Borane (auchBorwasserstoffe oderBorhydride) sind die Wasserstoffverbindungen des ElementsBor und ihreDerivate. Die einfachsten Verbindungen dieser Stoffklasse sindDiboran(6) B2H6 und Salze des Tetrahydridoborats BH4−. Ausgehend vom einfachsten denkbaren Boran, der Verbindung Monoboran BH3, welche in dieser Form instabil ist, handelt es sich bei B2H6 um das Dimere von BH3 und bei BH4− um das Hydrid-Addukt von BH3.
Die Strukturen der höheren Borane beruhen auf polyedrischen Geometrien, in denen die Boratome alle oder alle bis auf eine, zwei bzw. drei Polyederecken besetzen. Die höheren Borane besitzen somit räumliche Käfigstrukturen, die z. T. hoch-symmetrisch sind und die sich von den Strukturen anderer Element-Wasserstoffverbindungen, z. B. von denen derKohlenwasserstoffe oderSilane deutlich unterscheiden.
Im engeren Sinne handelt es sich bei den Boranen um
Über den ersten gasförmigen Stoff, der alsHydrid des Bors beschrieben wurde und mit grüner Flamme verbrannte, berichteten 1881 F. Jones und R. L. Taylor. Dieses Gas entstand durch Einwirken vonSalzsäure auf Magnesiumborid. Im weiteren Verlauf der Untersuchungen wurden verschiedene Formeln für diese Verbindung vorgeschlagen, so BH3.[1] Das bei der Umsetzung von Magnesiumborid mit Salzsäure entstehende Gas wurde in den folgenden Jahren zudem vonP. Sabatier sowie von W. R. Ramsay und H. S. Hartfield untersucht. Auch diese Untersuchungen ergaben, dass es sich bei dem borhaltigen Produkt dieser Reaktion um BH3 handelt. Wie sich aber später herausstellte, beruhten die Folgerungen der obigen Untersuchungen auf experimentellen Fehlern und waren somit hinfällig.[2]
Alfred Stock, der die Borane ab Anfang der 1910er Jahre eingehend untersuchte, isolierte mitB4H10 das erste Boran als Produkt der Reaktion von Magnesiumborid mit Salzsäure. Dabei ging er davon aus, dass bei der Zersetzung von Magnesiumborid mit Säuren neben B4H10 als weiteres Boran B6H12 entsteht.[2] Später konnte er selber zeigen, dass es sich bei dem von ihm zuvor angenommenen B6H12 um ein Gemisch bestehend aus B4H10, B5H9, B6H10 und Siliciumhydriden handelte.[3] Die Verbindung B6H12 wurde erst 1964 von D.F. Gaines und R. Schaeffer synthetisiert.[4] Neben B4H10 hat Alfred Stock bereits 1913 das einfachste BoranB2H6 als Zersetzungsprodukt von B4H10 und in den darauf folgenden Jahren weitere Borane wieB10H14 erstmals isoliert, charakterisiert und bzgl. ihrer Eigenschaften untersucht.[5][3][6]
Alfred Stock hat die von ihm gefundene Formel B4H10 für das erste isolierte Boran als „höchst überraschend“ beschrieben. So war für ihn und in seinen Worten auf Grund der Stellung des Elements Bor im Periodensystem, auf Grund der Dreiwertigkeit des Elements in der großen Mehrzahl seiner Verbindungen und in Anbetracht der Formeln der bekannten VerbindungenB(Me)3 undB(Et)3 fast sicher zu erwarten, dass das Hauptprodukt der Reaktion von Magnesiumborid mit Salzsäure BH3 oder eine sich hiervon ableitende „höhermolekulare“ Verbindung wie B2H4, B3H5 oder B5H6 ist. Die gefundene Formel B4H10 war mit der Dreiwertigkeit des Bors nicht in Einklang zu bringen.[2]
Während des Zweiten Weltkrieges wurden die Forschungen, insbesondere die Möglichkeiten zur Herstellung von Tetrahydridoboraten (MBH4), vonHermann Irving Schlesinger undHerbert Charles Brown verstärkt betrieben, weil die Borane im Zusammenhang mit derUrananreicherung in Form der Verbindung U(BH4)4 auf Interesse stießen. Auf diese Untersuchungen geht u. a. die Herstellung vomNatriumborhydrid durch Umsetzung vonNatriumhydrid mitBorsäuretrimethylester zurück.[7]
