Graph einer Funktion (blau) und einerTangente an den Graphen (rot). DieSteigung der Tangente ist die Ableitung der Funktion an dem markierten Punkt.
DieDifferential- oderDifferenzialrechnung ist ein wesentlicher Bestandteil derAnalysis und damit ein Gebiet derMathematik. Zentrales Thema der Differentialrechnung ist die Berechnung lokaler Veränderungen vonFunktionen. Während einestetige Funktion ihren Eingabewerten kontinuierlich gewisse Ausgangswerte zuordnet, wird durch die Differentialrechnung ermittelt, wie stark sich die Ausgabewerte nach sehr kleinen Veränderungen der Eingabewerte ändern. Sie ist eng verwandt mit derIntegralrechnung, mit der sie gemeinsam unter der BezeichnungInfinitesimalrechnung zusammengefasst wird.
DieAbleitung einer Funktion dient der Darstellung lokaler Veränderungen einer Funktion und ist gleichzeitig Grundbegriff der Differentialrechnung. Anstatt von der Ableitung spricht man auch vomDifferentialquotienten, dessen geometrische Entsprechung dieTangentensteigung ist. Die Ableitung ist nach der Vorstellung vonLeibniz derProportionalitätsfaktor zwischeninfinitesimalen Änderungen des Eingabewertes und den daraus resultierenden, ebenfallsinfinitesimalen Änderungen des Funktionswertes. Eine Funktion wird alsdifferenzierbar bezeichnet, wenn ein solcher Proportionalitätsfaktor existiert.Äquivalent wird die Ableitung in einem Punkt als die Steigung derjenigenlinearen Funktion definiert, die unter allen linearen Funktionen die Änderung der Funktion am betrachteten Punkt lokal am bestenapproximiert. Entsprechend wird mit der Ableitung in dem Punkt eine lineare Näherung der Funktion gewonnen. DieLinearisierung einer möglicherweise komplizierten Funktion hat den Vorteil, dass eine einfacher behandelbare Funktion entsteht als die ursprüngliche Funktion.
In vielen Fällen ist die Differentialrechnung ein unverzichtbares Hilfsmittel zur Bildungmathematischer Modelle, die die Wirklichkeit möglichst genau abbilden sollen, sowie zu deren nachfolgender Analyse.
Das Verhalten von Bauelementen mit nicht-linearerKennlinie wird bei kleinen Signaländerungen in der Umgebung eines Bezugspunktes durch ihrKleinsignalverhalten beschrieben; dieses basiert auf dem Verlauf der Tangente an die Kennlinie im Bezugspunkt.
Die Ableitung nach der Zeit ist im untersuchten Sachverhalt diemomentane Änderungsrate. So ist beispielsweise die Ableitung der Orts- beziehungsweise Weg-Zeit-Funktion eines Teilchens nach der Zeit seineMomentangeschwindigkeit, und die Ableitung der Momentangeschwindigkeit nach der Zeit liefert die momentane Beschleunigung.
In den Wirtschaftswissenschaften spricht man auch häufig von Grenzraten anstelle der Ableitung, zum BeispielGrenzkosten oder Grenzproduktivität eines Produktionsfaktors.
In der Sprache derGeometrie ist die Ableitung eine verallgemeinerte Steigung. Der geometrische Begriff Steigung ist ursprünglich nur fürlineare Funktionen definiert, derenFunktionsgraph eine Gerade ist. Die Ableitung einer beliebigen Funktion an einer Stelle kann man als die Steigung derTangente im Punkt desGraphen von definieren.
In der Sprache derArithmetik schreibt man für die Ableitung einer Funktion an der Stelle. Sie gibt an, um welchen Faktor von sich ungefähr ändert, wenn sich um einen „kleinen“ Betrag ändert. Für die exakte Formulierung dieses Sachverhalts wird der BegriffGrenzwert oderLimes verwendet.
Fährt ein Auto auf einer Straße, so kann anhand dieses Sachverhalts eine Tabelle erstellt werden, in der zu jedem Zeitpunkt die Strecke, die seit dem Beginn der Aufzeichnung zurückgelegt wurde, eingetragen wird. In der Praxis ist es zweckmäßig, eine solche Tabelle nicht zu engmaschig zu führen, d. h. zum Beispiel in einem Zeitraum von 1 Minute nur alle 3 Sekunden einen neuen Eintrag zu machen, was lediglich 20 Messungen erfordern würde. Jedoch kann eine solche Tabelle theoretisch beliebig engmaschig gestaltet werden, wenn jeder Zeitpunkt berücksichtigt werden soll. Dabei gehen die vormalsdiskreten, also mit einem Abstand behafteten, abzählbaren Daten in einKontinuum über. DieGegenwart wird dann als Zeitpunkt, d. h. als ein unendlich kurzer Zeitabschnitt, interpretiert. Gleichzeitig hat das Auto aber zu jedem Zeitpunkt eine theoretisch bekannte Strecke zurückgelegt, und wenn es nicht bis zum Stillstand abbremst oder gar zurück fährt, wird die Strecke kontinuierlich ansteigen, also zu keinem Zeitpunkt dieselbe sein wie zu einem anderen.
Exemplarische Darstellung einer Tabelle, alle 3 Sekunden wird eine neue Messung eingetragen. Unter solchen Voraussetzungen können lediglich durchschnittliche Geschwindigkeiten in den Zeiträumen 0 bis 3, 3 bis 6 usw. Sekunden berechnet werden. Da die zurückgelegte Strecke stets zunimmt, scheint der Wagen nur vorwärts zu fahren.
Übergang zu einer beliebig engmaschigen Tabelle, die nach Eintragung aller Punkte die Gestalt einer Kurve annimmt.Jedem Zeitpunkt zwischen 0 und 60 Sekunden wird ein Punkt auf der Kurve zugeordnet. Regionen, innerhalb derer die Kurve steiler nach oben verläuft, entsprechen Zeitabschnitten, in denen eine größere Strecke pro Zeitspanne zurückgelegt wird. In Regionen mit nahezu gleich bleibender Strecke, zum Beispiel im Bereich 15–20 Sekunden, fährt das Auto langsam und die Kurve verläuft flach.
Die Motivation hinter dem Begriff derAbleitung einer Weg-Zeit-Kurve oder -Funktion ist, dass nun angegeben werden kann,wie schnell sich das Auto zu einem momentanen Zeitpunkt bewegt. Aus einem Weg-Zeit-Verlauf soll also der passende Geschwindigkeit-Zeit-Verlaufabgeleitet werden. Hintergrund ist, dass die Geschwindigkeit ein Maß dafür ist,wie stark sich die zurückgelegte Strecke im Laufe der Zeitändert. Bei einer hohen Geschwindigkeit ist ein starker Anstieg in der Kurve zu sehen, während eine niedrige Geschwindigkeit zu wenig Veränderung führt. Dajedem Messpunkt auch eine Strecke zugeordnet wurde, sollte eine solche Analyse grundsätzlich möglich sein, denn mit dem Wissen über die zurückgelegte Strecke innerhalb eines Zeitintervalls gilt für die Geschwindigkeit
Sind also und zwei unterschiedliche Zeitpunkte, so lautet „die Geschwindigkeit“ des Autos im Zeitintervall zwischen diesen
Die Differenzen in Zähler und Nenner müssen gebildet werden, da man sich nur für die innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls zurückgelegte Strecke interessiert. Dennoch liefert dieser Ansatz kein vollständiges Bild, da zunächst nur Geschwindigkeiten für Zeitintervalle mit auseinander liegendem Anfangs- und Endpunkt gemessen wurden. Einemomentane Geschwindigkeit, vergleichbar mit einemBlitzerfoto, hingegen bezöge sich auf einunendlich kurzes Zeitintervall. Dementsprechend ist der oben stehende Begriff „Geschwindigkeit“ durch „durchschnittliche Geschwindigkeit“ zu präzisieren. Auch wenn mit echten Zeitintervallen, also diskreten Daten, gearbeitet wird, vereinfacht sich das Modell insofern, als für ein Auto innerhalb der betrachteten Intervalle keine schlagartige Ortsänderung und keine schlagartige Geschwindigkeitsänderung möglich ist. (Auch eine Vollbremsung benötigt Zeit, und zwar länger als die Zeit, in der die Reifen quietschen.) Damit ist auch in der Zeichnung der stillschweigenddurchgehend eingetragene Kurvenzug ohne Sprung und ohne Knick gerechtfertigt.
Zum Zeitpunkt 25 Sekunden bewegt sich das Auto momentan mit ca. 7,6 Metern pro Sekunde, umgerechnet 27 km/h. Dieser Wert entspricht der Steigung der Tangente der Weg-Zeit-Kurve an der entsprechenden Stelle. Weitere detailliertere Erklärungen zu diesergeometrischen Interpretation werden weiter unten gegeben.
Soll hingegen zu einem „perfekt passenden“ Geschwindigkeit-Zeit-Verlauf übergegangen werden, so muss der Terminus „durchschnittliche Geschwindigkeit in einem Zeitintervall“ durch „Geschwindigkeit zu einem Zeitpunkt“ ersetzt werden. Dazu muss zunächst ein Zeitpunkt gewählt werden. Die Idee ist nun, „ausgedehnte Zeitintervalle“ in einemGrenzwertprozess gegen ein unendlich kurzes Zeitintervall laufen zu lassen und zu studieren, was mit den betroffenen durchschnittlichen Geschwindigkeiten passiert. Obwohl der Nenner dabei gegen 0 strebt, ist dies anschaulich kein Problem, da sich das Auto in kürzer werdenden Zeitabschnitten beistetigem Verlauf immer weniger weit bewegen kann, womit sich Zähler und Nenner gleichzeitig verkleinern, und im Grenzprozess ein unbestimmter Ausdruck „“ entsteht. Dieser kann unter Umständen als Grenzwert Sinn ergeben, beispielsweise drücken
exaktdieselben Geschwindigkeiten aus. Nun gibt es zwei Möglichkeiten beim Studium der Geschwindigkeiten. Entweder, sie lassen in dem betrachteten Grenzwertprozesskeine Tendenz erkennen, sich einem bestimmten endlichen Wert anzunähern. In diesem Fall kann der Bewegung des Autoskeine zum Zeitpunkt gültige Geschwindigkeit zugeordnet werden, d. h., der Ausdruck „“ hat hier keinen eindeutigen Sinn. Gibt es hingegen eine zunehmende Stabilisierung in Richtung auf einen festen Wert, soexistiert derGrenzwert
und drückt die exakt im Zeitpunkt bestehende Geschwindigkeit aus. Der unbestimmte Ausdruck „“ nimmt in diesem Fall einen eindeutigen Wert an. Die dabei entstehende Momentangeschwindigkeit wird auch als Ableitung von an der Stelle bezeichnet; für diese wird häufig das Symbol benutzt. Mit dem Grenzwert wird die Momentangeschwindigkeit zu einem beliebigen Zeitpunkt definiert als
Schaubild der Zeit-Strecke-Funktion (in Blau). Verstreicht eine Sekunde (in Rot), so nimmt die zurückgelegte Strecke um 2 Meter zu (in Orange). Daher bewegt sich das Auto mit „2 Meter pro Sekunde“. Die Geschwindigkeit entspricht derSteigung. DasSteigungsdreieck lässt sich beliebig verkleinern, ohne dass sich an der Proportion von Höhe und Grundseite etwas ändert.
