Movatterモバイル変換


[0]ホーム

URL:


Zum Inhalt springen
WikipediaDie freie Enzyklopädie
Suche

Bürgertum

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet vonBürgerlichkeit)
Dieser Artikel ist eine Weiterleitung vonbürgerlich. Zum Gebrauch vonbürgerlich bei Personennamen sieheRealname#Bürgerlicher Name.
Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer grundsätzlichen Überarbeitung. Näheres sollte auf derDiskussionsseite angegeben sein. Bitte hilf mit, ihn zuverbessern, und entferne anschließend diese Markierung.
Bürgerliche Hochzeit (1933)

UnterBürgertum versteht man eine historisch unterscheidbare Form derVergesellschaftung von Mittelschichten, sofern diese aufgrund besonderer, mehr oder minder gemeinsamer Interessen ähnliche handlungsleitende Wertorientierungen und soziale Ordnungsvorstellungen ausbilden und damit auch die politische Stabilität eines Landes beeinflussen.

Begriff

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
Hauptartikel:Mittelschicht

Das Wort Bürgertum (Bürger) (im Sinn der Bezeichnung für eine Bevölkerungsgruppe) geht auf das mittellateinischenburgus zurück, einer von Stadtmauern geschützten (geborgenen) Ansiedlung, die mit besonderenPrivilegien, u. a. dem Marktrecht ausgestattet ist. Kaufleute und Handwerker bilden den prägenden Anteil dieser Ansiedlungsbevölkerung. Diese Bevölkerungsgruppe unterlag im Lauf der Geschichte einem starkensozialgeschichtlichen Wandel und hat dabei deutlich diverse Unterformen ausgeprägt.

Der Begriff des Bürgertums hat aufgrund dieser Diversität in Zusammensetzung, Abgrenzung und unterschiedlicher geschichtlicher Entwicklungen unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen. Es gibt also nicht das eine Bürgertum, dass unter diesem Begriff als einziges verstanden wird. Es ist hierbei immer auf verschiedene zeitliche und örtliche Gegebenheiten zu achten.

Das Bürgertum kann deshalb aufgrund seiner Heterogenität von der Forschung nur schwer einheitlich definiert werden. Es gibt jedoch gewisse Charakteristika die annäherungsweise zur Definition herangezogen werden. So etwa der Erwerb beziehungsweise die Wahrung von Besitz von Rechten, von materiellen Gütern und der von Bildung, Diesem materiellen und immateriellen Besitz wird kennzeichnende Bedeutung beigemessen, wenn es darum geht, zu beschreiben, was unter Bürgertum zu verstehen ist (entweder als Fremd- oder Eigenzuschreibung).[1]

Ein Beispiel für eine andere Definition des Begriffs Bürgertum stellt dessen Verwendung im Rahmen derPolitischen Ökonomie desMarxismus dar. Innerhalb der Theorie derGesellschaftsformation desKapitalismus üben gewisse Gesellschaftsgruppen Verfügungsgewalt über diegesellschaftlichen Produktionsmittel aus. Als Bezeichnung für diese Gesellschaftsgruppe ist der BegriffBourgeoisie (d. h. Besitzbürgertum) üblich. Dieser ist hier dann auch eher negativ konnotiert.

Zur Soziologie des Bürgertums

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
Die Testamentseröffnung (David Wilkie, 1820)

In derSoziologie wird geschichtlich das Bürgertum gegenüber demAdel und demKlerus sowie gegenüber denBauern und denArbeitern als gesellschaftliche Schicht abgegrenzt. Es umfasst in sich oft heterogene Sozialgruppen, die sich entweder durch formale Berufsvorbereitung (Bildung bzw.Ausbildung) oder durch wirtschaftliche Selbständigkeit auszeichnen und dadurch im Lauf der Geschichte bestimmte politische Vorrechte (wieSelbstverwaltung) sowie Chancen zur Kontrolle sozialer Machtmittel erlangten.