Lange Zeit wurde am Strukturproblem desDiborans(6) B2H6 gearbeitet und Vorschläge für mögliche Strukturformeln über die klassische Valenztheorie gemacht. Endgültige Klärung der Struktur von Diboran(6) mit zwei die beiden Boratome verbrückenden Wasserstoffatomen brachten 1948 veröffentlichte Untersuchungen mit einem hochauflösendenInfrarotspektrometer, welche zeigten, dass Diboran(6) D2h-Symmetrie wieEthylen und nicht D3d-Symmetrie wieEthan besitzt.[8] Später wurden diese Ergebnisse mit Hilfe vonRöntgenstrukturanalysen an Einkristallen bei tiefen Temperaturen (Schmelzpunkt von Diboran(6): −164,85 °C) bestätigt.[9]
Die erste eindeutige Bestimmung der Struktur eines höheren Borans gelang 1948 mit der Einkristall-Röntgenstrukturanalyse vonDecaboran(14), welche die auf einem Polyeder basierende Struktur aufzeigte.[10][11] Welche Probleme die Strukturaufklärung der Borane bereitete, zeigt sich zum Beispiel daran, dass noch im Jahr der auf Röntgenstrukturanalyse-Daten basierenden Veröffentlichung der Struktur von Decaboran(14) auf der Basis von Elektronenbeugungsdaten vermutet wurde, dass Decaboran(14) aus zwei symmetrischen Fünfringen besteht, die über eine BB-Bindung miteinander verbunden sind.[12]
Diese Untersuchungen führten zum Bruch mit dem klassischenValenzstrich-Konzept und unter Einbeziehung derMolekülorbitaltheorie zu der Formulierung der Molekülbindungen als BHB- und BBB-Dreizentrenbindung neben den terminalen BH-Zweizentrenbindungen.[13]
William Lipscomb erhielt für seine Arbeiten über Borane und Carbaborane 1976 denNobelpreis für Chemie.
Im Tetrahydridoborat BH4− ist das Boratom in gleicher Weise wie das Kohlenstoffatom im isoelektronischenMethan CH4 tetraedrisch von vier Wasserstoffatomen umgeben. Die Struktur von BH4− entspricht damit der Erwartung. Bereits die Struktur von Diboran(6) weicht von den Strukturen anderer Element-Wasserstoffverbindungen ab. Die beiden Boratome sind über zwei verbrückende Wasserstoffatome miteinander verbunden, die über und unterhalb einer Ebene liegen, die von den beiden Boratomen und den restlichen vier Wasserstoffatomen gebildet wird. In den höheren Boranen zeigen die Boratome dann neben 1–2 endständig gebundenen Wasserstoffatomen zum Teil hohe Konnektivitäten zu weiteren Boratomen. Häufig kommen 4–5 (manchmal 6) benachbarte Boratome vor, wobei die Boratome die Ecken von Polyedern vollständig oder teilweise besetzen. Zudem kommen bei den höheren Boranen, bei denen nicht alle Ecken eines Polyeders besetzt sind, verbrückende Wasserstoffatome wie beim Diboran(6) vor. In den Boranen ab dem Diboran(6) sind mehr Atome kovalent miteinander verknüpft als Elektronenpaare vorhanden sind. Diese Borane werden daher alsElektronenmangelverbindungen bezeichnet.[13] Die Bindungsverhältnisse in den Boranen ab dem Diboran(6) wurden zunächst durch das Vorliegen von BHB- und BBB-2-Elektronen-3-Zentren-Bindungen erklärt. Nach diesem Modell sind beispielsweise die beiden Boratome des Diboran(6) durch zwei BHB-Dreizentrenbindungen mit zwei Elektronen pro Dreizentrenbindung miteinander verknüpft. Die restlichen vier Wasserstoffatome sind durch „normale“ Zweielektronen-Zweizentren-Bindungen mit den Boratomen verbunden. Die „Bindungsstriche“ in den Strukturformeln der höheren Boranen sind mit Ausnahme der Bindungen zu den endständigen Wasserstoffatomen demnach nicht in gewohnter Weise als kovalente Bindungen zu verstehen, an denen jeweils zwei Elektronen beteiligt sind, sondern als Verbindungslinien zu den nächsten Nachbaratomen im Molekül.
