Der Terminusa priori (mittellateinischa ‚von … her‘ undprius ‚das vordere, frühere, erste [von zweien]‘) wurde in derscholastischen Philosophie als Übersetzung deraristotelischen Unterscheidung zwischen „proteron“ und „hysteron“ verwendet (Bedingung und Bedingtes).[1] Der Ausdruck tritt von dort im 16. Jahrhundert alsSyntagma in die deutsche Fachsprache ein.[2]
In der neuerenPhilosophie bezeichnet der Ausdruck eineerkenntnistheoretische Eigenschaft anUrteilen: Urteilea priori können ohne Basis der Erfahrung (Empirie) gefällt werden, sie sind Bedingungen der Erfahrung oder aus diesen abgeleitet. Im Gegensatz dazu stehen Urteilea posteriori. Im Allgemeinen gelten alleanalytischen Urteile alsa priori. Ihre urteilstheoretische Bedeutung haben die Begriffea priori unda posteriori seit Mitte des 17. Jahrhunderts, spätestens aber seitImmanuel Kant.
Von der neueren Verwendung abgeleitet bezeichnetapriorisches Wissen ein Wissen, das von Erfahrung unabhängig ist (sieheApriorismus). Im Unterschied dazu steht empirisches oder erfahrungsabhängiges Wissen, das insbesondere durch eigene sinnliche Wahrnehmung gewonnen wurde. Alltagssprachlich und in verschiedenen fachsprachlichen Zusammenhängen werden daher Sachverhalte, die bereits mit der Annahme bestimmter Bedingungen „von vornherein“ festliegen, alsa priori bezeichnet.
Erstmals Erwähnung findet der Begriff im 14. Jahrhundert in den Schriften des LogikersAlbert von Sachsen. Ein Argumenta priori bedeutete hier „von den Ursachen zur Wirkung“ und ein Argumenta posteriori „von den Wirkungen zu den Ursachen“. Ähnliche Definitionen wurden von vielen späteren Philosophen einschließlich Leibniz gegeben. Dieselbe Bedeutung existiert heute manchmal immer noch im nichtphilosophischen Kontext. Zu beachten ist, dass mittelalterliche Logiker das Wortcausa („Ursache“) in einemsyllogistischen Sinn verwendeten, der demaitia desAristoteles entspricht und nicht unbedingta prius, also „früher, vorhergehend“ bedeutet. Dies zeigt sich in der Verwendung der Phrasedemonstratio propter quid („Darlegung, warum etwas so ist“) äquivalent zudemonstratio a priori, ähnlich wiedemonstratio quia („Darlegung, dass etwas so ist“) als Entsprechung fürdemonstratio a posteriori. Auf ähnliche Weise unterschied Aristoteles zwischen dem Wissen über dieBegründung oder Erklärung einer Sache und dem Wissen über einen bloßenFakt.[3]
Obwohl der Begriff erst im Mittelalter verwendet wird, sind Philosophen ana priori-Wissen, also an von Erfahrung unabhängigem Wissen, bereits seit den Anfängen der Philosophie interessiert. Wissen, das man nicht durchSehen,Fühlen oderHören erlangt, sondern durch reinesNachdenken erlernt, erforderte eine besondere Erklärung.Platon behauptete in seinemMenon undPhaidon, dass das Lernengeometrischer Wahrheiten nur eineWiedererinnerung an Wissen aus einerfrüheren Existenz darstellt, als es noch möglich war, über ewige Ideen und Formen direkt nachzudenken.Augustinus von Hippo und seine mittelalterlichen Anhänger stimmten mit Platos Ansichten teilweise überein, erkannten jedoch die Details seiner Theorie nicht an und erklärten, dass die Ideen allein vonGott kämen, der den Menschen hin und wieder zur intellektuellen Erleuchtung verhelfe.[3]
Im folgenden Absatz fehlen noch folgende wichtige Informationen:
19. Jahrhundert, Analytische Philosophie, Carnap, Quine, Wissenssoziologie
Hilf der Wikipedia, indem du sie
recherchierst und
einfügst.In den traditionellen Erkenntnistheorien der europäischen Neuzeit (Rationalismus undEmpirismus) wurde generell angenommen, dass zumindest im Bereich derMathematik und derLogik Wissena priori möglich ist. Ein Teilprojekt derAufklärung untersuchte die Frage, ob es solche unhintergehbaren Gesetze auch im Bereich der Naturwissenschaft und der Ethik geben könne, um mit dem Geltungsanspruch religiöserOffenbarung konkurrieren zu können. Nur Urteilea priori konnten den Anspruch erhebennotwendigerweise und nicht nur zufällig, aufgrund der augenblicklichen Situation, wahr zu sein.