„Bürgertum“ ist die zusammenfassende Bezeichnung für eine vielschichtig strukturierte, im Einzelnen nur schwer abgrenzbare Gesellschaftsschicht zwischen den traditionellen Oberschichten (Hochadel,Adel undPatriziat sowie dem oft aus ihnen hervorgegangenen hohenKlerus) und den historischenUnterschichtsgruppen desBauernstandes und derArbeiterschaft. Sie setzt sich im Wesentlichen zusammen aus den Teilschichten desGroßbürgertums (darunter vor allem den größerenKaufleuten), desBildungsbürgertums (darunter vor allem Pastoren, Universitätsprofessoren und höheren Beamten) sowie desKleinbürgertums (der unteren Mittelschicht, darunter kleinen Kaufleuten, einfachen, mittleren und gehobenen Beamten einschließlichLehrern,leitenden Angestellten sowie selbständigenHandwerkern).

Seit derindustriellen Revolution wird das Bürgertum meist derMittelschicht zugeordnet, während man unter demMittelstand die Berufsgruppe der Fabrikanten (kleine und mittlere Unternehmen) versteht, die oft über ein überdurchschnittliches Einkommen und Vermögen verfügt und historisch häufig aus dem Handwerkerstand hervorging. Da das Bürgertum aus heterogenen Schichten besteht, war der Prozess derVergesellschaftung, einschließlich der Herausbildung einerGruppenidentität, problematischer als bei homogeneren sozialen Kategorien (wie Adel[2] oderProletariat). (Zur Frage der Entwicklung einesKlassenbewusstseins bzw. der „Klasse an sich“ und „Klasse für sich“ vgl.:Das Elend der Philosophie vonKarl Marx, 1847). Strikt genommen ist die Tatsache, dass in einer bestimmten Gesellschaft eine Mittelschicht existiert, noch nicht ausreichend, um auf die soziale und kulturelle Existenz eines Bürgertums schließen zu können. Voraussetzung ist beim Bürgertum eine hinreichend ausdifferenzierteSozialstruktur der Gesellschaft; außerdem müssen sich dort auf seine Interessenlage abgestimmte Ordnungsvorstellungen durchgesetzt haben – z. B.:Wirtschaftsliberalismus für das Besitzbürgertum (Großbürgertum undBourgeoisie) – oder Aufklärung, Bildung und Freiheit der persönlichen Lebensführung, der Kunst und der Wissenschaft beimBildungsbürgertum.

Entstehung und Wandel des Bürgertums

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
Das Lesekabinett (Johann Peter Hasenclever, 1843)

In der Zeit des abendländischenFeudalismus erkämpfte sich das Bürgertum in Abgrenzung zuKönigtum,Kirchenfürsten, Adel und Bauern seine bürgerlichen Freiheiten. Der Prozess begann am Ende des Mittelalters und hielt in Teilen des östlichen Europas bis ins 19. Jahrhundert an. Die konfliktären Vorgänge hierzu werden alsFrühbürgerliche Revolutionen und später alsBürgerliche Revolutionen bezeichnet. Im deutschen Kulturraum vollzog sich dieser Etablierungsprozess zunächst in denreichsunmittelbaren Städten (Reichsstädten), wie auch in denHansestädten, gestützt auf kaufmännischeGilden (die zumeist von der seit demHochmittelalter entstehenden Oberschicht des kaufmännischenPatriziats beherrscht wurden) und handwerklichenZünften, die untereinander schon früh um die Macht in den städtischenRatsorganen konkurrierten. Die im Zeitalter derAufklärung formulierten und u. a. in der Französischen Revolution von den Bürgern erkämpftenBürgerrechte gelten heute alsMenschenrechte.