Borane, die aus einem einzelnen, d. h. einem nicht mehrteiligen Grundgerüst, bestehen, werden in die Gruppen dercloso-,nido-,arachno- undhypho-Borane eingeteilt (Bzgl. Borane die aus einem mehrteiligen Grundgerüst bestehen vgl. den Abschnitt „conjuncto-Borane“ weiter unten.) Die Gruppen besitzen jeweils eine allgemeine Summenformel, wobei der Wasserstoffanteil von dencloso- zu denhypho-Boranen steigt. Die folgende Tabelle zeigt eine Übersicht für diese Borane mit einfachem Grundgerüst und hiervon abgeleitete Mono- und Dianionen (bis n = 12):
Cluster-Typ | allgem. Summenformel | bisher isolierte Borane (nicht vollständig) | Beispiele |
---|---|---|---|
closo- | BnHn+2 BnHn+1− BnHn2− | unbekannt n = 6–11 n = 6–12 | B6H62− , B12H122− |
nido- | BnHn+4 BnHn+3− BnHn+22− | n = 2, 5–6, 8, 10–11 n = 5, 10 n = 10 | B10H14 , B5H9 B10H13− , B5H8− B10H122− |
arachno- | BnHn+6 BnHn+5− BnHn+42− | n = 4–6, 8–9 n = 3 n = 5 | B4H10 , B5H11 B3H8− B5H92− |
hypho- | BnHn+8 BnHn+7− BnHn+62− | n = 5 n = 5 | B5H12− B5H112− |
Diecloso-Borane sind in Form ihrer Dianionen mit der Summenformel BnHn2− für n = 6-12 bekannt, nicht aber in Form der entsprechenden neutralen Verbindungen mit der Summenformel BnHn+2.
Diecloso-Borane besitzen geschlossenepolyedrische Strukturen, wobei die Boratome alle Ecken sogenannter Trigonpolyeder besetzen, welche ausschließlich von Dreiecksflächen begrenzt sind. Dabei handelt es sich bei diesen Polyedern mit Ausnahme des Oktadekaeders (n = 11) umDeltaeder, d. h. um Polyeder, die ausschließlich durch zueinander kongruente gleichseitige Dreiecke begrenzt sind. So besitzt hinsichtlich des zugrunde liegenden Grundkörpers beispielsweise B6H62− die Struktur desOktaeders, B8H82− die Struktur desTrigondodekaeders und B12H122− die Struktur desIkosaeders. Die Struktur des B12-Ikosaeders, bildet zudem eine Struktureinheit verschiedener Modifikationen des elementarenBors.
Jedes Boratom dercloso-Borane ist zudem mit einem terminalen Wasserstoffatom verbunden, welches jeweils nach außen vom Polyeder wegweist.
In der folgenden Tabelle sind die Trigonpolyeder, die den Strukturen der dianionischencloso-Hydridoborate zugrunde liegen, aufgelistet:[14]
BnHn2− | Trigonpolyeder | Punktgruppe | Anzahl der jeweils gleichen Ecken |
---|---|---|---|
nicht bekannt | Tetraeder | Td | 4 |
nicht bekannt | TrigonaleBipyramide | D3h | 2 + 3 |
B6H62− | Oktaeder | Oh | 6 |
B7H72− | Pentagonale Bipyramide | D5h | 2 + 5 |
B8H82− | Trigondodekaeder | D2d | 4 + 4 |
B9H92− | Dreifach überkapptes trigonalesPrisma | D3h | 3 + 6 |
B10H102− | Zweifach überkapptes quadratischesAntiprisma | D4d | 2 + 8 |
B11H112− | Octadekaeder | C2v | 1 + 2 + 4 + 2 + 2 |
B12H122− | Ikosaeder | Ih | 12 |
Wie die Tabelle oben zeigt, sind die den Boranen zugrunde liegenden Polyeder zum Teil hoch-symmetrisch. So sind die Ecken des Oktaeders und des Ikosaeders, die zur Gruppe derplatonischen Körper gehören, gleich, was zur Folge hat, dass die B6- und B12-closo-Hydridoborate im11B-NMR-Spektrum jeweils nur ein Signal zeigen und als Monoderivate dieser Borane durch Ersatz eines exo-Wasserstoffatoms oder einer BH-Einheit jeweils nur ein mögliches Derivat gebildet werden kann. Die übrigen Borane besitzen niedrigere Symmetrien und zeigen in ihren11B-NMR-Spektren entsprechend ihrer Symmetrie mehrere Signale und bilden zumindest potenziell mehrere Mono-Derivate.
