 1945 verließ Göring Carinhall. Zurück blieb ein kleiner Trupp derLuftwaffe, der auf Weisung Görings beim Näherrücken derRoten Armee die Gebäude des Anwesens sprengen sollte. Als die Rote Armee nur noch wenige Kilometer entfernt war, wurde Carinhall am 28. April 1945 mit über 80Fliegerbomben gesprengt.
Nicht alle Kunstobjekte waren zuvor abtransportiert worden. Ein Angehöriger des Sprengkommandos sagte später, der Anblick der Kunstschätze sei überwältigend gewesen. Außerdem waren beispielsweise noch wertvolle Möbel und große Mengen an Lebensmitteln vorhanden, die von Wachleuten, Angehörigen der Roten Armee und der Bevölkerung der Region in Besitz genommen wurden.[2]
Göring hatte auch den Sarg im Mausoleum nicht sichern lassen. Unbekannte brachen ihn auf, um das Zinkblech zu verwerten. Im Jahr 1947 fand ein Forstarbeiter verstreute Leichenteile im Bereich der Gruft. Auf Veranlassung der schwedischen Verwandten von Carin Göring sorgte der Pfarrer derschwedischen Gemeinde in Berlin dafür, dass ihre Gebeine exhumiert, heimlich nach West-Berlin gebracht und imKrematorium Wilmersdorf unter falschem Namen eingeäschert wurden. Der Pfarrer brachte die Urne nach Schweden, wo sie 1951 beigesetzt wurde. Kurz nach der Wende fanden Schatzsucher noch ein Stück Schädel. Mitglieder des Vereins Schorfheide-Museum sorgten dafür, dass auch dieses Fragment nach Schweden gebracht wurde.[2]
Zu DDR-Zeiten war das GeländeSperrgebiet. Führende Politiker der DDR wieWalter Ulbricht,Erich Honecker undErich Mielke gingen hier auf die Jagd.[2]
1993 fand ein Schatzsucher den Eingang zu Görings Luftschutzbunker und durfte dort graben, bis der Förster 1995 den Eingang mit einer Planierraupe verschließen ließ. Seitdem dient der BunkerFledermäusen als Quartier.[2] Ein Schild weist darauf hin, dass Fledermäuse streng geschützt sind.[8]
1994 fand ein Schatzsucherverein aus Berlin eine Säule aus rotemMarmor. Im Februar 2020 wollten Schatzgräber eine dazugehörige zweite Säule illegal bergen. Ein Augenzeuge wandte sich an den Carinhall-Experten Volker Knopf. Der informierte den Vorsitzenden des Vereins Schorfheide-Museum, dieser den Revierförster und dieser die Polizei. Die Raubgräber wurden festgenommen. Der Museumsverein half später bei der Bergung der zweiten Säule. Beide Säulen stehen heute im Schorfheide-Museum inGroß Schönebeck.[2]
Ein Granitfindling mit eingravierter Inschrift „Carinhall“[9] sowie eine Infotafel zur Geschichte mit Fotos des ehemaligen Waldhofs am Hirschplatz bezeichnen heute den Ort des Anwesens.
Vollständig erhalten und in gutem Erhaltungszustand sind noch die beiden Wächterhäuschen am ehemaligen Haupttor und direkt benachbart, aber außerhalb des Anwesens, zwei Wohnhäuser für die damaligen Wachmannschaften, ferner die Kastanienallee[10] und das Gebäude der Funkstation. Der Bunker ist erhalten, aber unzugänglich. Von der eigentlichen Anlage ist nichts mehr erhalten, nur noch einzelne Steine und Betonstücke,[11] die großenteils von Gras oder Gestrüpp überwuchert sind.[12] Am ehemaligen Grab von Carin Göring ist nur noch eine Vertiefung im Boden erkennbar.
Die Reste des Landsitzes Carinhall sind alsBaudenkmale von Templin aufgeführt.
Im Hof von Carinhall auf dem Hirschplatz am Ende der Kastanienallee stand dieBronzeplastikKronenhirsch vonJohannes Darsow. Sie wurde für die internationale Jagdausstellung 1937 inBerlin entworfen. Es handelt sich um denRothirschRaufbold, den Hermann Göring am 9. Februar 1936 im ForstamtWarnen in derRominter Heide erlegt hatte. Nach der Jagdausstellung kam die Bronzeplastik vom Haupteingang der Berliner Messehallen nach Carinhall, um 1950 in den Park vonSchloss Sanssouci inPotsdam und 1969 an die Freilichtbühne imTierpark Berlin zu gelangen.[13]
Die 1897 vonFranz von Stuck geschaffene BronzeplastikKämpfende Amazone, die westlich des Hauptflügels stand, wurde nachEberswalde überführt. Dort stand sie lange unterhalb der Maria-Magdalenen-Kirche, bevor sie in den nahen Weidendamm-Park umgesetzt wurde.
Im Sommer 1990 suchten Polizeitaucher im Auftrag des letzten DDR-InnenministersPeter-Michael Diestel den Großdöllner See nach eventuell versenkten Schätzen ab. Dabei fanden sie mehrere Bronzestatuen:[2]
Im Rosengarten von Carinhall befand sich seit 1942 auch eine Kopie derNymphe von Fontainebleau des BildhauersBenvenuto Cellini. Göring hatte das Original des Bronze-Reliefs 1940 im PariserLouvre gesehen und die Kopie beauftragt, die mit einem Sonderzug nach Carinhall transportiert wurde. 1946 entdeckte ein Oberförster das 1,2 Tonnen schwere Objekt in seinem Revier und brachte es in die OberförstereiReiersdorf. 1952 kam es ins Depot desAlbertinums in Dresden. Dem Museumsverein inGroß Schönebeck gelang es, das Relief alsDauerleihgabe für das Schorfheide-Museum zu gewinnen. Im September 2019 wurde das Kunstwerk im Garten des Jagdschlosses enthüllt.[14]
53.00861111111113.636388888889Koordinaten:53° 0′ 31″ N,13° 38′ 11″ O