Eine erste moderne Definition zu den rechtlichen Bestimmungen des Bürgerstandes stammt aus dem Jahre 1794 und findet sich imAllgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten(ALR) Zweyter Theil. Achter Titel. Erster Abschnitt. Vom Bürgerstande überhaupt:

§ 1. Der Bürgerstand begreift alle Einwohner des Staats unter sich, welche, ihrer Geburt nach, weder zum Adel, noch zum Bauernstande gerechnet werden können, und auch nachher keinem dieser Stände einverleibt sind.
§ 2. Ein Bürger im eigentlichen Verstande wird derjenige genannt, welcher in einer Stadt seinen Wohnsitz aufgeschlagen, und daselbst das Bürgerrecht gewonnen hat.
§ 3. Personen des Bürgerstandes in und außer den Städten, welche durch ihre Ämter, Würden, oder besondere Privilegien, von der Gerichtsbarkeit ihres Wohnortes befreyt sind, werden Eximierte genannt. […]
§ 5. Einwohner der Städte, welche weder eigentliche Bürger, noch Eximierte sind, heißen Schutzverwandte.
§ 6. Bürger und Schutzverwandte der Stadt werden nach den Statuten ihres Wohnorts, Eximierte hingegen nach den Provinzialgesetzen, und in deren Ermangelung, nach dem allgemeinen Gesetzbuche beurtheilt.

Bürgerrecht war also einständisches Recht. Es wurde durch Geburt erworben oder an solche Bewerber verliehen, die es beantragten und wichtige Bedingungen erfüllen mussten. Waren sie leistungsfähig und verfügten sie über Vermögen, waren sie willkommen. Das Allgemeine Landrecht verweist mit dieser Definition bereits auf drei Grundarten des Bürgerbegriffs: Stadtbürger (Handwerksmeister, wohlhabende Kaufleute, Ladenbesitzer, Gastwirte – insgesamt auch als Kleinbürger bezeichnet),Bildungsbürger im Staatsdienst (Eximierte) und Wirtschaftsbürger oder Bourgeois (ebenfalls Eximierte).

Im Laufe des 19. Jahrhunderts erweiterte sich dann der „Bürger“-Begriff, immer stärker wurde auch nach der Stellung im Beruf gefragt. Durch den Prozess der Verbürgerlichung können immer wieder neue Schichten in das Bürgertum hineingezogen werden (bspw. höhere Angestellte). Ausschlag hierfür ist das Ausmaß, inwieweit diese Schichten Selbständigkeit und Zugang zu gesellschaftlichen Machtmitteln gewinnen (Autonomie undAutokephalie lautMax Weber).

Bürgerlichkeit als soziale und kulturelle Erscheinung

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]

Die Idee derbürgerlichen Gesellschaft wurde in der Epoche der Aufklärung entwickelt, fand aber bereits erste günstige Entwicklungsbedingungen in der „okzidentalen Stadt“ (laut Max Weber). Sie wurde zunächst alsStand (in der FranzösischenRevolution von 1789 als der gesamtgesellschaftlich ausschlaggebende „Dritte Stand“), dann imMarxismus alsKlasse („Bourgeoisie“), zuletzt als stilbestimmendesMilieu aufgefasst, das in der Gegenwart zumindest inselhaft fortlebt und wirkt.

Eine weltgeschichtlich einzigartige Rolle spielte das Bürgertum bei der Transformation des Feudalismus und desAbsolutismus in Wirtschaft und Gesellschaft durch seine Ideen vonDemokratie (Volkssouveränität), Menschenrechten,Rechtsstaat undLiberalismus. Im Bereich der Dichtung und des Theaters emanzipierte es sich, indem es dasbürgerliche Trauerspiel als Genre durchsetzte. In seiner 1962 erschienenen HabilitationsschriftStrukturwandel der Öffentlichkeit beschreibt der Philosoph und SoziologeJürgen Habermas das Bürgertum als eine gesellschaftliche Formation, die eine neue Form derÖffentlichkeit, ein neues Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft und so schließlich die Entstehung der modernenMassengesellschaft herbeiführte.