Das Beispiel des letzten Abschnitts ist dann besonders einfach, wenn die Zunahme der zurückgelegten Strecke mit der Zeitgleichförmig, also linear verläuft. Dann liegt speziell eineProportionalität zwischen derVeränderung der Strecke und derVeränderung der Zeit vor. Dierelative Veränderung der Strecke, also ihre Zunahme im Verhältnis zur Zunahme der Zeit, ist bei dieser Bewegung immer gleichbleibend. Diemittlere Geschwindigkeit ist zu jedem Zeitpunkt auch diemomentane Geschwindigkeit. Beispielsweise legt das Auto zwischen 0 und 1 Sekunden eine gleich lange Strecke zurück wie zwischen 9 und 10 Sekunden und die zehnfache Strecke zwischen 0 und 10 Sekunden. Als Proportionalitätsfaktor über den ganzen Weg gilt die konstante Geschwindigkeit, wobei sie im nebenstehenden Bild beträgt. Die zwischen beliebig weit auseinanderliegenden Zeitpunkten und zurückgelegte Strecke beträgt
.
Allgemein bewegt sich das Auto in der Zeitspanne um die Strecke vorwärts. Speziell bei ergibt sich ein Wegstück.
Falls der Startwert bei nicht sondern beträgt, ändert dies nichts, da sich in der Beziehung die Konstante durch dieDifferenzbildung aus stets heraussubtrahiert. Auch anschaulich ist dies bekannt: Die Startposition des Autos ist unerheblich für seine Geschwindigkeit.
Werden statt derVariablen und allgemein die Variablen und betrachtet, so lässt sich also festhalten:
Lineare Funktionen: BeiLinearität hat die betrachtete Funktion die Gestalt. (Für eine lineare Funktion ist nicht notwendig eineUrsprungsgerade erforderlich!) Als Ableitung gilt hieran dierelative Veränderung, mit einem anderen Wort derDifferenzenquotient. Sie hat in jedem Punkt denselben Wert . Die Ableitung lässt sich aus dem Ausdruck direkt ablesen. Insbesondere hat jedekonstante Funktion die Ableitung, da sich mit einer Änderung des Eingabewertes nichts am Ausgabewert ändert.
Schwieriger wird es, wenn eine Bewegungnicht gleichförmig verläuft. Dann ist das Diagramm der Zeit-Strecken-Funktion nicht geradlinig. Für derartige Verläufe muss der Ableitungsbegriff erweitert werden. Denn es gibt keinen Proportionalitätsfaktor, derüberall die lokale relative Veränderung ausdrückt. Als einzig mögliche Strategie ist die Gewinnung einerlinearen Näherung für die nicht-lineare Funktion gefunden worden, zumindest an einer interessierenden Stelle. (Im nächsten Bild ist das die Stelle.) Damit wird das Problem auf eine wenigstens an dieser Stelle lineare Funktion zurückgeführt. Die Methode derLinearisierung ist die Grundlage für den eigentlichenKalkül der Differentialrechnung. Sie ist in derAnalysis von sehr großer Bedeutung, da sie dabei hilft, komplizierte Vorgänge lokal auf leichter verständliche Vorgänge, nämlich lineare Vorgänge, zu reduzieren.[1]
0,5
0,9
0,99
0,999
1
1,001
1,01
1,1
1,5
2
0,25
0,81
0,9801
0,998001
1
1,002001
1,0201
1,21
2,25
4
0
0,8
0,98
0,998
1
1,002
1,02
1,2
2
3
−0,25
−0,01
−0,0001
−0,000001
0
−0,000001
−0,0001
−0,01
−0,25
−1
50 %
10 %
1 %
0,1 %
0,1 %
1 %
10 %
50 %
100 %
Graphische Darstellung der Approximation von an der Stelle durch. Letztere ist die Gleichung derTangente von an dieser Stelle.
Die Strategie soll exemplarisch an der nicht-linearen Funktion erläutert werden.[2] Die Tabelle zeigt Werte für diese Funktion und für ihre Näherungsfunktion an der Stelle, das ist. Darunter enthält die Tabelle die Abweichung der Näherung von der ursprünglichen Funktion. (Die Werte sind negativ, weil in diesem Fall die Gerade immerunter der Kurve liegt – außer im Berührpunkt.) In der letzten Zeile steht der Betrag derrelativen Abweichung, das ist die Abweichung bezogen auf die Entfernung der Stelle vom Berührpunkt bei. Diese kann am Berührpunkt nicht berechnet werden. Aber die Werte in der Umgebung zeigen, wie sich die relative Abweichung einem Grenzwert nähert, hier dem Wert null. Diese Null bedeutet: Selbst wenn sich ein wenig (infinitesimal) vom Berührpunkt entfernt, entsteht noch kein Unterschied zwischen und.
Die lineare Funktion ahmt das Verhalten von nahe der Stelle gut nach (besser als jede andere lineare Funktion). Die relative Veränderung hat überall den Wert. Die nicht so einfach zu ermittelnde relative Veränderung stimmt aber im Berührpunkt mit dem Wert überein.
Es lässt sich also festhalten:
Nicht-lineare Funktionen: Soll die relative Veränderung einer nicht-linearen Funktion in einem bestimmten Punkt ermittelt werden, so wird sie (wenn möglich) dort linear genähert. Die Steigung der linearen Näherungsfunktion ist die an dieser Stelle vorliegende Steigung der betrachteten nicht-linearen Funktion, und es gilt dieselbe Anschauung wie bei Ableitungen linearer Funktionen. Dabei ist nur zu beachten, dass sich die relative Veränderung einer nicht-linearen Funktion von Punkt zu Punkt ändert.
Während im Beispiel oben (Fahrzeugbewegung) für die durchschnittliche Geschwindigkeit die Zeitspanne angemessen willkürlich gewählt werden kann, ist die momentane Geschwindigkeit, wenn sie veränderlich ist, nur fürkleine angebbar. Wie klein gewählt werden muss, hängt ab von der Anforderung an die Qualität der Näherung. In mathematischer Perfektion wird sie infinitesimal. Bei dieser wird für die relative Veränderung (wie schon oben angegeben) anstelle des Differenzenquotienten derDifferenzialquotient geschrieben (in vereinfachter Schreibweise oder).
Die Gewinnung der linearen Näherung einer nicht-linearen Funktion an einer bestimmten Stelle ist zentrale Aufgabe des Kalküls der Differentialrechnung. Bei einer mathematisch angebbaren Funktion (im Beispiel war das) sollte sich die Ableitungausrechnen lassen. Im Idealfall ist diese Berechnung sogar so allgemein, dass sie auf alle Punkte des Definitionsbereichs angewendet werden kann. Im Falle von besitzt jede Stelle als beste lineare Näherung die Steigung. Mit der Zusatzinformation, dass die lineare Funktion mit der Kurve im Punkt übereinstimmen muss, kann dann die vollständige Funktionsgleichung der linearen Näherungsfunktion aufgestellt werden.
Der Ansatz zur Bestimmung des Differentialquotienten liegt in der Berechnung des Grenzwerts (wie oben bei der momentanen Geschwindigkeit):
Damit werden die Grenzübergänge nicht in jeder Anwendung neu vollzogen, sondern für die Rechenpraxis werden Ableitungsregeln angewendet. Die „Kunst“ der Differentialrechnung besteht „nur“ darin, kompliziertere Funktionen zu strukturieren und auf die Strukturelemente die jeweils zutreffende Ableitungsregel anzuwenden. Ein Beispiel folgtweiter hinten.
Jeder Differenzialquotient an einer vorgesehenen Stelle erscheint als unbestimmter Ausdruck vom Typ „“. Zu seiner Berechnung wird vomDifferenzenquotient ausgegangen, und dessen Verhalten in der Umgebung der vorgesehenen Stelle wird untersucht, ob er die Tendenz hat, einen bestimmten Wert anzunehmen. Einige Grenzwerte, die für Ableitungsregeln benötigt werden, werden nachfolgend hergeleitet. Selbstverständlich dürfen dazu keine Regeln der Differenzialrechnung verwendet werden, da diese erst nach der Kenntnis der Grenzwerte aufgestellt werden können.
Ein einfacher Fall 1
Ausgangspunkt ist der Differenzenquotient für die vorgesehene Funktion.
Wird diebinomische Formel eingesetzt, so kürzt sich ein Summand heraus.
Für ist dieser Bruch unbestimmt. Aber für (dann und nur dann!) können Zähler und Nenner durch dividiert werden.
Für jedes ist dieser Ausdruck bestimmt, auch wenn man dem Wert nahe kommt. Er strebt im Grenzübergang gegen
Im Weiteren werden hier nur Grenzwerte berechnet, und ihre Einsetzung in Differenzenquotienten erfolgt weiter hinten im AbschnittAbleitungsberechnung.
Veranschaulichung zur Grenzwertableitung amEinheitskreis
Fall 2
Für ist dieser Bruch unbestimmt. Zur Berechnung bei wird die Fläche einesKreissektors mit dem Bogen verglichen mit den Flächen eines innen liegenden und eines außen liegenden Dreiecks gemäß der Zeichnung. Im gezeigten Quadranten gilt offensichtlich[3]
Bei kann diese Ungleichung mit multipliziert werden.
Für streben sowohl der linke als auch der rechte Ausdruck gegen eins. Damit muss auch der dazwischen liegende Ausdruck gegen eins streben. Für seinen Kehrwert gilt das ebenfalls. Für strebt er im Grenzübergang nach
Zwischenüberlegung
Der Logarithmus dieses Ausdrucks, das ist, strebt für gegen „“. Dieser Logarithmus ist dort unbestimmt und damit auch der Ausdruck selber. Es ist aber bewiesen, dass
einen bestimmten endlichen Wert annimmt, der alsEulersche Zahl bezeichnet wird. Dieses wird unter dem verlinkten Stichwort behandelt und hier als bekannt vorausgesetzt.