Die Strukturen dernido- undarachno-Borane leiten sich ebenfalls von den geschlossenen polyedrischen Strukturen, die dencloso-Boranen zugrunde liegen, durch Wegnahme von einer Polyederecke bei dennido-Boranen und von zwei Polyederecken bei denarachno-Boranen ab. Hierbei entstehen zunehmend offenere Strukturen, wobei die zusätzlichen Wasserstoffatome, dernido- undarachno-Borane in Form verbrückender B-H-B Wasserstoffatome oder weiterer endständiger Wasserstoffatome vorhanden sind.
In diesem Sinne leitet sich beispielsweise die Struktur desnido-BoransPentaboran(9) vom Oktaeder durch Wegnahme einer Ecke ab. Pentaboran(9) besitzt somit die Struktur einertetragonalen Pyramide, wobei die Boratome an den Ecken der tetragonalen Pyramide stehen.[15] Jedes der fünf Boratom besitzt ein terminales Wasserstoffatom, welches nach außen von der Pyramide wegweist und an der offenen quadratischen Fläche stehen zusätzlich vier Wasserstoffatome, welche jeweils zwei benachbarte Boratome der offenen quadratischen Fläche verbrücken. Die Struktur desarachno-BoransTetraboran(10) leitet sich ebenfalls vom Oktaeder durch Wegnahme von zwei Polyederecken ab.
Die Gerüststruktur eines Borans, dessen Struktur auf einem einzelnen Polyeder basiert, wird durch die Zahl der vorhandenen Gerüstelektronen bestimmt. Zur Anzahl der Gerüstelektronen tragen alle Valenzelektronen des Boran-Gerüsts bei, die nicht an den Bindungen zu jeweils einem endständigen Wasserstoffatom pro BH-Einheit beteiligt sind.
Mit Hilfe derWade-Regel kann man anhand der durch Abzählen ermittelten Zahl der Gerüstelektronen eines Borans qualitativ erklären bzw. ableiten, welche Struktur dieses Boran besitzt. Nach dieser Regel besitzen Borane mit n Boratomen bei 2n+2 Gerüstelektronen einecloso-, bei 2n+4 Geüstelektronen einenido-, bei 2n+6 Gerüstelektronen einearachno- und bei 2n+8 Gerüstelektronen einehypho-Struktur. Dabei besetzen die Boratome beicloso-Boranen alle Ecken eines Polyeders mit n Ecken, beinido-Boranen alle bis auf eine Ecke eines Polyeders mit n + 1 Ecken, beiarchno-Boranen alle bis auf zwei Ecken eines Polyeders mit n + 2 Ecken und beihypho-Boranen alle bis auf drei Ecken eines Polyeders mit n + 3 Ecken.[16][17] Welche Polyedergeometrie in einem konkreten Fall zugrunde liegt, kann man aus der Tabelle zu den Trigonpolyedern oben ablesen.
Bei Boranen tragen die folgenden Elemente zur Zahl der Gerüstelektronen bei und werden zu ihrer Berechnung entsprechend ihrer Anzahl addiert:
Beispiele zur Ableitung der Gerüststruktur:
B6H62−
6 BH-Einheiten + 2 negative Ladungen: Gerüstelektronen:
Gerüstelektronen (Formel 2n+2) →closo-Struktur entsprechend dem Polyeder mit 6 Ecken
B10H14
10 BH-Einheiten + 4 weitere Wasserstoffatome: Gerüstelektronen:
Gerüstelektronen (Formel 2n+4) →nido-Struktur abgeleitet vom Polyeder mit 11 Ecken
B4H10
4 BH-Einheiten + 6 weitere Wasserstoffatome: Gerüstelektronen:
Gerüstelektronen (Formel 2n+6) →arachno-Struktur abgeleitet vom Polyeder mit 6 Ecken
B5H9(PMe3)2
5 BH-Einheiten + 4 weitere Wasserstoffatome + 2 Lewis-Basen: Gerüstelektronen:
Gerüstelektronen (Formel 2n+8) →hypho-Struktur abgeleitet vom Polyeder mit 8 Ecken
Auch die Strukturen derCarborane, anderer Heteroborane oder Metallaborane, in denen ein oder mehrere Boratome eines Borans durch Kohlenstoff, ein anderes Hauptgruppenelement oder ein Übergangsmetall ersetzt sind, lassen sich mit Hilfe der Wade-Regel erklären. Da z. B. Kohlenstoff vier und nicht drei Valenzelektronen wie Bor besitzt, ist eine BH−-Einheit isoelektronisch mit einer CH-Einheit, so dass verständlich ist, dass das Dicarbadodecaboran C2B10H12 Ikosaederstruktur wie das isoelektronische B12H122− besitzt.