Das Bürgertum prägte in der Zeit desFrühkapitalismus die „bürgerliche Weltanschauung“ aus, die eng mit den „bürgerlichen Tugenden“ Leistung, Fleiß und Sparsamkeit verbunden ist. Dabei formten die bürgerlichen Intellektuellen sich zu einem entweder staatlich alimentierten oder freiberuflichenBildungsbürgertum, das teilweise auch Kritik an den vorherrschenden bürgerlichen Vorstellungen und Ideen zu formulieren vermochte.

Das bereits seit der Mitte des 18. Jahrhunderts breiter werdende deutsche Bürgertum, das mit derIndustriellen Revolution an Wohlstand und Einfluss gewann, wurde in der repressiven Zeit desVormärz politisch bewusst und dann auch aktiv, wobei derLiberalismus – wie in den Nachbarländern – seinen Interessen in natürlicher Weise entsprach. Die von ihm initiierte1848er Revolution scheiterte aber dann unter anderem an der Uneinigkeit des deutschen Bürgertums, das trotz seiner grundsätzlich liberalen Zielrichtung sich in zahlreiche politisch rivalisierende Einzelbewegungen aufsplitterte, die jeweils andere Akzente in den Vordergrund rückten: vonNationalkonservativen überKlerikalkatholische,Nationalliberale,Freisinnige bis hin zuLinksliberalen. Wesentliche Triebfeder hierfür waren nicht in erster Linie – wie vomMarxismus betont – ökonomische Interessengegensätze, sondern vor allem ein dem Bildungsbürgertum immanenter geistiger Habitus, der stets mittels Selbstkritik nachSelbsterkenntnis strebte – nach heutigen Begriffen „Selbstoptimierung“ –, was aber zugleich immer wieder die Herausbildung einer dauerhaftenGruppenidentität konterkarierte.

DiePromenadeUnter den Linden als Treffpunkt des Berliner Bürgertums, dargestellt in Adolph Menzels GemäldeAbreise König Wilhelms I. zur Armee am 31. Juli 1870

Nach dem Scheitern der 48er-Revolution zog das Bürgertum sich aus der Politik zunächst weitgehend zurück und kehrte erst in den 1860er Jahren in das öffentliche Leben zurück. Der sich daraus ergebende Unterschied in der innenpolitischen Entwicklung Deutschlands und z. B. Frankreichs (und das Verharren Russlands – wo es ein gebildetes Bürgertum kaum gab – imAbsolutismus andererseits) wird oftmals als Ursache für die Logik eines „deutschen Sonderweges“ – zum Beispiel vonHans-Ulrich Wehler – gesehen, und auch zu den ideologischen Faktoren für denErsten Weltkrieg gezählt.

Signifikant ist die Unterscheidung zwischen den französischen BegriffenCitoyen (etwa:Staatsbürger, Bildungsbürger) undBourgeois (etwa: Besitzbürger, Herrschaftsbürger). Dergebildete Citoyen denkt im Gegensatz zum typischen Besitzbürger nicht nur an sich selbst und das Geld, wobei ein überdurchschnittliches Einkommen bzw. Vermögen in diesenKreisen meist vorausgesetzt wird. AlsKapital wird in diesen Kreisen das Vorhandensein vonWissen,Beziehungen und Verbindungen verstanden, was sie als das ursprünglichere und bedeutendere Kapitalvermögen begreifen als das Geldkapital.

Während diekommunistische Kritik einerseits dieBourgeoisie als Klassenfeind der Arbeiter definierte und dabei „Kleinbürger“ als zwischen den Klassenfronten politisch hin und her schwanken sah, wurde der Begriff des Bürgers noch in anderen Zusammenhängen negativ besetzt, wie die Ausdrücke „Verbürgerlichung“ oder „verbürgerlichtes Christentum“ deutlich machen. Gleiches gilt für den von Studenten und derJugendbewegung übernommenen Begriff des „Spießbürgers“, ein aus dem Jargon der Ritterheere stammendes Schimpfwort. In den Niedergang des (z. B.„viktorianischen“ oder „wilhelminischen“) Bürgertums im späten 19. Jahrhundert gehört bereits das sich – teils vom Adel her – verbreitende Ideal, dass die Frau nur noch Repräsentationspflichten besitze und den Haushalt allenfalls noch beaufsichtigte. Für die Hausarbeit gab esPersonal. So hatte die bürgerliche Frau Zeit, dem Geld verdienenden Mann die bürgerlichenBildungsanstrengungen abzunehmen, die Geselligkeit in den jeweiligen Verkehrskreisen zu organisieren, ggf. auch wohltätig zu sein.