Fall 3
Für ist dieser Bruch unbestimmt. Aber für und ist dieSubstitution[4]
Für streben und der Nenner gegen. Für jedes ist dieser Ausdruck bestimmt, auch wenn man dem Wert nahe kommt. Er strebt im Grenzübergang nach
Als Voraussetzung für diese Herleitung muss positiv sein. Für ist dieses erfüllt mit negativem. Nähert man sich bei dem Wert von der Seite her, so gilt derselbe Grenzübergang.
Fall 4
Für ist dieser Bruch unbestimmt. Aber für ist die Substitution zulässig.[5]
Für strebt. Für jedes ist dieser Ausdruck bestimmt, auch wenn man dem Wert nahe kommt. Er strebt im Grenzübergang nach
Eine wichtige Anwendung der Differentialrechnung besteht darin, dass mit Hilfe der Ableitung lokale Extremwerte einer Kurve bestimmt werden können. Anstatt also anhand einer Wertetabelle mechanisch nach Hoch- oder Tiefpunkten suchen zu müssen, liefert der Kalkül in einigen Fällen eine direkte Antwort. Liegt ein Hoch- oder Tiefpunkt vor, so besitzt die Kurve an dieser Stelle keinen „echten“ Anstieg, weshalb die optimale Linearisierung eine Steigung von 0 besitzt. Für die genaue Klassifizierung eines Extremwertes sind jedoch weitere lokale Daten der Kurve notwendig, denn eine Steigung von 0 ist nicht hinreichend für die Existenz eines Extremwertes (geschweige denn eines Hoch- oder Tiefpunktes).
In der Praxis treten Extremwertprobleme typischerweise dann auf, wenn Prozesse, zum Beispiel in der Wirtschaft, optimiert werden sollen. Oft liegen an den Randwerten jeweils ungünstige Ergebnisse, in Richtung „Mitte“ kommt es aber zu einer stetigen Steigerung, die dann irgendwo maximal werden muss. Zum Beispiel die optimale Wahl eines Verkaufspreises: Bei einem zu geringen Preis ist die Nachfrage nach einem Produkt zwar sehr groß, aber die Produktion kann nicht finanziert werden. Ist er andererseits zu hoch, so wird es im Extremfall gar nicht mehr gekauft. Daher liegt ein Optimum irgendwo „in der Mitte“. Voraussetzung dabei ist, dass der Zusammenhang in Form einer (stetig) differenzierbaren Funktion wiedergegeben werden kann.
In dermathematischen Modellierung sollen komplexe Probleme in mathematischer Sprache erfasst und analysiert werden. Je nach Fragestellung sind das Untersuchen vonKorrelationen oderKausalitäten oder auch das Geben vonPrognosen im Rahmen dieses Modells zielführend.
Besonders im Umfeld sog.Differentialgleichungen ist die Differentialrechnung zentrales Werkzeug bei der Modellierung. Diese Gleichungen treten zum Beispiel auf, wenn es eine kausale Beziehung zwischen demBestand einer Größe und derenzeitlicher Veränderung gibt. Ein alltägliches Beispiel könnte sein:
Je mehr Einwohner eine Stadt besitzt, desto mehr Leute wollen dort hinziehen.
Etwas konkreterkönnte dies zum Beispiel heißen, dass bei jetzigen Einwohnern durchschnittlich Personen in den kommenden 10 Jahren zuziehen werden, bei Einwohnern durchschnittlich Personen in den kommenden 10 Jahren usw. – um nicht alle Zahlen einzeln ausführen zu müssen: Leben Personen in der Stadt, so wollen so viele Menschen hinzuziehen, dass nach 10 Jahren weitere hinzukommen würden. Besteht eine derartige Kausalität zwischen Bestand und zeitlicher Veränderung, so kann gefragt werden, ob aus diesen Daten eine Prognose für die Einwohnerzahl nach 10 Jahren abgeleitet werden kann, wenn die Stadt im Jahr 2020 zum Beispiel Einwohner hatte. Es wäre dabei falsch zu glauben, dass dies sein werden, da sich mit steigender Einwohnerzahl auch die Nachfrage nach Wohnraum wiederum zunehmend steigern wird. Der Knackpunkt zum Verständnis des Zusammenhangs ist demnach erneut dessenLokalität: Besitzt die Stadt Einwohner, so wollenzu diesem Zeitpunkt Menschen pro 10 Jahre hinzuziehen. Aber einen kurzen Augenblick später, wenn weitere Menschen hinzugezogensind, sieht die Lage wieder anders aus. Wird dieses Phänomen zeitlich beliebig engmaschig gedacht, ergibt sich ein „differentieller“ Zusammenhang. Allerdings eignet sich die kontinuierliche Herangehensweise in vielen Fällen auch bei diskreten Problemstellungen.[6]
Mit Hilfe der Differentialrechnung kann aus so einem kausalen Zusammenhang zwischen Bestand und Veränderung in vielen Fällen ein Modell hergeleitet werden, was den komplexen Zusammenhangauflöst, und zwar in dem Sinne, dass zum Schluss eine Bestandsfunktionexplizit angegeben werden kann. Setzt man in diese Funktion dann zum Beispiel den Wert 10 Jahre ein, so ergibt sich eine Prognose für die Stadtbewohneranzahl im Jahr 2030. Im Falle oberen Modells wird eine Bestandsfunktion gesucht mit, in 10 Jahren, und. Die Lösung ist dann
mit dernatürlichen Exponentialfunktion (natürlich bedeutet, dass der Proportionalitätsfaktor zwischen Bestand und Veränderung einfach gleich 1 ist) und für das Jahr 2030 lautet die geschätzte Prognose Mio. Einwohner. Die Proportionalität zwischen Bestand und Änderungsrate führt also zuexponentiellem Wachstum und ist klassisches Beispiel einesselbstverstärkenden Effektes. Analoge Modelle funktionieren beimPopulationswachstum (Je mehr Individuen, desto mehr Geburten) oder der Verbreitung einer ansteckenden Krankheit (Je mehr Erkrankte, desto mehr Ansteckungen). In vielen Fällen stoßen diese Modelle jedoch an eine Grenze, wenn sich der Prozess aufgrund natürlicher Beschränkungen (wie eine Obergrenze der Gesamtbevölkerung) nicht beliebig fortsetzen lässt. In diesen Fällen sind ähnliche Modelle, wie daslogistische Wachstum, geeigneter.[7]
Die Eigenschaft einer Funktion, differenzierbar zu sein, ist bei vielen Anwendungen von Vorteil, da dies der Funktion mehr Struktur verleiht. Ein Beispiel ist das Lösen von Gleichungen. Bei einigen mathematischen Anwendungen ist es notwendig, den Wert einer (oder mehrerer) Unbekannten zu finden, die Nullstelle einer Funktion ist. Es ist dann. Je nach Beschaffenheit von können Strategien entwickelt werden, eine Nullstelle zumindest näherungsweise anzugeben, was in der Praxis meist vollkommen ausreicht. Ist in jedem Punkt differenzierbar mit Ableitung, so kann in vielen Fällen dasNewton-Verfahren helfen. Bei diesem spielt die Differentialrechnung insofern eine direkte Rolle, als beim schrittweisen Vorgehen immer wieder eine Ableitung explizit berechnet werden muss.[8]
Ein weiterer Vorteil der Differentialrechnung ist, dass in vielen Fällen komplizierte Funktionen, wie Wurzeln oder auch Sinus und Kosinus, anhand einfacher Rechenregeln wie Addition und Multiplikation gut angenähert werden können. Ist die Funktion an einem benachbarten Wert leicht auszuwerten, ist dies von großem Nutzen. Wird zum Beispiel nach einem Näherungswert für die Zahl gesucht, so liefert die Differentialrechnung für die Linearisierung
denn es gilt nachweislich. Sowohl Funktion als auch erste Ableitung konnten an der Stelle gut berechnet werden, weil es sich dabei um eineQuadratzahl handelt. Einsetzen von ergibt, was mit dem exakten Ergebnis bis auf einen Fehler kleiner als übereinstimmt.[9] Unter Einbezughöherer Ableitungen kann die Genauigkeit solcher Approximationen zusätzlich gesteigert werden, da dann nicht nur linear, sondernquadratisch, kubisch usw. angenähert wird, siehe auchTaylor-Reihe.
Tangentialebene, platziert an einem Punkt einer Kugeloberfläche
Auch in derreinen Mathematik spielt die Differentialrechnung als ein Kern der Analysis eine bedeutende Rolle. Ein Beispiel ist dieDifferentialgeometrie, die sich mit Figuren beschäftigt, die eine differenzierbare Oberfläche (ohne Knicke usw.) haben. Zum Beispiel kann auf eineKugeloberfläche in jedem Punkt tangential eineEbene platziert werden. Anschaulich: Steht man an einem Erdpunkt, so hat man das Gefühl, die Erde sei flach, wenn man seinen Blick in derTangentialebene schweifen lässt. In Wahrheit ist die Erde jedoch nurlokal flach: Die angelegte Ebene dient der (durchLinearisierung) vereinfachten Darstellung der komplizierteren Krümmung.Global hat sie als Kugeloberfläche eine völlig andere Gestalt.
Die Methoden der Differentialgeometrie sind äußerst bedeutend für dietheoretische Physik. So können Phänomene wieKrümmung oderRaumzeit über Methoden der Differentialrechnung beschrieben werden. Auch die Frage, was der kürzeste Abstand zwischen zwei Punkten auf einer gekrümmten Fläche (zum Beispiel der Erdoberfläche) ist, kann mit diesen Techniken formuliert und oft auch beantwortet werden.