Neben den oben beschriebenen Boranen, denen die Struktur eines einzelnen Trigonpolyeders zugrunde liegt, gibt es Borane, die aus zwei oder mehreren solcher Grundborane bestehen. Die Grundborane sind dabei über gemeinsame BB-Bindungen oder über gemeinsame Boratome miteinander verknüpft. Hierbei können Wasserstoff-freie Boratome vorhanden sein. Beispielsweise bestehen die isomerenconjuncto-Boraneanti- undsyn-B18H22 jeweils aus zwei B10H14 Grundboran-Einheiten, die über zwei gemeinsame, Wasserstoff-freie Boratome miteinander verknüpft sind.[18][19][20] Dasconjuncto-Boran B20H16 besteht aus zwei B12-Ikosaedern die über vier gemeinsame, Wasserstoff-freie Boratome miteinander fusioniert sind.[21]
Die Strukturen derconjuncto-Borane lassen sich mit der mno-Regel nach Jemmis erklären bzw. vorhersagen.[22]
Die Bezeichnung der neutralen Borane erfolgt so, dass man vor dem Wortstammboran die Anzahl der Boratome durch einen griechischen Zahlenwert angibt. Nach dem Wortstammboran wird die Anzahl der Wasserstoffatome in runden Klammern als arabische Ziffer angegeben. Weiter kann optional durch die Vorsilbencloso,nido,arachno,hypho undconjuncto angegeben werden, welche Art von Gerüststruktur vorliegt.[23]
Beispiele zur Veranschaulichung:
Wie die Beispiele zeigen, ist die einfachere Bezeichnung Pentaboran ohne Angabe der Wasserstoffzahl (9) bzw. (11) nicht ausreichend, da zwei unterschiedliche Pentaborane bekannt sind. Die zusätzliche Voranstellung vonnido bzw.arachno ist aber zumindest im Fall der Pentaborane in gewisser Weise überflüssig, da von Pentaboran keineconjuncto-Borane bekannt sind und sich die Gerüststruktur somit bereits aus der Summenformel ergibt.
Die anionischen Borane werden heute alsHydridoborate benannt. Dabei wird bei Borananionen mit mehr als einem Boratom die Anzahl der Boratome vor dem Wortteilborat durch einen griechischen Zahlenwert angegeben. Die Anzahl der Wasserstoffatome wird ebenfalls durch einen griechischen Zahlenwert angegeben und dem Wortteilhydrido vorangestellt. Optional kann man die Ladung in Klammern in der Form (1-) oder (2-) anfügen und ebenfalls optional kann durch die eingeschobenen Silbencloso,nido,arachno,hypho undconjuncto angegeben werden, welche Art von Gerüststruktur vorliegt. Bei der Benennung der Salze wird die Art und Anzahl der kationischen Gegenionen dem Namen insgesamt vorangestellt.[23]
DieHydridoborate wurden früher alsBoranate benannt.
Beispiel zur Veranschaulichung der Benennung von anionischen Boranen:
Gegenüber Wärme, Sauerstoff und Wasser besitzen die einzelnen Borane jeweils sehr unterschiedliche Stabilitäten. Gegenüber Sauerstoff und Wasser sind die Borane hinsichtlich der Bildung vonBortrioxid bzw.Borsäure thermodynamisch instabil.
Insbesondere diecloso-Borane wie B10H102− und B12H122− sind im Vergleich mit simpleren Boranen wie B2H6 oder B10H14 ungewöhnlich stabil.[24] Diese Stabilität ist kinetisch begründet und beruht hauptsächlich auf sterischen Effekten, hoher Symmetrie und darauf, dass die geschlossenen Käfigstrukturen der closo-Borane ohne verbrückende Wasserstoffatome aufgebaut sind.