Mit Blick auf dengesellschaftlichen Wandel wird schon seit der Mitte des20. Jahrhunderts die Ansicht vertreten, dass das Bürgertum als beispielgebenderLebensstil insgesamt zu Ende gegangen sei. Insbesondere in Deutschland führten soziale Umbrüche durch die beidenWeltkriege, durchDiktaturen undWährungsreformen, durch dieJudenverfolgung imDritten Reich und die antibürgerliche Ideologie desKommunismus in derDDR, zur wiederholten Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse,[3] zum Abstieg oder zur Vertreibung alter und zum Aufstieg neuerEliten, oft ausbildungsfernen Ursprüngen (Kleinbürger,Handwerker,Lohnarbeiter), und schließlich zum Entstehen neuer gesellschaftlicher Strukturen, die mit Schlagworten wie „Nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ oder „Zwei-Drittel-Gesellschaft“ charakterisiert werden. Hervorgegangen sei eine „nachbürgerliche“ Gesellschaft vonAngestellten,Beamten und anderen Gruppierungen, die im Wesentlichen in einer breiten neuenMittelschicht verschmolzen seien und sich ungeachtet ihrer Wurzeln im Bürgertum im Stil nicht vom allgemeinen Stil derIndustriegesellschaft unterschieden. Dies schließt nicht aus, dass tradierte bürgerliche Lebensstile immer noch vorkommen, meist als Familienstile. Im politischen Bereich werden heute vor allemkonservative,christdemokratische undliberale Parteien derpolitischen Mitte sowie des mitte-rechts-Spektrums häufig als„bürgerliche Parteien“ bezeichnet.

Globalisierung undDigitalisierung führen im21. Jahrhundert zu neuen gesellschaftlichen Umwälzungen: NachDavid Goodhart stehen heute zunehmend denAnywheres dieSomewheres gegenüber:[4] Neue, digital kompetente, beruflich erfolgreiche, gesellschaftlichprogressiv gesinnte (im fließenden Übergang liberale,linksliberale odergrüne) Eliten, „Weltbürger“ (allerdings fokussiert auf digitale Trends und ohne die umfassende Bildung deshumboldtschen Bildungsideals), deren Arbeits- und Kommunikationsfeld die ganze Welt ist, steigen auf, während beruflich, sozial oder regional „Abgehängte“ im Abstieg begriffen oder von Abstiegsängsten erfüllt seien und daher angewiesen auf vertraute Umgebungen,traditionelle Lebensweisen und einen funktionierendenNationalstaat mit Sozial- und Sicherheitsleistungen. Zugleich werde „das oft national kodiertehochkulturelle Bildungswissen in der global verflüssigten, digital vernetzten Aufmerksamkeitsökonomie radikal entwertet“,[5] was – nachCornelia Koppetsch – zu „neuen Ressentimentgemeinschaften“ führen kann, zwischen materiell Deklassierten und „altmodischen Gebildeten“, die kulturelle Verlusterfahrungen machen.[6]