Auch bei der Erforschung von Zahlen als solchen, also im Rahmen derZahlentheorie, hat sich die Differentialrechnung in deranalytischen Zahlentheorie bewährt. Die grundlegende Idee der analytischen Zahlentheorie ist die Umwandlung von bestimmten Zahlen, über die man etwas lernen möchte,in Funktionen. Haben diese Funktionen „gute Eigenschaften“ wie etwa Differenzierbarkeit, so hofft man, über die damit einhergehenden Strukturen Rückschlüsse auf die ursprünglichen Zahlen ziehen zu können. Es hat sich dabei häufig bewährt, zur Perfektionierung der Analysis von den reellen zu den komplexen Zahlen überzugehen (siehe auchkomplexe Analysis), also die Funktionen über einem größeren Zahlenbereich zu studieren. Ein Beispiel ist die Analyse derFibonacci-Zahlen, deren Bildungsgesetz vorschreibt, dass eine neue Zahl stets aus der Summe der beiden vorangehenden entstehen soll. Ansatz der analytischen Zahlentheorie ist die Bildung dererzeugenden Funktion
also eines „unendlich langen“Polynoms (einer sog.Potenzreihe), dessenKoeffizienten genau die Fibonacci-Zahlen sind. Für hinreichend kleine Zahlen ist dieser Ausdruck sinnvoll, weil die Potenzen dann viel schneller gegen 0 gehen als die Fibonacci-Zahlen gegen Unendlich, womit sich langfristig alles bei einem endlichen Wert einpendelt. Es ist für diese Werte möglich, die Funktion explizit zu berechnen durch
Das Nennerpolynom „spiegelt“ dabei genau das Verhalten der Fibonacci-Zahlen „wider“ – es ergibt sich in der Tat durch termweises Verrechnen. Mit Hilfe der Differentialrechnung lässt sich andererseits zeigen, dass die Funktion ausreicht, um die Fibonacci-Zahlen (ihre Koeffizienten) eindeutig zu charakterisieren. Da es sich aber um eine schlichterationale Funktion handelt, lässt sich dadurch die für jede Fibonacci-Zahl gültigeexakte Formel
mit demgoldenen Schnitt herleiten, wenn und gesetzt wird. Die exakte Formel vermag eine Fibonacci-Zahl zu berechnen, ohne die vorherigen zu kennen. Der Schluss wird über einen sog.Koeffizientenvergleich gezogen und nutzt aus, dass das Polynom als Nullstellen und besitzt.[10]
Die Differentialrechnung kann auf den Fall „höherdimensionaler Funktionen“ verallgemeinert werden. Damit ist gemeint, dass sowohl Eingabe- als auch Ausgabewerte der Funktion nicht bloß Teil des eindimensionalen reellenZahlenstrahls, sondern auch Punkte eines höherdimensionalen Raums sind. Ein Beispiel ist die Vorschrift
zwischen jeweils zweidimensionalen Räumen. Das Funktionsverständnis als Tabelle bleibt hier identisch, nur dass diese mit „vier Spalten“ „deutlich mehr“ Einträge besitzt. Auch mehrdimensionale Abbildungen können in manchen Fällen an einem Punkt linearisiert werden. Allerdings ist dabei nun angemessen zu beachten, dass es sowohl mehrere Eingabedimensionen als auch mehrere Ausgabedimensionen geben kann: Der korrekte Verallgemeinerungsweg liegt darin, dass die Linearisierung injeder Komponente der Ausgabejede Variable auflineare Weise berücksichtigt. Das zieht für obere Beispielfunktion eine Approximation der Form
nach sich. Diese ahmt dann die gesamte Funktion in der Nähe der Eingabe sehr gut nach.[11] Injeder Komponente wird demnach für jede Variable eine „Steigung“ angegeben – diese wird dann das lokale Verhalten der Komponentenfunktion bei kleiner Änderung in dieser Variablen messen. Diese Steigung wird auch alspartielle Ableitung bezeichnet.[12] Die korrekten konstanten Abschnitte berechnen sich exemplarisch durch bzw.. Wie auch im eindimensionalen Fall hängen die Steigungen (hier) stark von der Wahl des Punktes (hier) ab, an dem abgeleitet wird. Die Ableitung ist demnach keine Zahl mehr, sondern ein Verband aus mehreren Zahlen – in diesem Beispiel sind es vier – und diese Zahlen sind im Regelfall bei allen Eingaben unterschiedlich. Es wird allgemein für die Ableitung auch
geschrieben, womit alle „Steigungen“ in einer sog.Matrix versammelt sind. Man bezeichnet diesen Term auch alsJacobi-Matrix oderFunktionalmatrix.[13]
Beispiel: Wird oben gesetzt, so kann man zeigen, dass folgende lineare Approximation bei sehr kleinen Änderungen vonund sehr gut ist:
Zum Beispiel gilt
und
Hat man im ganz allgemeinen Fall Variablen und Ausgabekomponenten, so gibt es kombinatorisch gesehen insgesamt „Steigungen“, also partielle Ableitungen. Im klassischen Fall gibt es wegen eine Steigung und im oberen Beispiel sind es „Steigungen“.[14]
Die Aufgabenstellung der Differentialrechnung bildete sich alsTangentenproblem ab dem 17. Jahrhundert heraus. Hierunter versteht man die Aufgabe, bei einer beliebigen Kurve in einem beliebigen Punkt die Tangente zu bestimmen.[15] Ein naheliegender Lösungsansatz bestand darin, die Tangente an eine Kurve durch ihreSekante über einem endlichen (endlich heißt hier: größer als null), aber beliebig kleinenIntervall zu approximieren. Dabei war die technische Schwierigkeit zu überwinden, mit einer solcheninfinitesimal kleinen Intervallbreite zu rechnen. Die ersten Anfänge der Differentialrechnung gehen aufPierre de Fermat zurück. Er entwickelte um 1628 eine Methode, Extremstellen algebraischer Terme zu bestimmen und Tangenten an Kegelschnitte und andere Kurven zu berechnen. Seine „Methode“ war rein algebraisch. Fermat betrachtete keine Grenzübergänge und schon gar keine Ableitungen. Gleichwohl lässt sich seine „Methode“ mit modernen Mitteln der Analysis interpretieren und rechtfertigen, und sie hat Mathematiker wie Newton und Leibniz nachweislich inspiriert. Einige Jahre später wählteRené Descartes einen anderen algebraischen Zugang, indem er an eine Kurve einen Kreis anlegte. Dieser schneidet die Kurve in zwei nahe beieinanderliegenden Punkten; es sei denn, er berührt die Kurve. Dieser Ansatz ermöglichte es ihm, für spezielle Kurven die Steigung der Tangente zu bestimmen.[16]
Ende des 17. Jahrhunderts gelang esIsaac Newton undGottfried Wilhelm Leibniz mit unterschiedlichen Ansätzen unabhängig voneinander, widerspruchsfrei funktionierende Kalküle zu entwickeln. Während Newton das Problem physikalisch über das Momentangeschwindigkeitsproblem anging,[17] löste es Leibniz geometrisch über das Tangentenproblem. Ihre Arbeiten erlaubten das Abstrahieren von rein geometrischer Vorstellung und werden deshalb als Beginn der Analysis betrachtet. Bekannt wurden sie vor allem durch das BuchAnalyse des Infiniment Petits pour l’Intelligence des Lignes Courbes[18] des AdligenGuillaume François Antoine, Marquis de L’Hospital, der beiJohann I Bernoulli Privatunterricht nahm und dessen Forschung zur Analysis so publizierte. Darin heißt es:
„Die Reichweite dieses Kalküls ist unermesslich: Er lässt sich sowohl auf mechanische als auch geometrische Kurven anwenden; Wurzelzeichen bereiten ihm keine Schwierigkeiten und sind oftmals sogar angenehm im Umgang; er lässt sich auf so viele Variablen erweitern, wie man sich nur wünschen kann; der Vergleich unendlich kleiner Größen aller Art gelingt mühelos. Und er erlaubt eine unendliche Zahl an überraschenden Entdeckungen über gekrümmte wie geradlinige Tangenten, FragenDe maximis & minimis, Wendepunkte und Spitzen von Kurven, Evoluten, Spiegelungs- und Brechungskaustiken, &c. wie wir in diesem Buch sehen werden.“[19]
Die heute bekannten Ableitungsregeln basieren vor allem auf den Werken vonLeonhard Euler, der den Funktionsbegriff prägte.
Newton und Leibniz arbeiteten mit beliebig kleinen positiven Zahlen.[20] Dies wurde bereits von Zeitgenossen als unlogisch kritisiert, beispielsweise vonGeorge Berkeley in der polemischen SchriftThe analyst; or, a discourse addressed to an infidel mathematician.[21] Erst in den 1960ern konnteAbraham Robinson diese Verwendung infinitesimaler Größen mit der Entwicklung derNichtstandardanalysis auf ein mathematisch-axiomatisch sicheres Fundament stellen. Trotz der herrschenden Unsicherheit wurde die Differentialrechnung aber konsequent weiterentwickelt, in erster Linie wegen ihrer zahlreichen Anwendungen in der Physik und in anderen Gebieten der Mathematik. Symptomatisch für die damalige Zeit war das von derPreußischen Akademie der Wissenschaften 1784 veröffentlichte Preisausschreiben:
„… Die höhere Geometrie benutzt häufig unendlich große und unendlich kleine Größen; jedoch haben die alten Gelehrten das Unendliche sorgfältig vermieden, und einige berühmte Analysten unserer Zeit bekennen, dass die Wörter unendliche Größe widerspruchsvoll sind. Die Akademie verlangt also, dass man erkläre, wie aus einer widersprechenden Annahme so viele richtige Sätze entstanden sind, und dass man einen sicheren und klaren Grundbegriff angebe, welcher das Unendliche ersetzen dürfte, ohne die Rechnung zu schwierig oder zu lang zu machen …“[22]
Erst zum Anfang des 19. Jahrhunderts gelang esAugustin-Louis Cauchy, der Differentialrechnung die heute übliche logische Strenge zu geben, indem er von den infinitesimalen Größen abging und die Ableitung alsGrenzwert vonSekantensteigungen (Differenzenquotienten) definierte.[23] Die heute benutzte Definition des Grenzwerts wurde schließlich vonKarl Weierstraß im Jahr 1861 formuliert.[24]
Ausgangspunkt für die Definition der Ableitung ist die Näherung der Tangentensteigung durch eine Sekantensteigung (manchmal auch Sehnensteigung genannt). Gesucht sei die Steigung einer Funktion in einem Punkt. Man berechnet zunächst die Steigung derSekante an über einem endlichenIntervall der Länge:
Sekantensteigung =.
Die Sekantensteigung ist also der Quotient zweier Differenzen; sie wird deshalb auchDifferenzenquotient genannt. Mit der Kurznotation für kann man die Sekantensteigung abgekürzt als schreiben. Der Ausdruck verdeutlicht also die beliebig klein werdendeDifferenz zwischen der Stelle, an der abgeleitet werden soll, und einem benachbarten Punkt. In der Literatur wird jedoch, wie auch im Folgenden, in vielen Fällen aus Gründen der Einfachheit das Symbol statt verwendet.
Um eine Tangentensteigung zu berechnen, muss man die beiden Punkte, durch die die Sekante gezogen wird, immer weiter aneinander rücken. Dabei gehen sowohl als auch gegen Null. Der Quotient bleibt aber in vielen Fällen endlich. Auf diesemGrenzübergang beruht die folgende Definition.