Monoboran BH3 ist so instabil, dass es beiStandardbedingungen lediglich in dimerer Form alsDiboran B2H6 vorliegt. Diboran(6) selbst ist bei Standardbedingungen metastabil, zersetzt sich aber bereits oberhalb einer Temperatur von 50 °C unter Bildung vonWasserstoff und höheren Boranen. Dabei bilden sich hauptsächlichTetraboran(10),Pentaboran(9), Pentaboran(11) undDecaboran(14). Im Gegensatz dazu wurde B12H122−, das in der Form seines Cäsiumsalzes in einem evakuierten und verschlossenen Quarzrohr auf eine Temperatur von 810 °C erhitzt wurde, unverändert zurückgewonnen.[24]
Die Borane sind gegenüber Sauerstoff nicht stabil und verbrennen in seiner Gegenwart unter Bildung vonBortrioxid (B2O3) und Wasser unter starker Wärmeentwicklung. Die Reaktivität gegenüber Sauerstoff ist teilweise so hoch, dass z. B.Pentaboran(9) an der Luft selbstentzündlich ist und Diboran(6) eine niedrige Zündtemperatur besitzt. Andere Borane wie z. B. Decaboran(14) sind deutlich weniger reaktiv und lassen sich an der Luft handhaben.
Von Wasser werden Borane zuBorsäure und Wasserstoff zersetzt. Die Borane besitzen gegenüber dieser Zersetzung aber unterschiedliche Stabilitäten. Diboran(6) ist hydrolyse-empfindlich. Im Gegensatz dazu sind diecloso-Hydridoborate(2–) gegenüber Wasser kinetisch ziemlich stabil.
In Gegenwart von Alkoholen erfolgt die analoge Reaktion zuBorsäureestern und Wasserstoff, hier am Beispiel der Zersetzung von Diboran durch Methanol und Bildung desBorsäuremethylesters:
MitLewis-Basen bilden Borane Addukte. Addukte von Lewis-Basen an Monoboran sind z. B. das Tetrahydrofuran-Addukt BH3·THF (vgl. Abschnitt Herstellung), das Ammoniak-AdduktBH3·NH3 (vgl. Abschnitt Verwendung) oder das Tetrahydridoborat-Anion, welches in der VerbindungNatriumborhydrid vorliegt und u. a. durch Umsetzung von Diboran(6) mitNatriumhydrid entsteht:
Auch höhere Borane sind gegenüber Lewis-Basen reaktiv, wobei es bei der Anlagerung von Lewis-Basen zu einer Öffnung des Borangerüsts kommt. Beispielsweise reagiertnido-Decaboran(14) u. a. mit zwei Äquivalenten der Lewis-Base Acetonitril unter Adduktbildung und Eliminierung von Wasserstoff zum entsprechendenarachno-Boran.[25]
Nido-Pentaboran(9) reagiert mit zwei Äquivalenten Trimethylphosphin unter Adduktbildung und ohne Eliminierung von Wasserstoff zum entsprechendenhypho-Boran.[15]
In analoger Weise reagiertnido-Pentaboran(9) mit zwei Äquivalenten Na[BEt3H] unter Bildung deshypho-Hydridoborats B5H112−.[26]
Einige höhere Borane, insbesondere solche mit verbrückenden Wasserstoffatomen, können mit geeignetenProtonenakzeptoren deprotoniert werden. Dabei nimmt die Acidität mit der Clustergröße zu undarachno-Borane sind acider alsnido-Borane. So lässt sich beispielsweisenido-Pentaboran(9) mit Alkyllithium-Verbindungen oder den Alkalimetallhydriden NaH bzw. KH zum entsprechenden Mono-Anion deprotonieren.[15]
Das gegenübernido-Pentaboran(9) aciderenido-Decaboran(14) mit einem pKs-Wert von 2,70 lässt sich bereits mit Hydroxid-Ionen zum Mono-Anion B10H13− deprotonieren. Ein weiteres Proton lässt sich mit stärkeren Basen wie Natriumhydrid unter Bildung des Dianions B10H122− abspalten.[27][28]
Nido-Borane wieDecaboran(14) oderPentaboran(9) werden von starken Reduktionsmitteln unter Aufnahme von zwei Elektronen zu den entsprechenden dianionischenarachno-Hydridoboraten reduziert.
