Besitz (lateinischpossessio) bezeichnet in der juristischen Fachsprache die tatsächliche Herrschaft über eineSache, abgegrenzt gegenüberEigentum (lateinischdominium), das die rechtliche Herrschaftsmacht meint. Mit Besitzausübung hatjemand die Sachein seiner Gewalt, wobei es auf die Rechtmäßigkeit oder die Unrechtmäßigkeit der Besitzausübung (etwa aufgrund wirksamen Mietvertrags oder aufgrund unrechtmäßiger Aneignung) nicht ankommt.
Der BegriffBesitz setzt grundsätzlichBesitzwillen voraus, wobei zwischen Eigenbesitzwille(animus rem sibi habendi) (in Deutschland beispielsweise geregelt in§ 872 BGB) und Fremdbesitzwille unterschieden wird, je nachdem, ob der Besitzer die Sache „als ihm gehörend“ betrachtet oder im Rahmen einesBesitzmittlungsverhältnisses „als fremde“ Sache besitzen will.
Allgemeinsprachlich werden Besitz und Eigentum inhaltlich häufig – juristisch unzutreffend –synonym verwendet.
Die kontinentaleuropäische Besitzrechtslehre wurzelt imrömischen Recht. Dieses unterschied zwischen zivilrechtlichem Besitz(possessio civilis) kraft wirksamen Besitzerwerbs(iusta causa) und natürlichem Besitz(possesio naturalis), bei dem die Ausübung der bloßen Sachherrschaft genügte. Historischer Ausgangspunkt derpossessio war wohl, dass es zunächst kein Privateigentum gab, aus dem Besitzansprüche hätten hergeleitet werden können. Die Herrschaft über den Boden übte vielmehr derSippenverband, später der Staat (populus Romanus), hoheitlich aus. Die Vorteile aus Besitztum blieben aber erhalten, als öffentliches in Privatland übergeführt wurde. Besitz bedeutete imaltrömischen Recht kein Rechts- sondern ein faktisches Ausübungsverhältnis. Besitzschutz wurde durch administrativesInterdikt erlangt.[1]
Vielgestaltiger wurde der Besitzbegriff zu Zeiten desHeiligen Römischen Reichs (HRR) im Geltungsbereich desGemeinen Rechts. Hier beeinflussten daskanonische Recht und in der Endphase des HRR die drei großenNaturrechtskodifikationen, darunter etwa dasAllgemeine preußische Landrecht und derCode civil, den Besitzbegriff. Nach dem Untergang des HRR im Jahr 1806, richteteFriedrich Carl von Savigny – Mitbegründer derHistorischen Rechtsschule – das Rechtsinstitut methodisch neu aus. Seine Vorgaben flossen in Deutschland in dasBürgerliche Gesetzbuch (BGB) ein.
Besitzerwerb und Besitzausgabe unterlagen gegenüber dem heutigen Verständnis abweichenden Voraussetzungen. Vergleichbar dem deutschen Recht heute, konnte imantiken Rom Eigentumgutgläubig, das heißt von einem Nichtberechtigten erworben werden (Ersitzung). Hierfür musste der gute Glaube lediglich zum Zeitpunkt der Besitzbegründung (Besitz als Rechtsscheinträger) vorliegen. ImMittelalter wurde dann verlangt, dass der gute Glaube während der gesamten Besitzdauer vorliegt. Besitz wurde somit unrechtmäßig, wenn nach dem ErwerbBösgläubigkeit einsetzte. Ausgeschlossen waren außerdemHerausgabeansprüche, wenn ein Besitzer den Besitz an einer Sache aufgab. Auf die Wurzeln des römischen Rechts zurückgreifend, wurde in der Folge die „Lehre vom gutgläubigen Eigentumserwerb“ entwickelt. Besitzschutzmaßnahmen hingegen verbesserten sich imGemeinen Recht gegenüber der Antike, denn auch Besitzmittler (Mieter, Pächter) erhielten zum Schutze ihres (mittelbaren) Besitzes Abwehrrechte (Spolienklage). Insbesondere solltenSelbsthilfemaßnahmen vermieden, zumindest eingeschränkt werden. Ab dem 19. Jahrhundert entwickelte sich daraus das Institut deseinstweiligen Rechtsschutzes.