Definition der Ableitung über dieh-Methode: Zu den jeweiligenh-Werten sind die dazugehörigen Sekanten eingezeichnet. Für geht die Sekante in die Tangente und somit die Sekantensteigung (Differenzenquotient) in die Tangentensteigung (Ableitung) über.Die Sekantensteigungen gehen für in die Steigung der Tangente (und damit in die Ableitung) an der Stelle über. Es gilt.
existiert. Dieser Grenzwert heißtDifferentialquotient oderAbleitung von nach an der Stelle und wird als
oder oder oder
notiert.[25][26] Gesprochen werden diese Notationen als „f Strich von x null“, „d f von x nach d x an der Stelle x gleich x null“, „d f nach d x von x null“ respektive „d nach d x von f von x null“. Im später folgenden AbschnittNotationen werden noch weitere Varianten angeführt, um die Ableitung einer Funktion zu notieren.
Im Laufe der Zeit wurde folgende gleichwertige Definition gefunden, die sich im allgemeineren Kontext komplexer oder mehrdimensionaler Funktionen als leistungsfähiger erwiesen hat: Eine Funktion heißt an einer Stelle differenzierbar, falls eine Konstante existiert, sodass
Der Zuwachs der Funktion, wenn man sich von nur wenig entfernt, etwa um den Wert, lässt sich also durch sehr gut approximieren. Man nennt deshalb dielineare Funktion, für die also für alle gilt, auch dieLinearisierung von an der Stelle.[27]
Eine weitere Definition ist: Es gibt eine an der Stellestetige Funktion mit und eine Konstante, sodass für alle gilt
.
Die Bedingungen und dass an der Stelle stetig ist, bedeuten gerade, dass das „Restglied“ für gegen gegen konvergiert.[27]
In beiden Fällen ist die Konstante eindeutig bestimmt und es gilt. Der Vorteil dieser Formulierung ist, dass Beweise einfacher zu führen sind, da kein Quotient betrachtet werden muss. Diese Darstellung der besten linearen Approximation wurde schon vonKarl Weierstraß,Henri Cartan undJean Dieudonné konsequent angewandt und wird auchWeierstraßsche Zerlegungsformel genannt.
Bezeichnet man eine Funktion als differenzierbar, ohne sich auf eine bestimmte Stelle zu beziehen, dann bedeutet dies die Differenzierbarkeit an jeder Stelle des Definitionsbereiches, also die Existenz einer eindeutigen Tangente für jeden Punkt des Graphen.
Jede differenzierbare Funktion iststetig, die Umkehrung gilt jedoch nicht.[27] Noch Anfang des 19. Jahrhunderts war man überzeugt, dass eine stetige Funktion höchstens an wenigen Stellen nicht differenzierbar sein könne (wie die Betragsfunktion).Bernard Bolzano konstruierte dann als erster Mathematiker tatsächlich eine Funktion, die späterBolzanofunktion genannt wurde, die überall stetig, aber nirgends differenzierbar ist, was in der Fachwelt allerdings nicht bekannt wurde. Karl Weierstraß fand dann in den 1860er Jahren ebenfalls eine derartige Funktion (sieheWeierstraß-Funktion), was diesmal unter Mathematikern Wellen schlug. Ein bekanntes mehrdimensionales Beispiel für eine stetige, nicht differenzierbare Funktion ist die vonHelge von Koch 1904 vorgestellteKoch-Kurve.[28]
Die Ableitung an verschiedenen Stellen einer differenzierbaren Funktion
Die Ableitung der Funktion an der Stelle, bezeichnet mit, beschreibt lokal das Verhalten der Funktion in der Umgebung der betrachteten Stelle. In einigen Fällen ist es möglich, anjedem Punkt desFunktionsgraphen eine Linearisierung vorzunehmen. Dies erlaubt die Definition einerAbleitungsfunktion (oder kurzAbleitung), die jedem Element des Definitionsbereichs der Ausgangsfunktion die Steigung der dortigen Linearisierung zuordnet. Man sagt in diesem Falle, „ ist in differenzierbar“.[29]
Beispielsweise hat die Quadratfunktion mit an einer beliebigen Stelle die Ableitung die Quadratfunktion ist also auf der Menge der reellen Zahlen differenzierbar. Die zugehörige Ableitungsfunktion ist gegeben durch mit.
Die Ableitungsfunktion ist im Normalfall eine andere Funktion als die ursprünglich betrachtete. Einzige Ausnahme sind die Vielfachen der natürlichenExponentialfunktion mit beliebigem – unter denen, wie die Wahl zeigt, auch alle Funktionen mit beliebigem enthalten sind (deren Graph aus dem der Exponentialfunktion durch „seitliche“Verschiebung um entsteht und zu diesem daher kongruent ist).
Ist die Ableitung stetig, dann heißt stetig differenzierbar. In Anlehnung an die Bezeichnung für die Gesamtheit (denRaum) der stetigen Funktionen mit Definitionsmenge wird der Raum der auf stetig differenzierbaren Funktionen mit abgekürzt.[30]
In diesem Artikel wurde bisher hauptsächlich die Notation für die Ableitung von verwendet. Diese Notation geht auf den MathematikerJoseph-Louis Lagrange zurück, der sie 1797 einführte.[31] Bei dieser Notation wird diezweite Ableitung von mit und die-te Ableitung mittels bezeichnet.
Isaac Newton – neben Leibniz der Begründer der Differentialrechnung – notierte die erste Ableitung von mit, entsprechend notierte er diezweite Ableitung durch.[32] Heutzutage wird diese Schreibweise häufig in der Physik, insbesondere in derMechanik, für dieAbleitung nach der Zeit verwendet.[33]
Gottfried Wilhelm Leibniz führte für die erste Ableitung von (nach der Variablen) die Notation ein.[34] Gelesen wird dieser Ausdruck als „d f von x nach d x“. Für diezweite Ableitung notierte Leibniz und die-te Ableitung wird mittels bezeichnet.[35] Bei der Schreibweise von Leibniz handelt es sich nicht um einen Bruch. Die Symbole und werden „Differentiale“ genannt, haben aber in der modernen Differentialrechnung (abgesehen von der Theorie derDifferentialformen) eine lediglich symbolische Bedeutung, im Differentialquotienten. In manchen Anwendungen (Kettenregel, Integration mancherDifferentialgleichungen,Integration durch Substitution) rechnet man mit ihnen aber so, als wären sie gewöhnliche Terme.
Die Notation oder für die erste Ableitung von geht aufLeonhard Euler zurück. Dabei wird die Ableitung alsOperator – also als eine besondere Funktion, die selbst auf Funktionen arbeitet, aufgefasst. Diese Idee geht auf den MathematikerLouis François Antoine Arbogast zurück. Diezweite Ableitung wird in dieser Notation mittels oder und die-te Ableitung durch oder dargestellt.[36]
Das Berechnen der Ableitung einer Funktion wirdDifferentiation oderDifferenziation genannt; sprich, mandifferenziert diese Funktion.
Um die Ableitungelementarer Funktionen (z. B.,, …) zu berechnen, hält man sich eng an die oben angegebene Definition, berechnet explizit einen Differenzenquotienten und lässt dann gegen Null gehen. Dieses Verfahren ist jedoch meistens umständlich. Bei der Lehre der Differentialrechnung wird diese Art der Rechnung daher nur wenige Male vollzogen. Später greift man auf bereits bekannte Ableitungsfunktionen zurück oder schlägt Ableitungen nicht ganz so geläufiger Funktionen in einem Tabellenwerk nach (z. B. imBronstein-Semendjajew, siehe auchTabelle von Ableitungs- und Stammfunktionen) und berechnet die Ableitung zusammengesetzter Funktionen mit Hilfe derAbleitungsregeln.
Für die Berechnung der Ableitungsfunktion einer elementaren Funktion an einer vorgesehenen Stelle wird der zugehörige Differenzenquotient gebildet, der in der Umgebung mit gültig ist, und dann wird der Grenzübergang vollzogen.
Mit den vorstehenden Ableitungen können Ableitungsfunktionen für weitere Funktionen aufgestellt werden. Dazu werden zusätzlich die Ableitungsregeln für die Grundrechenarten, dieKettenregel und dieUmkehrregel benötigt.
Die Funktion ist bisher nur für als natürliche Zahl abgeleitet worden. Die Anwendbarkeit der zugehörigen Ableitungsregel lässt sich bei auf reelle Exponenten erweitern. Mit der Substitution[38]
ist
Wird dieses mit der Kettenregel differenziert, so entsteht das bekannte Ergebnis:
Eine Anwendung ist die Ableitung derWurzelfunktion.Für gilt mit
Mit Hilfe derQuotientenregel und den Ableitungsfunktionen für Sinus und Kosinus können auch die Ableitungsfunktionen fürTangens und Kotangens aufgestellt werden. Es gilt
Zusammengesetzte Funktionen lassen sich so weit strukturieren, bis sich zu jedem Strukturelement die jeweils zutreffende elementare Ableitungsregel finden lässt. Dazu gibt es dieSummenregel, dieProduktregel, dieQuotientenregel und dieKettenregel. Da diese in eigenen Artikeln erläutert werden, wird hier nur ein Beispiel vorgestellt.
mit
ist ableitbar nach als Potenz
mit
ist ableitbar nach als Summe mit einer Konstanten
mit
ist ableitbar nach als trigonometrische Funktion
ist ableitbar nach als Potenz mit konstantem Faktor
Hier werden die Ableitungsregeln elementarer und zusammengesetzter Funktionen zusammengefasst. Eine ausführliche Liste findet sich unterTabelle von Ableitungs- und Stammfunktionen.
Ist die Ableitung einer Funktion wiederum differenzierbar, so lässt sich die zweite Ableitung von als Ableitung der ersten definieren. Auf dieselbe Weise können dann auch dritte, vierte etc. Ableitungen definiert werden. Eine Funktion kann dementsprechend einmal differenzierbar, zweimal differenzierbar etc. sein.
Ist die erste Ableitung einesWeges nach der Zeit eineGeschwindigkeit, so kann die zweite Ableitung alsBeschleunigung und die dritte Ableitung alsRuck interpretiert werden.
Wenn Politiker sich über den „Rückgang des Anstiegs der Arbeitslosenzahl“ äußern, dann sprechen sie von der zweiten Ableitung (Änderung des Anstiegs), um die Aussage der ersten Ableitung (Anstieg der Arbeitslosenzahl) zu relativieren.
Höhere Ableitungen können auf verschiedene Weisen geschrieben werden:
oder im physikalischen Fall (bei einer Ableitung nach der Zeit)
Für die formale Bezeichnung beliebiger Ableitungen legt man außerdem und fest.