Im Falle des Reduktionsprodukts vonnido-Pentaboran(9) konnte gezeigt werden, dass durch die zweifache Protonierung des Dianions B5H92− dasarachno-Pentaboran(11) erhalten werden kann.[29]
Das Borangerüst kann durch Reduktion oder durch die Addition von Lewis-Basen geöffnet werden. Eine Öffnung des Borangerüsts meint hierbei einen Schritt in der Richtungcloso →nido →arachno →hypho. Dabei wird das Borangerüst durch die Aufnahme von zwei Elektronen bzw. durch die Addition einer Lewis-Base jeweils um eine Stufe geöffnet. Bzgl. Beispielen für Clusteröffnungen siehe die Abschnitte „Reaktion mit Lewis-Basen“ und „Reaktion mit Reduktionsmitteln“ weiter oben.
Unter Abspaltung von Wasserstoff erfolgt die Überführung des Borangerüsts in eine geschlossenere Form unter Beibehaltung der Anzahl der Boratome. Eine Überführung des Borangerüsts in eine geschlossenere Form meint hierbei einen Schritt in der Richtunghypho →arachno →nido →closo. Das folgende Beispiel zeigt die Herstellung einescloso-Borans aus einemnido-Boran durch Eliminierung von Wasserstoff:
Durch Umsetzung von neutralen Boranen mit Tetrahydridoborat BH4− bzw. durch Umsetzung von neutralen Boranen oder anionischen Boranen mit Diboran(6) kann die Zahl der Boratome des Borangerüsts erhöht werden.[30]
Durch Umsetzung mit Basen lassen sich Borangerüste verkleinern.[31]
Durch Umsetzung vonnido-Pentaboran(9) mit Cl2/AlCl3 entsteht 1-Chloro-nido-pentaboran(9) unter Substitution des endständigen Wasserstoffatoms an der Pyramidenspitze. Analoge halogenierte Derivate von Pentaboran(9) werden auch durch die Umsetzung mit Br2 oder I2 bzw. alkylierte Derivate durch Umsetzung mit Alkylchloriden (RCl) in Kombination mit Aluminiumchlorid (RCl/AlCl3) erhalten.[15]
In gleicher Weise werden die Wasserstoffatome an den Boratomen 1–4 vonnido-Decaboran(14) unter Bildung von B10H14-nXn (X = Cl, Br, I) substituiert. Die Alkylierung dieser Boratomen vonnido-Decaboran(14) ist ebenfalls wie beinido-Pentaboran(9) möglich.
Natriumborhydrid wird nach demSchlesinger-Verfahren ausBorsäuretrimethylester undNatriumhydrid hergestellt.[7]
DerTetrahydrofuran-Komplex von Monobran BH3·THF kann leicht ausNatriumtetrahydridoborat NaBH4 und elementaremIod hergestellt werden.[32]
Diboran(6) entsteht in nahezu quantitativer Ausbeute bei der Umsetzung vonBortrichlorid mit einer Lösung vonLithiumtetrahydroaluminat inDiethylether:
Technisch wird Diboran(6) durch Umsetzung von gasförmigemBortrifluorid mitNatriumhydrid bei einer Temperatur von 180 °C gewonnen:
Bzgl. weiterer Herstellungsverfahren für Diboran(6):
Die Bildung vonTetraboran(10),Pentaboran(9), Pentaboran(11) undDecaboran(14), welche die Hauptprodukte der Thermolyse von Diboran B2H6 darstellen, lässt sich jeweils hinsichtlich der hauptsächlichen Bildung eines dieser Borane optimieren. Beispielsweise kann man Decaboran(14) in guter Ausbeute durch Pyrolyse von Dioran(6) bei einer Temperatur von 160–200 °C in Gegenwart katalytischer Mengen einer Lewis-Base wieDimethylether herstellen.