An Savigny anknüpfend wurde im 19. Jahrhundert die Frage diskutiert, ob Besitz ein Recht oder bloßes Faktum (tatsächliche Sachherrschaft) sei.[2] Um die Rechtsordnung vor einer „Legitimation“ durchDiebstahl zu schützen, wurde dem Besitz Rechtscharakter dann zugewiesen, wenn beim Berechtigten auch ein „Wille zum Besitz“ vorlag. Damit verbunden war die Frage, ob Besitzsachenrechtlicher (Lehre seitBaldus),obligatorischer (Savigny) oder eigenständig an die Persönlichkeit gebundener (Puchta) Natur war.
Der Besitzer muss ein Näheverhältnis zu einer Sache haben, diese also in seiner Macht oder in seinem Gewahrsam haben, d. h. „tatsächliche Gewalt über die Sache“(corpus) haben.[3] Zudem muss der BesitzerBesitzwillen über die Sache ausüben(animus possidendi, animus rem sibi habendi).
Auf einen Rechtsgrund kommt es hierbei nicht an. Auch der Dieb einer Sache ist nach dieser Definition Besitzer der Sache. Besitz ist keinsubjektives Recht.
Während der Besitz das tatsächliche Herrschaftsverhältnis einer Person zu einer Sache bezeichnet, bezeichnet das Eigentum das rechtliche Herrschaftsverhältnis einer Person zu einer Sache. Der Eigentümer ist kraft seines Eigentums berechtigt, über die Sache frei zu verfügen und andere von jeder Einwirkung auf diese auszuschließen, soweit nicht Gesetze oder Rechte anderer Personen dem entgegenstehen. So kann der Eigentümer (der rechtliche Sachherrscher) vom Besitzer (dem tatsächlichen Sachherrscher) die Herausgabe der Sache und damit die Einräumung der tatsächlichen Sachherrschaft verlangen und gerichtlich durchsetzen, soweit der Besitzer kein Recht zum Besitz geltend machen kann.
Im Gegensatz zum Besitz braucht die abstrakte Herrschaftsgewalt des Eigentums keinen direkten Bezug zwischen Person und Sache. So kann eine in Europa lebende Person Eigentum an einem Mietshaus in Japan haben, ohne unmittelbaren Besitz an diesem zu haben. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einemBesitzmittlungsverhältnis. Der Mieter in Japan wäreunmittelbarer Besitzer (Fremdbesitzer), der Eigentümer in Europamittelbarer Besitzer (Eigenbesitzer).
Laien verwechseln oft die BegriffeBesitz undEigentum oder halten sie von vornherein für gleichbedeutend. Folgerichtig verzeichnet beispielsweise derDuden – kein juristisches Fachwörterbuch, sondern ein Wörterbuch des allgemeinenSprachgebrauchs – unter denSynonymen des StichwortsBesitz auchEigentum. Entsprechend wird beim StichwortEigentum unter anderemBesitz als Synonym angegeben.[4] Dabei lässt sich anhand einesDiebstahls der Unterschied auch für den Laien relativ einfach erklären: Wenn jemand einem anderen einen Mantel (z. B. aus einer Garderobe) stiehlt, ist der Dieb zwar anschließend imBesitz des Mantels, aber der Mantel ist nicht seinEigentum; das heißt, ein Dieb istBesitzer, aber niemalsEigentümer.
Gelegentlich wird auch in wissenschaftlichen Texten der BegriffBesitz im Sinne vonEigentum benutzt. Dies liegt unter anderem daran, dass es verschiedeneEigentumstheorien gibt. In historischen Zusammenhängen und auf bestimmte Gesellschaften bezogen ist eine Anwendung der BegriffeBesitz undEigentum im modernen Sinne nicht möglich.[5]
Umgangssprachlich und wissenschaftlich außerhalb der juristischen Fachsprache bezeichnet „Besitz“ auch die Dinge, über die man unmittelbareVerfügungsgewalt hat: dieHabe, rechtlich dieInnehabung oder einSachinbegriff.