Ist eine natürliche Zahl und offen, so wird der Raum der in-mal stetig differenzierbaren Funktionen mit bezeichnet. DerDifferentialoperator induziert damit eine Kette vonlinearen Abbildungen
und damit allgemein für:
Dabei bezeichnet den Raum der instetigen Funktionen. Exemplarisch: Wird ein durch Anwenden von einmal abgeleitet, kann das Ergebnis im Allgemeinen nur noch-mal abgeleitet werden usw. Jeder Raum ist eine-Algebra, da nach der Summen- bzw. der Produktregel Summen und auch Produkte von-mal stetig differenzierbaren Funktionen wieder-mal stetig differenzierbar sind. Es gilt zudem die aufsteigende Kette von echtenInklusionen
denn offenbar ist jede mindestens-mal stetig differenzierbare Funktion auch-mal stetig differenzierbar usw., jedoch zeigen die Funktionen
Diese Formel ermöglicht die geschlossene Darstellung der-ten Ableitung der Komposition zweier-mal differenzierbarer Funktionen. Sie verallgemeinert die Kettenregel auf höhere Ableitungen.
Ist eine in einem Intervall-mal stetig differenzierbare Funktion, dann gilt für alle und aus die sogenannte Taylorformel:
mit dem-tenTaylorpolynom an der Entwicklungsstelle
und dem-tenRestglied
mit einem.[40] Eine beliebig oft differenzierbare Funktion wirdglatte Funktion genannt. Da sie alle Ableitungen besitzt, kann die oben angegebene Taylorformel zurTaylorreihe von mit Entwicklungspunkt erweitert werden:
Es ist jedoch nicht jede glatte Funktion durch ihre Taylorreihe darstellbar, siehe unten.
Funktionen, die an jeder Stelle ihres Definitionsbereichsbeliebig oft differenzierbar sind, bezeichnet man auch alsglatte Funktionen. Die Menge aller in einer offenen Menge glatten Funktionen wird meist mit bezeichnet. Sie trägt die Struktur einer-Algebra (skalare Vielfache, Summen und Produkte glatter Funktionen sind wieder glatt) und ist gegeben durch
wobei alle in-mal stetig differenzierbaren Funktionen bezeichnet.[30] Häufig findet man in mathematischen Betrachtungen den Begriffhinreichend glatt. Damit ist gemeint, dass die Funktion mindestens so oft differenzierbar ist, wie es nötig ist, um den aktuellen Gedankengang durchzuführen.
Der obere Begriff der Glattheit kann weiter verschärft werden. Eine Funktion heißt reell analytisch, wenn sie sich in jedem Punkt lokal in eine Taylorreihe entwickeln lässt, also
für alle und alle hinreichend kleinen Werte von. Analytische Funktionen haben starke Eigenschaften und finden besondere Aufmerksamkeit in der komplexen Analysis. Dort werden dementsprechend keine reell, sondern komplex analytischen Funktionen studiert. Ihre Menge wird meist mit bezeichnet und es gilt. Insbesondere ist jede analytische Funktion glatt, abernicht umgekehrt. Die Existenz aller Ableitungen ist alsonicht hinreichend dafür, dass die Taylorreihe die Funktiondarstellt, wie das folgende Gegenbeispiel
einer nicht analytischen glatten Funktion zeigt.[41] Alle reellen Ableitungen dieser Funktion verschwinden in 0, aber es handelt sich nicht um die Nullfunktion. Daher wird sie an der Stelle 0 nicht durch ihre Taylorreihe dargestellt.
Eine wichtige Anwendung der Differentialrechnung in einer Variablen ist die Bestimmung vonExtremwerten, meist zurOptimierung von Prozessen, wie etwa im Kontext von Kosten, Material oder Energieaufwand.[42] Die Differentialrechnung stellt eine Methode bereit, Extremstellen zu finden, ohne dabei unter Aufwand numerisch suchen zu müssen. Man macht sich zu Nutze, dass an einer lokalen Extremstelle notwendigerweise die erste Ableitung der Funktion gleich 0 sein muss. Es muss also gelten, wenn eine lokale Extremstelle ist. Allerdings bedeutet andersherum noch nicht, dass es sich bei um ein Maximum oder Minimum handelt. In diesem Fall werden mehr Informationen benötigt, um eine eindeutige Entscheidung treffen zu können, was meist durch Betrachten höherer Ableitungen bei möglich ist.
Eine Funktion kann einen Maximal- oder Minimalwert haben, ohne dass die Ableitung an dieser Stelle existiert, jedoch kann in diesem Falle die Differentialrechnung nicht verwendet werden. Im Folgenden werden daher nur zumindest lokal differenzierbare Funktionen betrachtet. Als Beispiel nehmen wir diePolynomfunktion mit dem Funktionsterm
Die Abbildung zeigt den Verlauf der Graphen von, und.
Besitzt eine Funktion mit an einer Stelle ihren größten Wert, gilt also für alle dieses Intervalls, und ist an der Stelle differenzierbar, so kann die Ableitung dort nur gleich Null sein:. Eine entsprechende Aussage gilt, falls in den kleinsten Wert annimmt.
Geometrische Deutung diesesSatzes von Fermat ist, dass der Graph der Funktion in lokalen Extrempunkten eine parallel zur-Achse verlaufende Tangente, auch waagerechte Tangente genannt, besitzt.
Es ist somit für differenzierbare Funktionen einenotwendige Bedingung für das Vorliegen einer Extremstelle, dass die Ableitung an der betreffenden Stelle den Wert 0 annimmt:
Umgekehrt kann aber daraus, dass die Ableitung an einer Stelle den Wert Null hat, noch nicht auf eine Extremstelle geschlossen werden, es könnte auch beispielsweise einSattelpunkt vorliegen. Eine Liste verschiedener hinreichender Kriterien, deren Erfüllung sicher auf eine Extremstelle schließen lässt, findet sich im ArtikelExtremwert. Diese Kriterien benutzen meist die zweite oder noch höhere Ableitungen.
Daraus folgt, dass genau für und gilt. Die Funktionswerte an diesen Stellen sind und, d. h., die Kurve hat in den Punkten und waagerechte Tangenten, und nur in diesen.
Da die Folge
abwechselnd aus kleinen und großen Werten besteht, muss in diesem Bereich ein Hoch- und ein Tiefpunkt liegen. Nach dem Satz von Fermat hat die Kurve in diesen Punkten eine waagerechte Tangente, es kommen also nur die oben ermittelten Punkte in Frage: Also ist ein Hochpunkt und ein Tiefpunkt.
Mit Hilfe der Ableitungen lassen sich noch weitere Eigenschaften der Funktion analysieren, wie die Existenz vonWende- undSattelpunkten, dieKonvexität oder die oben schon angesprocheneMonotonie. Die Durchführung dieser Untersuchungen ist Gegenstand der Kurvendiskussion.
Neben der Bestimmung der Steigung von Funktionen ist die Differentialrechnung durch ihrenKalkül ein wesentliches Hilfsmittel bei derTermumformung. Hierbei löst man sich von jeglichem Zusammenhang mit der ursprünglichen Bedeutung der Ableitung als Anstieg. Hat man zweiTerme als gleich erkannt, lassen sich durch Differentiation daraus weitere (gesuchte) Identitäten gewinnen. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen:
berechnet werden. Dies gelingt durch Differentiation mit Hilfe derQuotientenregel:
Alternativ ergibt sich die Identität auch durch Ausmultiplizieren und anschließendes dreifachesTeleskopieren, was aber nicht so einfach zu durchschauen ist.
Zentrale Aussagen der Differentialrechnung einer Variablen
Die wesentliche Leistung Leibniz’ war die Erkenntnis, dassIntegration und Differentiation zusammenhängen. Diese formulierte er im Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung, auchFundamentalsatz der Analysis genannt, der besagt:
Ist ein Intervall, eine stetige Funktion und eine beliebige Zahl aus, so ist die Funktion
stetig differenzierbar, und ihre Ableitung ist gleich.
Hiermit ist also eine Anleitung zum Integrieren gegeben: Gesucht ist eine Funktion, deren Ableitung der Integrand ist. Dann gilt:[43]
Ein weiterer zentraler Satz der Differentialrechnung ist derMittelwertsatz, der 1821 vonCauchy bewiesen wurde.[44]
Es sei eine Funktion, die auf dem abgeschlossenen Intervall (mit) definiert und stetig ist. Außerdem sei die Funktion im offenen Intervall differenzierbar. Unter diesen Voraussetzungen gibt es mindestens ein, sodass
gilt – geometrisch-anschaulich: Zwischen zwei Schnittpunkten einerSekante gibt es auf der Kurve einen Punkt mit zur Sekante parallelerTangente.[45]
Die Umkehrfunktion existiert, ist differenzierbar und erfüllt.
Daraus lässt sich herleiten, dass eine stetig differenzierbare Funktion, deren Ableitung nirgends verschwindet, bereits einenDiffeomorphismus zwischen den Intervallen und definiert. In mehreren Variablen ist die analoge Aussage falsch. So verschwindet die Ableitung derkomplexen Exponentialfunktion, nämlich sie selbst, in keinem Punkt, aber es handelt sich um keine (global)injektive Abbildung. Man beachte, dass diese als höherdimensionale reelle Funktion aufgefasst werden kann, da ein zweidimensionaler-Vektorraum ist.
Allerdings liefert derSatz von Hadamard ein Kriterium, mit dem in manchen Fällen gezeigt werden kann, dass eine stetig differenzierbare Funktion einHomöomorphismus ist.
Als eine Anwendung desMittelwertsatzes lässt sich eine Beziehung herleiten, die es in manchen Fällen erlaubt, unbestimmte Ausdrücke der Gestalt oder zu berechnen.[47]
Seien differenzierbar und habe keine Nullstelle. Ferner gelte entweder
oder
.
Dann gilt
unter der Bedingung, dass der letzteGrenzwert in existiert.
Differentialrechnung bei Funktionenfolgen und Integralen
In vielen analytischen Anwendungen hat man es nicht miteiner Funktion, sondern mit einer Folge zu tun. Dabei muss geklärt werden, inwieweit sich der Ableitungsoperator mit Prozessen wie Grenzwerten, Summen oder Integralen verträgt.
Bei einer konvergenten, differenzierbaren Funktionenfolge ist es im Allgemeinen nicht möglich, Rückschlüsse auf den Grenzwert der Folge zu ziehen, selbst dann nicht, wenngleichmäßig konvergiert. Die analoge Aussage in der Integralrechnung ist hingegen richtig: Bei gleichmäßiger Konvergenz können Limes und Integral vertauscht werden, zumindest dann, wenn die Grenzfunktion „gutartig“ ist.