B12H122− lässt sich aus Bortrioxid, Natrium und Wasserstoff bei 600–850 °C im Autoklaven herstellen:
Am besten wird Dodecahydrido-closo-dodecaborat B12H122− durch Umsetzung von Diboran(6) nitNatriumtetrahydridoborat NaBH4 bei einer Temperatur von 180 °C gewonnen:
Eine wichtige Analysemethode zur Bestimmung der Struktur der höheren Borane ist die11B-NMR-Spektroskopie. Sie gibt Auskunft über die Anzahl bzgl. der Molekülsymmetrie verschiedener Boratome im Borangerüst und über deren Anteile. Zudem erhält man aus der Kopplung der gebundenen Wasserstoffatome und die damit einhergehende Aufspaltung der Signale in den nicht-entkoppelten Spektren die Information, ob das entsprechende Boratom in Form einer BH- (Dublett-Aufspaltung) bzw. BH2-Gruppe (Triplett-Aufspaltung) oder ohne direkt gebundenes Wasserstoffatom (Singulett – keine Aufspaltung) vorliegt.[33]
Ausgehend von Boranen lassen sichCarborane mit zwei Kohlenstoffatomen im Clustergerüst durch deren Umsetzung mitAlkinen herstellen. So entstehen beispielsweisecloso-Dicarbadodecaborane (RR'C2B10H10) durch Umsetzung von Alkinen der Formel RR'C2 mitnido-Decaboran(14) (B10H14).[25]
BeiHydroborierungen wird formal Monoboran, welches unter anderem in der Form vonDiboran oder in der Form des THF-Addukts von Monoboran eingesetzt wird, an Alkene addiert. Hiermit lassen sich durch die Umsetzung von Monoboran mit Alkenen im Verhältnis 1:1 bis 1:3 Mono-, Di- und Trialkylborane (RBH2, R2BH und R3B) herstellen. Bekannte Produkte dieser Reaktion sindTriethylboran, welches durch Umsetzung von Diboran oder des THF-Addukts von Monoboran mitEthylen entsteht und das bicyclische9-BBN, welches durch Umsetzung von Monoboran mit dem cyclischen Diolefin1,5-Cyclooctadien entsteht.
In derorganischen Synthese stellen die durch Hydroborierung hergestellten Alkylborane Zwischenprodukte bei der Herstellung von funktionalisierten Alkanen dar. Bei der Umsetzung von Monoboran mit unsymmetrischen Alkenen bilden sich Alkylborane, bei denen die Borylgruppe an das weniger stark verzweigte Kohlenstoffatom der Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindung gebunden wird. Die gebildeten Alkylborane lassen sich in einer Folgereaktion in substituierte Alkane umwandeln, zum Beispiele in Alkohole. Im Fall der Herstellung eines Alkohols bilden sich Alkohole, bei denen Wasser formal in einerAnti-Markownikow-Addition an ein Alken addiert wurde, das heißt die Hydroxylgruppe ist an das andere C-Atom der C=C-Doppelbindung als bei einer direkten Addition von Wasser gebunden.[34]
In der Form von u. a. Diboran oder Tetrahydroboraten wieNatriumborhydrid,Lithiumborhydrid werden Borane in der organischen Synthese als Reduktionsmittel eingesetzt. Ein Beispiel ist die Herstellung vonAlkoholen ausgehend vonCarbonsäureestern,Aldehyden oderKetonen.[35]
Amminboran BH3·NH3, das Addukt vonAmmoniak an Monoboran, wird als mögliche Quelle für Wasserstoffgas für Fahrzeuge diskutiert. Dabei wird der Wasserstoff durch Erhitzung aus dem Amminboran freigesetzt.
Borane besitzen eine höhere Energiedichte als konventionelle Treibstoffe auf der Basis von Kohlenwasserstoffen. In den 1950er Jahren entwickelte die US Air Force Treibstoffe für Strahl- und Raketentriebwerke zur Erhöhung der Reichweite unter dem NamenHigh-Energy-Fuels (abk: HEF), die alkylierte Borane als Additive enthielten. Die entwickelten Borane waren Ethyldiboran, Propylpentaboran, Ethyldecaboran, Methyldecaboran und Ethylacetylenedecaboran. Die Entwicklungsarbeiten auf diesem Gebiet wurden aber 1959, wegen unterschiedlicher Probleme eingestellt. Die Borane sind geruchsintensiv, giftig und teuer und die festen Verbrennungsprodukte führten zu Problemen an den Triebwerken, da diese klebrig, korrosiv und im Falle des gebildeten Borcarbids abrasiv sind.