Rationalisten wieRené Descartes oderGottfried Leibniz beharrten darauf, dass Menschen epistemischen Zugang zu solchen Wahrheiten auch ohne Empirie (sinnliche Erfahrung) haben, während Empiristen wieJohn Locke oderDavid Hume nur Urteilen über die Tätigkeit des eigenen Geistes den Status von Urteilen a priori zubilligten.
In der Philosophie Kants, die eine Synthese vonRationalismus undEmpirismus bilden soll, sind strukturelle Bedingungen der erfahrbaren Welt – wie dieKategorien oder dieStrukturen von Raum und Zeit, die Kant „Formen der sinnlichen Anschauung“ nennt –a priori, da sietranszendentale Bedingungen der Erfahrung überhaupt sind. Er verwendet den Ausdruck – zunächst noch im Sinn der rationalistischen Tradition – für Erkenntnisse, die auf keiner konkretenempirischen Erfahrung beruhen und daher die Formallgemeiner undnotwendiger Urteile annehmen können. Kants Ausführungen zu Beginn der zweiten Auflage derKritik der reinen Vernunft (B) legen die Interpretation nahe, dass innerhalb der Klasse derErkenntnisse a priori zwischenreinen (keine empirischen Begriffe enthaltenden) undnicht-reinen (empirische Begriffe enthaltenden)Erkenntnissen a priori zu unterscheiden ist[4][5] :
„Von den Erkenntnissen a priori heißen aber diejenigenrein, denen gar nichts Empirisches beigemischt ist.“[6]
In Absetzung vom Rationalismus hält Kant aber angeborene Begriffe von Gattungen, Arten oder Individuen für unmöglich. Nicht die Strukturen der Welt selbst, sondern nur die unserer Erfahrung sinda priori. Das Erkenntnisvermögen kann a priori keine Einzelgegenstände der Welt erkennen, aber auf die in ihm selbst liegenden Voraussetzungen der Erkenntnis, die Verstandeskategorien und die Anschauungsformen zugreifen. Da dieselben Strukturen und Erkenntnisvermögen auch für die Erkenntnis a posteriori verwendet werden müssen, gelten a priori erkannte Regeln und Zusammenhänge auch für diese. Aus Kants Position folgt, dass Einzelgegenstände nur insofern erkennbar sind, als diese durch diea priori gegebenen Erkenntnisbedingungen vermittelbar sind. Wie Objekte unabhängig von dieser Vermittlung, die sog.Dinge „an sich“, beschaffen sind, ist demnach nicht erkennbar.
Eine Untersuchung, die sich auf die im Erkennen selbst liegenden Voraussetzungen und Bedingungen jeder Erkenntnis bezieht, nennt Kanttranszendental. Diesen methodischen Ansatz bezeichnet er auch alsTranszendentalphilosophie. Kants Theorie des a priori findet sich vor allem in seinemerkenntnistheoretischen Hauptwerk, derKritik der reinen Vernunft und in denProlegomena.
In der Weiterführung von Kritiken der klassischenTranszendentalphilosophie, wie sie beiMartin Heidegger entwickelt wurde, haben Theoretiker vor allem der spätmodernen französischen Philosophie wieJacques Derrida oderMichel Foucault die Voraussetzung fester, a priori gesetzter Bedingungen kritisiert und stattdessen von quasi-transzendentalen Voraussetzungen gesprochen. Diesen Ansätzen zufolge sind die Grundstrukturen der Erfahrung, des Denkens und Handelns nicht ewige Wahrheiten, sondern Ausdruck von historischen und kulturellen Bedingungen. Das hat sowohl epistemologische wie praktische Konsequenzen, obwohl die jeweilig gültigen Grundstrukturen für die in diesen Bedingungen stehenden Menschen unhintergehbar sind und also für siea priori bleiben.