Aus dieser Tatsache kann zumindest Folgendes geschlossen werden: Sei eine Folge stetig differenzierbarer Funktionen, sodass die Folge der Ableitungengleichmäßig gegen eine Funktion konvergiert. Es gelte außerdem, dass die Folge fürmindestens einen Punkt konvergiert. Dann konvergiert bereits gleichmäßig gegen eine differenzierbare Funktion und es gilt.[48]
Sei eine Folge stetig differenzierbarer Funktionen, sodass die Reihe konvergiert, wobei dieSupremumsnorm bezeichnet. Konvergiert außerdem die Reihe für ein, dann konvergiert die Funktionenreihe gleichmäßig gegen eine differenzierbare Funktion, und es gilt[49]
Bisher wurde nur vonreellen Funktionen gesprochen. Alle behandelten Regeln lassen sich jedoch auf Funktionen mitkomplexen Eingaben und Werten übertragen. Dies hat den Hintergrund, dass die komplexen Zahlen genau wie die reellen Zahlen einenKörper bilden, dort also Addition, Multiplikation und Division erklärt ist. Diese zusätzliche Struktur bildet den entscheidenden Unterschied zu einer Herangehensweise mehrdimensionaler reeller Ableitungen, wenn bloß als zweidimensionaler-Vektorraum aufgefasst wird. Ferner lassen sich die euklidischen Abstandsbegriffe der reellen Zahlen (siehe auchEuklidischer Raum) auf natürliche Weise auf komplexe Zahlen übertragen. Dies erlaubt eine analoge Definition und Behandlung der für die Differentialrechnung wichtigen Begriffe wieFolge undGrenzwert.[52]
Ist also offen, eine komplexwertige Funktion, so heißt an der Stellekomplex differenzierbar, wenn der Grenzwert
existiert.[53] Dieser wird mit bezeichnet und(komplexe) Ableitung von an der Stelle genannt. Es ist demnach möglich, den Begriff der Linearisierung ins Komplexe weiterzutragen: Die Ableitung ist die „Steigung“ der linearen Funktion, die bei optimal approximiert. Allerdings ist darauf zu achten, dass der Wert im Grenzwert nicht nur reelle, sondern auch komplexe Zahlen (nahe bei 0) annehmen kann. Dies hat zur Folge, dass der Terminus der komplexen Differenzierbarkeit wesentlich restriktiver ist als jener der reellen Differenzierbarkeit. Während im Reellen nur zwei Richtungen im Differenzenquotienten betrachtet werden mussten, sind es im Komplexen unendlich viele Richtungen, da diese keine Gerade, sondern eine Ebene aufspannen. So ist beispielsweise die Betragsfunktion nirgends komplex differenzierbar. Eine komplexe Funktion ist genau dann komplex differenzierbar in einem Punkt, wenn sie dort dieCauchy-Riemannschen Differentialgleichungen erfüllt undtotal differenzierbar ist.[54]
Trotz (bzw. gerade wegen) des viel einschränkenderen Begriffs der komplexen Differenzierbarkeit übertragen sich alle üblichen Rechenregeln der reellen Differentialrechnung in die komplexe Differentialrechnung. Dazu gehören die Ableitungsregeln, also zum Beispiel Summen-, Produkt- und Kettenregel, wie auch die Umkehrregel für inverse Funktionen. Viele Funktionen, wie Potenzen, die Exponentialfunktion oder der Logarithmus, haben natürliche Fortsetzungen in die komplexen Zahlen und besitzen weiterhin ihre charakteristischen Eigenschaften. Von diesem Gesichtspunkt her ist die komplexe Differentialrechnung mit ihrem reellen Analogon identisch.
Wenn eine Funktion in ganz komplex differenzierbar ist, nennt man sie auch eineinholomorphe Funktion.[55] Holomorphe Funktionen haben bedeutende Eigenschaften. So ist zum Beispiel jede holomorphe Funktion bereits (in jedem Punkt) beliebig oft differenzierbar. Die daraus aufkommende Klassifizierungfrage holomorpher Funktionen ist Gegenstand derFunktionentheorie. Es stellt sich heraus, dass im komplex-eindimensionalen Fall der Begriff holomorph äquivalent zum Begriffanalytisch ist. Demnach ist jede holomorphe Funktion analytisch, und umgekehrt. Ist eine Funktion sogar in ganz holomorph, so nennt man sieganz. Beispiele für ganze Funktionen sind die Potenzfunktionen mit natürlichen Zahlen sowie, und.
Alle vorherigen Ausführungen legten eine Funktion ineiner Variablen (also mit einer reellen oder komplexen Zahl als Argument) zugrunde. Funktionen, dieVektoren auf Vektoren oder Vektoren auf Zahlen abbilden, können ebenfalls eine Ableitung haben. Allerdings ist eine Tangente an den Funktionsgraph in diesen Fällen nicht mehr eindeutig bestimmt, da es viele verschiedene Richtungen gibt. Hier ist also eine Erweiterung des bisherigen Ableitungsbegriffs notwendig.
Mehrdimensionale Differenzierbarkeit und die Jacobi-Matrix
Es sei offen, eine Funktion, und ein (Richtungs-)Vektor. Aufgrund der Offenheit von gibt es ein mit für alle, weshalb die Funktion mit wohldefiniert ist. Ist diese Funktion in differenzierbar, so heißt ihre AbleitungRichtungsableitung von an der Stellein der Richtung und wird meistens mit bezeichnet.[56] Es gilt:
Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Richtungsableitung und der Jacobi-Matrix. Ist differenzierbar, dann existiert und es gilt in einer Umgebung von:
wobei die Schreibweise das entsprechendeLandau-Symbol bezeichnet.[57]
Es werde als Beispiel eine Funktion betrachtet, also einSkalarfeld. Diese könnte eineTemperaturfunktion sein: In Abhängigkeit vom Ort wird die Temperatur im Zimmer gemessen, um zu beurteilen, wie effektiv die Heizung ist. Wird dasThermometer in eine bestimmte Raumrichtung bewegt, ist eine Veränderung der Temperatur festzustellen. Dies entspricht genau der entsprechenden Richtungsableitung.
Die Richtungsableitungen in spezielle Richtungen, nämlich in die der Koordinatenachsen mit der Länge, nennt man diepartiellen Ableitungen.
Insgesamt lassen sich für eine Funktion in Variablen partielle Ableitungen errechnen:[58]
Die einzelnen partiellen Ableitungen einer Funktion lassen sich auch gebündelt alsGradient oderNablavektor anschreiben:[59]
Meist wird der Gradient alsZeilenvektor (also „liegend“) geschrieben. In manchen Anwendungen, besonders in der Physik, ist jedoch auch die Schreibweise alsSpaltenvektor (also „stehend“) üblich. Partielle Ableitungen können selbst differenzierbar sein und ihre partiellen Ableitungen lassen sich dann in der sogenanntenHesse-Matrix anordnen.
Eine Funktion mit, wobei eineoffene Menge ist, heißt in einem Punkttotal differenzierbar (oder auch nurdifferenzierbar, manchmal auchFréchet-differenzierbar[56]), falls einelineare Abbildung existiert, sodass
gilt.[60] Für den eindimensionalen Fall stimmt diese Definition mit der oben angegebenen überein. Die lineare Abbildung ist bei Existenz eindeutig bestimmt, ist also insbesondere unabhängig von der Wahläquivalenter Normen. Die Tangente wird daher durch die lokale Linearisierung der Funktion abstrahiert. Die Matrixdarstellung der ersten Ableitung von nennt manJacobi-Matrix. Es handelt sich um eine-Matrix. Für erhält man denweiter oben beschriebenen Gradienten.
Zwischen den partiellen Ableitungen und der totalen Ableitung besteht folgender Zusammenhang: Existiert in einem Punkt die totale Ableitung, so existieren dort auch alle partiellen Ableitungen. In diesem Fall stimmen die partiellen Ableitungen mit den Koeffizienten der Jacobi-Matrix überein:
Umgekehrt folgt aus der Existenz der partiellen Ableitungen in einem Punkt nicht zwingend die totale Differenzierbarkeit, ja nicht einmal die Stetigkeit. Sind die partiellen Ableitungen jedoch zusätzlich in einer Umgebung vonstetig, dann ist die Funktion in auch total differenzierbar.[61]
Rechenregeln der mehrdimensionalen Differentialrechnung
Es seien und offen sowie und in bzw. differenzierbar, wobei. Dann ist mit in differenzierbar mit Jacobi-Matrix
Mit anderen Worten, die Jacobi-Matrix der Komposition ist das Produkt der Jacobi-Matrizen von und.[62] Es ist zu beachten, dass die Reihenfolge der Faktoren im Gegensatz zum klassischen eindimensionalen Fall eine Rolle spielt.
Mit Hilfe der Kettenregel kann die Produktregel aufreellwertige Funktionen mit höherdimensionalem Definitionsbereich verallgemeinert werden.[63] Ist offen und sind beide in differenzierbar, so folgt
Sei offen. Es bezeichne eine Folge stetig differenzierbarer Funktionen, sodass es Funktionen und gibt (dabei ist der Raum der linearen Abbildungen von nach), sodass Folgendes gilt:
konvergiert punktweise gegen,
konvergiert lokal gleichmäßig gegen.
