Étienne Balibar wurde 1942 in Avallon in Frankreich geboren. Er studierte ab 1960 an der Ecole normale supérieure (ENS), wo er Schüler und Mitarbeiter vonLouis Althusser wurde, einem einflussreichenmarxistischen Theoretiker des 20. Jahrhunderts.
Balibar war ab 1961 Mitglied derKommunistischen Partei Frankreichs (PCF). Allerdings wurde er 1981 aus der Partei ausgeschlossen, nachdem er deren Migrationspolitik in einem seiner Artikel kritisiert hatte.
Ab den 1990er Jahren lehrte er auch an mehreren Universitäten in den USA, etwa 2000 in der University of California, Irvine und war 2017 Gastprofessor für französische und vergleichende Literatur an derColumbia University in New York.[1]
Zusammen mit der Physikerin Françoise Balibar hat er eine Tochter, die SchauspielerinJeanne Balibar.
Balibar erarbeitete eine Reihe von Werken zu den Grundlagen der Marx’schen Theorie und zur politischen Philosophie. Wichtige Veröffentlichungen Balibars waren dieFünf Studien zum historischenMaterialismus (Paris 1974),Rasse, Klasse, Nation (mitImmanuel Wallerstein, Berlin 1990),Die Grenzen der Demokratie (Hamburg 1993).[1] Balibar tritt vor allem für das Projekt einer „Gleichfreiheit“ ein, in derGleichheit undFreiheit innerhalb einerradikalen Demokratie zusammen einhergehen.[2]
Balibar hat drei Ebenen desAllgemeinen ausgearbeitet:
diereale, dieGlobalisierung: viele Menschen werden zunehmend vom Weltmarkt abhängig;
die derFiktion, er spricht vonKirche undStaat, alsimaginäre Gemeinschaften: sie regelt die ideologische Fiktion;
die desIdeals, mit einer Forderung nachégaliberté, als mögliches Moment der Politik, das nie vollständig negiert oder zufriedengestellt werden kann.
In seinem Artikel „Gibt es einen ‚Neo-Rassismus‘?“ (1988) arbeitet er heraus, wie sichRassismus in Europa (im Kontext innereuropäischer Migration und vor der Erfahrung des Kolonialismus) um den Komplex der Immigration herausgebildet hat und zu einemRassismus ohne Rassen geworden ist. Thema dieses Rassismus sei nicht mehr die biologische Vererbung oder die Überlegenheit bestimmter Gruppen oder Völker über andere, sondern die Unaufhebbarkeit der kulturellen Differenzen, die Schädlichkeit jeder Grenzvermischung und die Unvereinbarkeit der Traditionen und Lebensweisen.[3]
InSind wir Bürger Europas? (dt. 2003) nimmt er vor allem das Demokratiedefizit der Europäischen Union in den Blick.
Übers. Klaus-Dieter Thieme:Das Kapital lesen. Rowohlt, Reinbek 1972, Vollständige Neuausgabe: Louis Althusser et al., Westfälisches Dampfboot, Münster 2015,ISBN 978-3-89691-952-6.
Sur la Dictature du proletariat. Maspero, Paris 1976,ISBN 2-7071-0863-4.
Übers. Rolf Löper, Klaus Riepe,Peter Schöttler:Über die Diktatur des Proletariats. Mit Dokumenten des 22. Parteitages der KPF. VSA, Hamburg 1976,ISBN 3-87975-097-1.
Spinoza et la politique, Presses Universitaires de France / Humensis, Paris, 1984.
Übers. Stephan Gregory:Spinoza und die Politik, tentare Verlag, Freising 2025,ISBN 978-3-9824105-4-8.
Übers. Thomas Laugstien:Der Schauplatz des Anderen. Formen der Gewalt und Grenzen der Zivilität.Hamburger Edition, Hamburg 2006,ISBN 3-936096-71-6.
Nous, citoyens d'Europe?: Les Frontières, l'Etat, le peuple, La Découverte, Paris 2001,ISBN 2-7071-3460-0.
deutsch:Sind wir Bürger Europas? Politische Integration, soziale Ausgrenzung und die Zukunft des Nationalen, Hamburger Edition, Hamburg 2003,ISBN 3-930908-86-7.
La proposition de l'égaliberté: essais politiques, 1989–2009, Presses Universitaires de France, Paris 2010.
Übers. Christine Pries:Gleichfreiheit: politische Essays. Suhrkamp, Berlin 2012,ISBN 3-518-58586-X.
Übers. Frieder Otto Wolf:Europa: Krise und Ende?. Westfälisches Dampfboot, Münster 2016,ISBN 978-3-89691-842-0.
Des Universels. Essais et conférences. Éditions Galilée, Paris 2016.
↑abEtienne Balibar ist Hannah-Arendt-Preisträger für politisches Denken 2017 | Heinrich-Böll-Stiftung. In:Heinrich-Böll-Stiftung. (boell.de [abgerufen am 26. März 2018]).