Feudalisierung

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es im kaiserlichen Deutschland ausgehend von Teilen des Großbürgertums, dann auch in Teilen des Mittel- und Kleinbürgertums, zu einer sogenannten „Feudalisierung“, d. h. zu dem Streben Teil der Adels-Klasse zu werden, welche zurKontinuität des deutschen Nationalstaates von 1871 bis 1945 beitrug. Die Feudalisierung umfassteAnnahme des Adelstitels, Eheschließung mit Adligen, Annahme des Kommerzienratstitels und von Orden, Ernennung zum Herrenhausmitglied, Ankauf von Landgütern und Verwandlung zum Rittergutsbesitzer. In ideeller Hinsicht umfasste sie die Anerkennung des autoritären Obrigkeitsstaates, des Herr-im-Hause-Standpunktes, desMilitarismus und die schroffe Ablehnung von Demokratie, Sozialdemokraten und Gewerkschaften. Die Verehrung für Preußen und seine Armee wuchs, der Junker- und Offiziersdünkel wurde zum Vorbild, die Übernahme der Denkart des Junkers und der Kaserne manifestierte sich in der Gestalt des Reserveoffiziers. Am häufigsten sprachen auch die Zeitgenossen bei der Erwähnung dieser Phänomene, von denSchwerindustriellen, am wenigsten bei Leicht- und Fertigindustrie, Handel und Bankgewerbe. Tsutomu Kitani erklärt die Feudalisierung damit, dass durch BismarcksRevolution von oben die Junker ihre führende Rolle im Staat behielten und sich das Großbürgertum politisch mit der zweiten Stelle abfand, jedoch durchAkkumulation undKonzentration von Kapitalien zu einerOligarchie mit großen wirtschaftlichen und sozialen Einfluss aufstieg. Die unbegrenzte Macht des Obrigkeitsstaates schien ihnen ihre privilegierte Stellung besser zu schützen als der parlamentarische Liberalismus, vor allem in Hinblick auf den drohenden Aufstieg desSozialismus.[7]Marxisten sprechen von einem Klassenkompromiss zwischen Bourgeoisie und Adel.[8]

Siehe auch

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
Gustav Jungs Familie (1918)

Literatur

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]

Weblinks

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
Wiktionary: Bürgertum – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: bürgerlich – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

[Bearbeiten |Quelltext bearbeiten]
  1. Ursula Butz:Habsburg als Touristenmagnet. Bohlau, Wien 2021,ISBN 978-3-205-21373-4, Kapitel 2.3 Bürgertum,S. 50 ff. 
  2. Vgl. zu den bis heute existierenden Milieu-Unterschieden zwischen Adel und Bürgertum:Jens Jessen,Was vom Adel blieb. Eine bürgerliche Betrachtung, zu Klampen Essay 2018,ISBN 978-3-86674-580-3.
  3. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, München, 1987–2008, Band 4:Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949, 2003,ISBN 3-406-32264-6; Band 5:Bundesrepublik Deutschland und DDR 1949–1990, 2008,ISBN 978-3-406-52171-3.
  4. David Goodhart,The Road to Somewhere: The Populist Revolt and the Future of Politics. C. Hurst & Co, 2017,ISBN 978-1-84904-799-9.
  5. Süddeutsche Zeitung vom 2. Juli 2019, Rezension vonGustav Seibt zuCornelia Koppetsch:Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter, Transcript Verlag, Bielefeld 2019
  6. Cornelia Koppetsch:Die Gesellschaft des Zorns.Rechtspopulismus im globalen Zeitalter, Transcript Verlag, Bielefeld 2019
  7. Tsutomu Kitani:Die »Feudalisierung« des Großbürgertums. In: Joachim Hütter, Reinhard Meyers, Dietrich Pappenfuss:Tradition und Neubeginn. Internationale Forschungen zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Referate und Diskussionen eines Symposiums derAlexander-von-Humboldt-Stiftung. Köln, Berlin, Bonn, München 1975, S. 459 ff.
  8. Andreas Dorpalen:German History in Marxist Perspective. The East German Approach. London 1985, S. 230.
Normdaten (Sachbegriff):GND:4069722-8 (GND Explorer,lobid,OGND,AKS) |LCCN:sh85085013
Abgerufen von „https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Bürgertum&oldid=252396548#Bürgerlichkeit_als_soziale_und_kulturelle_Erscheinung
Kategorien:
Versteckte Kategorie:

[8]ページ先頭

©2009-2025 Movatter.jp