Dann ist stetig differenzierbar auf und es gilt.[64]
Die Differentiationsreihenfolge ist bei der Berechnung partieller Ableitungen höherer Ordnung unerheblich, wenn alle partiellen Ableitungen bis zu dieser Ordnung (einschließlich) stetig sind. Dies bedeutet konkret: Ist offen und die Funktion zweimal stetig differenzierbar (d. h., alle zweifachen partiellen Ableitungen existieren und sind stetig), so gilt für alle und:
Der Satz wird falsch, wenn die Stetigkeit der zweifachen partiellen Ableitungen weggelassen wird.[65]
Der Satz von der impliziten Funktion besagt, dass Funktionsgleichungen auflösbar sind, falls dieJacobi-Matrix bezüglich bestimmter Variablen lokal invertierbar ist.[66]
Über den höherdimensionalen Mittelwertsatz gelingt es, eine Funktion entlang einer Verbindungsstrecke abzuschätzen, wenn die dortigen Ableitungen bekannt sind. Seien offen und differenzierbar. Gegeben seien zudem zwei Punkte, sodass die Verbindungsstrecke eine Teilmenge von ist. Dann postuliert der Mittelwertsatz die Ungleichung:[67]
Auch im Fall höherdimensionaler Funktionen können höhere Ableitungen betrachtet werden. Die Konzepte haben jedoch einige starke Unterschiede zum klassischen Fall, die besonders im Falle mehrerer Veränderlicher in Erscheinung treten. Bereits die Jacobi-Matrix lässt erkennen, dass die Ableitung einer höherdimensionalen Funktion an einer Stelle nicht mehr die gleiche Gestalt wie der dortige Funktionswert haben muss. Wird nun die erste Ableitung erneut abgeleitet, so ist die erneute „Jacobi-Matrix“ im Allgemeinen ein noch umfangreicheres Objekt. Für dessen Beschreibung ist das Konzept dermultilinearen Abbildungen bzw. desTensors erforderlich. Ist, so ordnet jedem Punkt eine-Matrix (lineare Abbildung von nach) zu. Induktiv definiert man für die höheren Ableitungen
wobei der Raum der-multilinearen Abbildungen von nach bezeichnet. Analog wie im eindimensionalen Fall definiert man die Räume der-mal stetig differenzierbaren Funktionen auf durch, und die glatten Funktion via[68]
Ein Anwendungsbeispiel der Differentialrechnung mehrerer Veränderlicher betrifft dieFehlerrechnung, zum Beispiel im Kontext derExperimentalphysik. Während man im einfachsten Falle die zu bestimmende Größe direkt messen kann, wird es meistens der Fall sein, dass sie sich durch einen funktionalen Zusammenhang aus einfacher zu messenden Größen ergibt. Typischerweise hat jede Messung eine gewisse Unsicherheit, die man durch Angabe desMessfehlers zu quantifizieren versucht.[69]
Bezeichnet zum Beispiel mit das Volumen einesQuaders, so könnte das Ergebnis experimentell ermittelt werden, indem man Länge, Breite und Höhe einzeln misst. Treten bei diesen die Fehler, und auf, so gilt für den Fehler in der Volumenberechnung:
Allgemein gilt, dass wenn eine zu messende Größe funktional von einzeln gemessenen Größen durch abhängt und bei deren Messungen jeweils die Fehler entstehen, der Fehler der daraus errechneten Größe ungefähr bei
liegen wird. Dabei bezeichnet der Vektor die exakten Terme der einzelnen Messungen.[69]
Viele höhere Gleichungssysteme lassen sich nicht algebraisch geschlossen lösen. In manchen Fällen kann man aber zumindest eine ungefähre Lösung ermitteln. Ist das System durch gegeben, mit einer stetig differenzierbaren Funktion, so konvergiert die Iterationsvorschrift
unter gewissen Voraussetzungen gegen eine Nullstelle. Dabei bezeichnet dasInverse der Jacobi-Matrix zu. Der Prozess stellt eine Verallgemeinerung des klassischen eindimensionalenNewton-Verfahrens dar. Aufwendig ist allerdings die Berechnung dieser Inversen in jedem Schritt. Unter Verschlechterung der Konvergenzrate kann in manchen Fällen die Modifikation statt vorgenommen werden, womit nur eine Matrix invertiert werden muss.[70]
Auch für die Kurvendiskussion von Funktionen ist die Auffindung von Minima bzw. Maxima, zusammengefasstExtrema, ein wesentliches Anliegen. Die mehrdimensionale Differentialrechnung liefert Möglichkeiten, diese zu bestimmen, sofern die betrachtete Funktion zweimal stetig differenzierbar ist. Analog zum Eindimensionalen besagt die notwendige Bedingung für die Existenz für Extrema, dass im besagten Punkt alle partiellen Ableitungen 0 sein müssen, also
für alle. Dieses Kriterium ist nicht hinreichend, dient aber dazu, diesekritischen Punkte als mögliche Kandidaten für Extrema zu ermitteln. Unter Bestimmung der Hesse-Matrix, der zweiten Ableitung, kann anschließend in manchen Fällen entschieden werden, um welche Art Extremstelle es sich handelt.[71] Im Gegensatz zum Eindimensionalen ist die Formenvielfalt kritischer Punkte größer. Mittels einerHauptachsentransformation, also einer detaillierten Untersuchung der Eigenwerte, der durch eine mehrdimensionale Taylor-Entwicklung im betrachteten Punkt gegebenenquadratischen Form lassen sich die verschiedenen Fälle klassifizieren.[72]
Häufig ist bei Optimierungsproblemen die Zielfunktion lediglich auf einerTeilmenge zu minimieren, wobei durch sog.Nebenbedingungen bzw.Restriktionen bestimmt ist. Ein Verfahren, das zur Lösung solcher Probleme herangezogen werden kann, ist dieLagrangesche Multiplikatorregel.[73] Diese nutzt die mehrdimensionale Differentialrechnung und lässt sich sogar auf Ungleichungsnebenbedingungen ausweiten.[74]
In derMikroökonomie werden beispielsweise verschiedene Arten vonProduktionsfunktionen analysiert, um daraus Erkenntnisse fürmakroökonomische Zusammenhänge zu gewinnen. Hier ist vor allem das typische Verhalten einer Produktionsfunktion von Interesse: Wie reagiert die abhängige VariableOutput (z. B. Output einer Volkswirtschaft), wenn dieInputfaktoren (hier:Arbeit undKapital) um eine infinitesimal kleine Einheit erhöht werden?
Ein Grundtyp einer Produktionsfunktion ist etwa dieneoklassische Produktionsfunktion. Sie zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass der Output bei jedem zusätzlichen Input steigt, dass aber die Zuwächse abnehmend sind. Es sei beispielsweise für eine Volkswirtschaft dieCobb-Douglas-Funktion
mit
maßgebend. Zu jedem Zeitpunkt wird in der Volkswirtschaft unter dem Einsatz der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital mithilfe eines gegebenen Technologielevels Output produziert. Die erste Ableitung dieser Funktion nach den Produktionsfaktoren ergibt:
.
Da die partiellen Ableitungen aufgrund der Beschränkung nur positiv werden können, sieht man, dass der Output bei einer Erhöhung der jeweiligen Inputfaktoren steigt. Die partiellen Ableitungen 2. Ordnung ergeben:
.
Sie werden für alle Inputs negativ sein, also fallen die Zuwachsraten. Man könnte also sagen, dass bei steigendem Input der Output unterproportional steigt. Dierelative Änderung des Outputs im Verhältnis zu einer relativen Änderung des Inputs ist hier durch dieElastizität gegeben. Vorliegend bezeichnet die Produktionselastizität des Kapitals, die bei dieser Produktionsfunktion dem Exponenten entspricht, der wiederum die Kapitaleinkommensquote repräsentiert. Folglich steigt der Output bei einer infinitesimal kleinen Erhöhung des Kapitals um die Kapitaleinkommensquote.
Eine wichtige Anwendung der Differentialrechnung besteht in dermathematischen Modellierung physikalischer Vorgänge. Wachstum, Bewegung oder Kräfte haben alle mit Ableitungen zu tun, ihre formelhafte Beschreibung muss also Differentiale enthalten. Typischerweise führt dies auf Gleichungen, in denen Ableitungen einer unbekannten Funktion auftauchen, sogenannteDifferentialgleichungen.
die Beschleunigung eines Körpers mit seiner Masse und der auf ihn einwirkenden Kraft. Das Grundproblem der Mechanik lautet deshalb, aus einer gegebenen Beschleunigung dieOrtsfunktion eines Körpers herzuleiten. Diese Aufgabe, eine Umkehrung der zweifachen Differentiation, hat die mathematische Gestalt einer Differentialgleichung zweiter Ordnung. Die mathematische Schwierigkeit dieses Problems rührt daher, dass Ort, Geschwindigkeit und BeschleunigungVektoren sind, die im Allgemeinen nicht in die gleiche Richtung zeigen, und dass die Kraft von der Zeit und vom Ort abhängen kann.
Da viele Modelle mehrdimensional sind, sind bei der Formulierung häufig die weiter oben erklärten partiellen Ableitungen sehr wichtig, mit denen sichpartielle Differentialgleichungen formulieren lassen. Mathematisch kompakt werden diese mittelsDifferentialoperatoren beschrieben und analysiert.
Zentrales Thema der Differentialgeometrie ist die Ausdehnung der klassischen Analysis auf höhere geometrische Objekte. Diese sehen lokal so aus wie zum Beispiel der euklidische Raum, können aber global eine andere Gestalt haben. Der Begriff hinter diesem Phänomen ist dieMannigfaltigkeit. Mit Hilfe der Differentialgeometrie werden Fragestellungen über die Natur solcher Objekte studiert – zentrales Werkzeug ist weiterhin die Differentialrechnung. Gegenstand der Untersuchung sind oftmals die Abstände zwischen Punkten oder die Volumina von Figuren. Beispielsweise kann mit ihrer Hilfe der kürzestmögliche Weg zwischen zwei Punkten auf einer gekrümmten Fläche bestimmt und gemessen werden, die sogenannteGeodätische. Für die Messung von Volumina wird der Begriff derDifferentialform benötigt. Differentialformen erlauben unter anderem eine koordinatenunabhängigeIntegration.
Sowohl die theoretischen Ergebnisse als auch Methoden der Differentialgeometrie haben bedeutende Anwendungen in derPhysik. So beschriebAlbert Einstein seineRelativitätstheorie mit differentialgeometrischen Begriffen.
In vielen Anwendungen ist es wünschenswert, Ableitungen auch für stetige oder sogar unstetige Funktionen bilden zu können. So kann beispielsweise eine sich am Strand brechende Welle durch eine partielle Differentialgleichung modelliert werden, die Funktion der Höhe der Welle ist aber noch nicht einmal stetig. Zu diesem Zweck verallgemeinerte man Mitte des 20. Jahrhunderts den Ableitungsbegriff auf den Raum derDistributionen und definierte dort eineschwache Ableitung. Eng verbunden damit ist der Begriff desSobolew-Raums.
Differentialrechnung ist ein zentraler Unterrichtsgegenstand in derSekundarstufe II und wird somit in allen Mathematik-Lehrbüchern dieser Stufe behandelt.
Henri Cartan:Differentialformen. Bibliographisches Institut, Mannheim 1974,ISBN 3-411-01443-1.
Henri Cartan:Elementare Theorien der analytischen Funktionen einer und mehrerer komplexen Veränderlichen. Bibliographisches Institut, Mannheim 1966, 1981,ISBN 3-411-00112-7.
Rainer Ansorge, Hans Joachim Oberle:Mathematik für Ingenieure. Band 1. Akademie-Verlag, Berlin 1994, 3. Auflage 2000,ISBN 3-527-40309-4.
Günter Bärwolff (unter Mitarbeit von G. Seifert):Höhere Mathematik für Naturwissenschaftler und Ingenieure. Elsevier Spektrum Akademischer Verlag, München 2006,ISBN 3-8274-1688-4.
Peter Dörsam:Mathematik anschaulich dargestellt für Studierende der Wirtschaftswissenschaften. 15. Auflage. PD-Verlag, Heidenau 2010,ISBN 978-3-86707-015-7.
↑Thomas Sonar:3000 Jahre Analysis, Springer, S. 247–248.
↑Thomas Sonar:3000 Jahre Analysis, Springer, S. 378.
↑Marquis de L’Hospital:Analyse des Infiniment Petits pour l’Intelligence des Lignes Courbes. Preface, S. ix–x: « L’Étendue de ce calcul est immense: … »;archive.org.