FoucaultsDiskursanalyse beispielsweise führt den Begriff eineshistorischen Apriori ein, der wie folgt beschrieben wird:
„Ich will damit ein Apriori bezeichnen, das nicht Gültigkeitsbedingung für Urteile, sondern Realitätsbedingung für Aussagen ist. Es handelt sich […] darum […] die Bedingungen des Auftauchens von Aussagen, das Gesetz ihrer Koexistenz mit anderen, die spezifische Form ihrer Seinsweise und die Prinzipien freizulegen, nach denen sie fortbestehen, sich transformieren und verschwinden. Ein Apriori nicht von Wahrheiten, die niemals gesagt werden oder wirklich der Erfahrung gegeben werden könnten; sondern einer Geschichte, die gegeben ist, denn es ist die der wirklich gesagten Dinge.“
- Paul Boghossian,Christopher Peacocke (Hrsg.):New Essays on the A Priori. Clarendon Press, Oxford 2000,ISBN 0-19-924127-9.
- Laurence Bonjour:Is There a Priori Knowledge? Defense of the a Priori. In: M. Steup, E. Sosa (Hrsg.):Contemporary Debates in Epistemology. Blackwell Publishing, Oxford 2005,ISBN 1-4051-0739-1, S. 98–105.
- Gerd Brand:Die Lebenswelt. Eine Philosophie des konkreten Apriori. de Gruyter, Berlin 1971,ISBN 3-11-006420-0. (Im Gegensatz zum formalen A priori behandelt Brand das materiale, konkrete derPhänomenologie.)
- Albert Casullo:A priori justification. Oxford University Press, Oxford u. a. 2003,ISBN 0-19-511505-8.
- Hartry Field:Recent Debates about the A Priori. In: Tamar Szabo (Hrsg.):Oxford Studies in Epistemology. Bd. 1, 2005,ISBN 0-19-151592-2, S. 69–88.
- Robert Greenberg:Kants Theory of A Priori Knowledge, Penn State University Press, University Park 2008,ISBN 978-0-271-02817-0.
- Philip Kitcher:A Priori Knowledge. In:The Philosophical Review. 89 (1980), S. 3–23.
- Nikola Kompa,Christian Nimtz, Christian Suhm (Hrsg.):The A Priori and its Role in Philosophy. mentis, Paderborn 2009,ISBN 978-3-89785-662-2.
- Kay Herrmann:Apriori im Wandel. Für und wider eine kritische Metaphysik der Natur. Winter Verlag. Heidelberg 2012.ISBN 978-3-8253-6102-0.
- ↑Vgl. H. Scherpers:A priori/a posteriori, I. In:Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 1, S. 462–467.
- ↑Vergleiche dazu Hans Schulz, Otto Basler, Gerhard Strauss (Hrsg.):Deutsches Fremdwörterbuch. Bd. 2:Antinomie-Azur. Walter de Gruyter, Berlin 1996,ISBN 3-11-014816-1, S. 133ff.
- ↑abA priori knowledge. In:Encyclopædia Britannica.
- ↑Kay Herrmann: Apriori im Wandel – Für und wider eine kritische Metaphysik der Natur, Heidelberg 2012.
- ↑Konrad Cramer: Nicht-reine synthetische Urteile a priori. Ein Problem der Transzendentalphilosophie, Heidelberg 1985.
- ↑Kant, I.: Kritik der reinen Vernunft (2. Aufl. 1787). In: Kants Werke, Akademie Textausgabe, Bd. 3, Berlin 1968, S. 28.
- ↑Michel Foucault:Archäologie des Wissens. Übersetzt von Ulrich Köppen. Suhrkamp, Frankfurt/Main 1973,ISBN 3-518-27956-4, S. 184f.